Mississippi von Richie Arndt und ein Besuch im Sun-Studio
von Jörg Sunderkötter,
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Selber der Geschichte des Blues nachspüren, die Atmosphäre aufnehmen, berühmte Orte besuchen, mit amerikanischen Blues-Musikern sprechen und vielleicht auch zusammen spielen. Diesen Traum teilten sicher eine Menge Musikbegeisterte in der ganzen Welt, so auch Musiker, die den Blues außerhalb von Amerika für sich entdeckt haben.
Richie Arndts Beziehung zum Blues könnte inniger nicht sein, ist er doch einer der besten Blues-Gitarristen in Deutschland. Drüber hinaus ist er tatsächlich ein großer Blues-Liebhaber und -Kenner. Das hört man ohne Zweifel seiner Musik und seinem Gitarrenspiel an − Beleg für das große kulturelle Interesse ist außerdem sein bereits vor etwa sieben Jahren veröffentlichtes Album Train Stories, ebenfalls erschienen als Musik-CD plus Hörbuch. Bei den Train Stories zeichnete sich bereits die Idee ab, mehr als nur eine Platte herauszubringen. Richie Arndt ist selbstverständlich auch weiterhin mit seiner Blues-Band unterwegs, aber es ging ihm mit diesem Solo-Projekt, wie nun aktuell mit Mississippi, darum, ein breiteres Publikum zu erreichen. »Mit einer Blues-Band erreichst du eben die Klientel, die Konzerte − genauer gesagt − Blues-Konzerte besucht«, so Richie Arndt. »Damit ist man schon sehr festgelegt. Ein Hörbuch und nun die Vortragsreihe schließen dieses Blues-Publikum ja nicht aus − ganz im Gegenteil sogar. Ich erreiche zusätzlich aber auch ein Publikum, das zunächst einmal gar nichts mit der Blues-Musik-Szene am Hut haben muss, sondern generell ein kulturelles Interesse mitbringt oder sich ganz einfach für Amerika als Reiseland begeistert.« Und wenn man schon in den Südstaaten unterwegs ist, dann ist das Thema Musik nicht weit entfernt, schließlich wurde hier− das gilt nicht nur für den Blues − amerikanische Musikgeschichte geschrieben.
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Vom Zug zum Fluss
Und wenn man sich so wie Richie Arndt intensiv mit der amerikanischen Musik und ihrer Geschichte beschäftigt, dann kommt man nur konsequent auf die Frage, warum es in der amerikanischen Musik so viele Train-Songs gibt, was schließlich der Aufhänger für die Train Stories wurde. Hintergrund ist die Besiedlung Amerikas, in welcher der Zug eine große Rolle spielte. Es war damals das Verkehrsmittel, das die amerikanischen Staaten über diese großen Distanzen miteinander verband. Folglich spielten Züge im Leben der Menschen eine große Rolle, auch als ein Symbol für Aufbruch, Abschied und Trennung, aber auch für Freiheit …
»Es gibt Tausende Train-Songs − in Folk, Blues Jazz, Country …«, schildert es Richie Arndt. »Der Zug wird sehr oft thematisiert: Take the A-Train, 500 Miles − alles Zug-Lieder. Aus einer Recherche, die ich mit meinem damaligen Produzenten machte, entstanden dann ein Album mit Songs und ein Hörbuch, was sich als recht erfolgreiche Kombination erwies. Sechs Jahre später habe ich dann überlegt, was als Nächstes kommen kann: Autos, Highways, Planes, Trains? Keine Ahnung: Das war alles überhaupt nicht mein Ding. Nach einiger Zeit bin ich aber drauf gekommen, dass es eigentlich doch immer schon mein großer Traum war, den Mississippi bzw. die Südstaaten zu bereisen − und das ideale Thema war gefunden!« Es ist sicher auch eine thematisch sinnvolle wie konsequente Ergänzung des Train-Themas, denn schließlich ist der Mississippi in Amerika auch ein großes Thema. Viele Mythen und Geschichten ranken sich um den fast 4.000 km langen Fluss, eine der bekanntesten sicher von Mark Twain. Aber die wichtigsten schrieb wohl das Leben selber, wovon unzählige Blues- und Soul-Songs zeugen, die in den am Mississippi gelegenen Südstaaten entstanden sind.
Von der Idee zur Reichweite
Richie Arndts Reise führte dann auch von der großen Metropole Memphis bis hinunter an den Golf, durch Landschaft und Gegend, die man als Tourist vermutlich gar nicht besuchen würde. Zunächst aber musste er herausfinden, wo die Reise hingehen soll. »Anfangs habe ich natürlich überlegt, wo fahre ich dann überhaupt hin, welche Leute treffe ich, aber ganz ehrlich: Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Ich bin dann aber auf das Fremdenverkehrsbüro ›Memphis-Mississippi‹ in Bielefeld gestoßen. Es handelt sich dabei nicht um ein normales Reisebüro. Es sind im Prinzip zwei Leute, die für den Bundesstaat Mississippi Journalistenreisen organisieren. Es geht also darum, Berichte zu ermöglichen, die dann in der deutschen Presse erscheinen − vom Feuilleton bis zur Illustrierten. Eigentlich ja gar nicht mein Metier, ich habe die aber trotzdem angeschrieben und um ein Gespräch gebeten. So bin ich dahin mit meinen bisher veröffentlichten CDs, Konzertplakaten usw. und habe denen gesagt: ›Ihr wisst noch nicht warum, aber ich bin genau euer Mann …‹ (lacht) Ich durfte meine Idee von einem musikalischen Reisebericht vortragen, was auch Eindruck hinterlassen haben muss. Es ist dann so gelaufen, dass sie die gesamte Reise organisiert und auch finanziell unterstützt haben, ich musste mich eigentlich um nichts kümmern.«
Obwohl es ja keine klassische Journalistenreise war, hatte das Büro kaum Probleme damit, Richie Arndts Reise den Chefs in den USA »zu verkaufen«, denn die wollen belegbare Zahlen vorgelegt bekommen − wo erscheint der Bericht, welche Auflage und welche Reichweite ist zu erwarten usw.? »Insofern haben die aber mit mir einen guten Fang gemacht«, freut sich Richie, »denn über das Projekt haben bereits mehrere lokale Tageszeitungen und Fachzeitschriften berichtet, der WDR hat einen TV-Bericht über mich gesendet, und es hat auch schon mehrere Radioberichte und Interviews gegeben. Wenn es um diese Eckdaten geht, kann ich durch die verschiedenen Veröffentlichungskanäle, die mir als Musiker zur Verfügung stehen, inklusive der Live-Veranstaltungen Reichweiten auch in unterschiedliche Publikumskreise vorweisen, wie sie ein einzelner Journalist vielleicht gar nicht erzielen kann. Win-Win-Situation für alle also.«
Walking in Memphis
Ein kultureller und musikalischer Schmelztiegel Amerikas ist die Stadt Memphis. Ich frage Richie gespannt, welche Eindrücke er von dort mitbringt. »Memphis ist schon fast so etwas wie eine Museumsstadt«, erzählt er. »Dort ist das legendäre Sun Studio, wo Jonny Cash und Elvis Presley berühmt geworden sind − ein winziges Studio, über das ich im Hörbuch auch erzähle. Dann gibt es das National Civil Rights Museum in dem Hotel, wo Martin Luther King erschossen wurde. Und es gibt das Stax Museum of American Soul. Memphis ist aber auch eine Musikmetropole, aus der viele berühmte Musiker stammen − Isaac Hayes, Sam Cooke oder Ike Turner z. B. Dieser etwas ›museale‹ Charakter betrifft auch die Musik, die man dort als Besucher wahrnehmen kann. Wenn man die berühmte Beale Street entlang geht, findet man einen Blues-Club nach dem nächsten, einer von B.B. King, einen von Buddy Guy usw., aber dort spielen vorwiegend Cover-Bands eine Mischung alter Klassiker aus Blues und Soul. Was die junge Musikszene in der Gegend heute macht, scheint dort niemanden zu interessieren. Wenn man das erleben möchte, ist, glaube ich, Nashville die bessere Stadt in Amerika. Aber dieser Eindruck ist sicher meiner speziellen Betrachtungsweise als Musiker geschuldet. Selbstverständlich sollte man Memphis unbedingt gesehen haben! Und wer Memphis besucht, der möchte natürlich auch die authentische Musik hören. In meinem Hörbuch ziehe ich den Vergleich zur Hamburger Reeperbahn. Wenn du dort an den unzähligen Kneipen vorbeigehst, dann schallt auch immer mal wieder Auf der Reeperbahn nachts um halb eins heraus − aber das interessiert ja nicht wirklich jemanden. In Memphis ist das absolut anders! Dort wollen die Besucher genau die Klassiker hören, und da ist es eben egal, ob dort ein authentischer Blues-Musiker aus der aktuellen Szene spielt oder eine Cover-Band.«
Von der Reise zum 3-CD-Set
Auch wenn die Reise sich gut organisieren ließ − das gesamte Konzept umzusetzen war letztendlich gar nicht so einfach. Nach der Reise arbeitete Richie Arndt etwa eineinhalb Jahre daran, das gesammelte Material zu bearbeiten und weitere Recherchen der Fakten zu machen. Das war nötig, denn die zehntägige Reise führte ihn an die verschiedensten Orte, und die Zeit, Daten zu sammeln oder Aufnahmen zu machen, war immer äußerst knapp bemessen. »Im Vorfeld habe ich gar nicht so viel geplant, da dies vom Büro Memphis-Mississippi erledigt wurde. Ich konnte also davon ausgehen, dass ich schon an die wichtigen Orte kommen werde. Natürlich haben wir jede Menge Blues-Clubs besucht, haben in den tollsten Restaurants sehr gutes und authentisches Essen genießen können und in den verrücktesten Hotels übernachtet − wenn du mich fragst, das Spannendste überhaupt an der Reise. Das ging von der ›Vom Winde verweht‹- Südstaatenvilla bis zu restaurierten Baumwollpflücker-Hütten − eine einzigartige Möglichkeit, diesen speziellen Spirit der Gegend in sich aufzunehmen. Wann immer ich konnte, habe ich Interviews gemacht und vor allem O-Töne gesammelt. Das war mir sehr wichtig, um etwas von der Atmosphäre mitzunehmen. Wie klingt es z. B. am Grab von Robert Johnson? Du hörst dann im Hintergrund etwas Zikaden-Gezirpe und Vogel-Gezwitscher, aber halt andere Vögel, als es sie es hier in Europa gibt. Es klingt daher schon sehr anders. Oder du gehst in Memphis die Beale Street entlang und hörst die Straßenatmosphäre, wo aus jedem Club eine andere Bluesband hinaus auf den Walkway schallt, wenn du vorbeikommst. Für diese Aufnahmen habe ich gar keinen großen Recording-technischen Aufwand betrieben. Ich hatte einen kleinen Audio-Recorder von Olympus dabei, das hat super funktioniert.« Der Aufwand insgesamt hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn herausgekommen ist ein wirklich schönes 3-CD-Set, das eine Album-CD und zwei Hörbuch-CDs enthält − ein großes CD-Package plus Booklet, alles sehr liebevoll und umfangreich gestaltet mit vielen tollen Fotos von der Reise. Optisch und nicht zuletzt akustisch ein Genuss, denn die CDs sind professionell im Fox Music Studio in Westbevern bei Münster produziert.Die gesamte Produktion inkl. Studiomusiker, Studiokosten, Artwork und Pressung der ersten 1.000 CDs hat Richie 12.000,− Euro gekostet. »Dafür habe ich meine alte Stratocaster verkauft. Aber das war es mir wert«, sagt er stolz.
Das Hörbuch ist kurzweilig und macht Spaß, auch wenn man − so wie ich − mit Blues-Musik so gar nix anfangen kann. Der fast zweistündige Reisebericht, von Richie Arndt selber gelesen, ist im lockeren Erzählstil gehalten und mit vielen Geschichten und Anekdoten gespickt. Er lässt den Hörer an seinen Erlebnissen und Eindrücken teilhaben, Einspielungen von Musikfragmenten und O-Tönen lassen einen immer tiefer eintauchen in die Atmosphäre des Deep South der Vereinigten Staaten. Das Hörbuch hat mein Interesse für die Gegend auf jeden Fall geweckt − und mich auch der Blues-Musik ein gutes Stück näher gebracht. Der Besuch eines der für Anfang 2017 angesetzten Vortragskonzerte von Richie Arndt steht auf jeden Fall auf der Must-have/To-do-Liste für das neue Jahr.
Von der Blueskneipe auf die Theaterbühne
Die Produktion ist komplett in Eigenregie entstanden − das Booking der Vortragskonzerte übernimmt jedoch eine Agentur, die sich auf den Bereich von Lesungen und Kleinkunst spezialisiert hat − der wohl beste Weg, um ein anderes Publikum zu erschließen. Darum kümmert sich eine Münchner Agentur namens »Die Kulturmacherin«. Sie organisiert viele Auftritte in Volkshochschulen und Bibliotheken − überall dort eben, wo auch Lesungen stattfinden. Ab Januar geht’s los, am besten mal bei www.richiearndt.de vorbeischauen, dort findet man neben seinen Band-Projekten auch die Liste an bevorstehenden Terminen seiner Audiovisionsreportage + Konzert.
Zusätzlich kümmert sich Richie Arndt auch selber um Auftrittsmöglichkeiten. »Einen Auftritt im Mindener Theater z. B. habe ich selber schon lange im Vorfeld organisiert, da ich mal gesehen hatte, dass jemand dort eine Vortragsveranstaltung gemacht hatte − eben dieser typische Reisebericht als Dia-Vortrag. Da habe ich einfach nachgefragt, ob die sich vorstellen können, mit mir auch mal so was zu machen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht einmal viel Material − die CD war noch lange nicht fertig. Aber die zeigten gleich großes Interesse, und der Termin stand schon lange, bevor es überhaupt richtig losging.«