2005 stellte Yamaha mit dem Tenori-On einen elektronischen Klangerzeuger vor, der wie ein futuristischer Rechenschieber aussieht, aber eigentlich keine Vorbilder aus der realen Welt hat. Das merkwürdige aber innovative Tool wurde u.a. von Björk und Little Boots eingesetzt.
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Das Tenori-On ist ein unkonventioneller Hardware-Sequenzer mit Lauflichtprogrammierung und interner Klangerzeugung. Marktreif war das Tenori-On übrigens erst 2007, als man es für ca. 900,– Euro erwerben konnte. Der hohe Preis und der unkonventionelle Ansatz verhinderten aber einen größeren Verkaufserfolg, und so wurde das magische Quadrat eher zu einem exotischen Tool für Besserverdienende.
Zu der letztgenannten Gruppe gehören neben Tenori-On-Usern wie Four Tet, Björk und Little Boots auch Keyboard-Heroen wie Jordan Rudess von Dream Theater. Yamaha initiierte ein Jahr nach der Markteinführung eine Tour mit Acts wie Safety Scissors, Sutekh, Jim O’Rourke, Atom Heart und Pole. Auch Filmkomponist Hans Zimmer setzte das Tenori-On ein (u. a. bei der „Dark Knight“-Premiere).
Electroplankton
Toshio Iwai hatte schon immer ein Faible für Dinge mit einem gewissen Anime-Niedlichkeitsfaktor und spielerischem Zugriff auf musikalische Ereignisse. Der japanische Medienkünstler, der auch schon im Guggenheim-Museum ausgestellt wurde, entwarf 1987 das Spiel Otocky für das Nintendo Famicon-System, bei dem die Hintergrundmusik durch die Bewegungen der Spielfigur erzeugt wird. Es gehört zu den ersten Computerspielen, bei denen es dem Spieler möglich ist, selbst Musik zu generieren. Für Microsoft erdachte er das Musikspiel Sim Tunes, bei dem man durch das Malen eines grobpixeligen Bildes (bei dem jedes Pixel eine Note repräsentiert) ein Musikstück erschafft; die Pixel werden von diversen Käfern, die Instrumente repräsentieren und von rechts nach links laufen, zum Klingen gebracht. Bekannt wurde Iwai aber vor allem mit dem Musikspiel Electroplankton für Nintendo DS, bei dem man mit verschiedenen Modes spielerisch Ambient-artige Sounds erzeugt. Seine Erfahrungen mit der Game-Software flossen auch in die Konzeption des Tenori-On ein, das er für Yamaha entwarf.
Quadratisch, praktisch, abgedreht
Herzstück des Gerätes ist eine Matrix mit 16×16 runden Leucht-Tastern, die jeweils eine Spur eines intuitiv bedienbaren Step-Sequenzers mit 16 Tracks repräsentieren; man findet die Leuchtmatrix auch an der Rückseite des ca. 700 Gramm schweren Gerätes, sodass man bei der Live-Performance bühnenwirksam agieren und programmieren kann. Liefen bei Sim Tunes noch diverse Käfer durchs Bild, hat man hier eine leistungsfähige und intuitiv bedienbare Lauflichtprogrammierung, die diverse Modi bietet und vor allem polyfon arbeitet, was bei Hardware-Step-Sequenzern eher selten der Fall ist.
Das ca. 20 x 20 cm große Gerät ist mit einem edlen, röhrenförmigen Rahmen aus Magnesium ausgestattet, in den außer zwei kleinen, klanglich durchaus überzeugenden 1-Watt-Lautsprechern auch ein SD-Schacht und ein kleines hintergrundbeleuchtetes Display integriert sind. Zu den weiteren, ebenfalls am Rahmen befindlichen Bedienelementen gehören ein Jog-Wheel für die Werteeingabe und mehrere Taster.
Enter the Matrix
Das Tenori-On bietet dem Kreativen jede Menge ungewöhnliche Programmiermöglichkeiten; so gibt es unterschiedliche und z. T. außergewöhnliche Modi, die simultan editiert werden können. Der Score-Modus bietet eine luxuriöse Lauflichtprogrammierung, die 16 Tonhöhen verarbeiten kann. Im Random-Mode wandert das Lauflicht nicht immer von links nach rechts, vielmehr werden die Noten (wie bei manchen Arpeggiator-Modes) in der Reihenfolge ihrer Programmierung abgespielt, wobei auch ungerade Loop-Längen möglich sind. Um noch mehr unvorhergesehene Bewegung ins Spiel zu bringen, lässt sich noch ein Rotate-Parameter aktivieren. Der Draw-Modus gibt das unquantisiert wieder, was man in Echtzeit mit den 256 Matrix-Tastern „gemalt“ hat.
Spiel und Spaß bietet der Bounce-Mode: Inspiriert von diversen Computerspiel-Klassikern kann man hier u. a. die Lichtpunkte wie Bälle vertikal springen und rhythmische Strukturen erzeugen lassen. Um das Ganze harmonischer zu gestalten, kann man das Klanggeschehen mit einer der neun Master-Skalen strukturieren.
Weiss ist das neue orange
Yamaha brachte auch noch eine preisgünstigere Version des Gerätes heraus, die auf den Namen Tenori-On Orange hört. Die Namensgebung verwundert etwas, da sich diese Variante, die mit einem Plastikrahmen ausgestattet ist, im blütenweißen Outfit präsentiert. Verständlich wird es erst, wenn man das Teil anschaltet: Dann leuchtet die Taster-Matrix in fröhlichem Orange.
Putzigkeit
Die 32-fach polyfone Klangerzeugung basiert auf einem ROM-Sample Player mit 253 Presets, bei denen man nur Lautstärke und Release-Phase verändern kann. Drei Presets lassen sich (via SD-Karte) durch die Integration eigener Samples mit einer maximalen Länge von 0,97 Sekunden gestalten. Eine gewisse Putzigkeit ist auch der Soundauswahl des Gerätes nicht abzusprechen, hier bleept und clonkt es meist Telespiel-mäßig und versprüht oft eine Anime-Kinderzimmer-Seligkeit. Böses oder gar Harsches ist hier kaum anzutreffen. Aber das kann ja auch seinen Reiz haben, zumindest hat die Klangauswahl einen eigenen, jugendfreien Charakter. Außerdem ist das Tenori-On nicht unbedingt wegen seiner Sounds, sondern vor allem wegen seines einzigartigen Sequenzers interessant, mit dem sich per MIDI externe Klangerzeuger ansteuern lassen.
Das Tenori-On wurde uns freundlicherweise von Jörg Sunderkötter zur Verfügung gestellt.