In den vergangenen Jahren hat sich mein Verhältnis zu Equipment stark verändert. Vor vielen Jahren habe ich mich im kleinen Homestudio zugebaut und eine Hardware-Legende nach der nächsten ergattert. Dann kam die Phase der Digitalisierung, wo ich alles Unnütze wieder rausgeworfen habe und manche Dinge nun prima durch Software ersetzen konnte. Aber mittlerweile interessiere ich mich viel mehr dafür, wie jemand spielt, als dass ich mich frage, mit welchen vielleicht bescheidenen Mitteln ich diesen Moment einfangen soll.
Man sagt ja immer, dass niemand bei einem Song die Marke des Mikrofons pfeift. Es geht am Ende immer nur um den Song, die Melodie, Emotionen und das Zusammenspiel der Musiker. Keinen interessiert es doch wirklich, wie der Kram aufgenommen wurde! Unsere eigentliche Aufgabe ist es, diesen Prozess im Hintergrund so zu unterstützen, dass niemand mitbekommt, was wir da überhaupt tun.
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Room-Mic Statt Talkback
Insbesondere, wenn man nicht nur Vollprofis und Berufsmusiker vor dem Mikro hat, ist diese Denkweise manchmal mehr wert als das teuerste Equipment. Jedes größere Mischpult und jeder bessere Monitor-Controller bietet beispielsweise eine Talkback-Funktion. Gedacht ist das Ganze für den seltenen Fall, dass man auch mal mit den Musikern kommunizieren möchte − zumindest ist die Taste bei vielen Geräten oft so unglücklich angebracht, dass man sie wohl eher gar nicht benutzen möge.
Leider beschränken sich viele Techniker auf simple Regieanweisungen und lassen die Musiker bisweilen völlig hilflos in der für sie ungewohnten Studioumgebung alleine. Der kreative Moment soll am besten auf Knopfdruck passieren! Und während sich die Musiker dann nach einem simplen »Geht los ab der Bridge, Click kommt!« in ihren Kopfhörern verkrampft konzentrieren und bemühen, keine Fehler zu machen, ist doch all die Emotionalität verschwunden, die wir überhaupt in Bits und Bytes auf unseren Festplatten verewigen wollten! Egal was für ein Mikro da jetzt steht: Das, was wir einfangen wollten, ist eh schon weg!
Um all das zu vermeiden, habe ich mir angewöhnt, ein Mikro im hinteren Regiebereich für die Mitmusiker sowie ein Mikro neben meinem Bildschirm aufzubauen. Beide bleiben häufig längere Zeit auf den Kopfhörermix geschaltet, bei Overdubs möglichst sogar durchgehend. Ja, man kann dann in der Regie nicht über die neueste Handy-App quatschen, während die Sängerin sich durch ein Vocal-Layer nach dem nächsten quält. Aber ganz ehrlich: Wenn die halbe Band hinten vom Studiosofa aus mitsingt, schwierige Übergänge einzählt und ihr ein direktes Feedback und Anregungen gibt, dann entsteht eine ganz andere Atmosphäre, weil jetzt alle Musiker gemeinsam an ihrem Song feilen und etwas aufbauen.
Nicht nur Messdaten
Natürlich ist auch das Equipment wichtig, aber auch dort möchte ich mal einen ganz anderen Ansatz bewerben. Bau einfach mal jedes deiner Mikros auf, schnapp dir deine Monitoring-Kopfhörer, und stell die Situation her, die deine Musiker erleben. Meine Erfahrung dabei war, dass für meine Simme ein SM57 gut klang, ein SM7b der absolute Oberhammer war, hingegen fühlte sich so manches wesentlich teurere Kondensator-Großmembranmikro einfach nicht gut an! Die Aufnahme war zwar auch bei diesen Mikros aus soundtechnischer Sicht spitze, aber wenn ich da rein sprach, dann passte es irgendwie nicht und fühlte sich komisch an.
Übrigens solltest du bei solchen Negativ-Effekten auch mal den Schalter für die Phasenumkehr an deinem Vorverstärker testen, denn manchmal ist das Mikrofon gar nicht schuld …
Inzwischen habe ich auch die Illusion aufgegeben, dass es immer am Preis des vorhandenen Equipments liegt, denn manchmal passt selbst ein günstiger Klassiker wie etwa das SM57! Es gibt heute für weniger als 100 Euro Studiomikrofone, die weitaus professioneller aussehen als manche echte Tonstudio-Legenden. Aber die Frage ist am Ende des Tages, ob sie wirklich diesen magischen Moment erzeugen oder ob nicht ein ganz einfaches dynamisches Bühnenmikrofon besser zu deinen Anforderungen passt?
Falls du für deine Stimme oder dein Instrument das erste Mikrofon kaufen möchtest, fahr persönlich los, und probiere es im Musikgeschäft aus. Nimm deine Kopfhörer mit und vergleiche!
Günstig, aber passt!
Dazu eine kleine Anekdote mit ungeliebtem Equipment im Live-Einsatz: Neulich habe ich auf einem digitalen Mischpult gemischt, das ich speziell wegen seiner zu späten Clipping-Anzeigen auf den Kanälen und den fehlenden Clipping-Anzeigen auf den Bussen eigentlich nicht mag. Und die Band hatte für den Gesang auch ihre eigenen Mikros mit, wobei ich genau von diesem speziellen Mikrofontyp absolut kein Fan bin. Denkbar alles schlecht, oder?
Nun war Soundcheck, ich hatte die Instrumente fertig, und dann sang der Lead-Sänger … Sein Vocal-Sound passte genau zu diesem von mir verschmähten Mikrofon und damit war auch das restliche Equipment beinahe egal! Ich war absolut fasziniert, welch grandioser Sound da mit ein bisschen Zauberei am Mischpult entstand und habe am Ende extra nochmal gefragt, ob er wirklich die ganze Zeit nur in dieses Mikrofon gesungen hatte. Wenn ich ihn mal aufnehmen würde, würde ich ihn garantiert bitten, dieses seltsame Mikrofon mit ins Studio zu bringen!
Siderchain-Tricks
Genau diesen Moment, dass sich jemand vor einem Mikrofon wohlfühlt, kann man auch noch ein bisschen verstärken. Es gibt bisweilen bestimmte Frequenzbereiche, die einfach nerven. Das kann verschiedene Ursachen haben, die schlechteste Variante dürfte eine mangelnde Raumakustik sein. Die kriegst du tatsächlich nur in den Griff, wenn du eine andere Position im Raum findest, die das Problem nicht hat, oder den Raum akustisch optimierst.
Aber vielleicht ist es auch nur eine Eigenart aus der speziellen Kombination von Mikrofon und Stimme? Viele Kompressoren oder Channelstrips in deiner Audio-Software oder auch von aktuellen Digitalmixern bieten die Möglichkeit, per Sidechain auf einen bestimmten Frequenzbereich zu reagieren. Normalerweise reagiert ein Kompressor relativ gleichmäßig auf alle Frequenzbereiche. Wenn es jedoch einen Frequenzbereich gibt, der bei manchen Passagen einfach nervt, dann aktiviere den Sidechain deines Kompressors und hebe mit einem EQ genau diesen Frequenzbereich an bzw. senke die anderen Bereiche mit Hi- und Lo-Cuts ab. Du wirst dann eine stärkere Threshold-Einstellung wählen müssen, damit der Kompressor das Signal überhaupt noch bearbeitet, aber er schiebt dadurch genau den Bereich nach hinten, der dir bisweilen Probleme machte.
High-Boost im Sidechain
Normalerweise setzt man solche Effekte ja auch ein, um ein unnatürliches Regelverhalten des Kompressors im Bassbereich zu unterbinden. Viele Kompressoren besitzen einen integrierten festen Lo-Cut im internen Sidechain, bei einigen Spezialisten kannst du die Eckfrequenz sogar individuell festlegen.
Im Bereich elektronischer Musik, wo beispielsweise Sounds aus Rauschen oder pfeifenden Filter-Effekte zum Einsatz kommen, kann sich auch genau der gegenteilige Ansatz lohnen. Unser Ohr reagiert auf höhenreiche Signale empfindlich, und viele Kompressoren sind hier auf eher übliche Instrumenten- oder Gesangsspuren abgestimmt. Bei experimentellen Sounds braucht der Sidechain von uns etwas Nachhilfe, daher bewege die Eckfrequenz des Sidechain-EQs gezielt in den Höhenbereich. Eventuell musst du hier den Threshold drastisch reduzieren, damit der Kompressor dann noch reagiert.
Sollte dein Kompressor keine interne EQ-Regelung haben, kannst du deine Audiospur auch duplizieren, dort mit einem beliebigen EQ die Bearbeitungen vornehmen und diese Spur im Gesamtmix stummschalten. Im Sidechain-Eingang deines Kompressors wählst du diese Spur nun aus und nutzt diese nur zur Steuerung des Regelverhaltens.
Auch das ddmf Meta-Plug-in kannst du hier gut einsetzen, zudem sparst du dir so das Duplizieren deiner Spur und das je nach Software aufwendige Routing.
Fazit
Es geht im Grunde doch gar nicht darum, mit welchem Mikro, Vorverstärker oder Soundkarte wir die Performance eingefangen haben, auch wenn sämtliche Legenden der Studiotechnik ihren Ruf meist aus gutem Grund haben! Um es mal deutlich zu sagen: Vielleicht kommst du genau durch die obigen Tipps nach und nach zu sehr hochwertiger Studiotechnik, weil du feststellst, dass der E-Gitarrist eher selten vor Verzweiflung in Tränen ausbricht, wenn du ein Royer R-121 vor seinen Amp stellst.
Wenn’s aber für die Legenden nicht reicht, warum nicht mit ein paar auch im Profi-Bereich bekannten günstigen Mikros loslegen und sich auf das konzentrieren, was man auch mit wenig Equipment durchaus perfekt umsetzen kann?
Auch die beste Legende nützt nichts, wenn die Musiker nicht das spielen, was sich auch einzufangen lohnt! Ein echter Erfolg ist es doch eigentlich, wenn am Ende des Tages in der WhatsApp-Gruppe die ganze Zeit darüber geschrieben wird, wie viel Spaß die Aufnahme gemacht hat und dass man selten so einen Flow beim Spielen hatte! Das Ergebnis will dann bestimmt der eine oder die andere auch mal hören.