Musik für Werbeclips wird aus Zeitgründen meist nur noch selten komponiert — Werbeagenturen bedienen sich gerne umfangreicher Musik-Pools. Als Filmmusikschaffender kann man sich aber intensiv mit zahlreichen Aspekten der Klangpsychologie beschäftigen und diese in die Komposition bewusst einfließen lassen. Auch beim Songwriting kann man sich mancher psychologischer Tricks bedienen …
Sind die Mechanismen einer Musik, die das Filmgeschehen nur lautmalerisch begleitet, weitgehend vordergründig und damit offensichtlich, stellt das Erreichen der Gefühlswelt eine weitaus anspruchsvollere Aufgabe dar. Wie öffnet man die emotionale Ebene des Zuschauers bzw. Hörers? Wie und mit welchen Mitteln beeinflusst man sie gezielt?
Äußerst interessant war in diesem Zusammenhang das Gespräch mit dem Pianisten, Organisten und Keyboarder Carsten- Stephan Graf v. Bothmer, der uns seine Erfahrungen bezüglich der klangpsychologischen Wirkung von Filmmusik darlegte. Carsten-Stephan Graf v. Bothmer komponiert Filmmusik nicht nur, er vertont sogar live Stummfilme. Seine in weiten Teilen live komponierte Musik dient als wesentliche Komponente zur unmittelbaren Steuerung der Zuschauer-Empfindungen.
Der Schlüssel zum Unterbewussten
Die Psychologen sind sich bezüglich der Wirkung von Musik auf unser Empfinden in vielen Punkten noch uneins. Als gesichert gilt jedoch, dass Musik archaische Areale unseres Denkens anspricht, die tiefer liegen als Erlerntes und kulturell Geprägtes. So zeigt die Traumforschung, dass sich die Syntax von Träumen und Musikstücken oftmals erstaunlich ähnelt. Man darf also annehmen, dass Musik das Unterbewusstsein spiegelt. Will man die Emotionen des Hörers steuern, muss man diese Ebene erreichen. Als einer der ersten Komponisten hat Wagner bestimmte Freudsche Erkenntnisse vorweggenommen und eingesetzt: So bestimmen vor allem bei Tristan und Isolde die Sänger das sichtbare Geschehen, das Orchester dagegen spiegelt das Unterbewusste: Es vertont nicht Handlung und Bilder, sondern deren Bedeutung.
Wahrnehmungsmuster: Ein Ausflug in die Psychologie
Stephan v. Bothmer ist überzeugt, dass sich die Emotionen, die ein Komponist mit seiner Musik verbindet, mit denen decken, die beim Hörer ausgelöst werden. D. h., eine »traurige Melodie« und ein »freudiger Rhythmus« werden genau diese Wirkungen generieren.
Beim Versuch, dieses Phänomen zu erklären, kann man psychologische Modelle bemühen und den Schluss ziehen, dass die musikalische Wahrnehmung bestimmten Archetypen folgt. Darunter versteht man nach Carl Gustav Jung, dem Entwickler der analytischen Psychologie, unbewusste Wirkfaktoren (sogenannte Ur-Erfahrungen, Urbilder wie etwa Geburt, Wandlung, Tod, Angst, Trauer, Freude), die, unabhängig vom Individuum, als »kollektives Unterbewusstsein« menschliche Vorstellungs- und Handlungsmuster bestimmen.
Archetypen werden vom Menschen mit einer bestimmten Symbolik kodiert (z. B. »sonnige Blumenwiese«, »düsteres Zimmer«). So werden sie für die äußere Erlebniswelt zugänglich, d. h. erfass- und benennbar gemacht (s. Abb. 5). Wir als Komponisten und Musiker können diese Symbolik mithilfe musikalischer Ausdrucksformen und Parameter bedienen und somit versuchen, das Unbewusste Individuen-übergreifend zu beeinflussen. Mit anderen Worten: Wir aktivieren mithilfe der Musik bestimmte Archetypen bzw. universell funktionierende Denkstrukturen. So könnte »Frohsinn« beispielsweise mit dem Bild des »freudigen Hopserlauf« eines Kindes symbolisiert sein, welcher sich wiederum mit aufwärts perlenden Dur-Arpeggien musikalisch interpretieren ließe.
Über die Wirkung musikalischer Intervalle
Warum scheinen bestimmte musikalische Intervalle eine recht eindeutige emotionale Wirkung zu auszuüben? Die Musiktheorie bietet dazu einige Erklärungsmöglichkeiten. Die aufgeführten Beispiele sind jedoch allesamt nicht ohne Gegenbeispiele und demnach mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Sie sind aber dennoch einen Blick wert — liefern sie doch bisweilen recht wirksame Ergebnisse.
Mit musikalischen Parametern spielen
Zur Steuerung dieser allgemeingültigen Denk- bzw. Wahrnehmungsstrukturen stehen uns die Parameter des riesigen und wohlbekannten musikalischen Ausdrucksfundus zur Verfügung. Zur gezielten emotionalen Adressierung empfiehlt Stephan v. Bothmer zunächst das Herunterbrechen auf einfache musikalische »Urparameter«. Dazu zählen etwa Tempo, Timing, Klangfarbe, Komplexität oder auch die Wirkung bestimmter Intervalle (s. oben).
Wohlgemerkt funktionieren diese zum großen Teil kulturübergreifend, sie werden also in allen Teilen der Welt ähnlich empfunden. Eine beschwingt »hopsende« Melodie wird grundsätzlich als fröhlich empfunden, eine abfallende Sekunde wirkt immer wie ein trauriger »Seufzer«. Erst durch Verwendung eines bestimmten Musikstils wird das Gehörte kulturkreisabhängig bewertet.
Stephan v. Bothmer arbeitet gerne mit sogenannten musikalischen Metaparametern. Sie kombinieren Urparameter beispielsweise zu Tempo- oder Dynamikwechseln. Dadurch wird die Aufmerksamkeit des Hörers bzw. Filmbetrachters gefordert.
Aufmerksamkeit und Emotionen lenken
Das moderne, »subjektive Kino« verlangt ein Sich-Einfühlen in die Filmcharaktere, welches von der Musik maßgeblich unterstützt werden kann. Da Emotionen (fast) immer mehrschichtig sind − kein Licht ohne Schatten −, eignet sich zur Steigerung der emotionalen Wirkung die Verwendung musikalischer Oxymora, also von Gegensätzlichkeiten zwischen äußerem Filmgeschehen und Musik.
Ein Beispiel: Wird eine positiv besetzte Szene − etwa der erste Kuss der Hauptdarsteller nach langer problematischer Annäherung − ausschließlich mit strahlenden Dur-Akkorden unterlegt, kann die Wirkung unglaubwürdig werden. Spiegelt die Musik der Szene dagegen die innere Zerrissenheit der Hauptperson(en) wieder, etwa den Verlust eines früheren Partners, vervielfacht sich die dramatische Wirkung der Szene. Je nachdem, ob die Musik die äußere Bild- bzw. Handlungsebene oder die psychologische Ebene bedient, kann sich die erzielte Wirkung drastisch verändern.
Stephan v. Bothmer stellt in diesen Zusammenhang gerne die Frage: »Wo ist die Musik«? Auf der Handlungsebene, im Kopf der Filmfigur, oder bedient sie gar eine übergeordnete metaphorische Aussage, die der Szene innewohnt? Berücksichtigt man diese unterschiedlichen Ebenen, lässt sich mithilfe der Musik die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Bildelemente lenken und die emotionale Wirkung der Szene sehr exakt steuern.
Beim Komponieren einer emotional intensiven Filmmusik kann man den Dualismus sämtlicher menschlicher Handlungen und Empfindungen im Fokus behalten − kein Licht ohne Schatten, keine Freude ohne Leid, kein Sieg ohne Niederlage. Den »EmotionsTrigger« liefert dabei wiederum die Aktivierung bestimmter Archetypen mithilfe ihrer zugewiesenen Symbolik und der damit assoziierten musikalischen Gestaltungsmittel (s. o.).
Die eigene Psychologie, das eigene Empfinden will beim Komponieren stets betrachtet werden. Sie sind die einzig verlässlichen Wegweiser, die wir haben: »Immer wieder ausprobieren und staunen«, empfiehlt Stephan v. Bothmer.
Carsten-Stephan Graf v. Bothmer
»Der Nachfolger Willy Sommerfelds« − diesem Zitat von Willy Sommerfeld, dem bislang wohl berühmtesten deutschen Live-Filmmusiker, braucht man nur wenig hinzufügen. Stephan v. Bothmer hat bisher über 500 Stummfilme vor über 90.000 Gästen auf fünf Kontinenten vertont.
Bothmers Interpretationen an Piano, Orgel und Synthesizern zeichnen sich durch Virtuosität und ein Höchstmaß an Einfühlung und kompositorischen Wagemut aus. Sein Repertiore reicht von Klassikern des Stummfilmkinos über unbekannte Raritäten aller filmischen Genres bis hin zur LiveBegleitung von Fussball-WM-Spielen. Der studierte Pianist lebt und arbeitet in Berlin.
www.stummfilmkonzerte.de
Ein gutes Thema! Leider verzichten die Werbeagenturen bei der Produktion von Werbe-Clips meistens (vermutlich aus Kostengründen) nicht nur auf eigene Kompositionen und bedienen sich dafür lieber an vorhandene Musik-Pools – sie scheinen darüber hinaus wenig Gespür mitzubringen, bezüglich des allgemeinen Sounds noch Luft zu lassen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die durchaus professionellen Toningenieure dafür verantwortlich sind. Ich weiß, wie die Agenturen den den Filmteams und natürlich dem Ton auf die Pelle rücken und in Sachen Qualität oft beratungsresistent sind.
So sind oft die Werbe-Clips (übrigens auch die meisten Trailer für Produktionen der Sender) derart überladen von allerlei Sounds – Aktion-Geräusche, laute, heftige Musik, Fetzen des Dialogs etc. – das Ganze im Mix derart überkomprimiert, so dass so gut wie Null Dynamik zu spüren ist. Oft ist es einfach zu viel von allem, sprich: extrem nervig, so dass ich meistens gleich die Fernbedienung suche und schnellst möglich ein anderes Programm einschalte. ….. ich sag mal: gefühlt zu 50% der Werbeclips und zu 80% der Trailer trifft dies zu.
Vielleicht sollten sich die entsprechenden Macher auch mal der psychologischen Wirkung ihrer Mixe widmen und darüber hinaus darauf achten, dass die Clips in hoher Zahl hintereinander laufen, und das so entstehende Sound-Chaos insgesamt dazu führt, dass niemand mehr zuhören will.