Großmembran-Kondensatormikrofon – Lewitt LCT 640 TS im Test
von Dr. Andreas Hau,
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Lange galten Mikrofone als »ausentwickelte« Technologie, die kaum noch Möglichkeiten für umwälzende Innovationen bot. Doch in den letzten Monaten zeigt sich ein neuer Trend: die Vermählung von Schallwandlertechnik mit dedizierten Plug-ins zur (Nach-)Bearbeitung in der DAW. Diesen Weg geht nun auch die Firma Lewitt mit ihrem neuen Topmodell, dem LCT 640 TS, und dem dazugehörigen Polarizer-Plug-in.
Stammleser werden sich erinnern, dass wir bereits vor sechs Jahren, als die Marke Lewit in den Markt eingeführt wurde, das Modell LCT 640 testeten. Das neue LCT 640 TS ist mit diesem weder identisch noch ist es sein Nachfolger, denn das »normale« LCT 640 bleibt weiterhin Teil des Lieferprogramms. Vielmehr ist das neue TS-Modell eine erweiterte Variante des LCT 640. Anders als bei McDonald’s steht das TS jedoch nicht für eine zusätzliche Tomatenscheibe plus Salat, sondern für »Twin System«. Das LCT 640 TS hat nämlich einen Dual-Output-Modus, in dem die Signale der vorderen und der hinteren Membran der Doppelmembrankapsel separat herausgeführt werden. Wodurch sich die Möglichkeit einer umfassenden Nachbearbeitung in der DAW eröffnet, und sogar Stereoaufnahmen sind mit nur diesem einen Mikrofon möglich.
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Bild: Dr. Andreas Hau
Für den Twin-Modus bietet Lewitt LCT 640 TS einen zusätzlichen »Seitenausgang
«, über den sich das Signal der rückwärtigen Membran separat
abgreifen lässt.
Bild: Dr. Andreas Hau
Clever: Der kompakte Popp-Schirm behindert nicht die Sicht und wird
von Magneten in Position gehalten.
In Nierencharakteristik arbeitet das LCT 640 TS in den unteren Frequenzen weitgehend linear, während
die Kurve ab 1.000 Hz kontinuierlich ansteigt. Die Plots von Vorder- und Rückseite der Doppelmembrankapsel
sind praktisch deckungsgleich, was für ein Twin-Mikrofon wichtig ist und für hohe Fertigungsqualität
spricht.
Beim Wechsel zur Kugelcharakteristik verstärkt sich die Höhenbetonung des LCT 640 TS, während es in
Stellung Acht (rote Kurve) eine stärkere Präsenzanhebung aufweist.
Bild: Dr. Andreas Hau
Im normalen Betriebsmodus verhält sich das
Lewitt LCT 640 TS wie ein normales umschaltbares
Großmembranmikrofon mit fünf Richtcharakteristiken.
Bild: Dr. Andreas Hau
Im Twin-Modus werden Vorderseite und Rückseite
der Doppelmembrankapsel über separate
Ausgänge ausgespielt.
Über das Polarizer Plug-in kann die Richtcharakteristik nach der Aufnahme in der DAW
justiert werden.
Bild: Dr. Andreas Hau
Nebenbei lassen sich mit einem einzigen Lewitt LCT 640 TS auch Stereoaufnahmen
machen, wenngleich die Kapselanordnung dafür nicht optimal ist. Das Mikrofon wird
dazu so gedreht, dass der Rand der Kapsel auf die Schallquelle zeigt.
Für diejenigen, die mit dem Namen Lewitt weniger vertraut sind: Entwickelt werden die Mikrofone in Österreich, gefertigt werden sie in China. Die Formgebung der Großmembran-Modelle mit dem »Haltestil« am unteren Ende erinnert ein wenig an das AKG C 414, allerdings wirken die Lewitt-Mikros noch etwas kantiger. Der Body des LCT 640 TS ist ein flacher Quader von 131 x 50 x 33 mm mit gebrochenen Kanten. Typisch Lewitt ist die konsequente Farbgestaltung in Schwarz mit einem leuchtenden Grün-Gelb als Kontrastfarbe für das Logo und die Beschriftung. Sogar der Membranring der 1-Zoll-Großmembran-Kondensatorkapsel ist grün-gelb.
Das Lewitt LCT 640 TS kommt in einem äußerst robusten Kunststoffköfferchen mit Innenpolsterung, das jederzeit den Eindruck erweckt, man könne damit auf Safari gehen. Neben dem Mikrofon finden auch die mitgelieferten Zubehörutensilien darin Platz, als da wären: Staubschutzbeutel, eine elastische Halterung, ein Schaumstoff-Windschutz, ein Popp-Filter zum Aufstecken auf die Mikrofonspinne sowie ein XLR-Adapterkabel für den zweiten Mikrofonausgang, der sich in Form einer dreipoligen Minibuchse an der Seite des Mikrofons befindet. Die Öffnung des zweiten Ausgangs wird bei Nichtbenutzung mit einem Gummistöpsel verschlossen; dankenswerterweise liegen noch zwei Ersatzpümpel im Koffer, falls der Originalstöpsel verloren geht.
Das LCT 640 TS muss also nicht ständig als Twin-Mikrofon mit zwei Ausgängen verwendet werden. Für Aufgaben, die keine zusätzliche Flexibilität in der Nachbearbeitung erfordern, kann man das Mikrofon wie ein ganz normales LCT 640 (ohne TS) verwenden. Genauso wie man bei McDonald’s seinen Hamburger Royal TS auch ohne Tomate/Salat ordern kann.
Bereits die »normalen« Möglichkeiten zur Klanggestaltung sind recht umfangreich. Auf der Frontseite des Mikrofons befindet sich ein beleuchtetes Display mit drei Tastern, welche die zugehörigen Funktionen durchsteppen: Der linke Taster ist für den Low-Cut zuständig (linear, 40, 80, 160 Hz), der mittlere für die Richtcharakteristik (Kugel, Breitniere, Niere, Hyperniere, Acht) und der rechte für die Vordämpfung (0, −6, −12, −18 dB). Letzteren Taster wird man selten benötigen, denn das LCT 640 TS kommt bereits ohne Pad auf einen Grenzschalldruckpegel von üppigen 132 dB SPL. Das Eigenrauschen des LCT 640 TS ist mit 11 dB-A spezifiziert, was zwar numerisch deutlich mehr ist als beim zuletzt getesteten ultra-rauscharmen Lewitt LCT 550; in der Praxis wird man indes kaum einen Unterschied bemerken. In üblichen Anwendungen sind alle Mikrofone bis etwa 12 dB-A gleichermaßen rauscharm, weil das Umgebungsgeräusch selbst in einem sehr leisen Raum deutlich höher liegt.
Das LCT 640 TS hat eine hohe Empfindlichkeit von 28 mV/Pa (entspricht −31 dBV re 1 Pa), sodass auch in Verbindung mit mittelmäßigen Preamps rauscharme Ergebnisse er-zielt werden können. Allerdings benötigt das LCT 640 TS eine solide Phantomspeisung, denn es zieht immerhin 5,5 mA − erlaubt sind bis zu 10 mA, doch es gibt noch immer viele Preamps mit unterdimensionierter Phantomspeisung, insbesondere bei Audio-Interfaces mit Bus-Powering.
Praxis
Lewitt-Mikrofone haben ihre eigene Klangästhetik, und das LCT 640 TS macht keine Ausnahme: Das Klangbild ist höhenreich, ansonsten aber sehr neutral und clean. Wenn man sich den gemessenen Frequenzgang anschaut, sieht man, wie dieser Sound zustande kommt: Den gesamten Grundtonbereich bis 1.000 Hz bildet das LCT 640 TS weitgehend linear ab, darüber, also im Bereich der Obertöne, steigt die Kurve über einen weiten Bereich kontinuierlich an. Lediglich bei 4 kHz und 12 kHz gibt es eine zusätzliche Präsenz- bzw. Höhenbetonung von ein paar dB.
Das saubere-neutrale Klangverhalten macht das LCT 640 TS recht universell einsetzbar, andererseits wirkt es für Lead-Vocals ein wenig nüchtern. Das Lewitt ist also eher etwas für Sänger, die von Natur aus Charakter und Stimmvolumen mitbringen. Kleine Stimmchen erfahren durch das LCT 640 TS nicht den wundersamen Vergrößerungseffekt, den manch anderes Großmembran-Kondensatormikro bewirkt; das sind allerdings eher teure Kandidaten, vorzugsweise mit Röhrenelektronik. Gut gefallen hat mir am LCT 640 TS die saubere Abbildung von Zischlauten − das ist gerade bei höhenreichen Mikrofonen nicht unbedingt die Regel.
Ein nützliches und praxisgerechtes Extra ist der mitgelieferte Popp-Schirm aus zwei Lagen perforiertem Metall. Dieser »dockt« per Magnethalterung an die Mikrofonspinne an. Der Schutz vor Popps ist nicht ganz so sicher wie bei den üblichen Gewebeschirmen, doch dafür nimmt der kompakte Lewitt-Poppscreen nicht die Sicht aufs Notenblatt bzw. die Song-Lyrics. Trotz der prinzipiell ungünstigen Anordnung in kurzer Entfernung parallel zur Kapsel ist die Klangbeeinträchtigung durch den Popp-Schirm minimal und sogar geringer als bei vielen Gewebeschirmen.
Das LCT 640 TS ist auch als Instrumentenmikrofon vielseitig verwendbar. An der Akustikgitarre macht es einen gefälligen, obertonreichen Sound, der das Anschlagsgeräusch heraushebt, was Solostücken Definition gibt, jedoch bei Gesangsstücken die Aufmerksamkeit von der Stimme ablenken kann. Bestens eignet sich das LCT 640 TS für Percussion aller Art, denn das Impulsverhalten ist sehr gut. Dank des hohen Grenzschalldruckpegels muss man sich keine Sorgen um Verzerrungen oder gekappte Transienten machen.
Insbesondere für Instrumentenaufnahmen interessant sind auch die erweiterten Funktionen als Twin-Mikrofon. Dazu steckt man das Adapterkabel in den »Seitenausgang« des LCT 640 TS und zeichnet beide Signale auf einer Stereospur auf. Zuvor aktiviert man durch längeres Drücken der mittleren Taste den Twin-Modus; außerdem muss die Phantomspeisung auf beiden Mikrofoneingängen aktiviert werden. Nun hat man auf dem linken Kanal (XLR-Hauptausgang) die vordere Kapselhälfte und auf dem rechten Kanal (Seitenausgang) die hintere Kapselhälfte. Beide Kapselhälften haben Nierencharakteristik. Durch Summieren der gegenläufigen Nieren erhält man Kugelcharakteristik, während die Differenz (d. h., die hintere Niere wird phaseninvertiert) eine Achtercharakteristik ergibt. Durch Pegelreduktion der hinteren Niere lassen sich Zwischenstufen wie Breitniere und Hyperniere erzeugen. Praktischerweise muss man das aber gar nicht »von Hand« erledigen, sondern braucht nur das zugehörige Polarizer-Plug-in von Lewitt in den Stereokanal mit den beiden Kapselsignalen laden. Nun kann man stufenlos von Kugel über Breitniere, Niere und Hyperniere bis zur Acht gleiten − und darüber hinaus, denn ab nun wechselt die Einsprechrichtung zur Rückseite, wo von Acht bis Kugel ebenso alle Richtcharakteristiken zur Verfügung stehen.
Produktiv nutzen lässt sich dies für allerlei Zwecke, beispielsweise zum nachträglichen Optimieren von Band- bzw. Ensemble-Aufnahmen, um das Übersprechen der anderen Instrumente zu minimieren. Da das Polarizer-Plug-in artefaktfrei arbeitet, kann man solche Anpassungen sogar im Mix dynamisch nachführen.
Stereo-Bonus
Daneben lässt sich der Twin-Modus auch für Stereoaufnahmen nutzen. Dazu muss man das Mikrofon um 90 Grad drehen, sodass der Rand der Kapsel auf die Schallquelle zeigt. Somit nehmen beide Hälften der Doppelmembrankapsel off-axis auf, was natürlich mit einem gewissen Höhenverlust einhergeht. Aber da das LCT 640 TS ja (on-axis) recht höhenbetont ist, wirkt das Off-axis- Klangbild trotzdem nicht dumpf.
Schwieriger zu bewerten ist das Stereobild dieses etwas eigentümlichen Aufbaus. Der Hersteller spricht von MS-Stereofonie, doch eigentlich handelt es sich um eine XY-Anordnung mit einem Mikrofonwinkel von 180 Grad. Die Stereomitte wird so natürlich nicht optimal erfasst. Kaschieren lässt sich das Loch in der Mitte, indem man die Pan-Regler beider Kanäle näher zusammenrückt − was man mit gutem Willen als MS-Bearbeitung bezeichnen könnte, da so die Summe beider Kanäle verstärkt wird, während der Differenzanteil verringert wird.
Als Alternative beschreibt das Manual eine Methode, nach der man per Polarizer-Plug-in Kugel und Acht gewinnt, um ein MS-Signal zu erhalten. Dabei handelt es sich aber − wie das Manual freimütig zugibt − lediglich um eine unnötig komplizierte Methode, die zum gleichen Ergebnis führt. Sinnvoller wäre die Möglichkeit der Stereobearbeitung innerhalb des Polarizer-Plug-ins − so wie es beispielsweise beim Townsend Labs L22 gehandhabt wurde.
Wobei aber klar sein sollte: Die Kapselanordnung mit gegenläufigen Nieren ist keine »normale« Stereoanordnung, egal wie man’s dreht. Ein Stereobild mit präziser Ortung darf man nicht erwarten, es ist eher eine Alternative für Schallquellen wie Akustikgitarre, denen man mehr Breite verleihen möchte, etwa um Platz zu schaffen für die Gesangsstimme in der Stereomitte. Insofern sollte man die Möglichkeit, Stereoaufnahmen mit nur einem LCT 640 TS zu machen, nicht überbewerten: Es ist ein netter Bonus, nicht mehr und nicht weniger.
Fazit
Das Lewitt LCT 640 TS ist ein technisch ausgereiftes und sauber verarbeitetes Mikrofon mit einem ebensolchen Klangbild: offen, luftig und quietschsauber mit klarer Kontur. Bis auf eine breitbandige Höhenanhebung, die den gesamten Obertonbereich wie ein sanftes Tilt-Filter hervorhebt, arbeitet das
LCT 640 TS bemerkenswert linear. Auf interessante Weise wirkt das LCT 640 TS zwar kantig, aber nicht scharf, was den mit ihm aufgenommenen Stimmen und Instrumenten zu Durchsetzungskraft im Mix verhilft. Den wohligen Schmuse- Sound klassischer Großmembran-Kondensatormikrofone darf man nicht erwarten. Das LCT 640 TS klingt so modern, wie es aussieht. Dazu passt die 21st-Century-Ausstattung mit Twin-Modus und Plug-in-Nachbearbeitung, die dem LCT 640 TS zu neuer Flexibilität verhilft. Noch praktischer wäre es, wenn der Hersteller auch die Stereomatritzierung ins Plug-in integrieren würde.
Ein nicht zu unterschätzender Praxisvorteil ist, dass man die Twin-Möglichkeiten zwar nutzen kann, aber nicht muss. Denn längst nicht immer benötigt man diese neue Flexibilität, die Richtcharakteristik nachträglich ändern zu können. Im normalen Recording-Alltag kann man das LCT 640 TS als ganz normales Großmembranmikrofon nutzen, ohne Adapterkabel. Einfach so. Und das ist doch ultimative Freiheit: Modernen Schnickschnack auch mal ungenutzt lassen − wohl wissend, dass man könnte, wenn man wollte.
+++
wahlweise als Twin-Mikrofon verwendbar
++
sauberes, klar definiertes Klangbild
++
cleverer Popp-Schirm
++
Polarizer-Plug-in
–
keine Stereo-Matrizierung imPolarizer-Plug-in
Hersteller/Vertrieb: Lewitt / M&T Musik & Technik
UvP/Straßenpreis: 1.070,- Euro / ca. 900,- Euro www.lewitt-audio.com