Verzerrung ist aufgrund der allseits bekannten technischen Gegebenheiten auch heute noch eine Analogdomäne. Mittlerweile gibt es eine stattliche Anzahl von Geräten, die speziell für diese Anwendung konzipiert wurden.
Natürlich lassen sich auch weiterhin „gewöhnliche” EQs, Kompressoren und andere Analoggeräte übersteuern – die Sättigung/ Verzerrung ist dann ein Nebenaspekt der eigentlichen Funktion des jeweiligen Gerätes. Schon länger erhältlich sind allerdings einige Outboard-Tools, deren Hauptaufgabe die Sättigung von Audiomaterial darstellt – Geräte wie der SPL Charisma oder der Empirical Labs FATSO haben beispielsweise längst den Status eines „modernen Klassikers”. Gerade in jüngster Zeit hat dieses Feld allerdings vielversprechenden Zuwachs bekommen. Geräte wie der Anamod ATS-1 sind noch nicht lange am Markt und werden bereits als Geheimtipp gehandelt. Im Folgenden stellen wir eine Auswahl der interessantesten Hardware-Sättigungstools vor.
AnaMod ATS-1
Die amerikanische Firma AnaMod ist relativ jung, wurde aber von zwei „alten Hasen” ins Leben gerufen: Greg Gualtieri (Pendulum Audio) und Dave Amels (Bomb Factory). Mit dem ATS-1 präsentieren die beiden Entwickler die bezüglich der Bedienelemente umfangreichste Hardware-Tape-Emulation, die derzeit erhältlich ist. Neben den obligatorischen Ein- und Ausgangspotis bietet das analoge Gerät eine Reihe von Funktionen, die dem Besitzer einer echten Bandmaschine bekannt vorkommen dürften. So lässt sich beispielsweise die „virtuelle” Bandgeschwindigkeit zwischen 7.5, 15 und 30 IPS (Inches per second) umschalten, außerdem bietet das Gerät eine einstellbare Frequenzkorrektur von Aufnahme- und Wiedergabeverstärker. Auch der Bypass ist stilecht gelöst: Zwei mit „Stop” und „Record” betitelte Knöpfe, die auch von einem Bandboliden stammen könnten, schalten das Gerät in den Signalweg bzw. nehmen es aus diesem heraus. Insgesamt jeweils vier Bandmaschinen- und Tape-Simulationen können mittels SIMM-Karten auf der Hauptplatine installiert werden. Werksseitig ist der ATS-1 mit Emulationen von Studer A800 und 3M M79 ausgestattet, außerdem mit den Industriestandard-Tapes Quantegy 456 sowie GP9. Mit seiner authentischen Soundpalette eignet sich das Gerät auch für komplexe Signale wie die Stereosumme.
Empirical Labs FATSO
Schon seit vielen Jahren hat Empirical Labs den FATSO im Angebot – einen umfangreich ausgestatteten Prozessor, dessen Herzstück eine Sättigungseinheit darstellt (s. KEYBOARDS 09/2005). Daneben verfügt das Gerät über einen ziemlich effektiven Preset-Kompressor und einen dynamischen EQ für das Höhenband. Der Sättigungsschaltkreis wird wie üblich über Input/Output-Potis angesteuert und liefert die zweite und dritte Harmonische in subtilen bis griffigen Klirrgraden. Ein zusätzlicher „Tranny”-Schaltkreis, der sich per Schalter aktivieren lässt, bildet die Klangeffekte eines Audioübertragers nach. Dies macht sich vor allem in einer Absenkung des Tiefbasses und einer Anreicherung der höheren Bässe und Tiefmitten mit zusätzlichen Obertönen bemerkbar. Das Innenleben des FATSO ist hybrid aufgebaut. Zwar ist der eigentliche Audiosignalweg vollständig analog aufgebaut, aber das Gerät verfügt über eine digitale Steuerung. „Echte” Röhren und Übertrager sucht man im Gehäuse jedoch vergebens. Als ausgesprochen vielseitig ausgestattetes Gerät mit mehreren Funktionsgruppen (der Kompressor verfügt sogar über Sidechain-Anschlüsse) kann das Kraftpaket zahlreiche Aufgaben erfüllen. Im Mixdown bietet er sich vor allem als Subgruppen-Prozessor an – sehr heftige Verzerrungen sind seine Sache nicht, vielmehr ist die Sättigung gerade auch im Zusammenspiel mit anderen Komponenten gut geeignet, um beispielsweise einer allzu scharfen Drum-Gruppe Pfund und „analoge Schwere” zu verleihen.,
Rupert Neve Designs Portico 5042
Nach einem Facelifting (s. SOUND & RECORDING 3/2006) präsentiert sich der Portico 5042 nun mit cremefarbener Frontplatte und aus Metall gefrästen Potiknöpfen, was das Gerät nun nochmals wertiger erscheinen lässt als die erste Version. Das Innenleben des Portico beschreitet einen interessanten Weg: Pro Kanal stehen miniaturisierte Wiedergabe- und Aufnahmeköpfe zur Verfügung, welche das Audiosignal via Induktion passieren muss – einzig das Tape selbst „fehlt” in diesem Plot. Bei einem Gerät aus der Feder der britischen Audiolegende ist es natürlich Ehrensache, dass der 5042 über mit Übertragern symmetrierte Anschlüsse verfügt. Der Klirrfaktor lässt sich über ein Saturation-Poti justieren, das Trim-Poti definiert dann den Ausgangspegel. Zur Klanggestaltung steht zusätzlich eine Umschaltmöglichkeit zwischen „virtuellen” 7,5 und 15 IPS zur Verfügung. Diese greift aber dezenter in den Klang ein als beim AnaMod.
Auch der Portico versteht sich eher auf subtilere Eingriffe, das Abrunden eines scharfkantigen Programms. Innerhalb dieser Bandbreite ist jedoch viel möglich – das Spektrum des 5042 reicht von sahnigen Bässen und Vocals bis hin zu HipHop-Drums aus der übersteuerten Boombox.
SPL Charisma
Eines der ältesten Geräte in diesem Reigen ist der Charisma von SPL, ein Stereoprozessor, der auf Basis zweier 12AX7-Doppeltrioden arbeitet. Mit einem erfreulich simpel aufgebauten Signalweg liegt das Gerät einsam am unteren Ende der Preisspanne der hier vorgestellten Geräte. Verzerrung und Ausgangspegel werden via Drive und Output eingestellt, daneben verfügt jeder Kanal noch über ein „Charisma”-Poti. Hiermit wird das Sättigungsverhalten der Röhren stufenlos von Soft- nach Hard-Clipping variiert. In der Einstellung „soft” setzt die Verzerrung weicher ein, in Richtung „hard” verändert sich auch das Obertonspektrum. Die Harmonischen werden dichter, mit einem Fokus auf vergleichsweise „kuschelige” Mittenfrequenzen – beim Linksanschlag klingt das Gerät vergleichsweise „Hi-Fi” mit recht geradem Frequenzgang, dreht man aber das Charisma-Poti auf, so kommt ein sehr lebendiges Mittenspektrum ins Spiel.
Abgesehen von einer leichten Zurückhaltung im Air-Band kann das preisgünstige Gerät definitiv auf Augenhöhe mit deutlich teureren Konkurrenten mithalten. Es sind subtile Sättigungseffekte möglich, aber auch eine brachiale Verzerrung, bei der der Bassbereich stets sehr druckvoll bleibt. Über das gesamte Spektrum bleibt der Sound stets körperlich und homogen, hier hat der Charisma die Nase im Vergleich sogar ziemlich weit vorne.
SPL Rack-Pack TwinTube-Modul
Auch für das jüngst vorgestellte Rack-Pack-System hat SPL ein Sättigungsmodul im Angebot. Mit getrennten Einstellmöglichkeiten für Harmonics/Obertöne und Saturation/ Sättigung beschreitet der Einschub funktional eigene Wege. Auch der TwinTube basiert auf 12AX7-Röhren, und er kann auf Wunsch mit Lundahl-Übertragern ausgestattet werden. Beide Funktionsgruppen lassen sich getrennt aktivieren, und der Harmonics-Schaltkreis bietet sogar eine Auswahl unterschiedlicher Ansatzfrequenzen. Klanglich liegt der TwinTube von allen hier vorgestellten Geräten am weitesten auf der feingeistigen Seite. Muskulöse, schwere Drums sind seine Sache nicht so sehr, dazu produziert der TwinTube zu komplexe Signale, vor allem in der Time-Domain. Wer aber beispielsweise eine Art Exciter für Lead-Vocals sucht, findet hier eine gute Alternative zu einem „gewöhnlichen” EQ.
Thermionic Culture Vulture
Der Culture Vulture von Thermionic gehört ebenfalls zu den jüngeren Geräten in dieser Übersicht. Als reinrassiges Röhrengerät bietet das britische Kraftpaket Trioden- und Pentoden-Sättigung. Pro Kanal befinden sich jeweils eine EF86 und eine 5963 als Ein- und Ausgangsröhren unter der Haube. Die Verzerrung wird mittels zweier 6AS6-Pentoden realisiert.Verzerrung und Ausgangspegel werden mittels Drive und Output justiert, dazu kommt noch ein Bias-Poti für das Einstellen des Ruhestromes der 6AS6-Röhren. Der Culture Vulture bietet drei Distortion-Modi mit sehr unterschiedlichen Charakteristiken: Triode (eher rund), Pentode (deutlich schärfer) sowie einen weiteren Pentoden-Modus, der in Extremeinstellungen sogar Chorus-artige Klänge erzeugt. Mittels Overdrive-Schalter lassen sich auch heftigste Verzerrungen aus dem Gerät herausholen, die einem Hi-Gain-Gitarrenamp in nichts nachstehen.
Die Standardversion wird mit unsymmetrischen Anschlüssen geliefert und bietet sich damit für den Einsatz mit Gitarren oder Synthesizern an. Eine Mastering-Version mit übertragersymmetrierten Anschlüssen und gerasterten Potis ist ebenfalls erhältlich. Der Thermionic ist nicht nur als Verzerrer auf Einzelsignalen gut, er liefert bei Bedarf auch sehr subtile Sättigungsprodukte für Subgruppe und Summe. Aufpassen muss man jedoch mit den Tiefbässen: Hier geht das Gerät bei heftigeren Einstellungen gerne in die Knie bzw. ins Hard-Clipping.