The Weeknd – Carlo »Illangelo« Montagnese mischt The Hills
von Paul Tingen; Übersetzung Dr. Andreas Hau,
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Im Verlauf dieses ausführlichen, fast dreistündigen Interviews gibt sich Carlo »Illangelo« Montagnese höchst redselig und erzählt nur zu gern von seiner Arbeit an den Megahits mit The Weeknd. Doch plötzlich wird der Musiker, Produzent, Beat-Macher und MixEngineer ganz still. Dabei war die vorausgegangene Frage schlicht, welche Hardware er im Studio und on the Road denn einsetze. Nach einer langen Pause antwortet er: »Nicht viel …«
»Ich benutze in meinem Studio lediglich ein MacBook Pro in Verbindung mit einem PCIe-Chassis mit zwei UAD-2-Octo-Karten und dem Metric Halo ULN-8 Audio-Interface. Wenn ich unterwegs bin, verwende ich denselben Laptop mit einem UAD Apollo Twin Audio-Interface. Ich habe zwei Kopfhörer, aber ehrlich gesagt, ist mir egal, welchen ich benutze. Ich arbeite auch mit allem, was an Monitorboxen verfügbar ist. Ich bin an Genelecs gewöhnt und mag die Yamaha NS10s sehr gern. Aber eigentlich ist es egal.« Nach einer weiteren Pause spricht Montagnese an, was ihn offensichtlich störte: »Um es ganz klar auszusprechen: Ich habe ein Problem damit, über Hardware zu reden, weil ich die Leute nicht dazu verleiten möchte, zu glauben, ich würde diese Hardware aus einem bestimmten Grund einsetzen. Stattdessen verwende ich, was immer mir zur Verfügung steht. Es gab eine Zeit, als ich von Hardware-Geräten träumte; ich wollte dieses oder jenes Keyboard haben oder Monitorboxen mit einer bestimmten Crossover-Frequenz, was auch immer, und habe eine Menge Geld für manches Gerät ausgegeben. Aber nichts davon hat heute noch einen Wert für mich. Ich bin drüber weg. Die Hardware spielt keine Rolle.
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Heutzutage, so wie die Musik – industrie tickt, ist alles eine Frage des Geschmacks, es geht um Ideen. Als wir das Material für sein letztes Album geschrieben und produziert haben, waren Abel [Tesfaye, aka The Weeknd] und ich in so vielen verschiedenen Studios und Locations; wir sind so viel herumgereist, dass wir keinen fixen Referenzpunkt hatten. Manchmal habe ich mit Kopfhörern auf einem Sofa gesessen, manchmal habe ich in einem Studio mit NS10s gearbeitet, manchmal war ich in Abels Gästezimmer und habe verwendet, was halt gerade da war. An jedem Ort haben wir verschiedene Mikros, verschiedene Vorverstärker und verschiedene Monitorboxen verwendet, und auch wenn es zunächst wie ein Albtraum erscheinen mag, das alles zusammenzuführen, macht es einem die Technologie ziemlich leicht. Wir sind einfach gereist und hatten Spaß. Weil ich das bereits lange so mache, muss ich auf mir unbekannten Boxen bloß einen Song abspielen, den ich schon oft gehört habe, und schon bekomme ich ein Gefühl dafür, was ich höre. Stimmt, Vocals, die mit verschiedenen Mikros in verschiedenen Studios aufgenommen wurden, klingen unterschiedlich. Na und? Dreh einfach am EQ, bis sie gleich klingen! Es wird sowieso alles so stark bearbeitet, mit verschiedenen Reverbs, Delays, Doublers und anderen Effekten versehen, dass du am Ende kaum noch mitbekommst, dass die Originalklänge etwas differierten.«
Auf Facebook, Soundcloud und anderen sozialen Medien erklärt er seinen Ansatz so: »I paint sounds.« Es mag widersprüchlich erscheinen, dass der »Klangmaler« Montagnese einerseits wenig Interesse an Geräten zeigt, sich andererseits aber freut, wie leicht es ihm die Technologie mache. Dabei wird klar, was Montagnese mit »Technologie« eigentlich meint: das Arbeiten »in-the-box«. Seine Leinwand ist die DAW; und alle Sounds, die er aus der »echten« Welt aufnimmt und zugespielt bekommt, sind Farben und Objekte, mit denen er seine Kunstwerke gestaltet. So ist Montagnese auch das erste SoloAlbum History of Man 2013 angegangen, auf dem er experimentelle elektronische Musik im Stil von Aphex Twin und Autechre präsentiert. Und so arbeitete er auch mit einer Vielzahl von Künstlern, die er aufnimmt, produziert und mischt; oft ist er auch am Song – writing beteiligt. Auf seiner immer länger werdenden Kundenliste finden sich illustre Namen wie Florence + The Machine, Lady Gaga, Drake, Wiz Khalifa, M.I.A. und natürlich The Weeknd. Bemerkenswert ist, wie es ihm gelingt, kommerzielles Hit-Potenzial mit seinem experimentellen, klangmalerischen Ansatz zu vermählen.
Extrem gut gelungen ist ihm das mit The Weeknds US-Nummer-1-Single The Hills, deren Ohrwurm-Melodie von einer stark bearbeiteten Stimme vorgetragen wird, welche von einer Vielzahl wunderlicher Klänge umsponnen ist. Glücklicherweise hat Montagnese nichts dagegen, sich darüber auszulassen, wie er in Cubase Pro den Lead-Vocal mit 22 Plug-ins bearbeitete und die 16 Backing-Vocals mit weiteren 119 − wobei er die gleichen sechs Plug-ins auf fast allen Einzelspuren einsetzte. Insgesamt kommt seine Cubase-Pro-Session auf beachtliche 153 Spuren! Man kann also sagen, dass Montagnese die Arbeitsweise des 21. Jahrhunderts auf die Spitze treibt und seine Audioobjekte nahezu vollständig immateriell modelliert. Da wundert es kaum, dass Montagnese sein Handwerk so gelernt hat wie viele Engineers des 21. Jahrhunderts: durch Selbststudium übers Internet. Und so unkonventionell sind auch seine Klangvorstellungen − die sich gleichwohl kommerziell erfolgreich erweisen! Eben dieser Kontrast zwischen subversiver Ästhetik und Mainstream-Erfolg zeichnet auch Tesfaye aus, der mit engelsgleicher Stimme mit Kraftausdrücken um sich wirft und teils verstörende Bilder heraufbeschwört. Von seiner extremen Frisur gar nicht zu reden. Beauty Behind The Madness − schon der Titel lässt Extreme erahnen. Das Album war nicht nur »Spaß« für Montagnese und Tesfaye, sondern auch ein beeindruckender Erfolg, denn es gehört zu den meistverkauften Alben 2015 und toppte die Charts in zahlreichen Ländern.
Montagnese war an sieben der 14 Tracks beteiligt und ist zusammen mit Tesfaye und Jason ›Daheala‹ Quenneville als Executive-Producer des Albums aufgeführt. Drei weitere Tracks wurden von Max Martin produziert, der auch die treibende Kraft hinter dem ersten großen Hit des Albums, Can’t Feel My Face, war. Im Herbst 2015 erreichte der Song die Spitzenposition der US-Charts, bis er von The Hills verdrängt wurde, The Weeknds zuvor veröffentlichte Single, die erst monatelang in den mittleren Bereichen der Charts gedümpelt hatte. Das nennt man Omnipräsenz. Für Montagnese ist der enorme Erfolg von Beauty Behind The Madness und The Hills die endgültige Bestätigung, dass er mit seinem ersten Eindruck von Teafaye richtig lag. »Ich bin sehr optimistisch und positiv eingestellt, wenn ich all meine Energie einer Sache widme. Insofern ist Abels Erfolg genau das, was ich immer erwartet habe. Der Song, den er mit Max Martin gemacht hat, Can’t Feel My Face, ist unglaublich − einer meiner Favoriten! Ich sage Abel immer, er soll arbeiten, mit wem er möchte; das ist auch für mich aufregend. The Hills war für uns eine Gelegenheit, wieder zu den klassischen, ursprünglichen Momenten von The Weeknd zurückzukehren, zu unseren ersten Mixtapes, die ich mit ihm produziert und komplett gemischt hatte. Und das dann in einen neuen Kontext zu stellen mit einem Pop-Arrangement und Akkorden in einem schnelleren Tempo − das war die perfekte Kombination.« Montagnese erinnert sich, dass er damals, als er Tesfaye traf, weniger positiv gestimmt war: »Angesichts des Zustands der Musikindustrie war ich verbittert.
Ich hörte Musik von Stevie Wonder, Bob Marley, Michael Jackson, Radiohead, Wu-Tang Clan, Dr. Dre, Timbaland, The Neptunes usw. Ich dachte, ich könnte dabei helfen, die gute Musik wieder zurückzubringen. Oder sie zumindest in die richtige Richtung lenken.« In gewissem Umfang ist das den beiden mit Beauty Behind the Madness tatsächlich gelungen. Ein Aspekt ist, dass Tesfaye die Hochzeiten der Plattenindustrie heraufbeschwört, klingt er doch wie ein bisschen wie Michael Jackson bzw. so, wie Jackson heute vielleicht klingen würde, wäre er vor 25 Jahren geboren. Gleichzeitig hat das Duo den Mainstream um neue, ungewöhnlich sinistere Töne bereichert, was den Sound und die Texte angeht. Rezensenten bescheinigten der Single The Hills ihr »finsterer Sound, ähnlich der frühen The Weeknd Indie-EPs« mache sie »untauglich fürs Radio«. Die Texte beschrieb man als »dunkle, fast dissonante Meditation über Drogen, Lust und Ruhm«. Tesfaye unterstellte man sogar Frauenfeindlichkeit.
Carlo »Illlangelo« Montagnese indes beteuert, sein Gemüt sei das komplette Gegenteil der finsteren Musik, die er macht. »Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich mich zu dunklen und depressiven Dingen hingezogen fühlte, aber heute nicht mehr.« Nichtsdestotrotz erzählt er uns, wie er diese dunklen Klangbilder in Cubase malte, und wieso er nicht weniger als 191 Plug-ins alleine auf den Vocals einsetzte. »Die meisten Songs, an denen ich mit Abel auf diesem Album arbeitete, hat er mit anderen Leuten begonnen, und mein Job, als wir zusammenkamen, war, sie über die Ziellinie zu bringen. Anders als bei den frühen Mixtapes gab es nur zwei Songs auf diesem Album, die ich alleine produziert habe, Dark Times featuring Ed Sheeran und Prisoners featuring Lana Del Rey. Aber bei allen Songs, auf denen ich als Produzent agiere, habe ich die Teile zusammengefügt, Sounds eingespielt oder ersetzt, bestimmte Abschnitte akzentuiert, Übergänge geschaffen oder fließender gemacht; ich habe sehr viel an den Drums gearbeitet, Vocals produziert und editiert − was immer nötig war, um den Song fertigzustellen. Manchmal war das eine ganze Menge Arbeit, manchmal nur sehr wenig, wie im Fall des Songs Losers, für den Labrinth mir sein Arrangement schickte. Der Kanye-Song Tell Your Friends war bereits fertig montiert, als ich ihn bekam, insofern war mein Anteil nur, Abel aufzunehmen und seine Vocals einzufügen, die Bridge zu kreieren sowie den gesamten Song mit weiteren Texturen und Sounds anzureichern.
The Hills wurde in Abel’s Crib, Tesfayes Homestudio in Toronto, aufgenommen, produziert und gemischt. Der Produzent Mano [aka Emmanuel Nickerson] ist ein guter Freund von uns und schickte Abel das ursprüngliche Demo von The Hills. Kurze Zeit später, als ich angefangen hatte, daran zu arbeiten, kam Abel mit dieser unglaublichen Idee für die Melodielinie. Ich habe seinen Gesang bei ihm zu Hause im Gästezimmer aufgenommen. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Mikro; es könnte ein Neumann U67 gewesen sein, aber letztlich hat es keinen Unterschied gemacht, weil ich seine Vocals so stark bearbeitet habe. Anschließend habe ich mich daran gesetzt, die richtigen Klänge und Effekte zu finden. Ich wollte, dass die Strophen sehr weit und Lo-Fi klingen, wofür ich die Bässe stark beschnitten habe. Und beim Chorus sollte dann alles reinkommen. Als Letztes habe ich noch die Bridge und das Outro hinzugefügt. Was Sounds und das Feel angeht, habe ich sehr genaue Vorstellungen. Ich verbringe viel Zeit damit, Texturen zu schaffen, Sounds einzuspielen und zu ersetzen. All diese kleinen Dinge summieren sich und fügen sich zum großen Gesamtbild zusammen.
Wenn ich mit anderen Leuten zusammenarbeite, lasse ich sie einfach Wave-Files schicken, die ich dann in Cubase lade. Und dann beginnt meine Arbeit. Ich schneide Sachen weg oder baue sie aus. Mit Cubase arbeite ich jetzt schon seit zwölf Jahren; ich kann unglaublich schnell und effizient damit arbeiten. Alles, was ich tue − schreiben, produzieren, aufnehmen, Tuning, Editing und Mixing −, mache ich in ein und derselben Session. Cubase ist das einzige, auf das ich nicht verzichten könnte. In letzter Zeit habe ich allerdings auch mit Ableton herumgespielt, und das hat echt Spaß gemacht. Ich kann darin arbeiten, ohne auf Zahlenwerte oder grafische Benutzeroberflächen zu starren; ich kann Neues schaffen, indem ich einfach Sachen zusammenwerfe, ohne sie zu quantisieren oder zu bearbeiten. Danach lege ich in Cubase alles neu an, um die technische Seite anzupacken und in die Details zu gehen. Für mich ist dieser Workflow unglaublich.« Montagneses 153 Spuren umfassende Cubase-Session ist extrem durchorganisiert. Es gibt etwa 50 Audiospuren mit Instrumenten und 20 Audiospuren mit Vocals, sodass über die Hälfte der Spuren auf Gruppen- und Effektspuren entfällt. Montagneses Arbeitsmethode beruht darauf, zusammengehörige Spuren auf eine Gruppenspur zu routen und dort Sends anzulegen, die auf mehrere Effektspuren gehen, welche unmittelbar daneben erscheinen.
Ganz oben in der Session sind fünf Audiospuren fürs Intro, gefolgt von drei Bassspuren für die Strophe, einer Gitarrenspur, weiteren Bassspuren, jede Menge Drums und Percussion, einer Auswahl von Klangeffekten wie Glocken, Schreien, Stimmen und Rauschen sowie Synth-, Keys- und Piano-Spuren. Wie beschrieben, sind die Vocals aufgebaut aus Verse Vocal, Chorus Vocal, Backing Vocals, Ad Libs und Outro Vocals. »Ich tue mich schwer, meine Arbeitsweise zu erklären, weil ich alles gleichzeitig tue«, beginnt Montagnese. »Sobald ich die Files erhalte, fange ich an, Sachen zusammenzufü- gen und zu bearbeiten. Dann nehme ich Abel auf, völlig unbearbeitet, ohne EQ oder Kompressoren. Sein Gesang ist extrem dynamisch, er gibt sich ganz dem Gefühl hin, und das ist es, was wir wollen. Wir nehmen kein weiteres Take auf, nur um zu versuchen, einen Abschnitt etwas leiser oder technisch besser hinzukriegen. Alles wird mit 32 Bit aufgenommen; daher muss ich lediglich aufpassen, dass es nie zu Clipping kommt, wenn er singt. Sofort nachdem Abels Vocals im Kasten sind, bearbeite ich sie mit Gated Reverb, Delays, Filtern usw. Ich fange auch gleich an zu arrangieren und Sachen hinzuzufügen. Schreiben, Produzieren und Mixing ist für mich ein einziger übergangsloser Prozess. Zwischen all den Dingen, die ich tue, gibt es keine Trennung.«
Lead Vocals – Strophe
»Der erste Vocal-Track (101) namens ›Lead Verse 1‹ hat sechs Plug-ins in den Inserts. Die Bearbeitungskette beginnt mit AutoTune EFX; das ist eine ältere Version, die den Gesang auf etwas andere Weise bearbeitet als die neueren Versionen. Es ist schon witzig: Wenn du heutzutage den Gesang nicht durch AutoTune schickst, klingt es schon fast nicht mehr normal! Also musst du es benutzen, aber ich wende es nur subtil an. Kann sein, dass du es gar nicht bemerkst, aber für mich macht es einen riesigen Unterschied. Danach geht der Vocal durch das FabFilter Pro-DS, weil ich die scharfen Zischlaute etwas bändigen wollte − das Mikrofon hat seinen Gesang ein bisschen zu hell eingefangen. Der DS ist mein Lieblings-DeEssser. Als Nächstes in der Kette kommt das FabFilter Pro-Q2, das die Höhen und die Bässe beschneidet. Ich wollte den Vocal Lo-Fi klingen lassen. Darunter kommt der Waves Vocal Rider, ein unglaubliches Plug-in, das mir eine Men – ge Zeit spart, weil es die Lautstärke nachregelt. Dadurch kann ich seinen Gesang gut einfü- gen. Dahinter kommt der UAD API 560 EQ. Ich verwende diesen EQ nicht sehr oft, aber bei diesem Track ist das Klangbild eine Kombination aus klassischem Lo-Fi und einem modernen Sound mit starkem Tiefbass, und da fand ich, dass der 560 dem Klang das richtige Maß an Fuzz gegeben hat, das der Track brauchte. Mit dem 560 habe ich eine präzise EQ-Kurve eingestellt, und dann habe ich das Signal durch den FabFilter Pro-MB gejagt, um mit Multiband-Kompression eine gute Balance zwischen den hohen und tiefen Anteilen seiner Stimme zu erzielen. Dieser Kompressor pumpt regelrecht! Diese sechs Plug-ins lieferten den Kern des Vocal-Sounds, der mir für die Strophen vorschwebte. Dann habe ich daneben eine Spur (104) für Parallelkompression eingerichtet. Die geht auf einen Send (105) mit dem SoundToys Little Radiator Modeled Classic Tube Mic 1566A Preamp, den ich zum Anheizen aufgedreht habe, damit der Gesang ein wenig übersteuert klingt.
Das habe ich dann durch den UAD 1176 gejagt und es wieder ordentlich knallen lassen! Mit einer solchen Parallelkompressionsspur kann ich die Gesangsspuren auf eine bestimmte Weise ausbalancieren, sodass der Gesang sich im Track immer richtig positioniert. Die Lead-Vocal-Spur und die Parallelkompression für den Lead-Vocal gehen auf eine Gruppenspur namens ›All Lead Verse‹ (106), damit ich auf einfache Weise beide Spuren gemeinsam nachregeln kann. Auf dieser Spur sind fünf Effekt-Sends, die fünf benachbarte Effektspuren ansteuern. Auf FX1 ist das Altiverb 7 − das ist mein StandardHall −, außerdem das Waves H-Delay für etwas Vorverzögerung, dann der FabFilter Q2 EQ, der einiges an Höhen wegnimmt, damit der Hall frequenzmäßig nicht zu groß klingt. Ich mag die FabFilter EQs; sie lassen sich schnell einstellen und haben ein tolles Interface. Auf FX2 ist das UAD EP-34-Bandecho; das macht im Wesentlichen nur ein kurzes Delay für ein Slap-Echo. Mit dem Pro-Q2 regele ich ein wenig nach. Auf FX3 ist der Waves Doubler für Stereo. Er macht den Sound breiter und produziert ein leichtes Detuning, und das SoundToys MicroShift Plug-in dahinter macht den Sound dann noch breiter. Mit dem Q2 werden die Höhen etwas abgesenkt, damit die S-Laute vom Doubler nicht ablenken und die S-Laute in der Originalpur genau in der Mitte bleiben. Auf FX4 habe ich die längeren Delays, die an bestimmten Stellen reinkommen. Ich benutze dafür das FabFilter TimeLess 2 Tape Delay Plug-in und filtere den Sound recht stark mit dem Q2. Auf FX5 kommt wieder der Altiverb, der noch eine weitere Textur erzeugt, die ich brauchte. Insgesamt war die Idee, den Strophengesang Lo-Fi, klein und effektbeladen klingen zu lassen.«
Lead Vocals – Chorus
»Auf dem Chorus Lead Vocal (Lead Chorus 1, Spur 112) habe ich fast die gleichen Plug-ins wie auf dem Verse Vocal, und auch die Settings sind ähnlich, einfach damit der Vocal im Kern schon klingt, wie er soll. Auch hier habe ich Parallelkompression benutzt, und zwar mit dem Little Radiator und dem UAD 1176. Beide Gesangsspuren gehen auf die ›All Lead Chorus‹-Gruppenspur (116); dort habe ich den Waves Reel ADT Stereo auf dem Insert. Er fungiert als Doubler und gibt dem Gesang eine Textur, die ihm mehr Power verleiht. Statt Abel den Part zweimal singen zu lassen, habe ich auf diese Weise den Effekt künstlich erzeugt. Dann kommt der Decapitator, der hauptsächlich für die Distortion auf dem Chorus-Lead-Vocal verantwortlich ist. Ich habe den ›Punish‹-Knopf gedrückt und nur einen Hauch aufgedreht. Das Ergebnis hängt davon ab, was du reingibst und mit welchem Pegel. Aber die Distortion alleine macht nichts, es ist nur ein Teil des Puzzles, und es gibt noch viele weitere! Im nächsten Insert ist das FabFilter Volcano-Filter-Plug-in, um einige der Obertöne herauszufiltern, die der Decapitator erzeugt. Außerdem moduliere ich verschiedene LFOs und das Panning, um dem Gesang etwas Bewegung zu geben, etwas Wellenförmiges, Lebendiges. Das tue ich auf vielen Aufnahmen, wo ich mit Filtern und dem Panning spiele, um den Sound durchzuwirbeln. Auch die fünf Effektspuren sind denen des Verse Vocals recht ähnlich. Allerdings ist es ein anderer Hall vom Altiverb mit einem anderen Pre-Delay sowie ein UAD MXR-Flanger auf FX1. Warum so starke Effekte auf dem Chorus Vocal? Als ich mit der Musik soweit war und Abel seinen Part eingesungen hatte, hatte ich diesen Sound im Kopf. Ich bin ein großer Fan von Kontrasten, und so wie Abel gesungen hatte − die Strophen sehr sanft, fast sprechend, im tiefen Register und den Chorus im hohen Register schreiend, wenn plötzlich der Subbass rein kickt − da wusste ich, dass der [Chorus] übersteuert klingen muss. Die Vocal-Production drängt sich mir quasi auf; da ist nichts vorher geplant. Es kommt auf natürliche Weise alles zusammen, alles fließt.«
Ad-Libs, Backing- und Outro-Vocals
»Auf der hauptsächlichen Ad-Lib-Spur ist ein Set von Plug-ins, das so ähnlich ist wie das für die Chorus Vocals: AutoTune EFX, Q2, Vocal Rider, FabFilter Pro-G, Pro-DS und Pro-MP. Und es gibt eine Parallelspur mit dem Volcano und drei Sends auf FX1 mit dem UAD EP-34 Tape Echo, FX2 mit dem FabFilter Timeless 2 Tape Delay sowie FX3 mit dem H-Delay, Altiverb und Q2. Fast alle Backing-Vocals hatten fünf Plug-ins in den Inserts, AutoTune Live, ProQ2, Vocal Rider, Pro-Q2 und Pro-G sowie Pro-DS. Ich verwende AutoTune Live, weil es die Intonation etwas anders bearbeitet als die EFX-Version. Die Backing-Vocals mussten ein wenig verfeinert und getunt werden, aber ich wollte, dass sie natürlich klingen. Der Q2 formt die EQ-Kurve, aber ich wollte für die Backing-Vocals mehr Details in den oberen Frequenzen; sie mussten nicht unbedingt so Lo-Fi klingen. Der Vocal Rider erleichtert mir wieder, den Pegel einzustellen, und mit dem Pro-G Gate stelle ich sicher, dass die Hintergrundgeräusche wirklich so weit wie möglich unterdrückt werden. Und am Schluss fängt der DeEsser noch ein paar Peaks ab. Alle Plug für jede Spur justiert. Ich habe eine Menge Zeit damit verbracht, die Backing-Vocals auszubalancieren; anschließend gehen sie auf eine Gruppenspur namens ›All Back‹ (146), auf der ich fünf Inserts und vier Effekt-Sends habe. Auf den Inserts sind der UAD Pultec EQ, der die Tiefen etwas absenkt, zwei Mono-Instanzen des UAD Teletronics LA2A, weil ich den linken und den rechten Kanal unabhängig voneinander komprimieren wollte.
Dann kommt ein weiterer Pultec EQ, der die Höhen anhebt, damit sie sich durchsetzen. Zuletzt kommt ein weiterer [API] 560, um den Klang noch ein wenig zu formen und hauptsächlich Frequenzen abzusenken. Die Sends gehen auf die Effektspur ›All Back FX1‹ mit dem Microshift. Auf FX2 ist das H-Delay mit dem UAD MXR Flanger dahinter. FX2 ist ein weiteres Delay, das Timeless 2; und auf FX4 ist ein weiteres H-Delay mit einem modulierten Delay und eine weitere Instanz des Altiverb; das Q2 formt den Klang noch etwas. Der ›Outro Chant‹ (151) ist ein Abschnitt, in dem Abel sehr laut singt. Das Problem war, dass gleichzeitig musikalisch so viel abgeht. Den Outro Chant habe ich mit den gleichen Plug-ins bearbeitet wie die anderen Gesangsspuren: AutoTune EFX, Fab-Filter Pro-Q2, Vocal Rider, FabFilter Pro-G, Pro-DS und ProMB. Dazu dann noch die Antares Harmony Engine, die einen Harmonizer-Effekt erzeugt, der die Aufmerksamkeit stärker auf den Gesang lenkt. Das hab ich dann durch den UAD Cooper Time Cube gejagt, und zwar im ›Wet Solo‹-Modus mit unabhängigen Delays für den linken und rechten Kanal. Alles zusammen hat geholfen, den Gesang hervorzu – heben.«
Die Musik
»Ganz oben in der Session ist das Intro, das sich so ähnlich wie eine verzerrte Gitarre anhört, eine Quinte über dem Grundton des Songs. Wir wollten, dass der Song sehr aggressiv anfängt, also nahmen wir diese verschiedenen Stabs, und in jedem Stab gibt es verschiedene Texturen und Layers. Die Spuren sind: ›Intro‹, ›Intro Bell‹, ›Intro Hit‹, ›Intro FX1‹ und ›All Intro Hit‹. An Plug-ins habe ich u. A. iZotope Ozone verwendet, um den anfangs etwas schlappen Sound zu ver- ändern, und den CableGuys Volume Shaper, mit dem ich den Attack und die Hüllkurve hingebogen habe. Die Original-Samples hatten nicht ganz den Punch, den ich wollte. Als Nächstes kommen der ›Intro Rise Synth‹, für einen kurzen Effekt zum Übergang in die Strophen, und der ›Sweep‹-Synth-Sound, der aus vielen Spuren besteht, die auf eine runtergemischt wurden. In den Strophen gibt es die Spuren ›Verse Bass Side‹ und ›Verse Bass Mid‹. Ich wollte, dass der ›Bass Side‹ anders pulsiert, wofür ich zwei Instanzen des MXR-Flangers benutzt habe, während der ›Bass Mid‹ durch den Decapitator geht. Auf der Gruppenspur ›All Verse Bass‹ sind beide zusammen und durchlaufen den Waves Renaissance Bass, den API 560 EQ und den FabFilter Volcano.
All diese Filter sind automatisiert, um Bewegung zu schaffen. Darunter kommt die Gitarre, die ich eingespielt habe und die ebenfalls in den Strophen zu hören ist. Da sind der Decapitator und das Reel ADT Stereo Plug-in drauf, außerdem gibt’s zwei Effektspuren mit dem UAD EP-34 Tape Echo, Altiverb und Q2 sowie dem Sugar Bytes Artillery 2. Auch hier kannst du sehen, wie die Automation für Bewegung und Fluss sorgt. Die Claps sind ein 08/15-Sound aus einer 808-Library. Die wollte ich einfach, mono und exakt in der Mitte haben; das Brainworx bx-solo macht sie mono. ›Bell 1‹ ist der Klang einer kleinen Glocke, der sich durch den ganzen Song zieht; er stammt von einem VST-Klangerzeuger. Darauf ist der MXR-Flanger, FabFilter Volcano und Q2, Altiverb7 und das EP-34 Tape Echo und auch wieder Artillery 2. Im Projektfenster kannst du ein bisschen von der Bewegung sehen, die diese Filter machen. Ich fange ganz unten an, sodass die ganzen Höhen weggefiltert werden, und öffne dann das Filter allmählich. Im Chorus ist es ganz offen, und dann schließt es sich langsam wieder.
Es geht darum, Bewegung zu schaffen, um Abschnitte zu akzentuieren. Klar sind da eine ganze Menge Effekte, denn es geht auch da – rum, die richtigen Sounds an der richtigen Stelle zu haben. Insofern dreht sich ein Großteil meiner Arbeit ums Sounddesign, und deshalb siehst du hier so viele Sounds und Plug-ins. ›The Scream‹ taucht nur sechs Mal auf, und darunter sind mehrere Vinyl-Hi-HatSpuren angeordnet. Ich habe ein tolles Sample von Vinyl-Geräuschen gefunden und gelayert. Im Chorus siehst du viele verschiedene 808-Sounds, die alle auf die Gruppenspur ›808 Kit‹ (42) laufen. Daneben ist die Effektspur ›808 Kit FX1‹ mit Plug-ins wie dem UAD API Vision, EL7 Fatso, L1, Microshift, UAD AMS RMX16 und Q2. Außerdem gibt es eine separate ›Kick‹-Spur, eine ›Kick FX1‹-Effektspur und einen Sub, die zur Spur ›Kick + Sub‹ gruppiert werden; dort werden sie durch den Decapitator, einen UAD Pultec EQ und den L2 Stereo miteinander verschweißt. Der Pultec hebt bei 30 Hz die Bässe etwas an, und der L2 stellt sicher, dass Kick und Sub ein Maximum haben, denn ich wollte sie nicht weiter pushen als nötig. Sie mussten genau richtig kommen, und der L2 fungiert quasi als Wächter. Auf der Spur ›Sub Medium‹ ist der Decapitator für zusätzliche Obertöne; dann habe ich mit dem UAD API 560 den Klang geformt, während der Q2 sicherstellt, dass der ›Sub Medium‹ nicht dem ›Sub Low‹ ins Gehege kommt. Ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Phasenschweinereien.
Zum Schluss kommt noch der Pro-G, damit der Sub auch die Kick-Schläge nicht stört. Der Bassbereich war für diesen Track extrem wichtig. Die ›Noise Rises‹ (56 − 57) habe ich manuell gemacht, denn ich hatte ganz genaue Vorstellungen, wie sie fließen sollten, was die Tonhöhe und die Länge betrifft. Deshalb gibt es hier eine Menge Automation. ›Voice High Reverse‹ und ›Voice Low‹ (70 − 75) sind Voice-Samples von Abel − kleine Sounds im Hintergrund, die aber extrem wichtig sind. Das ›Bridge Piano‹ (77 −79) basiert auf einem tollen gesampelten Vintage-Keyboard-Sound, den ich gefunden habe. Außerdem gibt es eine ›Bridge Arp‹-Spur; das ist ein tiefer, pulsierender Synth-Drone-Sound mit tonnenweise Automation und Plug-ins: Pro-Q2, RBass, API 560, Volcano, Artilery 2, um auf den großen Chorus Drop hinzuarbeiten. Auf der Stereosumme hatte ich ein paar Plug-ins, obwohl ich mich über die Jahre selber in den Wahnsinn getrieben habe, bis ich festgestellt habe, dass es keinen großen Unterschied macht, was du verwendest; du kannst mit verschiedenen Plug-ins das Gleiche erreichen.
Bei diesem Song habe ich die Slate Digital VTM Virtual Tape Machine verwendet, die dir im Settings-Tab die Flexibilität gibt, selbst zu entscheiden, wie sehr du den Bass pushen willst. Außerdem hat sie ein sehr realistisches Bandrauschen. Auf History of Man habe ich sogar echtes Tape verwendet, um mal zu hören, was ich damit aus meinen Sounds rausholen kann; aber als ich die VTM gehört habe, fand ich, dass sie diesen Sound exakt hinbekommen hatten. Außerdem habe ich den Pro-MB eingesetzt, sehr subtil, nur um alle Sounds miteinander zu verschweißen. Insgesamt habe ich 42 Mixes für diesen Song gemacht. 42! Bei allen ging es darum, die perfekte Balance zu finden. Das ist keine typische Aufnahme, wo du einfach die Kick und die Snare einstellst, die dann von Anfang bis Ende durchspielen. Stattdessen gibt es verschiedene Abschnitte, Emotionen, Sounds die anschwellen und wieder abklingen. Da steckt eine Menge Arbeit drin, und wir benö- tigten 42 Mixes, um das richtig hinzubekommen. Es war ein Albtraum, Mann! Wir haben das in Abels Haus gemacht, indem wir Feintuning in 1-dB-Schritten betrieben und das Ergebnis überall gecheckt haben: auf seinen Monitorboxen, auf der Stereoanlage im Wohnzimmer, im Auto, überall.
Ich hoffe, dass die Leser nun nicht auf die Idee kommen, dass mein kreativer Prozess oder die Plug-ins und das Equipment, das ich verwendet habe, in Stein gemeißelt sind. Ich hätte dasselbe Ergebnis auch mit einem anderen Setup und anderen Plug-ins erreichen können. Das hier war, was ich zur Verfügung hatte, und ich habe das Beste daraus gemacht. Letztlich zählen nur deine Vision und dein Geschmack.«