Technik vs. Social Skills

Produzenten-Statements über Vocal-Recording

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Wolfgang Stach in der Regie des Kölner maarwegstudio2. (Bild: Matthias Zerres)

Es gibt wohl kein anderes Recording-Thema, über das so oft diskutiert wird wie die Aufnahme von Gesang, handelt es sich doch um eine der anspruchsvollsten Anwendungen im Studio. Man hört immer wieder von Standardrezepten − fragt man aber in die Runde, so bekommt man viele Antworten, die unterschiedlicher nicht ausfallen können. Neben der rein technischen Abwicklung kommt aber ein ganz anderer Faktor ins Spiel, der noch viel größere Bedeutung hat: nämlich die soziale Komponente!

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»Ein Sänger bzw. eine Sängerin ist ja nicht vergleichbar mit einem Instrument, an das man ein Mikrofon zur Aufnahme stellt«, beginnt Wolfgang Stach ohne Umschweife auf unsere Frage. Erst einmal kein Wort über Preamps und Mikros, und dabei hätte Stach als Betreiber und Produzent des maarwegstudio 2 in den Räumen der ehemaligen EMI-Studios in Köln ausreichend Gelegenheit, weit auszuholen − okay, er hat dann doch noch seine Lieblingsmikros auf den Tisch gepackt (siehe S. 34), aber im Gespräch – wie immer eine angenehme Lehrstunde in Sachen Recording – zeigt er auf, welche Faktoren eine Gesangsaufnahme beeinflussen.

Den Klang der Stimme optimieren 

»Man muss sich bewusstmachen, dass man es mit einem Menschen zu tun hat, der stimmungsabhängig ist und nicht immer gleich klingt wie z. B. ein Klavier. Natürlich kann ein Klavier immer anders klingen, je nachdem wer es spielt, aber es hat zumindest erst einmal einen Grundklang, von dem man ausgehen kann, wenn man die Mikrofone aufstellt. Eine Stimme hingegen kann sich im Laufe der Aufnahmen deutlich verändern. Es gibt natürlich immer wieder Sänger … diese berühmten First Takes; da stellt sich einer hin, singt den Song durch, und du denkst nur noch: Wow(!), und du nimmst den Take. Meistens verlaufen Aufnahmesessions aber anders. Denn, nachdem man eine Stunde oder länger gearbeitet hat, stellt man fest, dass der Klang der Stimme anders ist als am Anfang. Die ersten Takes können an sich gut klingen, aber es fehlt der Stimme meistens an der Präsenz, die man sich für die Lead-Vocals wünscht.

Ich habe eine Weile selber Gesangsunterricht genommen − nicht um ein guter Sänger zu werden, sondern um zu verstehen, wie Gesang grundsätzlich funktioniert. Oft singen viele Sänger zu tief im Hals, was einen sehr dunklen Klang ergibt. Hört man sich aber erfolgreiche Songs im Radio an, wird man merken, dass die Stimme hell und offen klingt. Eine deutliche Artikulierung mit klaren Konsonanten bewirkt, dass die Stimme alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.«

(Bild: Matthias Zerres)

Für wen singst du? 

Stach geht es vor allem darum, dass man jede Nuance des Gesangs mitkriegt, dass der Sänger oder die Sängerin einen regelrecht am Ohr sitzt und in den Bann zieht. Im wahrsten Sinne des Wortes soll man sich vom Gesang angesprochen fühlen. Er spielt damit auf eine Problematik an, die für den Aufnahmeprozess grundlegend ist. Während bei einem Konzert die Sache klar ist − man spricht bzw. singt zu einem Publikum −, findet man im Studio eine völlig künstliche Situation vor. »Ein Trick bzw. eher eine Hilfestellung, die ich gerne bei Sängern oder Sängerinnen anwende, ist, sich vorzustellen, sie singen eine imaginäre Person an. Der Effekt ist, dass nun die Botschaft nicht mehr nach innen, sondern nach außen gerichtet ist. Man will ja jemanden ansprechen, also muss man nach außen gerichtet performen.«

Präsenz und Persönlichkeit fördern 

Als Konsequenz daraus kann man ableiten, es geht nicht einfach um klangliche Präsenz, die man als Engineer auf technischem Wege umzusetzen gedenkt − vielmehr geht es um persönliche Präsenz als Basis für einen Vocal-Take, an der sich alles Weitere konsequent aufreiht. »Bevor ich anfange, Höhen reinzudrehen, wenn ich meine, dass etwas dumpf klingt, schaue ich erst mal, was ich überhaupt aus dem Sänger oder der Sängerin herausholen kann. Ich sehe zu, dass die Person, die vor mir am Mikro steht, präsent ist − in dem, was sie erzählt, dass mich die Geschichte fesselt. Ich würde sogar sagen, dass diese psychologische Komponente einen Großteil der Arbeit ausmacht.

Ich hatte gerade letzte Woche eine Band − eher so aus dem Punk-Kontext − hier im Studio. Der Sänger hatte auch genau die typische Punk-Attitüde: alles sehr rotzig eben. Der Gesang hat mich anfangs aber überhaupt nicht berührt, weil alles so weit weg war. Als ich dann mit ihm gearbeitet habe, war es dann immer noch rotzig, aber irgendwann so, als hätte er mit seiner ganzen Performance zwei Schritte auf mich zu gemacht.«

Bei unserem Besuch im maarwegstudio 2 packte Wolfgang Stach seine Lieblingsmikros für Gesangaufnahmen auf den Tisch. Neben dem Studiostandard Neumann U 87 (vorn) sind hier zu sehen: Electro Voice RE20, Sontronics STC-6, dahinter ein weiteres VintageMikro: Neumann CMV 563 mit M7-Kapsel, dahinter ein Sennheiser MD-441. Vorne rechts ein Shure SM7B, Neumann TLM 49, Brauner Valvet.

Ungewohnte Studiosituation 

Nicht nur für den Engineer oder Produzent ist diese Aufnahmesituation speziell, ganz besonders natürlich auch für den Sänger bzw. die Sängerin, denn von dieser Seite muss ebenso eine Annäherung stattfinden. Vor allem wer in erster Linie den Band-Sound gewohnt ist, sieht sich bei der Gesangsaufnahme mit einer Menge Technik konfrontiert. »Für viele Sänger ist das sogar erschreckend, wenn die plötzlich in einem guten Studio sind und ihre Aufnahmen hören, in denen alles so deutlich und klar ist. Aber genau da fängt es ja an, interessant zu werden, was man alles aus dem Gesang herauskitzeln kann. Deswegen ist es so mega wichtig, mit den Sängern in dieser Richtung zu arbeiten. Jedem Produzenten bzw. allen, die Gesang aufnehmen wollen, kann ich nur dazu raten, sich mit den Themen Gesang und Körperarbeit auseinanderzusetzen. Denn nur so ist man in der Lage, Sängern nützliche Regieanweisungen und Hilfestellung zu geben. Wie artikuliert man besser, wie hält man den Ton an einer bestimmten Stelle besser, wo sitzt der Ton, wie atmet man?«

Gesang aufzunehmen hängt Wolfgang Stachs Meinung nach viel mehr von den Soft Skills ab als vom Engineering. Alles, was zu einer guten Vocal-Performance führt, ist wichtig und will unter Umständen mit Geduld und Akribie erarbeitet sein. Aber wenn’s klappt, wird man als Produzent letztendlich belohnt. »Ein total geiles Gefühl ist das«, fährt er begeistert fort, »wenn du spürst, dass da immer mehr aus dem Sänger herauskommt, wenn die Performance nach vorne geht. Als Produzent musst du herausfinden, was dem Sänger hilft. Du musst es schaffen, den Sänger oder die Sängerin in die Lage zu versetzen, für den Zuhörer zu singen, trotzdem aber soweit ganz nah bei sich selber zu sein, dass Inhalt und Emotion rüberkommen.«

Gesang aufzunehmen ist schon aus psychologischen Gründen speziell. Es ist aber, so betont Stach, »… immer ein Prozess, wo sich alles gegenseitig beeinflusst. Es liegt nie allein am Sänger oder der Sängerin, sondern an allem, der Atmosphäre im Studio, an der Art und Weise, wie man miteinander kommuniziert. Eine Grundregel bei mir: Nach einem Take ist das Talkbackmikro immer auf, sodass die Sänger immer mitbekommen, was in der Regie geredet wird.«

Außerdem kann man die Vocal-Performance natürlich positiv beeinflussen, wenn das Playback super klingt, der Monitorsound klasse ist, die Technik funktioniert, das Mikro gut ist usw. Auch dazu gibt Wolfgang Stach wertvolle Technik-Tipps.

http://www.maarwegstudio2.com/site/

Jennifer Eberhardt

Statement Andi Bückle Studio Wong, Berlin 

»Häufig nehmen wir für Gesangsaufnahmen unsere alte RFT 7151-Flasche aus den 50er-Jahren, je nach Anwendung mit M7-, M8- oder M9-Kapsel. Die Röhrenschaltung produziert eine Nähe und Körperlichkeit, die uns sehr gut gefällt. Das Signal sitzt gut im Mix, die Stimmen sind präsent und luftig. Alternativ kommt gern auch mal ein Neumann UM 57 oder Gefell CMV 563 (Kapseln wie oben) zum Einsatz. »Wenn’s bassiger sein soll: das tolle Brauner Valvet. Oder spezieller: Royer Ribbon in Kombination mit Neumann U87 oder Sony C48 − so lassen sich die »Körnigkeit« und die konkurrenzlosen, tiefen Mitten eines Ribbon- Mics nutzen und das »zischelige« und »aufgeregte« eines Kondensator-Mikrofons oben herum nach Bedarf zumischen.

Das Mic geht in einen Preamp von Aurora oder Universal Audio und wird in einem DBX 165 leicht komprimiert.«

www.studiowong.de

Ambivalenz Studio

Simon Szlomowicz Ambivalenz Studio, Frankfurt am Main 

»Zu unseren Favoriten gehört ganz klar das Vox-O-Rama Typ 47! Ein direkter Vergleich mit dem Neumann M 150 und dem Brauner VM1 offenbart Welten. Für Azads Album haben wir mehrere Spitzen-Mikros getestet, und der Unterschied war enorm. Auch für Borns kommendes Album ist das Vox-O-Rama im Dauereinsatz. Insbesondere die oberen Mitten werden vom Vox-O-Rama sehr neutral wiedergeben. In den unteren Mitten ist dagegen eine leichte, aber sehr angenehme Färbung festzustellen.

Für Spezialfälle ist das Schoeps CMTS 501 Stereo-Mikrofon ein Geheimtipp für mehrstimmig gesungene Refrains. Dieses Mikro besitzt zwei übereinander liegende, superfein auflösende Kleinmembranen. Der untere Teil wird auf Kugel- und der obere auf Nieren-Charakteristik geschaltet. Die Kugel hebt dann die unteren Mitten und den Bauch dezent an und wird leise dazu gefahren, um die Niere anzufetten. Jede Stimme wird von Sänger/Sängerin getrennt für rechts und links eingesungen. So entstehen mit jedem Take zwei Spuren, die wir so positionieren, dass tiefere Stimmen zunehmend mittig angeordnet sind. Das ist recht aufwendig, ermöglicht aber herrlich breit klingende Refrains.«

www.ambivalenz.eu

Robin Regner

Michael Ungerer Blackbird Music Studio, Berlin 

»Ich möchte mich nur ungern auf Rezepte festlegen. Die Auswahl hängt immer von der Stimme der Sängerin oder des Sängers bzw. der Musik ab. Eine Rock/Pop-Produktion erfordert andere Auswahlkriterien als Jazz oder Klassik. Je nach Anwendung und gewünschtem Sound zählt zu meinen Lieblingen unser Vintage [Neumann] U 67. Das setzt sich auch ohne viel EQ im Mix gut durch. Es klingt sehr ausgewogen und dennoch »in your face«. Das Microtech Gefell M92 besitzt einen sehr schön weichen Klang. Das Shure SM7B schätze ich für seinen vollen Sound. AKG C12 oder Neumann U 47 tendieren bei lauteren Vokals dazu, im Mix zu sehr durchzuschlagen. Ich bevorzuge sie deshalb sehr gerne für eher ruhigere Songs. Dort funktionieren sie hervorragend.«

www.blackbird-music-studio.de

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