Das De-Reverberation-Plug-in UnVeil von Zynaptiq reagiert auf die Ansage “Mach mal den Hall aus!” genau so: Der Hall verschwindet. Und das bei fertig gemischten Tracks oder Aufnahmen mit künstlichem Hall oder echtem Raum. Wie gut das funktioniert, zeigt dir unser Test des Zynaptiq Unveil De-Reverberation-Plug-ins.
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Wozu soll das nun wieder gut sein? Ist man als Recording-Musiker doch froh, wenn man einen tollen Hall in seine eigene Produktion hinein bekommt. Hall ist aber dann weniger erwünscht, wenn er zum einen nicht gut klingt und man zum anderen keine Möglichkeit der Nachbearbeitung bietet. Letzteres begegnet einem im Umfeld der Post-Production, z. B. wenn bei Tonaufnahmen im Filmset der Raumklang der Umgebung zu stark in der Aufnahme zu hören ist und das Sprachsignal undeutlich macht. Auch wenn man in der Produktion die Entscheidung fällt, einen anderen (künstlichen) Hall zu verwenden und verschiedene Aufnahmen eingesetzt werden, dann fällt dabei der nicht passende Hall-Anteil immer störend auf.
So etwas kann einem auch in der Musikproduktion passieren, sobald man z. B. mit Aufnahmen arbeitet, die an verschiedenen Orten entstanden sind. So betrachtet sollte Unveil gerade auch im DIY-Studio gute Dienste leisten. Viele Hersteller haben sich an diesem Problem bereits die Zähne ausgebissen und die unterschiedlichsten Methoden versucht. Laut eigenen Angaben arbeitet Unveil aber weder mit Gates, Expander, Transienten-Designer oder De-Noiser noch mit Phasenauslöschung. Der Hersteller nennt den Prozess schlicht »MAP«, genauer: Mixed-Signal Audio Processing. Wie ein Blick auf das Info-Popup verrät, basiert der Algorithmus auf der Software »sonicWORX APEM«, einem De-Reverberator, der die von Prosoniq nicht mehr weiterentwickelte Technologie »Artificial Neural Networks« verwendet.
Das Plug-in unterstützt alle gängigen Schnittstellen wie VST, AU, RTAS, AAX und lässt sich im 32- und 64-Bit-Modus betreiben, auf dem Mac sogar standalone. Unveil wird in zwei Instanzen installiert: eine für Mono(!)- und Stereo-Anwendungen und eine weitere, die bis zu acht Kanäle unterstützt. Sobald die Seriennummer über das Internet verschickt ist, kann es auch schon losgehen! Man darf Lizenzen auf zwei Computern gleichzeitig verwenden. Über den mitgelieferten »Unveil-Authorizer« kann man diese temporär deaktivieren. Sehr fair!
Wundersame Teilung
Trotz der Komplexität der Audioprozesse von Unveil ist die Bedienung recht einfach. Im Hintergrund wird das Audiomaterial in seine akustischen Bestandteile wie Direkt- und Diffus-Anteil zerlegt, die dann durch verschiedene Parameter dimensioniert werden können. Diese Parameter erfordern schon etwas Eingewöhnung, da sie Prozesse steuern, die man in anderen Plug-ins nicht findet. Etwas Übung ist also nötig, um nicht durch übertriebenen Einsatz Artefakte hinzuzufügen. Weil aber alle Prozesse in Realtime ablaufen, kann man mit Unveil auf recht intuitive Weise arbeiten, denn man kann die Auswirkung der Parameteränderungen sofort akustisch überprüfen.
Während der Parameter »Focus« in Mittelstellung keine Auswirkungen mit sich bringt, verdeutlicht er nach rechts gedreht das Direktsignal, in die andere Richtung den Diffusanteil. Stärke Absenkungen führen teilweise zu deutlich stärker ausgeprägten Pegelspitzen, die man mit einem Limiter oder schnellen Kompressor zähmen sollte. Zudem kann man den Pegel auch mit dem integrierten »Output-Gain« wieder geraderücken. Falls »Focus« mal nicht so richtig greifen will, lässt sich unter »Focus Bias« mithilfe der zehn Bänder einstellen, welche Frequenzen Unveil besonders beachten soll. Bei Sprache kann also eine Anhebung der Bänder »1k« bis »5k5« zu einem besseren Ergebnis führen. Die anderen vier Trackballs kümmern sich um das exakte Verhalten des Algorithmus’.
»Localize« kann das eben beschriebene »Pumpen« etwas steuern, bei zu hohen Werten allerdings auch Artefakte im oberen Frequenzbereich induzieren. »Refract« gibt an, wie viel Zeit vergeht, bis die Bearbeitung startet. Höhere Werte klingen unauffälliger, lassen aber häufig einen beachtlichen Teil des Halls durchkommen. Mit »Adaption« passt man den Algorithmus an die Länge der Hallfahne an. Hier kann ein Blick auf die Wellenform-Anzeige helfen. Sobald die Steigung der orangefarbenen Kurve in etwa jener des Original-Signals entspricht, sollte der Wert in Ordnung sein.
Grob lassen sich die letzten beiden Parameter in etwa mit den Parametern Range und Release eines Noise-Gates vergleichen. Zu guter Letzt kann »Presence« eine Anhebung des oberen Frequenzspektrums übernehmen, welches bei übertriebener Bearbeitung manchmal untergeht. Der Parameter ist jedoch nicht als simpler Equalizer zu verstehen, denn er beeinflusst den Algorithmus selbst, indem er dem Analysesignal etwas Rauschen hinzufügt.
Praxis und Anwendnungen
Die Möglichkeiten, die sich durch diesen extravaganten Prozessor eröffnen, sind zahlreich. So könnte man Location-Sound aus unterschiedlichen Umgebungen räumlich annähern, etwa ein sehr trockenes Lavalier-Mikrofon leicht verwaschen, einen geangelten Dialog hingegen stärker fokussieren. Für den Test wurden ein paar besonders schwere Härtefälle aus dem Audio-Archiv gezogen. Beispielsweise war eine Sprachdatei, die ein Schauspieler selbst mit dem Handy im Wohnzimmer aufgenommen hatte, mit wenigen Handgriffen von schwammigen Anteilen befreit. Doch auch komplexere Signale profitieren von Zynaptiqs Innovation.
Die freistehenden Kicks und Snares im Drumloop von Judas Priests Living After Midnight ließen sich vollständig vom Nachhall lösen, wonach die sehr leise Hi-Hat immer noch im Material zu hören war. Umgekehrt kann man den Raumanteil elegant hervorheben, indem man Transientenschwellwert nach rechts und »Focus« nach links dreht − ein tolles Werkzeug also für Mixing-Engineers, die kreativ in das Klanggeschehen eingreifen möchten bzw. müssen. Sogar fertig produzierte Stereomixe − egal ob Pop, Rock oder Klassik − ließen sich im Test fast vollständig »trocken« wiedergeben. Alles erscheint klarer und durch die eingeschränkte Tiefenstaffelung weiter vorne. Diskrete Echos bleiben dabei unangetastet. Beeindruckend!
Probleme zeigt Unveil lediglich bei sehr langen Hallfahnen. Im direkten Vergleich mit »De-Verb« von SPL fällt auf, dass Unveil nicht nur eine stärkere Absenkung des Raumanteils ermöglicht, sondern auch Transienten nahezu unangetastet lässt und somit deutlich knackiger klingt. Schön wäre noch eine simple PanoramaFunktion gewesen, mit der man das Direkt- und Diffussignal getrennt voneinander in verschiedenen Positionen platzieren kann. So wäre auch ein Up-Mix von Stereo zu Quad schnell geschehen − das Original auf die Front-, den Hall auf die Rear-Lautsprecher −, ohne mehrere Instanzen zu laden. Klar, dass ein so leistungsfähiges Plug-in auch dementsprechende Forderungen an den Rechner stellt: Windows 7, Intel Core-i7- 2600K @ 3,4 GHz.
Bereits vier Stereo-Instanzen ließen die CPU-Anzeige in Cubase auf etwa 75 Prozent ansteigen. Der Hersteller selbst räumt ein, dass es bei Pro Tools 10.3.3 und den Versionen darunter leider zu DAE-Problemen hinsichtlich der AudioSuite-Vorschau kommt. Man könnte also die Einstellungen in einer EchtzeitInstanz vornehmen, diese als Preset abspeichern und dann für die Offline-Bearbeitung erneut laden. Nur auf dem Mac wird auch eine Standalone-Version installiert. Diese ist jedoch nicht etwa für den Live- oder BroadcastBetrieb geeignet, da ein Echtzeit-Input fehlt, vielmehr dient sie dem schnellen Testen von verschiedenen Einstellungen. Beliebige Audiodateien lassen sich hier ohne Host abspielen und bearbeiten − sogar eine simple Aufnahmefunktion ist an Bord.
Fazit
Das ressourcenhungrige Plug-in erweist sich für nahezu jeden Bereich der Audiobearbeitung als sehr nützlich − von subtiler Restauration während der Postproduktion bis hin zum kreativen Mixing-Trick. Fast 400 Euro sind für einen Download schon ein eher stattlicher Preis, doch die Qualität des Algorithmus’ ist momentan konkurrenzlos. Ein guter Grund, warum Unveil auch für den Musikmesse International Press Award 2013 (M.I.P.A.) in der Kategorie »Audio Processor (Software)« nominiert wurde.
Pro & Contra
+ effektive Regelung des Raumanteils
+ minimale Beeinflussung der Transienten
+ unterstützt Mono- bis SurroundFormate
– verursacht hohe CPU-Last
– kein automatischer Pegelausgleich
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