Spuren im Stein

Filmmusik und Sound-Design zur vierteiligen SWR-Dokumentation

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(Bild: SWR)

Dass Filmmusik emotionale Aspekte eines Filmes zum Klingen bringt, lässt sich beispielsweise bei einem Actionfilm sehr leicht nachvollziehen, wenn die Musik den Wettlauf mit der Zeit dramatisch zuspitzt, oder aber auch bei einer Liebesschmonzette, wenn die Protagonisten von süßlich fiedelnden Streichern und der obligatorischen Oboe umgarnt werden. So weit, so plakativ. Aber wie verhält es sich bei einer Dokumentation? Oder noch besser, einer Reihe von Dokumentationen, die allesamt Geologie zum Hauptthema haben?

Es war heiß war, als mich die Anfrage ereilte, ob ich die Filmmusik und das Sound-Design für die vierteilige SWR-Reihe »Spuren im Stein« komponieren und produzieren möchte. Freudenstrahlend nahm ich mich des Projektes an, wohl wissend, dass es unter der Federführung eines geschätzten Redakteurs inhaltlich wie organisatorisch unter einem guten Stern stehen mag.

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Die Filme

Also fahre ich zum ersten Arbeitstreffen. Beim Anschauen einiger Sequenzen des Rohschnitts der ersten Folge wird mir recht schnell klar, dass es momentan noch schwer einzuschätzen ist, wohin die Reise musikalisch eigentlich gehen soll. Denn einerseits gibt es im Film viele beeindruckende Landschaftsaufnahmen und Flüge, die für orchestrale Musik wie geschaffen sind, andererseits aber auch moderne Sequenzen, z. B. von maschineller Textilproduktion − abgesehen von faszinierenden Animationen aus dem Jurazeitalter, als sich über großen Teilen Deutschlands noch ein Meer befand, und darüber hinaus den Neuinszenierungen aus der Steinzeit oder dem Mittelalter.

Ein großer naturgeschichtlicher Bogen also, von der Entstehung bis heute. Was filmisch natürlich sehr interessant ist, kann filmmusikalisch gleichzeitig eine ziemliche Herausforderung werden, wenn all die verschiedenen Handlungsstränge unter einen musikalischen Hut gebracht werden wollen. Richtet man den Blick auf die komplette Filmreihe, wird die Aufgabe nicht einfacher, denn als großes, gemeinsames Thema widmen sich die Folgen zwar der Naturgeschichte des Südwestens Deutschlands, aber jeder der vier Filme dreht sich dabei um sein eigenes Thema, das natürlich auch musikalisch reflektiert werden möchte − als da wären: die Geschichte der Schwäbischen Alb, des Oberrheingrabens, des Saarlands und der vulkanischen Eifel, inklusive herrlich-bombastischer Vulkanausbrüche, die das Sound-Designer-Herz höher schlagen lassen.

Darüber hinaus hat jeder Film, trotz aller offensichtlichen Gemeinsamkeiten, die sich durch die Reihe ziehen und diese verbinden – wie Moderatoren, Grafiken, Animationen, Redaktion etc. – auch eine latent unterschiedliche künstlerische Handschrift, weil jeder Film von einem anderen Regisseur bzw. einer anderen Regisseurin konzipiert und realisiert wurde.

Die Bergbau und die Stahlindustrie haben das Saarland stark geprägt. Hier kamen schwere und verzerrte Beats zum Einsatz. (Bild: SWR)

Die Filmmusik muss also den Spagat schaffen, einerseits alle vier Folgen zu verbinden und eine Wiedererkennbarkeit bzw. Zugehörigkeit zur Reihe herzustellen, andererseits aber auch jeden Film separat sinnvoll zu bedienen, d. h. auf die jeweils darin vorkommende Thematik, Ästhetik, den Rhythmus, die Dramaturgie usw. einzugehen, damit er musikalisch auch außerhalb der Reihe, nämlich als alleinstehender Film, Sinn ergibt und funktioniert.

Konzept

Ein starkes verbindendes Element mit hohem Wiedererkennungseffekt ist natürlich immer ein markantes musikalisches Hauptthema, das sich durch alle Folgen zieht. Dementsprechend gibt es auch für »Spuren im Stein« eine gemeinsame Titelmusik, die jeden Film eröffnet. Meiner Meinung nach sollte sie ein positives Gefühl von Freiheit, Abenteuerlust und Größe vermitteln, um den Zuschauer neugierig auf die großartige Natur zu machen, und ihn auf eine Entdeckungsreise durch die verschiedenen Zeiten und Regionen mitnehmen.

Deshalb habe ich die Titelmusik hauptsächlich orchestral angelegt. Einerseits, um die einer Naturgeschichte angemessene Größe zu erreichen, aber auch, um die natürliche Harmonie und Vielschichtigkeit widerzuspiegeln und gleichzeitig durch die Instrumentierung die größtmögliche Identifikation mit dem Thema Natur zu erreichen. Die Titelmusik fungiert auch als übergreifendes Maintheme, das immer wieder in den unterschiedlichsten Varianten und Besetzungen in den Filmen aufgegriffen wird. Trotzdem hat natürlich auch jeder Film sein eigenes, wiederkehrendes Thema.

In die Titelmusik sind darüber hinaus auch modernere Elemente eingewoben, die den Vorspann eröffnen. So erklingt im Intro eine Westerngitarre zusammen mit flirrenden Synths. Die Gitarre spielt dann beim später einsetzenden Orchester ebenfalls mit und leitet im Outro, im Duett mit einer Querflöte, in den jeweiligen Film über.

 

Durch diese Elemente, aber auch durch den Rhythmus des kompletten Vorspanns, entfernt sich der Stil ein wenig vom typisch klassischen Score, und es wird ein wenig mehr Zeitgeist eingehaucht, was meiner Meinung nach wichtig war, weil die Moderatoren Lena Ganschow und Sven Plöger die Filme ja aus der Perspektive der heutigen Zeit moderieren.

Mittlerweile konnte ich absehen, dass musikalisch viel Potenzial verschenkt werden würde, wenn alle vier Filme nach dem gleichen Strickmuster und im selben Stil mit Musik versehen wären. Denn durch die Individualität der in jedem Film beleuchteten Region und der daraus resultierenden Thematik ergeben sich selbstverständlich auch unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte der jeweiligen Filme, die sich wiederum in unterschiedlichen Bildern und Stimmungen ausdrücken, welche letztendlich natürlich für die Musik relevant sind. Hier überall nach Schema F mit Orchester drüberzubügeln wäre zwar verlockend, aber auch gleichzeitig nur die halbe Wahrheit. Dass überall auch orchestral bzw. zumindest mit Streichern gearbeitet wird, war klar. Aber wie klingt die restliche Musik im Film, und wie verteilt sie sich?

Musik

Also ging es nun daran, den Fokus der einzelnen Filme auch musikalisch herauszuarbeiten und zum Klingen zu bringen. Bei der Geschichte der Schwäbischen Alb von Regisseur Dirk Neumann sind das, stark vereinfacht gesagt, zwei Welten: Auf der einen Seite eine grandiose Natur, auch mit einer teils wilden, einfachen oder kargen Schönheit, und auf der anderen Seite eine technische Welt, z. B. die der Textilindustrie, die man in dem Idyll der Alb so nicht unbedingt vermutet hätte. Die naturnahen Themen sind mit echten Instrumenten bedacht, aber in einem weiten stilistischen Bogen, der vom Orchester- bis zum Bandkontext reicht. Die Besetzungen sind öfter auch klein, mit einfacheren, aber aussagekräftigen Instrumenten. Die eher technischen, naturferneren Themen erklingen meist mit Beat-lastigen, perkussiveren, oftmals elektronischen Instrumenten, die aber meist trotzdem organisch daherkommen, wie Rhodes oder Funk-Bässe, und auch öfter mit Gitarren durchsetzt sind.

Bei dieser groben Aufteilung gibt es natürlich auch immer Abstufungen und Ausnahmen, aber auf diese Weise konnte gut eine thematische Trennung erreicht werden, ohne den roten Faden zu verlieren, der sich ja durch den kompletten Film ziehen soll. In der Geschichte des Saarlandes von Regisseur Tilman Büttner offenbart sich wiederum eine ganz andere Welt. Hier befindet sich der Zuschauer oftmals unter Tage, beim Kohleabbau oder in der Vergangenheit bei der Kohleentstehung, aber auch beim Weinbau und der Stahlherstellung. Dem oftmals düstereren, geheimnisvolleren Charakter des Films wird hauptsächlich mit recht kühler elektronischer Musik Rechnung getragen, mit Soundcollagen und Flächen oder aber z. B. im Walzwerk mit kreischenden Sounds bzw. schweren, verzerrten Beats. Diese stehen dann im Gegensatz zu den eher leichteren E-Gitarren, wenn es in die lichteren Regionen des Films geht.


An Musik und Sound-Design werden je nach Film recht unterschiedliche Anforderungen gestellt. So ist nicht nur musikalisch ein großer stilistischer Umfang nötig, um all den verschiedenen Themen und Stimmungen der vier Filme adäquat begegnen zu können. Auch beim Sound-Design gibt es ein breites Spektrum von Natur- bis zu Industrie-Sounds sowie Sounds für Zeitraffer- oder Slow-Motion-Sequenzen.


Als Besonderheit in diesem Film galt es, eine bestehende Musik einzubinden, die bei einem Wochenschau-ähnlichen Ausschnitt bereits mit dem Sprecher im Original verbacken war. Selbstverständlich in bekanntem Stil und mit leicht angezerrtem und im Frequenzgang beschnittenem Sound. Unerfreulicher Weise lag dieser Ausschnitt genau zwischen zwei Sequenzen, in denen ebenfalls Filmmusik vorgesehen war, die ich aber vom Stil her gänzlich anders haben wollte − nämlich modern, elektronisch und ziemlich Beatlastig.

Um also die Übergänge so geschmeidig wie möglich zu halten, habe ich einerseits das Tempo meiner Musik angepasst, damit es möglich war, auf einen Taktanfang zum bestehenden Stück zu wechseln. Andererseits habe ich die in der historischen Musik sehr präsente Trompete in meiner Musik vorweggenommen bzw. im darauffolgenden Cue ausklingen lassen. Dafür musste eine Trompete der VSL-Library herhalten, die ich vom Sound her stark verbogen und in etwa an die Trompete in der historischen Musik angeglichen habe, sodass die Trompete nun bereits in meiner Musik einsetzten konnte und der Wechsel zum nächsten Cue nicht zu heftig war, weil er damit quasi schon vorbereitet wurde.

Bei der Geschichte der vulkanischen Eifel von Regisseurin Dorothea Maria Schwab ist dann großes Besteck angesagt. In diesem Film dreht sich alles um Vulkane, Ausbrüche und deren Randerscheinungen, mystische Magmakammern, Fledermaushöhlen, Römer, usw. Hier war es größtenteils möglich, musikalisch in der gleichen Ästhetik zu bleiben, und die ist erwartungsgemäß orchestral und kolossal ausgefallen, an einigen Nebenschauplätzen aber auch sphärischer oder ruhiger.

Zu guter Letzt bleibt noch die Geschichte des Oberrheingrabens von Regisseur Harald Brenner, die musikalisch eher wieder in Richtung der Schwäbischen Alb geht, thematisch bedingt allerdings nicht so reduziert angelegt ist, weil hier Kargheit bzw. Einfachheit regional kein Thema ist und im Film dementsprechend nicht vorkommt. Die Musik bringt diesmal auch kaum Elektronik mit, dafür aber reichlich E- und A-Gitarren und einen Flügel, der das Hauptthema dieses Films begleitet.

Produktion

Leider war schon von Anfang an klar, dass es kein Orchesterbudget geben wird, was bei dem nicht zu verachtenden Anteil orchestraler Musik sicherlich von Vorteil gewesen wäre. Aber zum Glück ist der Standard der Orchestersimulation mittlerweile so hoch, dass damit sehr glaubwürdige Ergebnisse erzielen werden können. Was nicht heißen soll, dass ein echtes Orchester im A/B-Vergleich derselben Musik nicht glaubwürdiger und facettenreicher wäre. Da es aber diesen Vergleich in den Filmen ja glücklicherweise nicht gibt und vor allem, weil sich die Hörgewohnheit der Fernsehzuschauer mittlerweile auf das in der Fernsehlandschaft allgegenwärtige MIDI-Orchester eingegroovt hat, hatte ich keine Bedenken, die komplette Produktion im Rechner zu fahren − was natürlich nicht unaufwendig ist, wenn man es richtig machen möchte.

Oberreingraben (Bild: SWR)

Nun ja, und der hohe Aufwand wurde dann noch unter Beachtung des nicht unbedingt üppigen Zeitplans ein wenig intensiviert. Denn abgesehen vom ersten Film blieben pro Film im Schnitt ungefähr 6 Wochen, um ca. 30 Minuten Filmmusik zu komponieren und produzieren, d. h. fertig gemischte und gemasterte Musik zuzüglich des Sound-Designs, das je nach Komplexität und Quantität im Film ebenfalls recht zeitaufwendig ausfallen konnte.

Sound-Design

Und zeitaufwendig war das Sounddesign definitiv bei »Die Geschichte der vulkanischen Eifel«, was aber auch nicht unbedingt verwundert, wenn hier ständig mal ein Vulkan glaubwürdig eruptieren oder die eine oder andere Magmakammer hörbar gemacht werden soll. Hier war es z. B. wichtig, dass die Eruption einerseits gewaltig ist, da es sich um den größten Vulkanausbruch in Mitteleuropa der letzten Million Jahre handelt, aber auch gleichzeitig detailliert, sodass verschiedene Sounds auf die Aktionen im Bild gesetzt werden können, ohne im allgemeinen Getöse unterzugehen. So setzt sich ein Sound-Design für die Sequenz des Vulkanausbruchs schnell aus 20 oder mehr gleichzeitig erklingenden Sounds zusammen, die natürlich auch gerne noch automatisiert und mit Plug-ins verbogen sind.

Selbstverständlich soll dann noch Platz für die Musik bleiben, die natürlich ebenfalls laut und gewaltig war − und ganz am Ende kommt dann noch der Sprecher drauf. Kein unkompliziertes Unterfangen, das zu Anfang gut durchdacht werden will, bevor man Arbeit für die Tonne produziert und länger braucht, als Zeit vorhanden ist.

Aber auch abseits der Animationen ist Sounddesign natürlich mehr oder weniger gefragt. So gibt es viele kleine Sequenzen in jedem Film, in denen der Ton nachvertont werden muss, weil er z. B. nicht optimal geangelt werden konnte oder weil bei der Aufnahme starke Störgeräusche im Hintergrund vorhanden waren. Außerdem hat jeder Film seine durch die Thematik vorgegebenen Soundwelten, die herausgearbeitet werden wollen. Hier werden dann z. B. Atmos angelegt oder auch Sounds von Tieren, Tropfsteinen, blubbernden Mofetten, vorbeifahrenden Schiffen, riesigen Industriegreifern usw. Die Drohnen- und Hubschrauberflüge, die selbstverständlich auch nicht ohne Sound bleiben dürfen, sollten dabei ebenfalls nicht zu kurz kommen. Und nicht zu vergessen, all die Slow-Motion- und Zeitraffer-Sequenzen, bei denen wir natürlich auch hören wollen, ,,wie das Gestein in sich zusammenbricht, eine Wolke voller Pollen aus der Haselnussblüte herausgeweht wird oder wie die Linsen im Zeitraffer wachsen.

Vulkanausbruch in der Eifel (Bild: SWR)

Insgesamt war es eine schiere Freude, die hochwertigen Animationen der Filme auf der Audioebene zum Leben zu erwecken, denn jeder Film hatte seine thematischen Unterschiede, die für Abwechslung sorgten. Teilweise gab es auch kleine Stolperfallen. Beim Meer des Jura-Zeitalters z. B. hatte ich zuerst Möwen angelegt, bis sich herausstellte, dass es zu dem Zeitpunkt noch gar keine Möwen auf der Erde gab …

Abspann

So − und wie klingen jetzt eigentlich Spuren im Stein? Vielfältig und unterschiedlich. träumerisch, bedrohlich, harmonisch, dissonant, funky, rockig, elektronisch, klassisch und so weiter und so fort – so vielfältig und unterschiedlich wie die Auslöser, die seinerzeit Spuren im Stein hinterlassen haben, bzw. die Geschichten, die sich bis heute auf diesen Spuren zugetragen haben.

Die Reise durch die vier Regionen Deutschlands und durch die Epochen der Zeit hat sehr viele Facetten ans Licht gebracht, die auch musikalisch ihre Entsprechung finden, um jeweils die passenden Emotionen zu evozieren − mal Actionfilm, mal Liebeschmonzette, mal Entdeckungsabenteuer und so weiter − und das alles unter einem Dach, ohne den roten Faden zu verlieren. Oder um es musikalisch auszudrücken: Papa was a rolling stone, wherever he laid his hat was his home …


Die Filme im Internet

Die komplette Reihe mit allen vier Filmen ist im Web in ein sehr schönes Webspecial eingebettet und dort abrufbar: www.swr.de/spuren-im-stein

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