Mixpraxis

Kendrick Lamar To Pimp A Butterfly

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»Ich bin 25 und mache das erst seit sieben Jahren; ich lerne immer noch dazu und fühle mich geehrt, überhaupt hier zu sein. Aber die Reaktionen auf Kendricks Album sind der Wahnsinn; und dass die Leute den Klang des Albums loben, und damit auch meine Arbeit, ist einfach unglaublich!«

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Zu Hause in Los Angeles klingt Derek Ali noch immer etwas überwältigt vom enormen Erfolg von Kendrick Lamars drittem Album To Pimp A Butterfly, das sowohl in Großbritannien als auch in den USA die Nummer 1 der Charts erreichte und von Kritikern fast einmütig mit Lob überhäuft wurde − nicht zuletzt auch für Alis charakteristische Klanggestaltung. To Pimp A Butterfly ist eine wahre »tour de force« − ein überbordendes, intensives Werk mit 16 Tracks und fast 80 Minuten Spielzeit. Es ist randvoll mit unnachahmlicher Musik, die sowohl aus Samples zusammengesetzt und programmiert als auch von Hand einspielt wurde, und es umfasst eine breite Palette an musikalischen Stilen, nicht zuletzt Jazz sowie Funk und Soul der 1970er.

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Viele der Tracks sind Stream-of-Consciousness-Collagen, die ohne die üblichen Strophen/Chorus/Bridge-Strukturen auskommen. Oft wandeln sich die Tracks unerwartet, verändern ihren Stil, ihre Stimmung, ihr Tempo, während sie von musique-concrète-artigen Soundscapes und Sprechpassagen zusammengehalten werden. Eine Menge Co-Writer und Produzenten sind auf To Pimp A Butterfly vertreten, sowohl unbekannte Talente als auch berühmte Namen wie Boi-1da, Pharrell Williams, Rahki, Sounwave, Tae Beast, Thundercat and Whoarei sowie Dr. Dre als Executive Producer. Mehr als drei Jahre wurde an dem Album gearbeitet, in Studios in LA, New York, Washington, St. Lewis, ja sogar in Lamars Tour-Bus.

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Der Mann im Zentrum, der gemeinsam mit Lamar die Strippen zusammenhielt und die Vision realisierte, war der relative Neuling Derek »MixedByAli« Ali. Ali hat praktisch seine gesamte Studiokarriere mit Lamar verbracht und mischte schon dessen erstes Album bei Top Dawg Entertainemt Section.80 (2011) sowie Lamars Major-Label-Debüt good kid, m.AA.d City (2012), das seinen kommerziellen Durchbruch markierte.

Alis Aufstieg könnte man als sentimentales Hollywood-Drama verfilmen, denn der 25 Jahre junge Engineer wuchs in extremer Armut auf. Als Sohn polnischer und afroamerikanischer Eltern lebte er im Gardena-Viertel von LA. Und in gerade einmal sieben Jahren schaffte er es, zur Spitze der amerikanischen Studioszene aufzusteigen. Nicht schlecht …

»Ich hatte nie die Geduld, mich wirklich mal hinzusetzen und ein Instrument zu erlernen oder wie man einen Beat macht und solche Sachen«, erinnert sich Ali. »Aber ich war ein neugieriges Kind, und in meinem Viertel gab es diese Nextel Mobiltelefone, für die die Leute ihre eigenen Klingeltöne haben wollten. Dort aufzuwachsen war sehr, sehr hart, aber ich habe es geschafft, mir ein AudioTechnica AT-2025-Mikro für 100 Dollar zu kaufen sowie ein M-Audio Solo-Interface. Damit habe ich in Fruity Loops und Cool Edit Pro persönliche Klingeltöne für die Leute gebastelt. Dass ich damit die Stimme aufnehmen und auf alle möglichen Arten manipulieren konnte, hat mich nachhaltig fasziniert, und so habe ich angefangen, mich für Engineering zu interessieren. Je tiefer ich mich eingearbeitet habe, desto mehr wollte ich wissen, wie die Profis es machen. Ich habe viel recherchiert − ich habe versucht, alles über Recording, Mixing und Mastering zu lernen. Mich selbst zu unterrichten, war keine schlechte Ausbildung. Ich habe mich oft 12 bis 18 Stunden pro Tag hingesetzt, um an meinen Skills zu arbeiten.«

Analoger Glanz der 70er

Nur wenige Jahre später frappiert uns Ali mit der beeindruckenden Leistung von To Pimp A Butterfly. Der Sound des Albums ist außergewöhnlich tief, breit und detailliert, mit einem wunderbar warmen, analog wirkenden Glanz, der perfekt zu den musikalischen Einflüssen passt, die vorwiegend in den 1970ern verortet sind. To Pimp A Butterfly klingt, als hätte ein ausgebuffter Altmeister an den Reglern gesessen, nicht jemand, der in aller Bescheidenheit von sich behauptet, noch immer sein Handwerk zu lernen. Im Gespräch mit Ali wird klar, dass ein Großteil jenes analogen Glanzes schlichtweg darauf zurückzuführen ist, dass das Album tatsächlich auf einem analogen Pult in Verbindung mit einer Tonne an Outboard-Geräten gemischt wurde. Das ist umso bemerkenswerter, da 80 % der Toningenieure aus Alis Generation und vermutlich 95 % derer, die im HipHop-Genre tätig sind, vollständig im Rechner arbeiten. Ali scheint dagegen eine tief sitzende Abneigung gegen die In-the-Box-Arbeitsweise entwickelt zu haben. Wie kommt’s?

»Ich hatte eigentlich nie einen großen Durchbruch, es kam allmählich durch meine Arbeit mit Kendrick,« erklärt Ali. »Wir arbeiten seit über sieben Jahren zusammen, und je bekannter er wurde, umso mehr Leute wollten wissen, wer all diese Effekte auf seinen Vocals macht. Die Leute wurden also auf mich aufmerksam, weil sie ihre Ohren gespitzt haben. Als Kendrick bei Top Dawg Entertainment (TDE) unterschrieb, hatten wir ein provisorisches Studio im Haus des CEOs von Top Dawg Entertainment. Das war nur Pro Tools mit einer M-Box LE, ein Presonus-Mikrofonvorverstärker und ein billiges, kleines Mikro. Dort habe ich als In-House-Engineer für TDE gearbeitet; wir haben mindestens zwölf Alben für TDE in diesem Studio aufgenommen! Später begannen Kendrick und ich, im Studio von Dr. Dre zu arbeiten. Er ist einer der Größten; er hat sehr tatkräftig bei Kendricks m.A.A.d.-Album geholfen.«

Smack auf die Drums

»Aber Kendrick hat seinen eigenen Sound, und als es Zeit wurde, das Album zu mischen, sagte Kendrick, er möchte, dass ich es mische. Dre hatte kein Problem damit, denn ihm gefiel es, dass ein junger Typ die Kunst des Engineerings und des Mixings erlernen möchte statt sich als Produzent oder Rapper zu versuchen. Also hat er mir unter die Arme gegriffen und mir eine Menge Techniken gezeigt, die du in keinem Buch findest, Dinge, die er über die Jahre entwickelt und sich zu eigen gemacht hat. Ich bin über Nacht von Pro Tools LE mit einer M-Box auf eine SSL 4000-Konsole umgestiegen. Einfach nur Dre beim Arbeiten zuzusehen, wie er diesen Smack auf den Drums und der Kick hinbekommen hat usw., war eine Inspiration. Seitdem habe ich fürs Recording und Mixing immer ein Pult verwendet.«

Gerade weil To Pimp A Butterfly ein Kaleidoskop von Klangfarben und Musikstilen ist, betont Ali, dass die Verwendung eines Pults eine absolute Notwendigkeit darstellte. »Die Leute schauen mich an, als hätte ich den Verstand verloren, weil sie meinen, ein Pult ist ein Zeit- und Budget-Fresser. Aber mir ist egal, was die Leute sagen: Diesen analogen Sound kriegst du einfach nicht aus dem Rechner, Punkt. Manche behaupten, dass du jetzt diese analoge Wärme mit Plug-ins er – reichen kannst, aber das glaube ich nicht. Da gibt’s überhaupt keine Diskussion. Diesen Sound kannst du einfach nicht mit Plug-ins nachmachen.«

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Arbeiten am Pult

»Zweitens gibt dir die Arbeit am Pult und mit Outboard ein haptisches Gefühl. Man hat hier die Möglichkeit, die Musik richtig anzufassen. Kendricks Songs haben eine Menge Bewegung und Veränderung, und wenn ich mit Fadern arbeite, habe ich das Gefühl, die Musik anzufassen und Teil davon zu sein. Ich starre nicht gerne stundenlang auf einen Bildschirm. Da bekomme ich das Gefühl, nicht frei zu sein. Wenn ich arbeite, will ich mich frei fühlen. Ich will wie ein Künstler in seinem Atelier sein, der seine Hände bewegt, sich frei fühlt und sich ausdrücken kann. Ich will mich eins mit der Musik fühlen. Ich will nicht, dass es sich anfühlt, als ob ich einen Film editiere.

Es mag mehr kosten, ein Pult und Outboard zu verwenden, aber gute Arbeit bekommst du nicht durch Knausern. Meiner Erfahrung nach verpasst du was, wenn du nur vorm Computer sitzt. Da ist etwas, an das du über den Bildschirm nicht herankommst. Irgendwie fehlt da die richtige Resonanz.

In der digitalen Welt kannst du Sachen um soundso viele Dezibel anheben oder absenken oder genau diese oder jene Frequenz einstellen. Aber was nützt dir das? Das ist ein bisschen wie eine Tontechnikausbildung zu machen. Da kannst du viele wertvolle Dinge lernen, aber was dir niemand beibringen kann, ist, wie man etwas hört. Niemand kann dir deinen eigenen Geschmack beibringen und dir sagen, welche Zahl richtig ist. Es ist eben nur eine Zahl. Stattdessen musst du dein Gehör trainieren; du musst lernen, die verschiedenen Frequenzen und Sounds herauszuhören, und dann musst du deinen Geschmack entscheiden lassen.«

Workaholics at Work

Nach allem, was man hört, ist Kendrick Lamar ein Workaholic, der nichts mehr liebt als Zeit im Studio zu verbringen, um Texte und Musik zu schreiben und aufzunehmen. Und so begannen die Arbeiten an To Pimp A Butterfly sofort nach der Veröffentlichung und der Promo-Tour zu m.AA.d City gegen Ende 2012.

»Manchmal hat Kendrick irgendwo ein Konzert gegeben und wollte nach der Show noch was arbeiten, also gingen wir in ein nahegelegenes Studio,« erinnert sich Ali. »Seit der Tour für sein erstes Album hat er außerdem ein Studio in seinem Tour-Bus. Wenn er das nicht hätte, würde er in GarageBand aufnehmen! Also haben wir es ihm leichter gemacht und dieses Studio im Bus eingerichtet. Es hat ein simples Setup, bestehend aus einem Pro-Tools-HD-Rack, zwei Mikros − ein Sony C800G und ein Telefunken U47 − sowie einem Avalon-Mikrofonvorverstärker. Nichts Verrücktes, sondern einfach nur Zeug, mit dem wir Ideen festhalten können. Unser Hauptquartier fürs Album war aber Tom-Tom (der Spitzname des No Excuses Studio), das Interscope gehört. Dort steht das SSL 4000-G+-Pult, das früher Dr. Dre gehörte. Es ist das letzte G-Series-Pult, das je gebaut wurde, von 1991. Er hat sein Album The Chronic (1992) und Eminems The Slim Shady LP (1999) darauf gemischt sowie viele andere berühmte Alben. Es ist also ein wahrhaft klassisches Pult der Rap-Geschichte.«

So wie sich die vielen Studios, die in den Credits zu To Pimp A Butterfly aufgeführt sind, in der Praxis auf ein Haupt-Studio reduzieren, gehört auch nur eine Handvoll der Leute, die gelistet sind, zum harten Kern des Teams. Ali erläutert, wie das Album Form annahm − mit weit mehr Musikern und weit weniger Samples, als für ein HipHop-Album üblich sind … »Die Hauptverantwortlichen, die den gesamten Entstehungsprozess des Albums begleitet haben, waren Kendrick, ich und die Produzenten Terrace Martin, Rahki, Tae Beast und Sounwave [die letzteren beiden sind Mitglieder des »Digi+Phonics Production«-Kollektivs, die In-House-Produzenten von TDE]. Das war der Kern des Teams; wir waren vom ersten Tag bis zur Fertigstellung des letzten Mixes mit dabei. Wir verstehen uns wie Brüder, und Kendrick sieht das Album auch nicht allein als sein Werk. Als wir im Studio waren, hat er immer von ›unserem‹ Album gesprochen. Er hat alle hinzugeholt, und wenn es um den Sound und die Arbeit ging, haben wir abgestimmt. Wir waren ein Kollektiv. Wenn wir unsere Sachen anderen Leuten vorgespielt haben, waren viele verdutzt und meinten, dass sie noch nie zuvor so etwas gehört hätten. Aus diesem Grund mussten die anderen Produzenten zu uns ins Studio kommen, um die Energie zu fühlen und eine Verbindung mit Kendricks Vision aufzubauen.

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Die anderen Produzenten kamen, wenn Kendrick Ideen hatte, an denen er mit ihnen arbeiten wollte. Beispielsweise Pharell, Thundercat und Flying Lotus. Boi-1da arbeitet in Toronto und war einer der wenigen, der nicht zu uns ins Studio kam. Die übliche Arbeitsmethode im HipHop, dass der Produzent ein paar Beats rüberschickt, hat bei diesem Album nicht funktioniert. Es gibt nur ein paar Songs auf dem Album, die daraus entstanden, dass Leute uns Beats schickten. Beispielsweise fand Kendrick diesen Beat von Knxledge in seiner E-Mail, und wir meinten nur: ›Was ist das?‹ Er hat einfach so gut in die Ästhetik des Albums reingepasst, dass wir ihn für den Track Momma verwendet haben. Aber manchmal haben A&R-Leute andere Produzenten und Tracks angeschleppt, und wir haben uns nur angeguckt und gesagt: ›Das hat nichts mit dem zu tun, was wir gerade machen.‹ «

To Pimp A Butterfly genannt ist, betont Ali, dass es Lamars Vision war, die die verschiedenen Zutaten und Zulieferer des Albums vereinte. »Es ist verrückt, Kendrick zuzuschauen, denn er weiß ganz genau, was er will. Große Namen bedeuten ihm nichts. Manchmal hört er, wie jemand etwas singt oder spielt, und wenn es ihm gefällt, dann macht er es zu einem Teil seines Projekts, aber auf eine Weise, die zu seiner Vision passt. Er betrachtet die Vocals anderer Künstler wie Instrumente. Kendrick wusste, worüber er in den Texten reden wollte, und ab da ging es darum, die Musik zusammenzusetzen und diese dann den Vocals anzupassen.«

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(Bild: Yuri Hasegawa)

Lamars spontanes Songwriting

»Kendrick schreibt im Kopf, und wenn er etwa einen Beat, eine Bass-Line, ein Instrumental oder eine Gesangsmelodie hört, dann baut er einen Track darauf auf. Wenn Thundercat etwa eine großartige Bass-Line in der Lounge des Studios spielt und Kendrick sich währenddessen mit jemandem unterhält, dann kann es passieren, dass er einen Augenblick später etwas schreibt, das zu dieser Bass-Line passt, und er fünf Minuten später sagt: ›Lass uns das aufnehmen!‹ Beim Track i hat er tatsächlich versucht, Gitarre zu spielen, um zu demonstrieren, was er wollte. Kendrick schreibt alle Texte, aber er bringt sich auch hundertprozentig beim Schreiben der Musik ein.

Wir haben über drei Jahre 60 bis 80 Tracks für dieses Album aufgenommen, und Kendrick hat viele verschiedene Konzepte und Ansätze ausprobiert. Die endgültige Marschrichtung begann sich in den letzten 18 Monaten abzuzeichnen. Da waren die meisten Tracks geschrieben und von Grund auf eingespielt. Es wurden viele echte Instrumente eingespielt, und deshalb hatten wir unser Kern-Team von Leuten, die Drums programmiert und Bass, Gitarre und Keyboards eingespielt haben, sodass wir die Musik live im Studio arrangieren konnten.

Die meisten Songs begannen mit Drums und Bass. Darüber hat Kendrick dann einen Rough-Vocal aufgenommen. Danach haben wir die übrigen Instrumente aufgenommen, üblicherweise Schicht für Schicht. Gewöhnlich murmelt er zu Bass und Drums Melodien oder Harmonien für seine Vocals, und sobald wir die ganze Musik aufgenommen hatten, hat er dann die richtigen Texte geschrieben und seine Vocals neu aufgenommen. Wir haben gewissermaßen rückwärts gearbeitet, aber es war cool.«

Wie bereits erwähnt, enthält To Pimp A Butterfly eine beeindruckende Palette an Klangtexturen. Außer programmierten Drums und elektronischen Sounds sind auch akustische Instrumente wie Violine, Trompete, Gitarre, Kontrabass, Saxofon, Klarinette, Orgel und Piano vertreten sowie aufwendige Backing-Vocals. »Jeder Song hat seine eigene Klangwelt und seinen eigenen Prozess«, erklärt Ali. »Der Opener Wesleys Theory hatte ursprünglich nicht das Boris-Gardiner-Sample, sondern war von Flying Lotus produziert. mit Instrumentierung von Sounwave. King Kunta ist basslastig und vom West-Coast-HipHop von DJ Quik inspiriert, der ein Großer in der Gangsta-Bewegung der 90er war und viele Jazz- und Funk-Einflüsse in seiner Musik verarbeitete. Kendrick wollte unbedingt seinen Sound für diesen Song und begann seinen Vocal zu einem Beat von DJ Quik. Später hat Sounwave dann einen neuen Beat passend zu Kendricks Vocals gebaut.

For Free? wurde von Terrace Martin produziert, der selbst ein Jazzmusiker ist und diesen Song für eine echte Jazzband arrangiert hat. Die Energie dieser Session war unglaublich. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Das hat mein Interesse am Jazz geweckt, wirklich! Schon um meine Ohren für sein Album zu schulen, habe ich mir eine Menge Jazzalben angehört, und mich gewissermaßen verliebt. Tatsächlich hat dieses Album meine Ohren für viele verschiedene Musikgenres geöffnet. Wo ich herkomme, gab’s keinen Jazz; ich bin mit Gangsta Rap aufgewachsen. Dieses Album hat mir die Augen für vieles andere geöffnet. Ich habe mir seitdem Abbey Road von den Beatles angehört und Musik von Parliament-Funcadelic und vieles andere.«

Es geht ums Feeling

»Bei Kendrick dreht sich alles ums Feeling. Wenn es sich für ihn nicht gut anfühlt, funktioniert es nicht für ihn. Und was viele Leute nicht kapieren, ist, dass du mit bestimmten Frequenzen und Klangtexturen die Emotionen der Menschen verändern kannst. Dass ich Delays und Reverbs und andere verrückte Effekte auf Musik oder Stimmen legen kann, um ihnen eine besondere Emotion zu verleihen, finde ich erstaunlich. Und darum geht es mir. Kendrick versteht das, und es kommt vor, dass er mich, während er eine Strophe aufnimmt, bittet: ›Kannst du mal etwas Flanging oder Panning oder irgendwas Verrücktes draufgeben?‹ So arbeiten wir nun schon seit Jahren zusammen, und ich habe mich in alle möglichen Effekte eingehört. Beim Aufnehmen mache ich die meist im Rechner. Das Einstellen kann ein paar Minuten dauern, aber es macht Spaß. Ich bin so dankbar, dass er mich zu solchen Sachen ermutigt. Also ja, ich habe eine Menge Input. Die Zeit, die du mit einem Künstler verbringst, ist aufregend. Du sitzt Stunde um Stunde mit einem Typen zusammen und versuchst, das hinzubekommen, was er sich vorstellt. Du musst gewisser – maßen bei jemandem in den Kopf steigen.«

Alis Recording-Toolset

Auf einer etwas nüchterneren Ebene erzählt Ali von den Tools, die er auf To Pimp A Butterfly einsetzte: »Um Kendrick aufzunehmen, verwende ich meist unser Telefunken U47, das von Stephen Paul modifiziert wurde [der 2003 verstorbene Mikrofon-Guru war u. a. bekannt für Modifikationen mit ultradünnen Mikrofonmembranen; Anm. d. Übers.]. Als Mikrofonvorverstärker dient ein Neve 1073 mit einem Tube-Tech CL1B-Kompressor dahinter. Das ergibt einen tollen, fetten, warmen Vocal-Sound, insbesondere in Verbindung mit dem U47. Manchmal schicke ich seine Vocals durch einen Pultec EQP1A3. Auf Alright habe ich statt des U47 ein U67 für seine Stimme verwendet, und auf For Free? waren es zwei Electro-Voice-Mikros, ein RE20 und ein 666. Wir haben die beiden EV-Mikros übereinander gelegt, was einen warmen, fast schon verzerrten Sound ergab. Beim Aufnehmen verwende ich Plug-ins auf seinen Vocals, weil das schneller und leichter geht; meist sind das die Waves-Plug-ins RCompressor, Metaflanger, DeEsser, SSL Channel S1 Imager und der Air Chorus.

Auch die Jazzband haben wir im No Excuses aufgenommen. Für die Drums hatten wir ein RCA 77 als Overhead auf der linken Seite und ein Neumann U48 auf der rechten. Ein RCA 44 stand vor dem Kit und ein AKG C24 [Großmembran-Stereomikrofon] diente als Raummikrofon, wobei eine Seite auf die Drums und die andere auf das Saxofon gerichtet war. Das Nahmikrofon am Sax war ein Neumann M49, und am Kontrabass hatte ich ein Neumann U48. Das Klavier wurde mit AKG C414-EB-Mikros abgenommen, das mit C12-Kapseln modifiziert war [gemeint sind wohl die alten ›Brass‹ CK12-Kapseln, die AKG im C12-Röhrenmikrofon und frühen C414-Mikrofon verwendete; Anm. d. Übers.]. Das war’s. Alle Mikros gingen direkt ins SSLPult, wo ich auf allen Kanälen die MonoKompressoren verwendet habe.

Auf dem übrigen Album wurden die Saxofone, Trompeten und Posaunen mit einer Kombination von RCA 44, RCA 77 und Royer R-121 Bändchenmikros aufgenommen. Die Musik zu That Lady, dem Isley-Brothers-Song, den wir für i [die erste Single des Albums] verwendeten, haben wie neu aufgenommen. Dafür hatte ich ein AKG D112 in der Kickdrum und ein Neumann U47 fet davor, je ein Shure SM57 über und unter der Snare, Sennheiser MD421-Mikros an den Toms, ein Neumann KM84 am Ride-Becken, ein Shure SM81 an der Hi-Hat und Neumann U87-Mikros als Overheads; AKG C24 und [Telefunken] ELA M251 dienten als Raummikros und das Neumann TLM 170 als Boden-Raummikro. Vor der Gitarrenbox standen ein SM57 und ein Royer R-121. Die Keyboards und der Bass wurden per DI aufgenommen.«

Mix-Sessions

»Wir haben alle Mixes im Tom-Tom gemacht. Ich bin so vorgegangen, dass ich nach meinem freien Tag den Mix auf die Kanäle der SSL-Konsole verteilt habe, dann habe ich einen oder zwei Tage am Mix gearbeitet. Kendrick und die anderen Jungs waren bei mir im Raum, während ich mischte, nonstop.

Nach den ersten ein, zwei Tagen verbringe ich einen Tag mit dem fertigen Mix, höre ihn mir auf allen möglichen Speakern und in den verschiedensten Umgebungen an. In meinem Auto, auf meiner kleinen Boombox zu Hause, überall, wo Leute sich die Songs anhören könnten. Kendrick und ich hören uns die Mixes auch oft in meinem Homestudio an, wo ich ein Pro-Tools-Setup habe sowie YamahaNS10-, Neumann- und Auratone-Monitor – boxen. Dann diskutieren wir, welche Elemente wir mehr nach vorne holen wollen. Aber größtenteils ist der Mix bereits nach diesen ersten ein bis zwei Tagen fertig.

Danach geht’s nur darum, mit ein bisschen Salz und Pfeffer nachzuwürzen. Am nächsten Tag komme ich ins Studio und arbeite die letzten Anregungen der Jungs ein. Dann spiele ich den Mix aus, und zwar einmal zurück in Pro Tools über einen Lavry Gold-AD-Wandler und zusätzlich auf eine Ampex ATR-102-Bandmaschine mit HalbzollAnalog-Tape.«

Noch immer besitzt Ali die an Besessenheit grenzende Konzentrationsfähigkeit, die ihn innerhalb weniger Jahren vom Novizen zum Weltklasse-Engineer aufsteigen ließ. Und noch immer ist er sich nicht zu schade, bis zu 18 Stunden pro Tag zu arbeiten.

»Manchmal dauerte ein Mix sehr viel länger. Die Unmenge an Details, die in diesem Album stecken, kann kaum jemand verstehen, der nicht die Sessions vor sich sieht. Dass ich für meine ersten Mixes zwei Tage, oder wie im Fall von Wesley’s Theory eine ganze Woche benötige, liegt daran, dass ich mich sehr hineinsteigern kann … manchmal ein bisschen zu sehr!

Ich lasse mir gerne Zeit, und ganz besonders bei Kendricks Sachen, weil diese Aufnahmen mir so viel bedeuten. Da kann ich nicht mal schnell durchrauschen. Es kommt vor, dass ich stundenlang an einem Instrument arbeite. Alleine an den Drums von Wesley’s Theory habe ich drei 18-Stunden-Tage gemischt. Die Jungs sagen mir oft, dass ich einen an der Klatsche habe, dass ich doch schon vor zehn Stunden fertig war. Aber ich höre da etwas, das sie offenbar nicht hören, und das muss ich richtig hinbekommen. Alle zwei Stunden bounce ich den Mix, um zu sehen, wo ich stehe, nur für den Fall, dass ich die Orientierung verliere.«066007

Wie der Song „These Walls“ entstand

Ali erklärt seine Arbeitsweise im Detail anhand von These Walls, ein Song, der unter Fans zu den beliebtesten auf To Pimp A Butterfly gehört. Der Song featured die Rapper/ Produzenten Bilal und Thundercat sowie die Sängerin Anna Wise. These Walls beginnt und endet mit Sprechpassagen, gehört ansonsten aber zu den melodiöseren Tracks des Albums. Im Grunde handelt es sich um eine MidTempo-Soul-Ballade, gespielt von einer echten Band mit Bass, Gitarre, Keyboards, Saxofon und Trompete, produziert von Terrace Martin, Sounwave und Larrance Dopson von 1500 or Nothin’.

Die Pro-Tools-Session wirkt recht geradlinig und besteht aus etwa 90 Spuren. Ganz oben in Grün sind die ursprünglich in Ableton eingespielten und programmierten Spuren, einschließlich Drums, Bass, Keyboards und einigen Effektspuren. Darunter folgen die Gitarren und die Trompete, einige Effektspuren von Ali in Hellblau, zwei Lead-Vocal-Tracks, Bläserspuren und weitere Effektspuren in Grünbraun sowie die Guest-Vocal-Tracks, größtenteils in etwas dunklerem Blau. Bemerkenswerterweise gibt es kaum Plug-ins auf den Drums, aber einige auf den übrigen Instrumenten und eine ganze Menge auf den Guest-Vocals.

Ali erklärt: »Das ist tatsächlich einer meiner saubersten Mixes. Mit den Drums habe ich nichts Verrücktes angestellt, da gibt’s nur SSL-Pult-EQ sowie einen API 550-EQ auf der Snare und einen Neve 2254 für Parallelkompression auf den Drums als Ganzes. Außerdem habe ich auf den Drums den SPL Transient Designer eingesetzt. Kendricks Musik ist oft sehr basslastig, und mit dem API und dem SPL kann ich die Drums im Zusammenspiel mit dem Bass und den Vocals so richtig in-your-face knallen lassen, ohne die übrigen Elemente zu verdrängen. Mit dem API ziehe ich bei 1 kHz etwas die Mitten raus und hebe die Höhen an, um diese Präsenz in den oberen Frequenzen zu bekommen. Und dann senke ich die Höhen am SSL-Pult wieder ab, damit sie dir nicht in den Ohren weh tun. So mache ich das häufig bei Snares. Der API-EQ gibt mir schöne Höhen für diesen Smack, und der SPL gibt mir den Druck.

Diese Signalkette habe ich auf vielen der Drum-Tracks des Albums eingesetzt. Ich will, dass meine Drums klar, hart und präsent klingen, ohne den Mix zu sehr zu dominieren. Ich weiß nicht, ob das für dich Sinn ergibt, aber ich versuche, jeden Mix gleichzeitig dirty und clean klingen zu lassen.

Der 1073 belebt die Drums mit mehr Körper und Mittencharakter. Ich verwende ihn auch auf dem Vocal, den Bläsern und den Gitarren. Bei diesem Song hatte ich einen Pultec EQH-2 auf dem Bass. Die Plug-ins auf den Synths und den Keyboards dienen hauptsächlich zum Beschneiden, beispielsweise um unerwünschte Frequenzen herauszunehmen oder solche Sachen. Mit den Waves-Plug-ins hebe ich ungern Frequenzen an, denn für mich klingt es, als ob dadurch der Sound dünner wird. Ich benutze das Pult für Anhebungen und forme den Klang, bis alles passt. Unter den Instrumenten sind einige Effektspuren, die ich in der dritten Strophe benutze, wo ich viele verrückte Sachen angestellt habe. Der Doubler lässt den Bass von Thundercat wie Unterwasser klingen − der Effekt ist wirklich funky! Außerdem habe ich den S1 Imager auf dem Bass, um ihm mehr Präsenz zu verleihen.

Die Hall-Effektspuren wurden hauptsächlich für die Vocals in diesem letzten Teil eingesetzt. Wie du hörst, habe ich die Vocals per Automation rechts und links gepannt, und der S1 Imager lässt sie fast dreidimensional klingen, du glaubst, Dinge hinter dir zu hören. Das habe ich getan, weil der Song dir in den ersten beiden Strophen ein richtig glückliches Gefühl gibt, es klingt wie eine Hochzeitsparty − obwohl … wenn du genau hinhörst singt Kendrick über − entschuldige den Ausdruck − Muschis. Doch in der letzten Strophe redet er über Leute im Knast; und deshalb habe ich eine Menge Effekte verwendet, um dir dieses Gefühl zu vermitteln. Als Engineer manipulierst du den Klang, um bestimmte Emotionen hervorzurufen. Deshalb möchte ich, dass die Leute meine Mixes nicht einfach nur hören, sondern dass sie ein Erlebnis vermittelt bekommen!

Auf Kendricks Vocal sind eine ganze Reihe von Plug-ins. Er hat eine sehr kratzige, mittige Stimme; deshalb verwende ich den R-Compressor, um sie etwas geschmeidiger zu machen. Er ist auf Manual und Opto-Mode geschaltet, der Threshold liegt recht tief bei −18, sodass er alles einfängt, was zu sehr aus den Mitten heraushüpft. Den SSL Channelstrip verwende ich auf seinen Vocals nur als Hi- und Low-Pass Filter, denn die meisten EQ-Eingriffe auf dem Vocal mache ich auf dem Pult. Ich verwende auch gerne den S1 Imager, weil eben seine Stimme so kratzig und mittig ist und der S1 sie öffnet. Eine perfekte Analogie wäre ein verknotetes Bettlaken; du öffnest es und breitest es auf dem Bett aus. Der Imager öffnet seine Vocals, und dann kannst du sie ganz ähnlich über dem Track ausbreiten.

An Outboard habe ich den EMT 250-Hall verwendet. Das erste Mal, als sie ihn im Studio hervorgeholt haben, dachte ich: ›Was ist das? Ein Kühlschrank?‹ Auf seinem Lead-Vocal verwende ich auch gerne den Distressor, weil er ihn etwas körniger klingen lässt und für Präsenz in den oberen Frequenzen sorgt. Der RCompressor und der S1 machen also seinen Vocal-Sound geschmeidig und breit, während der Distressor die oberen Frequenzen öffnet, für crispe Höhen sorgt und den Vocals Durchsetzungskraft verleiht.«

Tape-Mastering!

Das Album wurde von den Analogbändern gemastert. Kendrick hatte von Beginn des Projektes an gesagt, dass er einen Vintage 70s-Sound möchte.

»Nachdem ich ein bisschen geforscht hatte, kam ich zum Schluss, dass sich der am besten erzielen lässt, wenn man auf Tape mischt. Wir haben’s ausprobiert und gleich bemerkt, wie viel wärmer meine Mixes sich anhörten, wenn wir sie auf Analogband ausgespielt haben. Kendrick und mir gefiel das sehr. Letztendlich haben wir dann eine Mischung aus alten und neuen Herangehensweisen verwendet. Du nimmst Sachen aus der Vergangenheit und modernisierst sie, so gut du kannst.

Die Leute sollen sich wirklich das ganze Album von Anfang bis Ende anhören, ohne Songs zu überspringen. Deshalb haben wir darauf geachtet, dass der gesamte Flow des Albums kohäsiv ist und sich auf eine bestimmte Weise aufbaut. Als alle Mixes fertig waren, haben wir darum das Album in einer neuen Pro-Tools-Session in die gewünschte Reihenfolge gebracht, wofür die Lavry-Prints zum Einsatz kamen. So haben wir eine Art Blaupause des Albums erstellt, indem wir Effekte, Sketche und kleine Stücke hinzugefügt haben, um die Songs ineinander fließen zu lassen. Dann haben wir die Lavry-Mix-Prints durch die von den Halbzoll-Analog-Tapes gemasterten Digitalversionen ersetzt und noch weiteres Feintuning gemacht.«

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