Wenn es um den Sound von E-Gitarren geht, sind die meisten Gitarristen eher konservativ: Gitarre, Kabel, Amp plus Mikrofonierung. Das hat früher funktioniert, und das ist auch heute noch gut. Dennoch suchen viele nach anderen Möglichkeiten, den Sound auch bei geringerer Lautstärke-Entwicklung zu realisieren, denn ein in der Nacht voll aufgerissener Marshall-Amp stößt selbst bei Nachbarn mit hohem Kulturverständnis auf weniger positive Resonanz.
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Das Problem ist so alt wie Leistungsangaben auf der Rückseite von Verstärkern zu lesen sind. Und es gibt einige Lösungsansätze wie den guten alten Power-Soak oder Speaker- Simulationen mit Line-Out fürs Mischpult sowie Silent- bzw. Isolator-Boxen, in denen der aufgerissene Amp vor sich hin brüllen darf. In SOUND & RECORDING haben wir dieses Thema von den verschiedensten Seiten betrachtet. In einer groß angelegten Testreihe haben wir uns in SOUND & RECORDING 12.2011 angeschaut, was Speaker-Simulationen taugen und welche Unterschiede in Klang und Anwendung sie haben. Eine Überraschung war hier z. B. der Tubemeister 18 von Hughes & Kettner − ein kleiner Gitarrenamp, der eine der am besten klingenden Speaker-Simulationen zu bieten hat.
In eher begrenzten Aufnahmeumgebungen stellt sich trotzdem die Frage: Geht’s vielleicht auch ganz ohne Amp? Schließlich bieten etliche Audio-Interfaces die dafür erforderlichen Hi-Z-Eingänge und passable bis sogar recht gute Preamps. Und an der Plugin-Front haben neben NI Guitar Rig, Scuffham & Co mit IK Multimedia Amplitube 4 und UAD Marshall 100 Plexi gerade zwei Software-Lösungen höchste Aufmerksamkeit, bringen sie doch hinsichtlich Klangqualität und räumlicher Klangabbildung neue Aspekte ins Spiel.
Kein digitaler Schnickschnack … Mikrofone dran!
Wenden wir uns zunächst der klassischen Methode zu. Unter dem Titel »Klangvergleich« machen wir in Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der GITARRE&BASS-Redaktion Klangvergleiche. Regelmäßig erscheinen hier Tests, die mit zahlreichen Klangbeispielen die Aufnahmen von Gitarren-Equipment dokumentieren und den Vergleich für alle nachvollziehbar machen. Die Audio-Clips sind in die Blog-Posts integriert − du findest du Inhalte aber auch (neben vielen anderen Sound-Beispielen) im Soundcloud-Account von SOUND & RECORDING.
Im ersten Klangvergleich stehen sich zwei Klassiker gegenüber: das Shure SM57 und das Sennheiser E906. Beide gehören zu einem Pool von Mikrofonen, die live und auch im Studio häufig zur Mikrofonierung von Gitarrenverstärkern verwendet werden. Das SM57 ist wohl das legendärste und älteste dynamische Mikrofon, das sich seit mehreren Jahrzehnten vor der Membran etabliert und festgesetzt hat. Das E906 hängt auf kleinen Bühnen oft einfach nur von der Gitarrenbox herab, befestigt durch die Allzweckwaffe »Gaffatape« − das spart eben den Mikrofonständer. Sogar im Studio kommt die dynamische Superniere zum Einsatz. Aber wo liegen die klanglichen Unterschiede? Um das herauszubekommen, wurden die beiden Mikrofone SM57 und E906 links und rechts von der Kalotte auf den Übergang zur Membran gerichtet. Bekanntlich können minimale Unterschiede in der Positionierung klangliche Differenzen erzeugen, aber zu einem Klangvergleich dieser Art kann man das durchaus mal so machen.
Es wurden dann verschiedene musikalische Themen aufgenommen: Mute Chords für einen Strophen-Teil und Open Chords für einen Chorus. Natürlich möchte man die Signale solo hören, aber der Moment der Wahrheit ist immer dann, wenn man das Signal in einen Mix eingebettet hört. Deshalb könnt ihr euch die Gitarrenparts jeweils auch im Gesamtmix anhören, der aus Drums, Bass und einer zusätzlichen Gitarrenspur besteht.
Weitere Vergleiche Mitmachen!
Um auch spätere Vergleiche mit anderen Mikrofonen und natürlich auch Plug-ins machen zu können, wurde das DI-Signal der Gitarre ebenfalls parallel in Pro Tools aufgezeichnet. Gerade warten unsere Testpiloten auf eine Sendung beliebter Bändchen-Mikros und berühmter Großmembran-Mikros, die den Vergleich erweitern sollen. Wenn dich ein bestimmtes Mikrofon interessiert, das du gerne in diesem Vergleich hören möchtest, dann schreibe uns bitte an die Redaktion (redaktion@soundandrecording.de).
Selbstverständlich gilt dies ebenso für Plug-ins, die in den Vergleich mit einbezogen werden. Hier wird’s also spannend für all jene, für die ein mikrofonierter Amp überhaupt nicht infrage kommt. Zuerst hat es unser Testteam interessiert, wie sich das FreeVST HyBrit machen wird, das im Netz gerade als Geheimtipp gefeiert wird. Unserer Meinung nach klingt es eher bescheiden und kann nicht an den dynamisch-warmen Sound des echten Amps ticken − egal übrigens, ob mit SM57 oder E906 abgenommen wurde. Der echte Amp über echte Mikros … das klingt einfach viel entspannter und runder. Aber es gibt bei den Plug-ins durchaus Beispiele, die deutlich besser klingen (mehr dazu ab Seite 38).
Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied der beiden Mikrofone übrigens in den Mix-Clips. Interessant ist es, wie sehr unterschiedlich man »Solo« und »Mix« bewerten kann: Während man das solo geschaltete E906 spontan als runder und angenehm mittig einschätzen würde, zeigt sich im Mix, warum das SM57 als alter Klassiker so bewährt ist. Sein Signal fügt sich optimal in den Mix ein, auch wenn es solo geschaltet eigentlich nicht so richtig toll klingt.
Am besten mal reinhören, wir sind gespannt, zu welchem Urteil du kommst. Lass uns an deinen Eindrücken teilhaben, und schreib einen Kommentar am Ende des Blog-Posts.