Geschäftsmodell Produzent und Engineer – Peter Walsh im Interview
von Peter Walsh; Übersetzung Martin Mercer, Artikel aus dem Archiv
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Als Produzent langfristig überleben? Produzent und Engineer Peter Walsh, seit 35 Jahren im Geschäft, hat u. a. mit den Simple Minds, Peter Gabriel, Pulp, Scott Walker, Heaven 17 und Alphaville gearbeitet. Ein Blick auf die die Wandlung der letzten Jahrzehnte — von Job, Branche und Budgets.
Wer sich mit Musikproduktionen der 1980er-Jahre beschäftigt, stößt irgendwann auf Peter Walsh. Der 56-jährige Brite wohnt mittlerweile in Düsseldorf und pendelt zwischen Deutschland und England. Eine ideale Gelegenheit, das Arbeitsumfeld als Produzent und Engineer zu beleuchten: Wie halten sich »Produzenten-Legenden« im Geschäft, wie verdienen sie ihren Lebensunterhalt in Zeiten von Homerecording-Produktionen und schrumpfenden Budgets im Musikgeschäft? »Das ist eine lange Geschichte«, kündigt Walsh an. Dann mal los.
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Wie hat sich dein Geschäftsmodell als Produzent und Engineer seit deinem Einstieg Anfang der 1980er-Jahre verändert?
Was meinen Job als Produzent und Engineer angeht: Damals war das eine Kunst, eine technische Fertigkeit, die man lernen musste − die Arbeit mit analogem Band zum Beispiel. Du brauchtest Zugang zu Studios − dort spielte sich alles ab, Homerecording gab’s noch nicht. Den künstlerischen und handwerklichen Aspekt professionell zu lernen hat mich geprägt: Künstler suchen immer noch vor allem Erfahrung und Wissen. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich nach wie vor durch qualitative Produktionen und Mischungen. Der Trend geht zu »mp3- Mischungen«, die nur auf Kurzlebigkeit ausgelegt sind. Mir scheint, ein Teil des Publikums lädt einen Song herunter, spielt ihn drei Wochen zu Tode und rührt ihn dann nicht mehr an. Zu meiner Zeit hielt man Platten sozusagen in Ehren. Du hast dir vielleicht alle zwei Monate eine Platte leisten können, sechs Alben pro Jahr − das war’s!
Die Musik wurde Teil deiner »Lebensbibliothek«?
Das stimmt! Was ich sagen will: Ich versuche immer noch, Musik mit Langlebigkeit im Hinterkopf zu produzieren, und arbeite mit Künstlern, die das auch so sehen − wie Scott Walker, Simple Minds oder Gilbert O’Sullivan. Meine Kernklientel schätzt die Kunst des Plattenmachens. Leute, die heute als Tontechniker oder Produzenten einsteigen und die Mentalität verstehen, haben auch eine Chance, erfolgreich zu sein. Das ist wie alles andere auch: Du kannst kein Formel-1-Champion werden, nur indem du im Auto sitzt. Jeder kann fahren, aber nicht jeder kann gut fahren. Du musst die Tätigkeit lernen, Erfahrungen machen, Fehler machen − und vor allem dabeibleiben. Das sehen meine Kunden in mir: Sie bekommen meine Erfahrung als Produzent und Engineer, der viele Situationen erlebt hat.
Mittlerweile finden weniger große Produktionen statt, weil keine entsprechenden Budgets mehr vorhanden sind. Wie hat sich das verändert?
Die Budgets sind ein Bruchteil dessen, was früher verfügbar war. Für mich ist heute besonders wichtig, diese Budgets managen zu können. Jeder versucht, Geld zu sparen. Die meiste Zeit arbeite ich digital. Die Arbeit mit einer DAW ermöglicht mir, Studiokosten zu sparen.
Im Moment arbeite ich mit Gilbert O’Sullivan. Für Bläser und Gesang gingen wir ins Studio. Die Vorbereitung fand zu Hause in meinem Produktionsraum statt, wo ich auch mischen werde. Um den Mix fertigzustellen, gehe ich ins Studio, damit der Künstler neben mir sitzen kann. Ich versuche, Studios zu unterstützen und am Leben zu erhalten, kann ihnen aber nur Arbeit verschaffen, wenn ich an anderer Stelle Geld einspare. Es ist unvermeidlich, dass ein großer Teil der Arbeit außerhalb des Studios stattfindet − ich arbeite mit meinem Pro-Tools-Setup zu Hause und unterwegs auf dem Laptop. Das senkt die Kosten.
Der Klang mancher legendärer Platten entstand oft in guten Aufnahmeräumen mit ansprechender Akustik. Beim Arbeiten im eigenen Schlaf- oder Wohnzimmer verzichten wir auf besonders »zuträgliche« Räume. Viele großen Studios haben in den letzten Jahren geschlossen. Stattdessen haben sich kleinere Multifunktionsräume etabliert, die allerdings keinen qualitativ interessanten Eigenklang liefern. Wie gehst du mit der Veränderung um?
Da stimme ich dir zu. Vor Jahren konntest du hören, ob ein Schlagzeug in den A&M Studios in L.A., in der Power Station in New York [heute Avatar; Anm.d.Red.] oder im Abbey Road Studio 2 aufgenommen wurde. Heute ist es eine Frage der Anpassungsfähigkeit. Du musst lernen, den Raum zu verstehen, in dem du arbeitest. Früher hattest du ein großes Pult mit tollen Preamps zur Verfügung. Mittlerweile habe ich Platten aufgenommen, bei denen ich ein, zwei großartige Preamps zur Verfügung hatte, die ich dann auf den besonders wichtigen Quellen eingesetzt hatte. Daraus kann ein sehr gutes Ergebnis entstehen.
Wenn du in einem Schlafzimmer arbeitest und dort eine große Bass-Blase herrscht, hast du natürlich ein Problem. Aber wenn du die handwerklichen Prinzipien des Aufnehmens gelernt hast, hilft dir das auch hier weiter. Das gilt auch für Mixing: Heutzutage mische ich viele Platten, die durch private Finanzierung oder Crowdfunding entstanden. Letzteres ermöglicht dem Künstler ein Budget für eine Platte. Meiner Erfahrung nach wird das meist nicht schlecht, aber auch nicht qualitativ hochwertig aufgenommen. Anschließend wird jemand wie ich angeheuert, um den Aufnahmen möglichst die entsprechende »Politur« zu verpassen.
Du betreibst Schadensbegrenzung?
Schadensbegrenzung, genau! (lacht) Dazu kommt, dass die Musiker sich vielleicht den Produzenten gespart und sich selbst produziert haben. Dann übernehme ich beim Mix das Arrangement mit − nehme Elemente heraus, verschiebe Dinge, editiere, ersetze Sounds oder verwende Re-Amping. Wenn mich Leute anheuern, dann auch mein ProTools-System, meine Plug-ins und meinen Erfahrungsschatz.
Es ergibt keinen Sinn, ein EQ-Plug-in mit einem Preset »Soft« und »Fat« anzuwenden − ich hasse Presets. Es geht darum, Equalizer und Kompression zu verstehen, und auch, wie ein Drum-Kit klingen sollte.
Auch wenn ich in manchen Augen ein Dinosaurier sein mag, gibt mir die frühere Arbeitsweise im Studio die Möglichkeit, die Software kreativer einzusetzen. Wenn ein Bass-Reamping-Preset »Rickenbacker durch einen Ampeg SVT« suggeriert, weiß ich, wie das klingen sollte. Bei Emulationen weiß ich, welche Mikrofone ich auswählen würde.
Ich mische viele Projekte neu, die vorher schon mal gemischt wurden; die schiere Anzahl von Effekten, die die Leute auf Signale legen, scheint endlos! Es gibt fast zu viel Auswahl. Man sollte sich für ein Set von Werkzeugen entscheiden.
Wie sieht deine geschäftliche Aufstellung als Produzent und Engineer aus?
Bis vor zehn Jahren hatte ich einen Manager bzw. Agenten, der mir half, Projekte zu organisieren, Budgets zu überblicken und die Zusammenarbeit mit den Plattenfirmen zu koordinieren. Dazu hatte ich einen Anwalt, der sich um Verträge kümmerte. Heute mache ich alles selbst. Tatsächlich habe ich heute zwei Manager »auf Abruf«. Bei Projekten mit entsprechendem Budget helfen sie aus, bei kleineren Projekten kümmere ich mich selbst darum − das spart 20 Prozent des Budgets.
Wie bekommst du Aufträge?
Heute passiert viel über Social Media und direkte Kontakte. Mir scheint, dass mittlerweile weniger Jobs durch Plattenfirmen angeboten werden. Du musst praktisch schon da sein, wenn die Band gesignt wird und eine Beziehung zu ihnen haben. Ich musste als Produzent viel autarker werden: Ich mache die Verhandlungen, Verträge, betreibe mein eigenes kleines Studio, muss das Equipment aktuell halten. Ich organisiere meine Reisen selbst − früher rief man eine Reiseagentur an.
Produzenten und Engineers sind immer erster Klasse geflogen. Heute hast du Glück, wenn ein Erste-Klasse-Ticket das gesamte Recording-Budget abdeckt! Wir fliegen alle mit EasyJet und sparen, wo wir können − fahren mit dem Bus oder Zug. Als ich in den 80er/90er-Jahren in Madrid arbeitete, ließ mich Warner Brothers dort von einer Limousine abholen. Die Zeiten sind endgültig vorbei! (lacht)
Wo ziehst du für dich die Grenze beim Budget, um eine Platte noch auf vernünftige Weise machen zu können?
Was das Reisen angeht − ich würde auch reiten, wenn ich müsste! Der manchmal übertriebene Komfort war mir immer leicht unangenehm. Anderseits − wenn du nach L.A. geflogen bist und am nächsten Morgen arbeiten solltest, war die Erholung in der ersten Klasse sehr nützlich. Es ist sehr wichtig, nicht zu viel zu sparen, sodass du nicht gut arbeiten kannst. Das ist aber bei jedem Projekt anders und hängt von den Erwartungen und Umständen ab.
In Oxford habe ich mit den Simple Minds gearbeitet. Die Bandmitglieder nahmen alle Taxis für die rund 75 km lange Strecke zum Flughafen Heathrow. Einer jungen Band käme das nicht in den Sinn, die würden eher ein Auto mieten, jeder würde denselben Flug nehmen, niemand würde hin und her pendeln. Man muss das Projekt entsprechend planen, damit die Ausgaben nicht überhand nehmen. Wir haben früher Equipment gemietet − Gitarren, Verstärker und so weiter −, das drei Wochen im Studio stand und vielleicht an zwei Tagen benutzt wurde, wenn überhaupt. Heute mietest du einen Amp, benutzt ihn und schickst ihn gleich wieder zurück. Ich sage nicht, dass ich kein Mindestlevel an Komfort erwarte, aber wenn es darum geht, ob ein Projekt stattfindet oder nicht, lohnt ein Blick auf die Zahlen.
Wie hat sich dein Einkommen verändert?
Gegenüber den »großen Tagen«, wo ich zwei, drei Alben im Jahr gemacht hatte, muss ich heute mehr Projekte machen und komme auf einen geringeren Verdienst. Es kann problematisch werden, wenn du einen Auftrag annimmst, der viel länger dauert, als du finanziell kalkuliert hast. Du musst vorsichtig sein, nicht in einem Vertrag festzuhängen, wo du für eine Pauschale endlos arbeitest und Geld verbrennst. In den 80er-Jahren bekam ich als Produzent einen Fixbetrag pro Album oder Song, heute arbeite ich oft für eine Tagespauschale. Das ist für den Kunden und mich besser kalkulierbar.
Hast du den Eindruck, dein »musikalisches Erbe« schüchtert z. B. Semi-Profis ein, bei dir anzufragen, weil sie nicht damit rechnen, dass du für sie erschwinglich wärst?
Ja. Ich erinnere mich an gute Session-Schlagzeuger, die mir erzählt haben, dass sie keine Aufträge haben, weil die Leute davon ausgehen, sie sich nicht leisten zu können. Ich habe mich dem Markt sehr geöffnet − über meine Webseite, Facebook oder Linked-In bin ich leicht erreichbar. Über Social Networking ist die Eigenwerbung einfacher. Ich hoffe, dass mancher denkt: »Vielleicht ist er der Richtige − und nicht so unantastbar, wie wir dachten!«
Falls ich eine Zielgruppe anspreche, dann Leute, die meine Geschichte respektieren, sich aber nicht allein darauf verlassen − es ist schließlich Vergangenheit! Das ist für mich die größte Faustregel: Jeder Job führt zum nächsten Projekt. Du bist nur so gut wie das, was du zuletzt gemacht hast. Konkret dienen vor allem Projekte der letzten fünf Jahre als Anhaltspunkt, nicht der letzten 35 Jahre.
Lass uns mal über das Thema Endorsements sprechen. Wo ziehst du für dich selbst die Linie, was für dein Geschäft sinnvoll ist?
Du solltest das Equipment, das du benutzt, immer schätzen und guten Gewissens weiterempfehlen können. Bei mäßigem Equipment schadet es dir, das zu empfehlen oder damit zu arbeiten. Ich denke nicht, dass Endorsements eine große Einkommensquelle sind. Du bekommst vielleicht ein kostenfreies Plug-in, aber davon kannst du nicht deinen Lebensunterhalt bestreiten.
Aktuell leitest du Workshops und Seminare für deutsche Niederlassungen des Abbey Road Institute und auch für Sound&Recording. Du selbst hast ursprünglich als Tea Boy und Runner in einem großen Studio angefangen und dich hochgearbeitet. Wird der akademische Ansatz heute vom Markt mehr erwartet?
Die Workshops und Seminare für das Abbey Road Institute sind mir sehr wichtig. Deren Kurssystem scheint mir außergewöhnlich gut und sein Geld wert − gerade, weil es weniger von den großen Studios gibt und die Ausbildungsperspektive sich verändert hat. Heute erwarten die meisten Studiobesitzer und Manager, dass du ein Diplom oder einen Abschluss hast.
Wurden Produzenten nicht teilweise auch mit Prozentpunkten an den Tantiemen der Plattenverkäufe beteiligt?
Ja! Der Produzent bekam immer einen Anteil an den Tantiemen. Das war eine verhandelbare Einkommensquelle, die mit einem Vorschuss verrechnet wurde. Das scheint mir eine faire Art zu sein, Platten zu machen. Unglücklicherweise ist der Wert von Produktionstantiemen gesunken, weil Musik weniger Tantiemen durch Verkäufe generiert. Stattdessen entscheiden sich Produzenten für eine Tagespauschale. Der Produzent und Engineer − jeder in einer Position mit kreativer wie geschäftlicher Verantwortung − sollten von Tantiemen profitieren können. Wenn eine Platte mehrfach Platin erreicht, bekommst du normalerweise nichts davon ab − außer, du hast es vorher ausgehandelt.
Umgekehrt musst du Künstler auch beschützen, weil sich viele Sponsoren oder Produzenten einen Anteil an den PublishingAusschüttungen der Musikverlage sichern. Das habe ich bislang nicht gemacht, weil ich die Rechte der Songwriter respektiere. Die haben die Songs geschrieben, also sollten auch sie profitieren. Das ist mittlerweile eine Grauzone: Wenn Künstler Leute anheuern, die ohne Bezahlung arbeiten, dafür aber einen Anteil an den Song-Tantiemen wollen, werden alle möglichen Rechte weggegeben. Das Modell hat sich verändert, es führt zu Chaos, wenn Leute sagen: »Bezahl mich nicht, aber gib mir 50 % deiner Merchandising-Einnahmen auf Tour.« Wie kannst du sicherstellen, dass dein Anteil richtig verbucht wird?
Viele Künstler wollen auch keine Rechte hergeben. Manche Produzenten schließen »360-Grad-Deals« ab, sie bekommen also einen Anteil aller Einnahmen der Tour- und Plattenverkäufe. Wenn sie das Projekt finanzieren, mag das legitim sein. Am unteren Ende arbeiten viele Produzenten und Engineers für wenig oder gar keinen Vorschuss und haben nur einen Anteil an der Veröffentlichung. Ein Mittelstand existiert kaum − entweder alles oder nichts.
Generell gilt für mich: Aufträge nur des Geldes wegen zu machen, geht irgendwann nach hinten los. Ich habe das nur selten gemacht. Du hast vielleicht ein, zwei gute Jahre, aber langfristig hilft dir das nicht. Du musst mit engagierten Künstlern arbeiten, die daran glauben, was sie machen, und du musst ebenfalls daran glauben. Das sind die Projekte, die zu guten Ergebnissen führen.