Ich möchte euch heute von Prince erzählen. Einem Mann, der unglaublich viel für mich war: Lehrmeister, Spieß, Idol, gelegentlicher Albtraum und manchmal sogar mein Freund. Ich möchte euch gerne von Prince erzählen, der Ende April 2016 unerwartet starb.
Prince war und ist allgemein bekannt als VIP unter Popstars und Musikern, einer von den wenigen, für den selbst andere Popstars und Musiker feuchte Hände kriegen. Für mich war Prince Ende der Neunziger vier Jahre lang Chef und Hauptprojekt im Studio, und diese Zeit hat mein Leben grundsätzlich verändert. Bevor ich mit Prince arbeitete, wusste ich so manches, und danach konnte ich vieles, und deswegen gibt es heute sehr wenige Situationen im Studio, die mich panisch machen können.
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Bevor ich Prince traf, war ich ein freundlich beäugtes Tonbüfflein im Studiokosmos von Minneapolis, und danach war ich wer, und mein Name auf den vielen von mir betreuten Werken von ihm und seinen Kumpels öffnet mir bis heute mehr Tontüren, als alle meine anderen Angeberposten zusammen. Das wird sich nun nicht ändern, denn schon jetzt, wenige Wochen nach seinem Tod, oszilliert die offizielle Erinnerung der Musikwelt zwischen Exzess und Wunderheilung, so wie sie es immer tut, wenn ein ganz Großer auf der Bank neben Ray Charles, Elvis, Hendrix, Marley, Lennon, James Brown und den vielen anderen Heiligen des Pop Platz nimmt.
Heilig war er nicht, der Prince, aber ein ganz besonderer Mensch, einer voller krasser Gegensätze und gleichzeitig erstaunlich normaler Gradlinigkeit, und wer jetzt nach Schmuddelgeschichten lechzt, den muss ich enttäuschen, denn erstmal geht euch Persönliches zwischen ihm und mir nichts an, und zweitens war selbst das, was euch nichts angeht, völlig unspektakulär. Wer wissen will, wie Prince »wirklich« war, der muss sich tatsächlich nur seinen Film »Purple Rain« anschauen. Der charismatische, aufgetakelte, witzige, cholerische Vogel aus dem Film saß genauso und in echt neben mir, und ich kann aus vier Jahren im Studio lediglich das bestätigen, was man aus dem Film eh schon weiß und was seit Jahrzehnten bewundernd geflüstert durch die Musikgemeinde zieht: den nie versiegenden Durst aufs Musikmachen. Dass er ohne Verspieler und Übungsphase jedes Rockinstrument bedienen konnte. Dass er ein verrückter Aufnehmer und ein inspirierter Roughmischer war, und dass es genug unveröffentlichten Musiknachschub gibt, um uns ein Leben lang vor unfunkiger Langeweile zu bewahren.
Wer nun enttäuscht wissen will, was das Leben am Hof eines großen Rockstars denn so spannend macht, dem empfehle ich zum Trost den Film »The Devil Wears Prada« mit Anne Hathaway als Praktikantin in den Diensten der Mode-Diva Meryl Streep. Das ist eine Geschichte von wirren Ansprüchen, pausenlosem Ganzkörpereinsatz, dem Gefühl unglaublicher Erhabenheit und abgrundtiefer Demütigung, die wie eine Sucht sind; denn wenn mal die ganze Welt auf das reagiert, was du mitgestaltet hast, dann ist das ist schon ein irrer Trip. Nein, ich muss, werde und will nicht Prince erklären, aber ich kann erzählen, was der große Prince für mich war und wie er mich als Tonbuff geprägt hat. Und, Mann, hat der mich geprägt.
Ich lernte, wie man als Studiomensch einen reißenden Ideenfluss einfängt oder diesen einfach nur nicht behindert. Der Fluss floss an jedem Tag, und die Tage ereilten mich in jeder denkbaren Variante. Schon mein erster Tag chez Prince etwa war ein sehr guter Tag, mit vier neuen Songs für die aktuelle Platte Emancipation und auch gleich einem für den Keller (wo er meines Wissens immer noch liegt). Es folgten viele weitere gute Tage, gut wegen allem möglichen wie unglaublichen neuen gebastelten Klängen oder magischen Nächten unter fantastischen Musikern. Es gab aber auch viele todlangweilige Tage, speziell die zur Unterhaltung des gelegentlichen Studiobesuchs (die gesprochene hebräische Version von Jam Of The Year wird wohl auf ewig im Keller bleiben) oder die Dudeltage, die’s nur gab, weil Prince einfach nichts anderes tun wollte mit seiner Zeit, die ich aber dennoch ohne Murren begleitet habe, weil Tonbuff-Sein halt so geht.
Auch dies habe ich von Prince gelernt − dass das Leben sich einfach gedulden muss, bis die Musik Zeit dafür hat. Bis heute freue ich mich über einen kurzen Arbeitstag, wenn er schon nach acht Stunden vorbei ist und durch Luxus wie Essenspausen unterbrochen war, und ich wundere mich, dass dies nicht jeder so sieht. Prince sah’s jedenfalls so. Wenn etwa neue Shows anstanden, bestand jeder Arbeitstag aus Proben von 12 Uhr mittags bis abends um 8 und dann von abends um 8 bis zum Sonnenaufgang, und so habe ich auch von Prince gelernt, was der Unterschied zwischen Talent und Virtuosität ist und wundere mich nicht, warum ich selbst schon mir Geläufiges am Ende meiner lila Karriere wesentlich besser konnte als am Anfang. Deshalb bin ich bestimmt kein Genie, und das weiß ich, weil ich bei Prince auch gelernt habe, wie die Mühelosigkeit von Genie aussieht. Wenn etwa Prince einen hoffnungslosen Song in einer Stunde völlig umarrangiert und dadurch gerettet hat. Oder als er einen Schwung schöner Fragmente seiner tollen Bassistin Rhonda Smith vor meinen und ihren Augen in einer halben Stunde zu zwei fertigen Songs gedreht hat.
Genie und sein Kumpel Inspiration sind flatterhafte Wesen und linearem Arbeiten eher unhold, und so ist Prince schon vor dem virtuellen Zeitalter (mit Tonband und Pult und so) wild zwischen Songs hin und her gehüpft. Im Studio muss man Ideen leben und nicht Arbeitsabläufe, und so habe ich gelernt, dass die Tontechnik den Ideen ganz schnell im Weg stehen kann. Scheinbar habe ich mir also selbst meinen fehlenden Geschmack für ewiges Rumgemache im Studio von Prince abgeschaut. Dass jeder Sound einer Aufnahme auch mal zu laut sein darf, und dass man so mischen sollte, als wär’s für ein Video, visuell und mit lauten Details, das habe ich gelernt.
Ich habe gelernt, mich zu langweilen und mir ständig und gerne neue Ziele zu setzen − Duke Ellington hat mal gesagt, dass ein Künstler eigentlich “nie fertig sein, sondern dauernd werden müsse”. Prince hat das geschafft, und ich − als Helfer von Künstlern − versuche das auch.
Ich habe gelernt, wie selbst die Nähe zum Ruhm die eigene Umgebung prägt, wie sich durch die Bekanntschaft von Prince mein Sex-Appeal und Wert als Mensch in den Augen viel zu vieler von meinem Spiegelbild und meiner Persönlichkeit abgekoppelt haben und wie mir das überhaupt nicht gefällt. All das habe ich von Prince gelernt, nur weil ich dabei sein durfte. Was ich von Prince gelernt habe, ist jedem, der mit mir arbeitet, zugänglich und wird in jeder neuen Session weiter aktualisiert. Aber meine Erinnerungen sind jetzt ein finaler Fundus, der nie wieder aktualisiert werden wird, und das macht mich unglaublich traurig. Ich spreche vom Menschlichen und den Momenten, die in der täglichen Routine mein Herz höher schlagen lässt.
Als er in den frühen Morgenstunden doch mal auf der Couch hinter mir einschlief. Als die ganze Paisley-Bande spontan einen nahe gelegenen Sportplatz kaperte und wir ein paar Stunden in der prallen Sommerhitze Baseball spielten. Als ich die Originalbänder meiner Lieblingssongs für irgendwelche Live-Samples neu abmischen durfte. Als er mich fragte, ob er ein Bild mit mir machen dürfe (doofe Frage) und ich durch seine Klamottenregale geschickt wurde, um was Schickes zum Anziehen für mich zu finden (ich fand nichts Buff-Taugliches).
Ich erinnere mich an die Unberechenbarkeit, etwa die Gehaltsverweigerung wegen eines verpassten Tom-Sounds auf der einen Seite, und auf der anderen den vor Glück weinenden Musiker im Angesicht des Prince -Schecks für den kranken Kollegen, der sich seine Krebsbehandlung nicht leisten konnte. Vieles, an das ich mich jetzt noch erinnere, werde ich mit der Zeit bestimmt vergessen, aber sicher nie des Princen erstaunlich tiefe Sprechstimme − irgendwo zwischen tiefem H und eingestrichenem E −, die seine Ausstrahlung viel mehr geprägt hat als etwa seine Körpergröße und die er viel und gerne genutzt hat. Mit wildem Humor (Feueralarm? »Release the hounds!«), für seine geliebten Seitenhiebe (»Did you mix that for yourself?«), lobend (»Please don’t leave me here with all these people who don’t know what they’re doing«) und als rechtes Miststück (»I’m the best in my business − are you?«).
Vielleicht habe ich auch ein bisschen Erinnern von Prince gelernt. Und dass mich keiner je wieder so aufregen können wird wie Prince Rogers Nelson. Mein letzter Tag im Paisley Park war in meinen Augen so gut wie der erste, ich war bereit für den nächsten Schritt, und er war bereit für das nächste Tonkapitel. Es gab noch einen Anruf, ob ich nicht zurückkommen wollte. Ich habe Nein gesagt und dies nie bereut. Seitdem habe ich nie wieder mit ihm gesprochen, und nun werde ich nie wieder mit ihm sprechen, was ich sehr bereue. Mein Lehrmeister, Spieß, Idol, gelegentlicher Albtraum und manchmal sogar Freund ist tot. Scheiße.
Tschüss, Prince. Vielen, vielen Dank. Welcome 2 the dawn.
“Scheinbar habe ich mir also selbst meinen fehlenden Geschmack für ewiges Rumgemache im Studio von Prince abgeschaut.” Keine Ahnung, was dieser Satz inhaltlich bedeuten soll.Der Autor mag ewiges Rumgemache ? Oder gerade nicht ?
Schade, hätte gerne gewusst, was damit gemeint war.Manchmal kann man’s auch übertreiben mit der Wortakrobatik..
Toller, interessanter Artikel…vielen Dank, H.M. Buff…
“Scheinbar habe ich mir also selbst meinen fehlenden Geschmack für ewiges Rumgemache im Studio von Prince abgeschaut.” Keine Ahnung, was dieser Satz inhaltlich bedeuten soll.Der Autor mag ewiges Rumgemache ? Oder gerade nicht ?
Schade, hätte gerne gewusst, was damit gemeint war.Manchmal kann man’s auch übertreiben mit der Wortakrobatik..
ehrlich, respektvoll und einfach sehr gut geschrieben…
Vielen ,vielen Dank HM Buff
Ja. So war er. Man kommt nicht an die Spitze indem man auf der Couch liegt. Das Wort Arbeitsethos hat er erfunden:-)