Sound-Design durch Übersteuerung von Audiosignalen Vol.3
von Hannes Bieger, Artikel aus dem Archiv
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Es sind vor allem die Sättigungseffekte, die in der analogen Domäne auch ohne den Einsatz von Brickwall-Limitern relativ dichte und laute Mischungen ermöglichen. Da die Signalverarbeitung innerhalb der DAW solche Sättigungseffekte aber von Haus aus nicht mitbringt, ist es in der digitalen Domäne erst einmal schwieriger, ohne Dynamiktools auf einen anständigen RMS-Pegel zu kommen.
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Dieses Problem sollte durch den Einsatz von Sättigungs-Plug-ins eigentlich zu lösen sein. Die Realität sieht jedoch anders aus: Das Verrunden von Peaks in der Time-Domain, eigentlich ein dem Effekt der Sättigung/ Verzerrung zugrundeliegendes Phänomen, scheint vielen Sättigungs-Plug-ins Schwierigkeiten zu bereiten.Teilweise hat ihr Einsatz wenig bis keinen Effekt auf die Lautheit eines Signals, teilweise erzeugen sie sogar ein ungünstigeres Peak-to-Average-Verhältnis. Ausnahmen sind hier lediglich URS Saturation, PSP Vintage Warmer und Sonnox Inflator, wobei Letztere beide über eine eingebaute Limiter-Funktion verfügen. Nun, es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein … Nichtsdestotrotz lassen sich mit den vorgestellten Sättigungs-Plug-ins schöne Klangeffekte realisieren. Doch auf einen zusätzlichen Limiter kann auch beim Einsatz vieler dieser Tools vorerst nicht verzichtet werden, wenn das Ziel eine größere Lautheit ist.
Für diese Übersicht haben wir uns auf Sättigungs-Plug-ins für native Systeme beschränkt, die auf den beiden gängigen Rechnerplattformen – also für Mac und PC – erhältlich sind. Die Welt der Prozessorkarten sowie der integrierten Systeme (wie etwa Pro Tools HD) haben wir außen vor gelassen.
PSP VintageWarmer
Der VintageWarmer vom polnischen Hersteller PSP gehört zu den Platzhirschen in diesem Metier; kürzlich wurde im Rahmen der Version 2 Modellpflege betrieben. Hinter dem VintageWarmer verbirgt sich ein umfangreich ausgestattetes Werkzeug, das Limiter, Multiband-Kompressor, 2-Band-EQ und eben eine Sättigungsfunktion in einem Plug-in vereint. Diese Ausstattung macht dieses Werkzeug zu einem oft gesehenen Arbeitspferd auf Subgruppen- und Summensignalen. Für den Klangvergleich blieben EQ und Multibandkompressor der Fairness halber außen vor, lediglich der Limiter kommt dem Endergebnis zugute: Der VintageWarmer bringt nicht nur subtilen bis rotzigen Schmutz ins Klanggeschehen, er ist auch ein hervorragender Lautmacher – und als solcher eine gute Alternative zu „gewöhnlichen” Brickwall-Limitern. Er ist mit zahlreichen Bedienelementen ausgestattet, aber man kommt trotzdem schnell zu guten Ergebnissen – was man generell nicht von allen Plug-ins behaupten kann.
Wichtiger Bestandteil der umfangreichen Plug-in-Suite von Sonnox ist der Inflator. Diese Plug-ins gehen zurück auf die legendäre digitale Sony-Konsole OXF-R3 mit dem Spitznamen „Oxford”, ein imposantes Schlachtschiff der späten 80er-Jahre. Im Aufbau einem klassischen Brickwall-Limiter nicht unähnlich verfügt der Inflator über zwei Input/Output-Fader, sowie über zwei weitere, die den Effektanteil und das Ansprechverhalten des Sättigungseffektes kontrollieren. Dazu noch die Option zwischen Ein- und Dreiband-Betrieb, und das war es dann auch schon – das übersichtliche Layout macht den Einsatz des Inflator zum Kinderspiel. In klanglicher Hinsicht belegt das Plug-in die Pole-Position dieser Übersicht: Der Sound bleibt stets kohärent und kompakt, das Plug-in kann dezente bis äußerst muskulöse Klangresultate liefern, und ein Lautmacher ist es obendrein. Mit diesen Eigenschaften kommt es den Charakteristiken eines typischen analogen Sättigungseffektes sehr nahe.
Die französisch-amerikanische Schmiede TriTone Digital biete eine ganze Palette an Plug-ins, die sich eine klangmalerische Attitüde auf die Fahne geschrieben haben. ColorTone-Pro bietet Klangfärbungs-Optionen, die unter anderem mit Hilfe der Faltungstechnologie realisiert werden. Man kann auch eigene Impulsantworten laden, das Plug-in wird aber schon mit einem ausgesprochen umfangreichen IR-Paket geliefert. In der sicherlich dreistelligen Liste finden sich verschiedene Bandmaschinen, zahlreiche Outboard-Klassiker und sogar Dolby-Encoder. Mittels Color-Fader kann die Klangsignatur einer Impulsantwort bis zur völligen Überzeichnung intensiviert werden, und „Warmth” stellt zusätzliche Obertöne zur Verfügung. Input und Output kontrollieren die GainStruktur, wobei die Klangveränderung durch einen höheren Eingangspegel eher auf der subtilen Seite liegt. Die typischen Frequenzgänge der Vorbilder fangen die mitgelieferten Impulsantworten recht plakativ ein, doch mit zeitvariablen Klangaspekten wie eben Sättigung oder Kompression tut sich Faltung prinzipbedingt schwer. Ton-Shaping funktioniert also gut mit diesem Plug-in, TransientenShaping hingegen nicht wirklich – ein Fall für den nachgeschalteten Kompressor/Limiter. Der recht einfach aufgebaute Effekt ValveTone greift drastisch in den Sound ein. Mit einem eher blechernen Grundsound bietet er sich vor allem für Lo-Fi-Effekte an.
Die URS-Masterminds haben ein legendäres Tonstudio in New York betrieben, bevor sie sich in der Softwarebranche engagierten. Trotz dieses Backgrounds spielen nicht alle Plug-ins des Herstellers an vorderster Front mit, aber Saturation kann URS definitiv auf der „Haben-Seite” verbuchen. Das kleine schlanke Plug-in kommt mit drei Reglern für Input/Output und Intensität der Sättigung aus, und es bietet vier verschiedene Modelle, die sich an verschiedenen Hardwarevorbildern orientieren: Ein Motown-Röhren-Preamp, eine allseits bekannte deutsche Röhrenkassette aus den 50er-Jahren, ein Neve-Gerät und ein „moderner” Transistorvorverstärker. Das Motown-Modell funktioniert am besten, es erlaubt auch stärkere Sättigungseffekte bei stabilem Sound. Und ganz ohne (offensichtlichen) Limiter hat Saturation tatsächlich Einfluss auf den Pegel der Transienten in einer Weise, wie man das in der analogen Domäne gewohnt ist. Gemeinsam mit dem Inflator teilt sich URS also den Spitzenplatz in den Kriterien Sound, Handhabung und Transientenkontrolle.
Hersteller: URS
Internet: www.ursplugins.com
Schnittstellen Mac: VST, RTAS, AU
Schnittstellen PC: VST, RTAS
Kopierschutz: iLok (nicht im Preis
enthalten)
Preis: $ 200,– (derzeit gültiger
Einführungspreis; später $ 249,–)
VirSyn VTape Saturator
Der VTape Saturator aus dem deutschen Hause VirSyn ist ausschließlich im Bundle mit einem Tape-Delay erhältlich (siehe SOUND & RECORDING 01/2008). Als reiner Tape-Simulator stehen auch die Parameter „Hiss” (Rauschen) und „Flutter” (Gleichlaufschwankungen) zur Verfügung – und darüber hinaus ein 3-Band-EQ.
Damit präsentiert sich auch dieses Plug-in mit einem überschaubaren Funktionsumfang, der sich leicht kontrollieren lässt. Der Sättigungseffekt selbst klingt recht authentisch, von Haus aus aber einen Tick zu scharf – gut, dass man dann gleich zum eingebauten EQ greifen kann. In Bezug auf den „analogen” Klangcharakter der Sättigung liegt der VTape Saturator im Feld recht weit vorne, doch die Time-Domain ist auch hier ein Bereich, in dem Updates noch etwas herausholen können. Ein „Lautmacher” im Sinne einer analogen Mastermaschine ist das Plug-in nämlich nicht.
Gut drei Dutzend Plug-ins hat Aleksey Vaneev mit seiner nordwestrussischen Firma Voxengo im Angebot – darunter befinden sich auch die Sättigungstools Crunchessor und VariSaturator. Da sich der Crunchessor auf unserem Testsystem nicht zur Audioausgabe überreden lassen wollte, muss sich die genauere Betrachtung an dieser Stelle auf den VariSaturator beschränken. Dieser macht seinem Namen alle Ehre: Durchgehend zweibandig ausgelegt, bietet das Tool zwei Sättigungsstufen („Valve” und „Digital”) sowie eine ausgefeilte Routing-Matrix. Zunächst können Eingangspegel und Crossover-Frequenz festgelegt werden, danach geht es dann durchgehend zweibandig weiter bis zum Ausgang. Etwas mühselig ist, dass das Plug-in nicht über einen globalen Regler für den Ausgangspegel verfügt, sondern über insgesamt zwei (einen in jedem Band) – das macht die Pegeleinstellung zum Geduldsspiel. Der Vorteil der Zweibandigkeit ist jedoch, dass man umfangreiche Eingriffe in den Klang ausführen kann. So lässt sich beispielsweise der Bass mit Harmonischen anreichern, während die Höhen schön transparent belassen werden. Auch der VariSaturator ist letztlich eher ein Klangfärber – ein deutlicher Pegelgewinn steht hier nicht zur Debatte.