Ihr siebtes Studioalbum

Studioreport: Sportfreunde Stiller − Sturm & Stille

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Bassist Rüdiger »Rüde« Linhof und die Produzenten Oliver Zülch und Dave Anderson über aktuelle Album-Produktion

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(Bild: Ingo Pertramer)

Für den größten Teil ihrer neuen Produktion hat es das Münchener Trio nicht — wie man leicht hätte vermuten können — an einen der Top-Recording-Spots der Republik verschlagen, sondern in ein verschlafenes Dorf in Mittelitalien. Konzentrierte Studioarbeit und italienisches Dolce Vita — geht das zusammen? Ihr siebtes Studioalbum Sturm & Stille, welches nun passend zum 20-jährigen Bandjubiläum veröffentlicht wird, tritt dafür den Beweis an.

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Eigentlich hatten die Sportfreunde im August 2014 mit dem letzten Konzert ihrer 35 Termine umfassenden Tour ihren Abschied auf unbestimmte Zeit verkündet. Nach dem finalen Abend auf dem Zeltfestival Ruhr in Bochum wollten sie pausieren, was sicherlich den meisten ihrer Fans nicht leicht gefallen ist, stellt man sich darunter doch in der Regel einen mehrjährigen Break vor. Doch überraschenderweise kam alles ganz anders: Bereits im Frühjahr 2015 ist die Band unverhofft schon wieder rege und aktiv, arbeitet an neuen Songs und bereitet mit einem neuen Aufnahmeansatz ihr nächstes Studio-Album vor »Wir hatten einfach Bock aufzunehmen«, so Bassist Rüde. »Wir haben auch bewusst in keiner Riesenetappe aufgenommen, bei der innerhalb von zwei Monaten alle Songs im Kasten sein müssen. Nach dem letzten Konzert zur letzten Platte haben wir uns alle für fünf Monate zurückgezogen, wo jeder erst einmal das gemacht hat, worauf er Lust hatte. Dann haben wir uns im Februar oder März 2015 wieder getroffen, um uns gemeinsam Lieder vorzustellen und Demos zu machen.«

Es folgen die ersten Proben sowie kurze kreative Sessions in Berghütten in Bayern. Nach dem gegenseitigen Austausch über die ersten Demos mit ihren Produzenten Oliver Zülch (Die Ärzte, The Notwist, Enno Bunger) und Dave Anderson (Juli, Udo Lindenberg, Andreas Bourani) geht es im Sommer des Jahres für die Aufnahmen nach Italien in das kleine malerische Dorf Lari, einer 1.200- Seelen-Gemeinde im Herzen der Toskana. Man will unbeschwert, entspannt und in einem angenehmen Umfeld zu Werke gehen − das gemeinsame Miteinander hat dabei die oberste Priorität.

»Der Grundgedanke war:«, erzählt Rüde, »Wir wollten uns einen schönen Ort suchen, an dem wir Lust haben, miteinander Zeit zu verbringen. Es stand jetzt gar nicht direkt oben auf der Liste, die Platte fertig zu machen, sondern in erster Linie ging es darum, uns eine schöne Zeit im Studio zu machen und zu schauen, was dabei rumkommt.« Der räumliche Tapetenwechsel hin in die Toskana sowie der gemeinsam verabredete Ansatz, sukzessive in verschiedenen Etappen aufzunehmen, tun der Produktion gut − wie auch Zülch bestätigt: »Die Idee, aus den uns gewohnten Studiogefilden auszubrechen und nach Italien zu fahren, war wirklich super. Dort waren wir insgesamt drei Mal für drei Etappen. Ich denke, dass das für diese Platte elementar war.«

Und so reist das Produzententeam mit einer Auswahl an mobilem Equipment im Kombi aus NRW an, die Sportfreunde Stiller mit ihren Instrumenten in einem großen Transporter aus München. Da trifft eingespieltes Team aufeinander, hat die Band doch bereits schon 2009 ihr MTV-Unplugged- sowie ihr letztes Studio-Album New York, Rio, Rosenheim mit Zülch und Anderson aufgenommen. Und so kommt bei dieser unkonventionellen Herangehensweise direkt bei allen Beteiligten Reisefeeling auf: »Das war letztendlich, als ob du in den Urlaub fährst«, erinnert sich Dave Anderson.

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Oliver Zülch (links) und Dave Anderson (rechts) in der Regie des Clouds Hill Studios in Hamburg (Bild: Ingo Pertramer)

Recording-Etappen in Lari, Italien

In insgesamt drei Etappen in zweitmonatigem Abstand finden die Aufnahmen in der Toskana statt. Die Arbeit in verschiedenen Blöcken entzerrt nicht nur die Zeitplanung und nimmt Druck, sondern lässt ebenso Raum für Spontanität und neue Impulse, was dem kreativen Flow beim Songwriting zugutekommt: »Das war dieses Mal nicht so klassisch generalstabsmäßig vorbereitet«, sagt Anderson, »dass man aus einem Pool von 20 Demos schöpft, die man alle ausprobiert, und sich dann die besten rauspickt. Hier haben wir viel blockweise gearbeitet, sodass sich im Prozess einfach drei oder vier Songs ergeben haben, die es vorher noch gar nicht gab. Es war für die Band ein permanenter Prozess, den wir bei der Arbeit in Blöcken erstmals hatten.«

An mobilem Equipment landet eine kleine Armada an Neve- und API-Vorverstärkern im Kofferraum der Produzenten, weiterhin ein paar ihrer Lieblingsmikrofone, wie beispielsweise ein Pärchen Coles, sowie als Must-Have und favorisierter Kompressor ein 40er-Jahre Gates SA 39b, der immer dabei sein muss. Ansonsten ist man auch mit der Wahl des Studios in Bezug auf seine Beschaffenheit und Ausstattung gut versorgt und entsprechend zufrieden: »Die Räume haben sich einfach sehr schön ausgewogen und cool angehört. An Mikrofonen ist das Studio auch super aufgestellt: die Deluxe-Neumann-Abteilung, alles liebevoll und toll restauriert, schöne alte U47 und U67 sowie coole Bändchen. Ein sehr guter Standard«, berichtet Zülch zufrieden. Bezüglich der Mikrofonierung versuchen die Produzenten, möglichst spartanisch und gleichzeitig individuell zu agieren: »Ob es jetzt − das ist songabhängig − ein Close-Slam-Mic am Kit ist oder ein dynamisches, welches über der Bassdrum hängt, was einen Mono-Drumsound macht − das ist breit gefächert«, so Zülch. »Oder es ist für dieses Lied jetzt gerade geil, wenn wir die großen Links/Rechts-Räume total weit hinten ballern lassen und sie verzerren oder höher komprimieren …«

Charakter-Mikrofonie, so wird schnell klar, ist für Zülch und Anderson ein wesentliches Merkmal für den neuen Sportfreunde-Sound −um dem jeweiligen Song eine individuelle Note und besondere Ausprägung zu geben. Ebenso besteht in Räumlichkeit ein wesentliches Element der Soundästhetik, welches von den Produzenten häufig genutzt wird. »Ein Signal, was ich super fand, war beispielsweise ein U47-Mono-Overhead, das in einen ADR 760er-Compex-Limiter ging. Das hat mir sehr gut gefallen und trägt sich durch die gesamte Platte ein wenig hindurch«, erklärt Zülch. In puncto Overheads greift man oftmals auf Coles zurück, da Schlagzeuger Flo gerne kräftig Becken spielt und diese bei sehr druckvoller Spielweise seinen Becken-Sound optimal einfangen.

Im Falle der Bass-Mikrofonie wird vieles ausprobiert, sodass es letztendlich unterschiedliche Varianten geworden sind − je nach Song ist von Sennheiser MD421 bis Neumann U47 FET alles dabei.

Bei den Gitarre-Aufnahmen hingegen ist es ein Klassiker geworden: Eingesetzt wurden sowohl ein SM57 und ein Royer als auch eine Kombi aus einem SM57 und einem Gefell 930. »Wir haben versucht, möglichst unterschiedliche Chains zu nehmen und auch Preamps gewechselt«, erklärt Zülch, »sodass man das in Gruppen hat und sich entscheiden konnte: Man nimmt alles mit Neve oder API auf, um so verschiedene Klangstaffelungen und -färbungen zu schaffen.«

Als Basic-Instrumenten-Setup nutzt die Band Düsenberg- und Gibson-Gitarren, Bässe von Sandberg, ein Tama-Drumset und Paiste-Cymbals sowie eine große Bandbreite an Keyboards − von Softsynths über Sample-Libraries bis hin zu alten Minimoogs ist hier alles da bei.

Spezielles im Recording-Setup

Eine Besonderheit im Recording-Setup stellt der vintage RCA-Preamp dar, welcher aus einem 50er-Jahre-Pult stammt und viel bei Close-Mics der Drums verwendet wird. Dazu nutzen die Produzenten einen ADR Stereo-Buskompressor von Gemini namens »Easy Rider« als Limiter, welcher damit unverhoffte Bedeutung für das gesamte Album bekommt. »Er zeigt an, dass er wahnsinnig komprimiert, aber eigentlich zerrt er nur volle Pulle«, erzählt Zülch. »Irgendwann ist er durch irgendein Routing versehentlich mal auf dem ganzen Mix gelandet und alle haben nur gedacht: ›Wie geil klingt das denn gerade? Das ist ja der totale Hammer!‹ « Als paralleler Kompressor findet sich im Easy Rider, welchen die Produzenten alleine eingesetzt unpassend finden, eine spannende wie für den Sound prägende Ergänzung.

Ein weiteres Merkmal der Produktion besteht in der Verwendung von Boden-Effekten, die eine wesentliche Bedeutung − auch im Vergleich zu Vorverstärkern − bekommen: »Das Standardbild, egal wo wir arbeiten, ist, dass der ganze Boden voll mit Effektpedalen liegt. Da wird immer sehr schnell hin gegriffen, denn da haben alle immer Bock drauf, weil da einfach wahnsinnig viel passieren kann. Seien es irgendwelche Selbstgebauten von irgendwelchen Leuten, wo man sich über die Parameter wundert. Da haben wir immer viel gemeinsam herumprobiert und versucht, damit komisches Zeug zu bauen.« Besonders begeistert sind alle von einem kleinen, unscheinbaren Gerät, welches häufig genutzt wird und somit den Gesamtsound prägt: ein Strymon Tape Delay.

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Peter Brugger mit einem Powermixer im Schlagzeug-Aufnahmeraum (Bild: Ingo Pertramer)

Spezielle Song-Momente

Zwei Songs, die sich unmittelbar und spontan aus dem neuen Aufnahme-Flow entwickeln, haben für die Band besondere Bedeutung. Zum einen der Song Disko-4000, welcher sich aus einer digitalen Jam im privaten Home-Recording zwischen den dreien ergibt − und wieder einmal aufzeigt, dass es nicht in erster Linie um herausragende Technik gehen muss, sondern viel mehr um spannende und inspirierte Sounds, die auch mit kleinen Mitteln kreiert werden können: »Flo hat bei sich daheim eine E-Drum-Spur über Demo-Guide aufgenommen, ich habe bei mir über ein total billiges Computer-Interface den Bass eingespielt, ebenso wie Peter bei sich zu Hause. Das haben wir dann Oli und Dave vorgespielt, und die meinten so: ›Hey, geil! Das klingt so geil, das nehmen wir so aufs Album.‹ Dazu haben wir noch ein paar Keyboards eingespielt, Dave hat es noch ein wenig arrangiert, aber letztendlich ist das so auf dem Album gelandet, wie wir es ursprünglich zu Hause aufgenommen hatten.«

Der andere Song, welcher einen besonderen Moment in Italien erzeugt, heißt Zwischen den Welten und behandelt ein Thema, das viele Musiker und Musikfans grundsätzlich berühren dürfte: »Der Text dazu ist nach dem Wochenende der Bataclan-Anschläge entstanden. Uns ging’s super im Studio, wir hatten unseren Spaß, es war eine ganz tolle Zeit − und dann kam diese Nachricht herein und hat uns total umgeblasen. Diese Anteilnahme konnten wir alle stark spüren. Wir hatten uns dann den ganzen Abend darüber unterhalten, und schließlich kam Peter mit dem Text um die Ecke, und es hat halt super gepasst. Das ganze Gefühl des Songs hat das so dermaßen gut widergespiegelt, dass wir total ergriffen und dankbar waren, dass wir das in einem unserer Lieder ausdrücken konnten.

Wir haben danach die Nacht über mit viel Bier und Schnaps total gefeiert, wir waren total durcheinander und durch den Wind und irgendwie betroffen und glücklich zugleich. Es war ein wahnsinnig komischer und krasser Abend für uns«, so Rüde über die euphorisch-aufgewühlte Nacht.

Die Elemente des neuen Sportfreunde-Sounds 

»Ein wichtiger Bestandteil bei den Sportfreunden und ihrem Sound ist«, skizziert Zülch ihre grundsätzliche Herangehensweise mit Blick auf die Produktion, »dass es nicht zu klischeemäßig wird, sondern dass man halt irgendwo auch versucht, das Ganze zu brechen; entweder über das Beibehalten einer Rumpeligkeit oder eben auch dadurch, dass man bei einer klaren Rock-Nummer ein Strahlemann-Klavier oder etwas Synthetisches wie einen Lo-Fi-Synthie dazunimmt, um dem Ganzen einen Hauch Gebrechlichkeit oder Humor zu geben, damit man nicht zu aufgeblasen dasteht. Das wären zwei mögliche Gewichtungen.«

Und wie wirkt sich dies auf das gewählte technische Setup aus? Zwar gibt es durch die Aufnahme in verschiedenen Etappen als auch Studios − zunächst dreimal in Italien, anschließend zweimal in Hamburg − keine einheitliche Kette, aber natürlich besondere Vorlieben entsprechend der örtlichen Gegebenheiten.

»Als wir für die vierte Staffel im Clouds Hill Studio in Hamburg waren«, erklärt Zülch, »haben wir dort natürlich entsprechend auch mit dem Neve-Pult aufgenommen, aber auch mit V72 und V76. In der allerletzten Staffel waren wir dann in der neuen Regie, wo wir sehr viel über das API-Pult aufgenommen haben. In dieser ganzen Italien-Staffel hatten wir diese beiden Komponenten zwar nicht, aber wir hatten schon APIs und Neves mit dabei, sodass wir auch dort für wichtige Signale unsere Preamps nehmen konnten. Aber es war insgesamt schon ein bunter Strauß von Blumen, immer wieder unterschiedliches Equipment, was aber auch Bock gemacht hat.«

Diese Richtung wollen die Produzenten konsequent weiterverfolgen, dass man bei den einzelnen Signalen viel intensiver und radikaler zu Werke geht. Aus diesem Grund finden sich auch zwei sehr unterschiedliche Drum-Setups auf der Platte, welche im Mix von Zülch aber wieder homogen werden. Dies geht nach Zülch auf die charakteristische Spielweise von Drummer Flo, aber auch die Komposition und letztendlich den Gesang Bruggers zurück, welche den Bandsound zusammenfügen werden. Diese Elemente halten die Songs wie einen roten Faden zusammen und sorgen für eine Annäherung an den finalen Sound während der Produktion, welcher über die Zeit zusammenwächst und eine umfassende Identität bekommt.

»Teilweise fügen im Laufe der Zeit relativ experimentell empfundene Ecken und Kanten immer mehr ein und relativieren sich, sodass man sich am Ende fragt, ob es nicht alles ein bisschen krasser war. Aber es insgesamt ein guter Effekt in Sachen des Zusammenwachsens von Material, was man über mehr als ein Jahr in Italien, München, in einer kleinen Schmiede im Bayerischen Wald und im High-Tech-Studio in Hamburg aufgenommen hat. Das ist eine tolle Erfahrung!«

Über Sturm & Stille

Es scheint, als würde sich die Erinnerung an die gemeinsame Zeit bei allen Beteiligten in der Euphorie in Bezug auf das neue Album widerspiegeln: »Es ist das beste Album von den Sportfreunden. Ganz ehrlich, ohne Mist«, so Zülch. »Ich denke, dass es die besten Kompositionen sind, die sie bislang geschrieben haben. Da sind echt ein paar wahnsinnig gute Songs drauf.« Anderson verweist insbesondere auf den Werdegang der Band und die Entwicklung hin zur »Sportfreunde-Identität«: Das Zusammenwachsen auch nach Zeiten, wo die Band aufgrund von Auszeiten nicht so eng zusammen war, weil familiärer Zuwachs Einzug in ihre Leben gehalten hatte. »Das waren sehr bewegte Jahre − und jetzt dieses Wieder-miteinander-Musikmachen und dieses sehr nahe Miteinander, diese Songs zu entwickeln hat eine sehr besondere Sammlung an Kompositionen hervorgebracht.«

Für Bassist Rüde ist Sturm & Stille ein Album, welches die Fäden durch ganz viele Gefühle, Fragen und Themen zusammenhält und kein Kompromiss verschiedener Geschmäcker, sondern so geworden ist, wie es alle Bandmitglieder machen wollten: »Wir können echt bei jedem Song sagen, dass wir auf jedes dieser zwölf Lieder Bock haben. Letztendlich hat es nicht länger gedauert als jede andere Platte, bloß dass man es ein wenig entzerrt hat, aber dafür brauchst du einen guten Produzenten, der das Equipment am Start hat, das in einen Kombi reinpasst.«

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