Im Zuge von Web 2.0, Social Media als auch immer professionelleren Homerecording-Lösungen haben sich für Musiker viele neue Möglichkeiten entwickelt, sich selbst zu produzieren, präsentieren und zu vermarkten. Die klassische Gatekeeper-Funktion der großen Plattenfirmen, die früher kontrollieren konnte, wer auf den Markt kommt, entfällt. Gleichzeitig ist die Frage: Wie geht man mit dieser Vielzahl an Möglichkeiten als Künstler um? Wie setzt man sie zielgerichtet und effektiv ein? Nicht jeder Selfmarketing-Ansatz oder jedes DYI-Prinzip funktioniert für jeden. In dieser Serie wollen wir also anhand von Praxis-Beispielen darstellen, in welchen Kontexten welche Anwendungsbezüge Sinn machen und wie sie von aktuellen Künstlern erfolgreich umgesetzt werden.
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Bereits im Jahr 2012 gab es in diesem Heft einen Artikel über Rockstah, den selbst betitelten „Nerdrapper“, welcher damals mit seinem Debüt-Album gleich eine eigene kleine Revolution ausrief und seither mit seiner eigens initiierten Nerdy Terdy-Gang als liebevoller Gangpapa den Fans eine besondere Form von Zugehörigkeit und Community bietet. Es war die Zeit der Antipode im Deutschrap, als damalige Newcomer wie Cro oder Casper fernab des vermeintlich harten Berliner-Ghettoraps, auf eine andere Art die Mittelschichts-Jugend infizierten und die obersten Ränge der Charts in Beschlag nahmen.
Spätestens mit der Crockstahzumjot-Tour, welche von ihrem Lineup besser diese besagte Welle neuer unbekümmerter, deutschsprachiger Rapmusik nicht hätte auf den Punkt bringen können, war Überflieger Cro eindeutig durch die Decke, aber auch Rockstah und Azumjot am Puls der Zeit. Auffällig war damals schon, trotz all des Hypes und seiner Begleiterscheinungen, dass Rockstah alias Max Nachtsheim gern die Kontrolle über seine künstlerischen als auch alle anderen Aktivitäten behielt und stets darauf bedacht war, soviel wie möglich in der eigenen Hand zu belassen. Wie nur wenige wusste Rockstah treffsicher Knöpfe des Web 2.0 zu drücken, seine Fanbase treffsicher anzusprechen, auf positive Weise zu aktivieren, und für sich und seine Belange zu begeistern. Ein Social Media-Profi vor dem Herrn. DYI wurde als Prinzip ganz klar von ihm umgesetzt und gelebt — Merchandise-Versand aus dem alten Kinderzimmer heraus, gepackt unter Mithilfe von Mutter und Schwester, seine Beats wurden von den Kumpels gebastelt, alles Family Business, und gemanagt hat ihn wer? Er selbst natürlich. Zeit, mal nachzufragen, welche Erfahrungen er gesammelt hat, wie er seine vielfältigen Beschäftigungen heute koordiniert bekommt und wieviel DIY heute noch im Selfmarketing-Profi Rockstah heute noch so steckt.
Lieber Max, du kommst aus dem Deutschrap. Was bedeutet DIY in der Rapkultur allgemein und was bedeutet es für dich ganz persönlich?
DIY ist immer wichtig, wenn Künstler sich selbst verwirklichen möchten. Die Infrastruktur, um sich als Künstler zu organisieren, ist heute viel leichter. Du kannst deine Musik leichter produzieren, du kannst leichter dein Merchandise produzieren und vertreiben und leichter dafür sorgen, dass Menschen Dir zuhören. Dadurch kommen aber auch mehr Idioten auf die Idee, ihre furchtbare Musik ins Netz zu kloppen. DIY hat also – wie alles im Leben – wichtige Vor- und Nachteile. Ich persönlich liebe die Option, sich vollständig selbst zu verwalten, weil ich so zum Beispiel damals ohne jeglichen Druck machen konnte, was ich wollte. Keine Deadlines, keine Leute, die mitreden. Wenn du kreativ sein willst: Sei es. Wenn du einen Song auf Soundcloud hochladen willst: mach es doch einfach. Aus diesen und vielen anderen Gründen halte ich auch heute noch viele unserer Projekte in der eigenen Hand.
Inwiefern ist DIY – ähnlich wie im Punkrock – ein Zeichen von Authentizität und Glaubwürdigkeit in der Rapszene, in der es ja viel und oft auch um „Realness“ geht?
Ich glaube, dass das tatsächlich egal ist. Majoracts wie Haftbefehl oder Marteria sind die pure Realness, wohingegen ein selbst organisiertes Massenphänomen wie Spongebozz von der eingefleischten Rapszene in keinester Weise akzeptiert oder respektiert wird. In dieser Hinsicht ist die Szene — trotz der Bedeutung von Chartpositionierungen und der 1000. Deluxebox mit Selfiestick — erschreckend normal geblieben. Bei den Kidsfans im Internet sieht das natürlich anders aus, aber die sind für mich auch jetzt nicht repräsentativ für „die Szene“.
Bekannt geworden bist du mit deinem Projekt Rockstah, mit dem nun schon seit knapp 10 Jahren unterwegs bist. Wie lange war dieses Projekt strikt von DIY- und Selfmarketing-Ansätzen geprägt? Und warum war es so? Hast du dies bewusst so gehalten?
Bis “Pubertät” lief bei Rockstah alles selbstständig, die Platte sollte aber damals dann via Label erscheinen. War ein Wunsch von mir, aber auch vom damaligen Produzententeam. Die Mixtapes haben wir umsonst ins Netz gestellt, “Nerdrevolution” habe ich damals in einer 2000er Auflage pressen lassen und limitiert aus dem Zimmer direkt an die Leute geschickt. Wir haben einfach alle Briefkästen im Umkreis von 5km nachts randvoll gestopft. Der Rest lief digital. Bis heute ging die Platte mit digitalen Käufen knapp 10.000 Mal weg, das kann sich sehen lassen für eine Platte, die im Keller produziert wurde. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit und auch viel davon beibehalten. So mache ich ja zum Beispiel die gesamte Arbeit rund um meinen Shop “Nerdy Terdy Gang” alleine.
Du hast eine Ausbildung zum Mediengestalter gemacht. Inwiefern hast du Dinge, die du dort gelernt hast, in der Praxis für Rockstah und seine Vermarktung nutzen können?
Mein Schwerpunkt war Visualisierung und Konzeption. Das habe ich mir stets zu Nutzen gemacht und somit diene ich inzwischen auch noch als Ideengeber bei anderen Projekten… Es gibt Sachen, da nehme ich auch gern mal stumpf Befehle entgegen, aber beim meisten was ich so mache, ist mir mein eigener Input und die Kontrolle sehr wichtig. Wenn das Gesamtkonzept stimmt, ist die halbe Arbeit gemacht.
Mittlerweile hast du ein Management, ein Label als auch eine Booking-Agentur – eine lange Zeit aber hast du aber nahezu alles im Alleingang gemacht. Welche Beweggründe gab es für dich, sukzessive diese Dinge aus der Hand zu geben?
Das Management ist eine Folgeerscheinung aus den vielen Jobs, die ich inzwischen mache. Ich habe mit Chris Pfeffer jemanden als Manager an meiner Seite, der nicht nur 200%ig die Materie versteht, in der ich mich mit all meinen Arbeiten bewege (Musik, Gaming, Moderation, Podcasts, etc.), sondern auch jemanden, der mich organisiert, mir auf die Finger klopft und Kritik äussert. Der Typ ist ein guter Mensch, trotzdem auch ein Schaffer. Der hat vorher noch nie einen Künstler gemanagt, ich traue ihm aber da trotzdem mehr zu, als den meisten “alten Hasen”. Einfach, weil der Biss da ist. Der macht das Maul auf, der hat den Plan, der hat Bock. Das ist nicht nur ein Manager, sondern auch ein bisschen Vaterfigur. Und genau das brauche ich. Das braucht jeder dumme Künstler, weil Künstler zwar oft toll sind, aber auch vollkommene Idioten. Es gibt Menschen, die haben Welthits geschrieben, können aber keinen U-Bahnplan lesen. So ist das halt. Mein Booking habe ich seit 2010 und das war auch dringend notwendig. Vorher haben wir für Fahrtgeld in beschissenen Jugendcafés gespielt. Und das wäre auch so geblieben. Mit Landstreicher im Rücken wurde man endlich mal ernst genommen und wurde auch so behandelt. Das war davor ein einziger Kampf. Die Labelgeschichte habe ich ja vorhin schon kurz angeschnitten. Wir dachten, Pubertät habe ein so großes Potential, dass wir es alleine niemals stemmen könnten. Am Ende des Tages hätte man die Verkäufe, die die Platte tatsächlich hatte, auch irgendwie alleine überwinden können. Das Album war in dem Sinne kein “Flop” — aber es war auch kein Top5 “keiner kommt hinterher“-Produkt. Es war solide. Aber sowas weiss ja niemand.
Welche Vorteile haben sich dadurch für dich ergeben? Gab es gleichzeitig auch Nachteile? Ab welchem Punkt war dies innerhalb deiner musikalischen Karriere sinnvoll?
Wenn man nicht die Option hat, sein Projekt selber zu stemmen oder es größer aufziehen will, als die eigenen Möglichkeiten es zulassen, dann kann man die Überlegung, ein Label ins Boot zu holen, durchaus anstreben. Aber generell sollten nur noch Bandübernahmeverträge oder ähnliches eine Option sein. Keiner sollte zu einem Label gehen mit der Vision “Ich werde eine Star”. Das ist naive DSDS-Kandidatendenke. Gerade die Majorlabels stecken heute erschreckend wenig Energie in ihre Künstler. Mir fällt da ein Beispiel ein: Die Band “Puls”. Auf den ersten Blick bullige böse Jungs, die Musik ist aber großartig. Bin seit Jahren heimlich Fan. Deren Debüt-Album “Eins” hatte soviel Potential. Die Jungs haben bei Universal gesignt und ich dachte “Ok, jetzt werden sie Stars.” Das Ende vom Lied: Sie sind nicht mal in die Top 100 gechartet. Warum? Weil Universal scheinbar kein Interesse daran hatte, sich der Baustelle “Puls” anzunehmen. Das Album versank im Nichts. Da wurde ein ungeschliffener Diamant nicht genutzt, weil Labels erwarten, dass der Künstler sich selber organisiert. Mit Videos, Grafiken, Promo, etc. Für sowas sollte niemand einen Vertrag unterschreiben.
Warum ist das so?
Manche Künstler können eben nicht direkt Cro sein, die müssen auch mal an die Hand genommen werden. Und für den Job sitzen in den meisten großen Labels zu wenig bis gar keine Leute. Keiner wartet da auf eine Herausforderung, sondern nur auf das fertige Paket. Die romantischen Zeiten, in denen ein gutmütiger A&R an die Proberaumtür kleiner Teeniebands klopft und sagt “Ihr seid ja unfassbar krass, wir machen euch zu Stars!” sind vorbei. Künstler können da lediglich nur noch Geld erwarten. Verlag- und Labeldeals sind da die passende Bank, auch wenn die Zinsen auf lange Sicht unverantwortlich sind. Das große Labels keinerlei Aufbauarbeiten mehr ausüben ist nicht immer so, manchmal passiert da auch noch mal so etwas wie Namika. Aber das ist eher die Ausnahme. Ich musste diese Erfahrung Gott sei Dank nicht in diesem Rahmen machen. EOM hat meinem Team und mir damals viel Freiheiten gelassen und an vielen Stellen zugearbeitet. Man war nie zu euphorisch, sondern stets realistisch. Die Arbeit um “Pubertät” war größtenteils sehr bemüht und das Album wurde vom Label ernst genommen. Klar, auch hier waren einige ausgesprochene Versprechen am Ende doch nicht umsetzbar, aber wo ist das noch so?! Wir leben ja alle nicht in Luftschlössern.
Die von dir ins Leben gerufene „Nerdy Terdy Gang“, deren Gangboss oder auch „Papa“ du selbst bist, ist mehr als nur eine einfache Bezeichnung oder Marke: Die Website ist ein hochfrequentierter Online-Shop, welche neben Rockstah-Merchandise sogar Modekollektionen für deine Gang anbietet. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Idee, den Fans eine richtige Identität in Form einer Gangzugehörigkeit zu geben und sie darüber hinaus mit eigenem Merchandise zu versorgen?
Die Einführung von NTG als Marke ist ein einziger Zufall. Der Song, auf dem die Idee basiert, sollte eigentlich nie auf dem Album “Nerdrevolution” landen, weil ich ihn zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Platte nicht mehr mochte. Dann hatten mich die Jungs aber doch überredet. Daraus wurde dann ein Shirt, einfach, weil es sich anbot. Im ersten Jahr habe ich davon nicht mal 80 Stück verkauft. Als die letzten Teile ausverkauft waren, schmiss ich den Artikel Ende 2011 aus dem Shop. Cro fand das Shirt aber damals sehr schick. Er nahm von mir zuhause eins mit und baute es in sein Debüt-Video “Easy” ein, welches im Dezember 2011 releaste. Das Shirt erlebte nicht nur ein Revival, sondern wurde auch ein 24/7 Job für meine Familie und mich. Leute nannten sich plötzlich selber Mitglied der “Nerdy Terdy Gang” und meine einstige Songidee verselbstständigte binnen einiger Monate. Es folgten neue Motive, neue Produkte, erste “Kollektionen”. Die Marke wurde angemeldet und ist inzwischen als festes Ausstattungsstück meiner Hörerschaft und “Fans” etabliert. Es ist in meinen Augen kein Merchandise, sondern tatsächlich sowas wie schöne, unkomplizierte Mode für ganz normale Kids, egal ob die noch 13 oder schon 30 sind. Da ich selber auf limitierten Scheiß stehe, war meine Vision: Eines Tages machen wir so richtig geile Kollektionen, limitiert — mit Themen, die wir lieben: Nerdkram. Ja, da sind wir inzwischen. Zudem führe und verwalte ich das Merch meiner Podcasts Rumble Pack und Radio Nukular im Shop, sowie externe Sachen des Rappers Kex Kuhl. Im Idealfall ist NTG irgendwann eine der größten Anlaufstellen in Sachen nerdige, schöne Ware – egal ob der Bezug dahinter Musik, Podcasts, Games oder sonst was ist.
Das Motto „Hier packt der Chef noch selbst“ ist ein essentieller Bestandteil deines Gangpapa Images und sieht mit deiner aktuelle Bilanz laut Website nach drei Jahren “10.000 Bestellungen und knapp 18.000 verkaufte Artikel“ vor. Das ist für einen Künstler in dieser Größenordnung absolut außergewöhnlich. Wie hast du einen dermaßen fluktuierenden Abverkauf angekurbelt und gemanagt? Gab es eine Strategie, die du dabei verfolgt hast?
Die Zahlen, die da genannt werden, sind von Januar 2014, kannst also nochmal 4000 neue Order mit knapp 6000 Artikel dazu rechnen. (lacht) Am Anfang war es Familybusiness. Wir hatten durch die geringen Verkäufe im ersten Jahr die Möglichkeit, das System seelenruhig aufzubauen. Mit Software, Verpackungssystem, Steuerberater, etc. – ich wollte es von Anfang richtig machen. Als der Hype dann Ende 2011 über mich hineinbrach, war es dank stabiler Struktur nicht ganz soviel, was abgefedert werden musste. Es gab aber diesen einen Monat, April 2012, da war der Shop innerhalb von 7 Tagen so florierend mit knapp 1500 Bestellungen in einer Woche, dass wir tatsächlich den Shop für 4 Tage schliessen mussten, sonst wären wir in Teufels Küche geraten. Das war schon heftig. Das war aber das einzige Mal. Bis auf die Releases von einer neuen Kollektion oder eines neuen limitierten Quickstrike-Artikels habe ich in der Regel ein entspanntes Leben mit dem Shop.
Was steht in puncto NTG als nächstes an?
Aktuell stehen wir tatsächlich vor dem größten Release, das NTG jemals gemacht hat: Am 21.10. – ja, das Datum ist dabei essentiell wichtig – veröffentlichen wir eine komplette Kollektion in Hommage an die Back to the Future-Filme. Wir fahren erstmal mit 19 Artikeln auf. Poster, Tassen, Kappen, Beanies, Pullis, Shirts, Turnbeutel, sogar Jacken. Das ist der nächste, große Schritt, den NTG meiner Meinung nach gehen muss. Das Ganze ist ein ganz klares finanzielles Risiko, das ich aber selber eingehen wollte. Fairerweise muss man sagen, dass meine Freunde von RUN FFM mit im Boot sind und die mir da unfassbar unter die Arme gegriffen haben. Shooting, Model, Ware, etc. – da sind wir wieder beim Thema “alles aus einem Guss” – für mich ist sowas ein kleiner Traum. Selbst wenn dieser DeLorean komplett an die Wand kracht, war es mir das wert. Und ich hab dann megaviele Mützen und Pullis. (lacht) Sollte das Ding allerdings ein Erfolg werden, haben wir mit Sicherheit einen neuen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Da will ich hin.
Warum war es dir gerade beim Thema Merchandise wichtig, dieses im Vergleich zu anderen Bereichen nicht an einen Partner abzugeben? Welche Vorteile siehst du hierbei?
Ich bin gern direkt am Kunden. Der Kunde muss sich ernst genommen fühlen. Das ist auch Kaufgrund für viele. “Der hat das in der Hand gehabt!” Klingt doof, ist aber wichtig. Wenn die Leute Unterschriften, Gangurkunden oder Zeichnungen zu ihrer Ware haben wollen, dann kriegen sie die auch. Das machen nicht viele, daher will ich mir das beibehalten. Bis auf das “zur Post bringen” liebe ich das auch. Zudem ist auch – ganz klar gesagt – die Gewinnspanne größer. Warum immer überall jemanden mitverdienen lassen, wenn der doch gar nichts besser macht als man selber? Ich will von meiner Arbeit leben können. Durch diesen Weg kann ich das. Man wird davon nicht steinreich, aber es reicht für ein gutes normales Leben. Ich muss zumindest nicht mehr in der Tanke rumstehen oder mich von einem ein zugekoksten Choleriker in einer Werbeagentur anschreien lassen.
Du bist Digital Native, kennst aber wahrscheinlich auch noch die alte „analoge Welt“. Welche Möglichkeiten haben sich für Künstler im Rap-Kosmos durch das in den 2000er Jahren aufkeimende Web 2.0 und daraus resultierende Social Media ergeben? Wie hast du die neuen Möglichkeiten genutzt und welche Chancen haben sich dadurch für dein Projekt Rockstah ergeben?
Das ganze Projekt “Rockstah” begann tatsächlich in den Anfängen der sozialen Netzwerke. Mein Aufkommen als Künstler war damit wohl sehr “unreal”. Auf MySpace habe ich damals meine erste EP “The Beatles Bootleg” veröffentlicht und dadurch erste Leute kennengelernt. Freunde, Leute aus der Szene, erste Fans, natürlich erste Hater. Mit diesem Mikrokosmos konnte man gut arbeiten und alles weiter ausbauen. Gigs gab es kaum. Ich hatte auch keine Lust, mit meinem Discman über die Zeil zu rennen und Leuten die CD mit den Worten in die Hand zu drücken: “Willst du mal reinhören?”. Ich hab einmal an einem Freestylebattle teilgenommen und gewonnen. Das war mein Dienst in Sachen Realness. Das macht aber nix. Dann war ich halt einer der ersten Internetrapper. Ich hoffe, KRS One verzeiht mir das… Soziale Netzwerke können zwar schnell dafür sorgen, dass du deiner Musik eine Plattform gibst, aber genau aus diesem Aspekt kommen dann auch 10.000 andere Dullis aus ihren Löchern und meinen, sie wären Musiker. Mein uraltes Beispiel vom Singstar-Mic und einem 50 Cent Beat in mittlerer Quali ist da auch nach knapp 10 Jahren stets aktuell. Das ist in Zeiten des VBT und JBB auch nicht besser geworden. Am Ende siegt da aber meistens ein gewisses Maß an Qualität. So reinigt sich am Ende des Tages alles – wie auch früher schon – von selber.
Du bist als Person Max Nachtsheim und Rapkünstler Rockstah sehr umtriebig und in verschiedenen Bereichen unterwegs. Neben deiner Aktivität als Musiker und Chef der NTG bist du auch als Moderator, Autor und Podcast-Macher unterwegs. Wer ist dieser Rockstah und wenn ja, wieviele? Wie kam und kommt es zu diesen vielen verschiedenen Aktivitäten? Und inwiefern nutzt du auch unterschiedliche Betätigungsfelder, um Rockstah dafür „crossmedial“ zu bewerben?
Tatsächlich ist Rockstah nur noch sowas wie ein Spitzname, keine Kunstfigur oder ähnliches. Max ist Rockstah, Rockstah ist Max. Wie man es auch immer dreht: Für die Leute ist das alles inzwischen nicht mehr nur ein Musiker. Durch die Podcasts habe ich mich aus dem Vorurteil “Der ist doch gar kein Nerd!” direkt auf den Schoß einer ganzen verkorksten Generation gesetzt und ihnen klargemacht, dass das, was wir alle so verkörpern, schon ok ist. Ist nicht schlimm, wenn du alt bist und auf Retro-Spielzeug, Videospiele und Comic-Motive auf der Kleidung stehst. Ich bin da bei dir! Lass uns zusammen dumm und kindisch sein. Egal, ob dir auch die Haare ausfallen und ein Bauch wächst. Oder sonst irgendwas an dir nicht so ist, wie die Norm es gerne hätte. Scheiß doch drauf. Ich bin für die Leute eine Art Nerdentertainer, der all die Elemente, die er da hat (Moderator für XBox & UbiSoft, Musiker, Podcaster, Shopinhaber, Social Media Gestalt, etc.) ohne Probleme unter einen Hut bringen kann. Auch wenn manch einer das nicht einsehen oder glauben will: Ich bin halt so. Ich bin da, um die Leute ehrlich und fühlbar zu unterhalten. Dabei bin ich nett, lustig, manchmal aber auch bissig und schlecht gelaunt. Das ist okay. Hauptsache, ich muss mich nicht verstellen.
Wie sieht’s denn derzeit mit neuen Rockstah-Aktivitäten aus?
Aktuell liegt das Musikding komplett auf Eis. Aber das Irre daran ist, dass es fast niemanden stört. Weil alle Spaß haben mit dem Mensch Max, nicht nur mit seiner Musik. Musik war immer ein Korsett, das ich mir gern mal übergeworfen habe, dass mir aber auf lange Sicht zu eng war. Ich hab zuviel kreative Energie in mir, als das ich mich auf das Medium “Rap” reduzieren möchte. Dafür bin ich einfach – und irgendeiner muss es ja mal sagen – zu gut. Das soll jetzt kein Kanye-Moment werden, aber ich kann halt mehr als Andere, die bekannter sind als ich. Das kann ich so nicht hinnehmen. So gehe ich einen großen neuen Weg. Ich komme langsam dahin, wo ich immer hinwollte, auch wenn da noch viel Platz nach oben ist. Aber Musik alleine hätte mich nie und nimmer fröhlich gemacht. Zudem find ich die Rapszene auch einfach scheiße. Da lieb den aktuellen Kram schon mehr. Alle Jobs die ich habe, mache ich aus Liebe und Überzeugung. Nimm zum Beispiel den Job bei XBox: Ich bin Moderator für Microsoft, weil die wissen: Ich liebe diese verdammte Konsole. Die hätten keinen Fanatischeren kriegen können. Ich mache einen Gaming-Podcast, weil ich seit 26 Jahren vor diesen ganzen Geräten sitze und weiß, wie der Hase läuft. Wenn ich irgendwann wieder Lust habe Musik zu machen, dann werde ich das schon tun. Vielleicht stell ich mich aber auch nächstes Jahr auf Stand-Up-Bühnen und mach den Job von Luke Mockridge mal in gut. Oder ich schreib mein Buch fertig. Oder ich geh zu den Rocket Beans. Ich kann machen was ich will, weil ich ein Freigeist bin. Ich war und bin das alles, ohne mich zu verstellen. In der Hinsicht bin ich tatsächlich einzigartig und ich finde, das wissen noch zu wenige Leute. Oh Gott, das war jetzt doch ganz schön Kanye mässig. (lacht) Egal! Das brauchen wir in Deutschland endlich mal. Einer, der sich selber geil findet! Und trotzdem dabei Mensch bleibt. Obwohl da auch das Kanye-Beispiel wieder nicht wirklich greift…. mmh. Egal! Max, geiler Typ! So.
Was hat es mit deinem Podcast auf sich?
Ich mache zwei Podcasts. Der eine heisst Radio Nukular. Den betreibe ich zusammen mit Dominik Hammes (MedienKuH) und Christian Gürnth (Gameswelt). Als Thema hatten wir ursprünglich das Thema Retro und die dazugehörigen Gefühle. Sprich: Wir nehmen uns zum Beispiel eine große Marke der Popkultur, eine berühmte Filmreihe, einen bestimmten Schauspieler oder eine Konsole und reden da in liebevoller Kleinarbeit in ein paar Stunden über alles, was uns dazu so einfällt. Dazu gesellen sich aber inzwischen auch andere Themenfelder. In den sogenannten “Anekdotenfolgen” erzählen wir uns alte Geschichten zu einem Thema. Zum Beispiel Zivildienst. Da wir alle drei recht unterschiedlich sind, uns aber sehr gern haben, funktioniert die Kombination aus allen sehr super und ist überraschend lustig. Wir haben im September eine Folge gemacht über unsere gescheiterten Exbeziehungen. Den “großen Mädchenpodcast”. Das ist meiner Meinung wirklich großartig geworden, nicht nur weil ich eine Flasche Wodka intus hatte. Radio Nukular ist nicht nur ein wahnsinnig schönes, durch Zufall entstandenes Projekt, sondern auch überraschend erfolgreich. Inzwischen gelten wir als das erfolgreichste in Deutschland bestehende Patreon Projekt und gehen damit jetzt sogar auf ausverkaufte Tour. Vollkommen verrückt. Alles Dinge, die ich mir streckenweise für meine Musikkarriere gewünscht hätte. Der zweite Podcast heisst Rumble Pack und ist in der Präsenz und Fanschaft ein bisschen kleiner. Das mache ich mit zwei Kumpeln, Tim Hielscher und Julian Laschewski. Die beiden sind mindestens genauso schlimme Nerds wie ich. Wir besprechen in der Sendung zwei mal im Monat aktuelle Games, sozusagen mündliche Reviews. Das ist alles recht simpel, ist aber informativ und lustig. Und da wir ein loses Mundwerk haben auch nicht so trocken, wie viele Konkurrenzprodukte im Podcastsektor. Daher zählt RP in seinem Genre auch mit zu den Erfolgreichsten.
Kannst du aktuell von Rockstah leben oder gehst du noch einem anderen Beruf neben dem Musikerdasein nach?
All das was ich da oben so aufführe, verbindet sich zu einem großen Ganzen und macht es mir daher auch möglich, davon zu leben. Das kostet viel Zeit, da aber Hobby und Beruf Hand in Hand gehen, ist das alles halb so wild.
Was würdest du jungen Künstlern/Bands raten, die heutzutage versuchen, ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen?
Ich bin ein Fan von einer Idee. Kein Nacheifern, kein “ich will jemanden beeindrucken” – wenn die Idee stimmt und fühlbar ist, dann soll man das machen. Egal für wen. Macht nicht immer nur alles für Geld und Geschlechtsverkehr. Macht auch einfach mal so geilen Scheiß. Die Generation “iPod Shuffle” ist da doch saugut zu neuen Musikern. Es gibt wesentlich weniger Schubladendenken als noch vor ein paar Jahren. Das ermöglicht viele neue Experimente. Das soll man nutzen. Aber Kids, bitte bitte bitte: Müllt das Internet nicht mit sinnloser Scheiße zu. Wenn ich noch das 2000. deepe cloudy Rapalbum dieses Jahr höre, reisse ich irgendwem das Herz aus der Brust und zeige es euch mit den Worten “Das habt ihr zu verantworten!”
Wieviel Prozent DIY-Prinzip steckt heutzutage immer noch in dir?
Ich stehe jeden Tag auf, wann ich will, organisiere mich selber und verwalte meinen Kram gemeinsam mit Manager Chris. Ich gucke, dass ich meine Arbeit auf die Kette kriege, telefoniere und schreibe E-Mails, damit alles klappt. Aktuell sitze ich zwei Wochen im Kreativurlaub in Holland, der sich langsam dem Ende neigt. Das geht alles, weil ich es mir so zurecht gelegt habe, dass es für mich passt. Die paar Deals und Strukturen, mit denen ich als Person kooperiere, sind notwendig, da ich nicht alles alleine machen kann und will. Das können nur wenige, die meisten würden sich da nur bremsen. Daher ist das nur ein Teil des großen Ganzen. Ich mache im Grunde die meiste Zeit, was ich möchte, und kann nach und nach kleine Träume für mich selber umsetzen. Damit bin ich quasi aktuell mehr DIY als jemals zuvor.
Selfmarketing und DIY-Strategien für Künstler – Teil 2
Do it Yourself
Senore Matze Rossi alias Matthias Nürnberger singt oft von den Guten, zu denen er selbst bedenkenlos gezählt werden darf. Wenngleich er auch im Song „Dreh mich“ von den Typen in den grauen Anzügen erzählt, die ihm die Zeit stehlen wollen — es scheint, als würde er diesen Gestalten immer noch bestens entkommen: der dreifache Familienvater ist neben seinem Singer/Songwriter-Projekt Senore Matze Rossi auch Yogalehrer, Sänger der Punkband Bad Drugs, Labelbetreiber und Dozent an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Schweinfurt. Einen solchen Alltag zu organisieren und zu bewältigen geht nur, wenn man mit Leidenschaft dabei ist, sonst funktioniert es nicht — da muss 100% Herz und Seele drin stecken. Im Punkrock sozialisiert, hat er mit seiner ehemaligen Band TAGTRAUM alle Facetten des musikalischen Undergrounds durchlebt und weiß, wovon er spricht, wenn er von DIY redet: Platten machen, Konzerte organisieren, Merchandise entwerfen und auf Konzerten verkaufen — das waren die wichtigen Eckpfeiler seiner Aufgabengebiete, insbesondere damals noch in den 90ern. Denn Matze Rossi kommt aus einer Zeit, als Vinyl noch völlig normal und nicht hip war, die CD gerade ihren Boom hatte, und es hier und da sogar noch (Musik-)Tapes gab. Seit der Tagtraum-Auflösung im Jahr 2004 produziert und veröffentlicht er seine Musik konsequent selbst. Das kostet zwar Zeit, Geld und erfordert einen hohes Maß an Selbstorganisation, bringt aber gleichzeitig Selbstbestimmung und künstlerische Freiheit. Grund genug, mit ihm über seine DYI-Erfahrungen, seine Perspektive in puncto Label-Arbeit und die Veränderungen im Zuge der digitalen Musikwelt zu sprechen.
DIY ist ein Prinzip, welches du seit jeher in deiner musikalischen Karriere befolgst. Man könnte es einen stetigen Wegbegleiter nennen. Warum und wie kommt es dazu, dass du dieser Arbeitsweise — obwohl sie in der Regel mehr Arbeitsaufwand und weniger finanzielles Budget bedeutet — bis auf einige Ausnahmen immer treu geblieben bist?
Ich habe mit 12 Jahren Punkrock für mich entdeckt, und bin dadurch mit und in dieser Kultur groß geworden — somit war ich auch schon immer ein Fan von Selbstverwaltung und Selbstbestimmung. Ich habe schnell gemerkt, dass es schön und gut ist, alle Fäden selber in der Hand zu halten und mit den Menschen, die auf die Konzerte gehen oder Konzerte machen, Platten hören oder Platten verkaufen, direkt Kontakt zu haben. Das ist ein einfach ein persönlicher Draht. Dazu kam, dass alle Angebote die wir von Labels bekamen, einfach schlechte Deals waren. Das war keine wirklichen Optionen. Je länger und je mehr du dich dann mit den einzelnen Dingen selber beschäftigst — und so nervig sie auch sein mögen —, du gewinnst sie irgendwann lieb und sie werden ein Teil von deiner Arbeit. Bis zu einem gewissen Grad geht das auch gut, aber als dreifacher Vater und Dozent war es ab einem gewissen Punkt nicht mehr möglich, Booking, Label und Management, Layout, Recording etc. in Eigenregie zu bewerkstelligen. Daher musste ich mir dann Unterstützung holen.
Welche Partner hast du dir ins Boot geholt?
Ich sehr froh, jetzt das Booking an Grand Hotel van Cleef (Konzertsparte des renommierten Hamburger Indie-Labels, Anmerk. d. Verf.) abgegeben zu haben und mir das Management mit meinem langjährigen Freund Oise Ronsberger von End Hits Records zu teilen. So kann ich mich mehr auf die Musik, die Fans und mein Privatleben konzentrieren — und komme auch ab und an mal zum Gitarre üben. (lacht)
Gab es nie die Versuchung oder den Wunsch, das Projekt mal „aus der Hand“ zu geben und dafür aber ein entspannenderes finanzielles Polster in Kauf zu nehmen?
Wie gesagt, ich empfand die Label-Anfragen immer als völlige Abripperei und die Aussicht, mehr Geld zu verdienen, war dann tatsächlich on the long run auch eher im DIY-Bereich zu finden. Klar war auch, dass das mit einem großen Arbeits- und Zeitaufwand verbunden sein würde. Da darf man sich keine Illusionen machen. Aber so hat man eben die Sicherheit, größtmögliche Kontrolle über alle künstlerischen und strategischen Entscheidungen zu behalten, was mir bislang immer sehr wichtig war — unter anderem auch, weil mir diese Freiheit und die damit verbundene Glaubwürdigkeit sehr viel wert sind.
Wo liegen deine Kritikpunkte in Bezug auf die Label-Deals?
Naja, Anfang der 90er konnte man ja noch als Label richtig gut Geld verdienen, da sich die CD als Tonträger wie blöd verkauft hat. Ich erinnere mich noch daran, dass wir — nachdem wir ein paar Kassetten verkauft hatten — Anfragen bekamen, die wir damals schon nicht optimal fanden. Also beispielsweise die Tatsache, über die nächsten vier Alben gebunden zu sein oder zum Beispiel GEMA- und Verlagsrechte abgeben zu müssen. Das Ganze hatte halt ein nettes Startbudget bzw. einen ordentlichen Vorschuss als Köder, der sich aber wieder über die Verkäufe zurück finanzieren sollte. Die Einnahmen über GVL wurden nicht erwähnt usw. Im Prinzip sind Labels ja nichts anderes als eine Bank mit einer professionellen Infrastruktur in Form von Know-how, den richtigen Kontakten und Arbeitswillen — wenn es ein gutes Label ist…
Gibt es auch positive Beispiele für Labelarbeit, die du nennen wollen würdest?
Im Falle meiner Band Tagtraum war dies klar die Zusammenarbeit mit Vitaminepillen Records, ein Indie-Label, welches Ende der 90er/Anfang der 2000er eine bedeutende Rolle im deutschen Punkrock hatte und viele tolle Platten veröffentlicht hat. Da waren die ersten Jahre sehr toll, es war ein sehr familiärer Rahmen, lustig und gut, allerdings war dann so gegen ’99 klar, dass Ralf und Myra, die beiden Label-Betreiber, mehr in ihre anderen Standbeine investiert haben. Das war auch vollkommen legitim, aber darauf mussten wir für unseren Weg dann reagieren und für uns optimale Bedingungen schaffen — das war der Grund, dass wir dann zu Dancing In The Dark Records gewechselt sind. Das Label habe ich dann ja übernommen und Oise hat End Hits Records gegründet, wo ich jetzt wieder veröffentlichen werde. Die Kreise schließen sich immer wieder. (lacht)
In den seltenen Fällen, wo du mit Partnern gearbeitet hast, waren es meistens Menschen, die du kanntest und die ein menschlich wie musikalisches Verständnis für deine Sache mitgebrachten. Inwiefern spielen also Persönlichkeit und Vertrauen für dich eine entscheidende Rolle, geschäftliche Partnerschaften einzugehen? Welche Ansprüche und Erwartungshaltungen gab es deinerseits an sie? Inwiefern haben kommerzielle Belange hierbei jemals eine Rolle gespielt?
Natürlich muss hier eine Vertrauensbasis da sein, also gleiches Interesse und Leidenschaft für die Musik. Mir ist wichtig, dass zum Beispiel GHvC im Booking und Oise im Management mit der gleichen Ausdauer und Energie an die Arbeit gehen, wie ich es tue oder getan habe. Kommerzielle Belange haben früher gar keine Rolle gespielt, heute nehmen sie ihren Teil ein, da ich ich einfach zu einem großen Teil vom Musik machen lebe und ich schauen muss, wie ich Kredite, Essen, Heizung etc. bezahle. Musikmachen ist einer meiner Jobs, aber zusammen mit dem Yogaunterrichten der schönste, den ich mir persönlich vorstellen kann.
Welche konkreten Aufgaben hat dein DIY-Betätigungsspektrum umfasst?
Ich habe wirklich alles gemacht: Angefangen beim Songwriting, also dem Schreiben von Texten und dem Komponieren der Musik, dem Produzieren, also das Mischen und Mastern der Songs, über das Layouten, Designen und Illustrieren von Booklets sowie Merchandise-Artikeln, bis hin zur Label-Arbeit, die neben dem physischen Pressen von Tonträgern ja auch Presse- und Promoarbeit umfasst, und zum Booking meiner Konzerte und Touren. Und klar bleibt dann irgendwo irgendeine Sache des Ganzen dann immer ein wenig auf der Strecke… Aber missen will ich die Zeit nicht, sie ist ein Teil von mir.
Wie hast du dir Know-how angeeignet? Learning by doing oder gab es dabei irgendwelche Hilfe?
Das war alles klassisches Learning by Doing. Ich habe mir Bücher gekauft und mit Menschen, die das professionell machen — also Label-Betreibern, Musikern, Produzenten — geredet. Mit den richtigen Personen, die das Verständnis für die Sache, also was dein Projekt eben auch ausmacht, in Austausch zu treten und sich von ihnen Einschätzungen und Tipps zu holen, kann sehr viel Wert haben. Genau das verstehe ich als DIY-Prinzip: alles ist da, du musst es dir nur holen.
Inwiefern würdest du sagen hat das DIY-Prinzip und Selfmarketing für dich und deine Projekte funktioniert?
Im Prinzip hat es wirklich sehr gut funktioniert — bis zu einem gewissen Punkt. Ich bin sehr dankbar für die große und loyale „Fangemeinde“, die mich teilweise seit 23 Jahren mit dem Musikmachen begleitet und über all die guten Kontakte, die ich mir über die Jahre aufgebaut habe und bis heute pflege. Aber man bewegt sich dadurch gleichzeitig immer in einem eigenen Mikrokosmos, der sehr natürlich expandiert. Um es jedoch mal bildlich zu sagen: andere Galaxien zu besuchen macht auch Spaß, um neue Perspektiven zu schaffen, und dazu braucht es manchmal die Hilfe, Ideen und Zusammenarbeit mit guten und ausgewählten Leuten.
Hätte es auch andere Ansätze gegeben, die du heute in Rückbetrachtung siehst, mit denen man bestimmte Dinge anstelle von DIY hätte „besser” umsetzen können?
Klar hätte den jetzigen Schritt eher gehen können, aber für mich war es eben der richtige Weg, alles sehr bewusst und kontrolliert abzugeben — step by step, alles zu seiner Zeit.
Welche Dinge kann man deiner Meinung heutzutage als Künstler gut selber machen, in welchem Bereichen macht es Sinn, die Dinge aus der Hand zu geben? Wie sollte man seine „Kräfte“ heutzutage gut einteilen?
Ich will da gar keinen Königsweg vorschlagen, das finde ich immer ein bisschen schwierig, weil es ja individuell vom Projekt und dem jeweiligen Künstler abhängig ist — also, welche Entscheidungen notwendig und für den Weg sinnvoll sind. Grundsätzlich ist es aber denke ich wichtig, sich mit allen Prozessen und Bereichen auszukennen, um mitreden und Erwartungen an seine Mitstreiter klar formulieren zu können. Auch eben, um Dinge selbst einschätzen und beurteilen zu können. Die Sachen, die ich jetzt outgescourced habe, sind für mich entbehrlich, weil sie einfach ein gewisses Handwerk, das man übertragen kann, erfordern. Im Gegenzug würde ich aber beispielsweise nie den Kontakt zu meinen Hörern abgeben. Der direkte Draht zu ihnen ist mir extrem wichtig. Wenn mir jemand Kontakt mit mir sucht und mir schreibt, bekommt er auch definitiv von mir persönlich eine Antwort. Dieser Dialog ist unersetzlich.
Du kommst noch aus der „analogen Welt“, wo Vinyl, Tapes und CDs verkauft wurden. Worin siehst du heutzutage Chancen und Möglichkeiten für Künstler, sich nach Selfmarketing-Prinzipien mithilfe des Web 2.0s zu entfalten? Welche positiven Seiten gibt es deiner Meinung nach und welche negativen?
Oh, die Möglichkeiten durch das Internet, insbesondere durch Facebook, Soundcloud etc., sind natürlich riesig. Es ist Segen und Fluch zugleich: Alles ist greifbarer, direkter und schneller geworden, dadurch gleichzeitig leider auch beliebiger und schnelllebiger.
Ziehe doch mal einen konkreten Vergleich analog vs. digital…
Für mich war es früher immer ein absolutes Erlebnis, in OX oder Visions zu lesen, wann die nächste Platte meiner Lieblingsbands rauskommt. Allein das Warten war schon ein Hochgenuss — und dann das Ding bei einem klassischen Mailorder wie Green Hell oder Flight13 zu bestellen, war ein echtes Ereignis, weil wir dann immer zu fünft oder zu sechst bestellt haben. Als dann die Platten kamen, saßen wir alle zusammen, haben sie ausgepackt und gemeinsam in alles reingehört. Dazu haben alle Bier getrunken und geraucht, das war ein richtiges Happening, hatte schon fast was von einem Ritual. Das gab es sehr viel Wertschätzung für den Tonträger. Heute ist es wohl eher so: „Ach, da kommt schon wieder eine neue Scheibe von XY!“ — Zack vergessen, dann ist sie draußen, man liest es in einer Werbung oder sieht es bei iTunes, kann in die Snippets reinhören oder streamt, meistens auf Laptopboxen… Und da bleibt für mich nichts mit Substanz hängen, es gibt keine konkrete Verbindung mehr mit etwas. Wenn ich an meine alten Platten denke, dann weiß ich, was ich gemacht habe, als ich sie gehört habe: in wen ich verliebt war, was mich wütend gemacht hat und so weiter. Das fehlt mir beim digitalen Musikhören. Bei den letzten Platten, die ich mir digital angehört habe und was auch sicher auch gute Alben waren, sehe ich mich am Computer weiterklicken. Der Faktor, es mehr erlebbar und fühlbar zu machen, fehlt mir hier. Für mich gehört zum Musikhören und genießen eben das Auspacken und riechen, Auflegen und Spüren mit allen Sinnen dazu. Wie bei allen guten Dingen. (lacht)
Was würdest du einem jungen Künstler oder einer jungen Band raten, die gerade ihr erstes Demo aufgenommen hat, und sich gerne weiter bekannt machen möchte?
Wenn man schon Fans hat, sollte man sie ins Boot holen, um den Schneeballeffekt nutzen. Heutzutage macht es auch viel Sinn, audiovisuell zu arbeiten, also Videos zu drehen und sie online zu stellen. Grundsätzlich: Viel Präsenz zeigen, sich einsetzen für bestimmte Themen, die einem wichtig sind; sich nicht billig verkaufen, sich bewusst sein, dass es etwas wert ist, was man erschafft. Und dementsprechend: nichts verschleudern, seine Energie sinnvoll und fokussiert für die eigene Sache einsetzen. MediaMarkt und Saturn wollen uns glauben lassen, Geiz sei geil, ist es aber nicht…
Nach über 20 Jahren im Punkrock-Business: Was bedeutet DIY für dich heute?
In erster Linie bedeutet es immer noch, wirklich zu wissen, was man will und was man eben auch nicht will. Wenn man das für sich geklärt hat, kann man gut aus dieser Basis Entscheidungen treffen und dann anfangen, damit zu arbeiten. Es geht darum, sich den eigenen Kopf zu behalten und sich gegebenenfalls gute Menschen an Bord holen — oder auf deren Schiff ein Stück mitzufahren.