Microtech Gefell M 930 Ts – Großmembran-Kondensatormikrofon
von Redaktion, Artikel aus dem Archiv
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Das 1998 eingeführte M 930 gilt gemeinhin als Microtech Gefells Antwort auf das ein Jahr zuvor erschienene Neumann TLM 103. Dabei ist das M 930 eine durchaus eigenständige, um nicht zu sagen: eigenwillige Konstruktion. Es ist nämlich so winzig, dass man kaum glauben mag, dass darin eine “richtige” 1-Zoll-Großmembrankapsel Platz findet. Mit seinen kompakten Abmessungen von nur 45 x 118 mm gestattet es freie Sicht auf Textund Konzeptblätter, was das M 930 zur Standardausrüstung in manchem Funkhaus werden ließ.
Aber auch viele namhafte Sänger vertrauen auf den sonoren Sound des Gefell-Winzlings, u. a. soll Xavier Naidoo viele seiner Hits damit eingesungen haben. Die neue Version M 930 Ts unterscheidet sich technisch gesehen durch eine veränderte Schaltung mit Ausgangsübertrager − der Zusatz “Ts” steht somit für “trafosymmetrisch”. Die meisten modernen Studiomikrofone − wie eben auch das “normale” M 930 − arbeiten mit einer übertragerlosen Ausgangsstufe.
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Sound&Recording 02/16 – Brass Recording Special
In der Sound&Recording-Ausgabe 02/16 steht die Mikrofonierung von Blasinstrumenten im Fokus. Wir haben mit jeweiles über 25 Mikrofonen an Trompete, Posaune und Saxofon Audiobeispiele erstellt, die ihr hier auf der Website über SoundCloud auch anhören könnt. In unserem Brass Recording Special im Heft geben wir euch einen Einblick hinter die Kulissen der Recordings mit dem Bläsersatz aus “Sing mein Song – Das Tauschkonzert”. In unseren Tests findet ihr das Kleinmembranmikrofon-Stereoset Telefunken M60 FET. Für alle Homerecorder zeigt S&R-Leser Felix Krawcyk, wie er sein Homestudio aufgepimpt hat. Im zweiten Teil unserer DAW History Reihe geht es um den Game-Changer Ableton Live. Alle Love The Machines Fans können sich auf den Yamaha DX200 (*2001) freuen.
Eigentlich spricht auch nichts dagegen: Übertragerlose Mikrofonschaltungen weisen eine hohe Linearität im Frequenzgang auf, können enorme Pegel verzerrungsfrei verarbeiten und sind sehr kostengünstig. Gute Übertrager sind dagegen recht teuer, reagieren sensibel auf unterschiedliche Preamps (bzw. dessen Eingangsimpedanz) und erfordern eine gewisse Baugröße, um auch tiefe Frequenzen verzerrungsfrei zu verarbeiten. Nichtsdestoweniger lieben viele Anwender die subtile Klangformung eines Ausgangsübertragers, und subjektiver Wohlklang ist in der Popmusik eben oberste Zielsetzung.
Technische Performace
Tatsächlich unterscheidet sich das M 930 Ts auf Frequenzgangebene nur marginal vom übertragerlosen M 930. Beide Mikros zeigen sich über den wichtigen Mittenbereich nahezu linear − das spricht für verfärbungsfreie Aufnahmen. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass unsere Messungen unter praxisnahen Bedingungen in einem gewöhnlichen Aufnahmeraum durchgeführt werden und mit 33 cm Abstand zur Schallquelle, d. h. unter Einbezug des Nahbesprechnungseffekts. Bei diesem praxisüblichen Aufnahmeabstand reicht der lineare Bereich sogar bis etwa 40 Hz hinab in den Bassbereich, um erst darunter allmählich abzufallen, wo ohnehin keine musikalisch relevanten Signalanteile zu erwarten sind.
In den oberen Frequenzen kommt es ab etwa 5 kHz zu einer weichen, sehr breitbandigen Höhenanhebung. Hier zeigen sich leichte Unterschiede zwischen dem M 930 Ts und dem M 930. Das neue M 930 Ts zeigt sich einen Hauch zurückhaltender; seine Höhenanhebung beträgt etwas über 2 dB, während das übertragerlose M 930 auf knapp 3 dB kommt. Ob dieser Unterschied aber auf den Ausgangsübertrager zurückzuführen ist, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass hier die ganz normale Serienstreuung in der Kapselfertigung sichtbar wird.
WeitereKlangbeispiele vom Gefell 930 an der Trompete findest du hier:
Mit einer Abweichung von knapp 1 dB wären die beiden Mikros durchaus als Stereopaar tauglich, und das ohne besondere Selektion − aufgrund eines temporären Lieferengpasses bezogen wir nämlich unser M 930 Ts Testexemplar als Leihgabe der Berliner Sängerin Bettina Meske (www.bettinameske.com), während das M 930 direkt vom Hersteller geliefert wurde. Das M 930 Ts ist ein recht pegelstarkes Mikrofon. Mit seiner Empfindlichkeit von 23 mV/Pa (−32,8 dB re 1V/Pa) übertrifft es laut Datenblatt sogar die übertragerlose Version geringfügig (21 mV/Pa / −33,6 dB re 1V/Pa). Das ist ungewöhnlich, weil die meisten trafosymmetrierten Mikrofone einen Abwärtsübertrager verwenden, der logischerweise den Ausgangspegel absenkt.
Das M 930 Ts verwendet offenbar einen 1:1-Übertrager in Verbindung mit einer leistungsstarken Schaltung, die bereits vor dem Übertrager für eine niedrige Ausgangsimpedanz sorgt. Diese liegt übrigens bei nur 40 Ohm, im Gegensatz zum übertragerlosen M 930 mit 100 Ohm. Die ungewöhnlich niedrige Ausgangsimpedanz sorgt dafür, dass das M 930 Ts an den verschiedensten Mikrofonvorverstärkern eine verlässliche Performance liefert.
Wie angesprochen, reagieren Übertrager ja empfindlicher als elektronische Ausgangsstufen auf besonders hohe oder niedrige Anschlussimpedanzen. Microtech Gefell umschifft diese Klippe durch den Trick die Ausgangsimpedanz des Mikros so niederohmig zu machen, dass selbst ein Preamp-Eingang von nur 500 Ohm einen optimalen Anschluss bietet. Die übliche Maßgabe lautet ja, dass die Eingangsimpedanz mindestens das Fünf- bis Zehnfache der Ausgangsimpedanz betragen soll. Erkauft wird die sehr niedrige Ausgangsimpedanz von 40 Ohm durch eine etwas erhöhte Stromaufnahme. Während das übertragerlose M 930 mit 3,6 mA im üblichen Rahmen liegt, genehmigt sich das M 930 Ts satte 6 mA. Zwar erlaubt die P48-Spezifikation sogar 10 mA, aber noch immer gibt es Mikrofoneingänge, die nicht so viel Strom liefern können − in neuerer Zeit findet man schlappe Phantomspeisungen vor allem bei USB-Audiointerfaces mit Bus-Powering. Anwender des M 930 Ts sollten also auf eine “gesunde” Phantomspeisung achten, um das Mikrofon optimal auszureizen.
Wenn immer wieder Vergleiche zwischen M 930 und dem Neumann TLM 103 gezogen werden, so liegt das nicht zuletzt daran, dass beide sich um den Titel des rauschärmsten Studiomikrofons bewerben. Das Eigenrauschen beider Mikros beträgt sensationell niedrige 7 dB-A. Denselben Wert liefert auch das neue M 930 Ts. In Sachen übertreffen die thüringer Mikros das sehr pegelfeste Neumann TLM 103 sogar noch um 4 Dezibel. Mit 142 dB-SPL können M 930 und M 930 Ts auch höchste Pegel verzerrungsfrei verarbeiten. Die Gesamtdynamik (d.h. Grenzschalldruckpegel minus Eigenrauschen) beträgt somit enorme 135 dB − deutlich mehr als selbst ein sehr guter AD-Wandler verarbeiten könnte. Trotz seines “altmodischen” Übertragers repräsentiert das M 930 Ts in allen Belangen den aktuellen Stand der Mikrofontechnik.
Praxis
Technische Daten geben uns Sicherheit, aber lieben kann man ein Mikrofon nur für seinen Klang. Kann das M 930 Ts auch auf der subjektiven Ebene überzeugen? Aber ja! Das M 930 Ts gibt sich als modernes Studiomikrofon mit luftigem, tendenziell freundlichem Klangbild. Die dezent angehobenen Höhen schlagen niemals ins Scharfe um und übertönen auch nicht das wunderbar vollmundige Mittentimbre.
Auffallend ist ein für Großmembranverhältnisse ungewöhnlich konstantes Nieren-Pattern mit sehr guter Unterdrückung von rückwärtigem Schall. Das Klangbild bleibt auch außerhalb der Aufnahmeachse stabil. Ein Nachteil der sehr kompakten Abmessungen soll nicht verschwiegen werden: Die Poppempfindlichkeit ist leicht erhöht, weil der geringe Abstand zwischen Korb und Membran wenig Raum zum Verwirbeln des Luftschwalls lässt. Für Vokalaufnahmen sollte man daher unbedingt einen externen Poppschirm montieren.
Gegenüber dem allseits bekannten Studiostandard Neumann TLM 103 kann sich das M 930 Ts durch einen etwas weicheren Präsenzbereich profilieren, dafür bietet das TLM 103 einen wuchtigeren Bass, der mitunter aber auch etwas dröhnen kann. Das M 930 Ts klingt deshalb aber noch lange nicht dünn, sondern wirkt sehr wohlproportioniert in den tiefen Regionen. Unterschiede zwischen M 930 Ts und der übertragerlosen Version M 930 nachvollziehbar herauszuarbeiten fällt nicht ganz leicht.
Natürlich klingen beide Mikrofone erst einmal sehr ähnlich, schließlich sind Kapsel und akustischer Aufbau identisch. Hört man genau hin, wirkt das trafosymmetrische M 930 Ts noch ein wenig weicher in den Präsenzen, und der Bass wirkt subjektiv tiefer, satter und runder als der seines übertragerlosen Pendants und auf mysteriöse Weise noch ausgewogener. Dabei ist der Unterschied für den Performer größer als für den Toningenieur. Steht man vor dem Mikrofon, scheint der Sweet Spot des M 930 Ts größer; bei Kopfbewegungen scheint das Klangbild konstanter, insbesondere in den unteren Frequenzen. Zudem hat das M 930 Ts mehr “Luft”. Übertragerlose Mikrofone wie das “normale” M 930 wirken bisweilen etwas zu nah und “in-your-face”. Im Vergleich scheint das M 930 Ts − typisch für ein Mikrofon mit Ausgangsübertrager − etwas “gelassener”, “freier”; “indirekt” wäre das falsche Wort: Das Signal klebt weniger an der Lautsprechermembran. Natürlich sind das subjektive Eindrücke, die anhand technischer Daten oder Frequenzgangmessungen nicht zu erfassen sind. Nüchtern betrachtet, ist das M 930 Ts genau wie sein übertragerloses Pendant ein echtes Arbeitspferd, das nicht rein auf Vocals festgelegt ist.
An der Akustikgitarre überzeugt es mit seiner verfärbungsarmen Mitten. Der Klang des Instruments wird nahezu 1:1 eingefangen, wobei die milde Höhenanhebung für zusätzliche Frische sorgt. Darüber hinaus ist das M 930 Ts mit seinem extrem niedrigen Eigenrauschen und seinem sehr hohen Grenzschalldruckpegel Signalen aller Art von sehr leise bis sehr laut gewachsen. Von esoterischer Klangschale über Handpercussion und Gitarrenverstärker bis zum handfesten Drumset geht eigentlich alles. Dabei sind die Anforderungen an den Mikrofonvorverstärker gering, denn das Mikrofon ist so pegelstark, dass selten mehr als mittlere Gain-Settings vonnöten sind. Für die Abnahme sehr lauter Schallquellen sollte der Vorverstärker aber über ein Eingangs-Pad verfügen.
Cleveres Zubehör
Microtech Gefell bietet für das M 930 Ts einige sehr interessante Zubehörteile an, die wir uns näher angeschaut haben. Neben einer normalen (allerdings dreibeinigen) Spinnenaufhängung EA 93 bietet der Hersteller eine sehr kompakte elastische Halterung an, die das Mikrofon über eine Art Gummimuffe akustisch entkoppelt. Diese Kompaktspinne passt natürlich prima zu den schmalen Abmessungen des Mikrofons und eignet sich ausgezeichnet, wenn freie Sicht auf Text- oder Notenblätter wünschenswert ist.
Wir haben sie in der Version EH 93P getestet, die zusätzlich einen Ring für den Poppschirm P110 bietet. Letzterer wurde gemeinsam mit dem schwedischen Microtech-Gefell-Vertrieb Mikrofonen.se entwickelt und besteht aus einem Drahtbügel, der ein kreisrundes Stück Schaumstoff hält. Das Schaummaterial ist sehr offenporig und damit akustisch weitgehend durchlässig. Die Abschirmung gegenüber Popplauten ist ähnlich hoch wie die gewöhnlicher Gewebeschirmen; die Klangbeeinträchtigung ist minimal und geringer als die der meisten Metall- oder Gewebeschirme. Das belegen auch unsere Messungen: Lediglich im Bereich um 10 kHz kommt es zu einer minimalen Absenkung, die sich aber nicht störend auswirkt, weil sie sehr breitbandig und ohne die berüchtigten Kammfilter-Effeke ausfällt. Anders als bei manchem Gewebe- oder Metall-Poppschirm bleiben die S-Laute sehr natürlich.
Fazit
Mit dem neuen M 930 Ts hat Microtech Gefell ein Mikrofon realisiert, wie es sich viele Studioprofis wünschen: Es besitzt moderne Tugenden wie extreme Rauscharmut und sehr hohen Grenzschalldruckpegel, vereint mit einem Vintage-Element, nämlich der subtilen Klangformung durch einen Übertrager. Die Unterschiede zum übertragerlosen M 930 mögen nicht riesig sein, aber es sind eben Feinheiten, die ein technisch ausgereiftes Mikrofon zu einem besonders schönen machen, das subjektiv noch ein wenig angenehmer und satter klingt.
Insbesondere für den Sänger, der mit dem Mikrofon interagiert, bietet das M 930 Ts einen größeren Wohlfühlfaktor; dem Toningenieur wird dagegen gefallen, dass die Übertrager-Version noch etwas “freier”, “luftiger” und “souveräner” klingt als das übertragerlose M 930. Die Unterschiede sind nur schwer in Worte zu fassen, und wer primär Wert auf ein optimales Preis/Leistungs-Verhältnis legt, wird gewiss zum “normalen” M 930 greifen, denn der Aufpreis für die Übertragerversion M 930 Ts ist mit knapp 500 Euro doch recht hoch. Wer aber Klang über alles stellt und auf sein Ohr mehr vertraut als auf technische Daten, der wird nicht umhin können, sich das M 930 Ts unbedingt einmal selber anzuhören.
Pro und Contra
+++
sehr ausgewogener,
angenehmer Klang
+++
sehr rauscharm
++
sehr pegelfest
++
makellose Verarbeitung
−
deutlich teurer als über –
tragerloses M 930
Sound&Recording 02/16 – Brass Recording Special
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