“Boutique Audio” kann durchaus für die breite Masse erschwinglich sein. Bester Beweis ist der WA76: Ein FET-Kompressor klassischer Bauart — ideal, um Signalen Charakter, Plastizität und Grip zu verleihen. Und all das zum Straßenpreis von gerademal 650 Euro!
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Die “76” in der Produktbezeichnung deutet es bereits an, und ein Blick auf die Frontplatte beseitigt jeden Zweifel: Der WA76 ist nicht irgendein FET-Kompressor, sondern ein Clone des legendären Urei/Universal Audio 1176, der 1967 das Licht der Welt erblickte und seitdem auf nahezu jeder Pop-Scheibe weltweit seine Klangsignatur hinterlassen hat. Ein geniales Design von keinem Geringerem als Bill Putnam, Sr. − Entwickler, Studiobetreiber und Frank Sinatras erste Wahl als Toningenieur.
1176-Clones sind schon seit vielen Jahren im Umlauf − woran sich auch wenig änderte, als Universal Audio Ende der 1990er von Bill Putnams Söhnen wiederbelebt und das Original neu aufgelegt wurde. 1176-Clones sind auch in der DIY-Szene äußerst beliebte Projekte. Doch rechnet man die Kosten für Platine, Bauteile und ein anständiges Gehäuse zusammen, dürfte es schwer sein, diesen Kompressor-Klassiker selbst billiger zusammenzulöten, als man ihn nun von Warm Audio fertig kaufen kann. Wie geht das?
Flott unterwegs
Auf den ersten Blick wirkt der WA76 jedenfalls proper. Verdächtig ist lediglich das gegenüber dem Original deutlich geringere Gewicht. Woran das liegt, wird schnell klar: Der WA76 wird über ein externes 24V-Netzteil einfacher Bauart mit Strom versorgt. Nicht unbedingt stilvoll für eine alt-ehrwürdige Studiolegende, aber es funktioniert.
Die Parametrisierung folgt dem berühmten Vorbild: Attack- und Release-Regler funktionieren invers, d. h., die Regelzeiten verkürzen sich, je weiter man die Potis nach rechts dreht. Und er ist auch genauso flott unterwegs: Mit Werten von 20 bis 800 Mikrosekunden liegt selbst die längste Attack-Zeit noch unter der kürzesten üblicher VCA-Kompressoren. Da die Schaltung aber im Feedback-Verfahren arbeitet, wirkt die Kompression stets musikalisch. Das Kompressionsverhältnis wird wie beim Original über vier Drucktaster eingestellt. Neben den offiziellen Ratios 4:1, 8:1, 12:1 und 20:1 ist auch der berüchtigte “All Buttons Mode” möglich: Drückt man alle vier Knöpfe gleichzeitig, steigt das Kompressionsverhältnis auf etwa 100:1 und das Regelverhalten gerät je nach Einstellung heftig bis erratisch. Eigentlich eine Fehlfunktion, die aber seit Jahrzehnten für Effektkompression genutzt wird, etwa um Raumsignale “aufzublasen”.
Besser als Plugins
Klanglich weiß der WA76 durchaus zu überzeugen. Das rasante, dennoch musikalische, nie übernervöse Regelverhalten entspricht ganz dem beliebten Klassiker. Ein 1:1-Vergleich mit dem Original gestaltet sich schwierig, da der 1176 ja über viele Jahrzehnte in etlichen Varianten gebaut wurde und es, auch aufgrund von Alterungserscheinungen, eine gewisse Exemplarstreuung gibt. Statt feine Klangunterschiede zu kritisieren, könnte man Warm Audios WA76 schlicht als eigenständige Interpretation ansehen.
Klassische Technik: Das dünnwandige Gehäuse mag etwas klappriger wirken, doch an der Audiotechnik wurde nicht gespart. Die Schaltung ist aus hochwertigen Komponenten aufgebaut und folgt der beliebten Revision D des 1176 LN. Die Platine ist sauber bestückt in klassischer “Through-the-Hole”-Bauweise. Der Aufbau ist weitgehend diskret, d. h. mit Einzeltransistoren, allen voran ein selektierter FET, der als Regelelement dient.
Für sich betrachtet klingt der WA76 keineswegs billig. Das Klangbild wirkt weder matt noch verwaschen; auch Rauschen ist kein Thema, solange man die Ein- und Ausgangspegel (inklusive Eingangs-Pad) sinnvoll einstellt. Dass ein Gerät dieser Preisklasse nicht die hochwertige Optik und Haptik des mehrfach teureren Originals bietet, ist verzeihlich. Unnötig scheinen jedoch einige Ungereimtheiten: Das Input-Poti ist gerastert, während der Output-Regler ungerastert ist; zudem haben Attack- und Release-Poti eine völlig sinnfreie Mittenrasterung. Ohne finanziellen Mehraufwand hätte der Hersteller durchweg gleichartige Potis verbauen können, vorzugsweise ungerasterte wie beim Original.
Angesichts eines Preises fast schon auf Software-Niveau bietet es sich an, den WA76 mit den zahlreichen Plug-in-Emulationen des 1176 zu vergleichen. Natürlich kann man den WA76 im Gegensatz zu Plug-ins nur in einer einzigen Mono-Instanz einsetzen. Doch klanglich weiß sich die Hardware zu behaupten: Deutlicher, als ich vermutet hätte, geht der WA76 als klarer Sieger vom Platz. Zwar kann man mit aktuellen Plug-ins durchaus ähnliche Ergebnisse erzielen, aber selbst die beste Emulation − nach meinem Dafürhalten Universal Audios 1176 Classic Limiter Collection für die UAD-2-Plattform − erreicht nicht ganz die Plastizität von Warm Audios Hardware-Clone.
Am deutlichsten zeigt sich dies beim Einstellen: Während der WA76 mit wenigen Handgriffen passt wie angegossen, ist bei allen Plug-in-Emulationen einige Fummelei nötig, um ein optimales Regelverhalten zu erzielen. Mir scheint fast, als passe die Hardware sich in gewissem Rahmen selbsttätig dem Signal an, wohingegen das Regelverhalten des Plugins starrer wirkt und einen vergleichsweise kleinen Sweet-Spot aufweist − das gilt umso mehr für ältere/simplere Emulationen, die nicht die Komplexität der UAD-2-Plug-ins bieten. Letztlich ist die Hardware in Sachen Lebendigkeit und Präsenz aber selbst den besten Emulationen das entscheidende Quäntchen voraus.
Fazit
Warm Audios 1176-Interpretation mag nicht die optische und haptische Ausstrahlung des Originals besitzen, klanglich und funktional weiß der WA76 jedoch zu überzeugen. Eingefleischte 1176-Liebhaber werden gewiss weiter zum Original greifen. Begeistern wird der WA76 jedoch all jene, die bislang allein auf Software setzten und vielleicht doch mal einen Blick über den volldigitalen Tellerrand riskieren möchten. Denn da gibt es nach wie vor vieles zu entdecken: Die Snare ganz gepflegt krachen lassen oder einen Lead-Vocal völlig mühelos aus dem Mix heben − das kann ein klassischer FET-Kompressor in Hardware nach wie vor besser als jedes Plugin − selbst wenn er “nur” ein Clone ist. Wer nun grübelt, wie man mit nur einem Hardware-Kompressor (mono!) auskommen soll statt einem Dutzend Software-Emulationen, dem sei versichert: Genau das ist die Frage, die den Mix weiterbringt!
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