Vor vielen Jahren, als Bandmaschinen noch an der Tagesordnung waren, wäre wohl kaum jemand auf die Idee gekommen, die meisten Instrumente in einem Pop-Mix in Stereo aufzunehmen. Die Gesangsspuren des Leadsängers in M/S-Technik mitzuschneiden, war früher total abwegig. Heute könnten wir das alles, aber hilft es überhaupt?
Wenn wir das Motto »Viel hilft viel« ganz simpel auf unser Stereobild anwenden würden, dann sollten wir wahrscheinlich alles mit mindestens zwei Mikros aufnehmen und auch jede Menge Raum-Mikrofone für das perfekte Surround-Empfinden platzieren. Es wäre sicher auch keine schlechte Idee, alle möglichen weiteren Mikrofon-Modelle als alternative Klangfarbe zum späteren Auswählen mit aufzunehmen. Wenn man dann obendrauf auch noch mehrere Takes aufnimmt, hat man alleine für ein einfaches Singer/Songwriter-Setup schon mehr Takes genutzt, als die Gesamtproduktion eines aufwendigen Pop-Albums vor 20 Jahren an Spuren verbraucht hat! Es ist ziemlich klar, dass das einfache Motto »Viel hilft viel« uns an dieser Stelle nicht weiterbringen wird!
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In dieser Folge der Studiotipps soll es aber um ein paar alternative Ansätze gehen, die im Ergebnis vielleicht zu einem anderen Gesamtcharakter deiner Mischung führen können, insbesondere in Bezug auf die räumliche Abbildung und das Stereobild. Vielleicht kannst du in deinem Musikstil nicht immer so arbeiten, aber vielleicht hilft dir der eine oder andere Punkt einfach dabei, deinen gewohnten Mix mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Die Übersicht behalten
Zuerst einmal müssen wir bei jeglichen Experimenten dieser Art grundlegend sicherstellen, dass wir uns bei der ganzen Flut aus weiteren Audiospuren und Takes weiterhin in unserem Song zurechtfinden. Das hört sich simpel an, ist aber eine absolute Grundvoraussetzung, um überhaupt sinnvoll mit Stereo- oder Mehrkanal-Aufnahmen zu hantieren. Ein sauberes Benennen und Einteilen von Spuren mit Farben, Gruppen oder Symbolen sollte ab einer gewissen Projektgröße einfach normal sein, sonst verliert man die Übersicht.
Wir Fangen Mit Mono an
Die einfachste Variante, einen Song in Stereo zu erstellen, ist gleichzeitig eine Form, die sich bis heute zumindest in der Pop-Musik großer Beliebtheit erfreut: Man nimmt einfach (fast) nichts in Stereo auf! Das ist kein Scherz, sondern in vielen Produktionen Alltag. Was wir am Ende als perfektes und räumliches Stereobild zwischen unseren Lautsprechern erleben, ist oft lediglich eine gekonnte Komposition aus Mono-Signalen, die, mit wenigen echten und vielen unechten Raum-Informationen gemischt, am Ende ein sehr imposantes Stereobild ergeben!
Einzig die Overhead-Mikrofone am Drumset werden vielleicht noch in Stereo aufgenommen, aber sollten wir alles mit Noise-Gates bearbeiten und das Übersprechen beinahe unterbinden, dann bleibt von dem Effekt auch nicht mehr viel übrig.
Der Grund ist einfach: Welcher Raum klingt denn wirklich so gut wie die simulierten Hallräume aus unserem Lieblings-Plug-in? Selbst in akustisch perfekten Konzerthallen ist es gar nicht so einfach, die Mikros so hinzustellen, dass dieser Raumeindruck auch wirklich auf der Aufnahme landet! Und oft fehlt einfach die Zeit für lange Experimente, weshalb wir dann am Ende lieber direkt mikrofonieren und den Raumeindruck zuverlässig mit einem hochwertigen Hall-Plug-in erzeugen oder zumindest unsere Raummikros mit einem solchen planbaren Effekt ergänzen. Platzierst du die Mikros nur etwas weiter von der Schallquelle entfernt, wirst du auch in einer Mono-Aufnahme bereits einen starken Raumanteil hören. Ergänzt um einen hochwertigen Stereo-Hall mag das die Tiefe ergeben, die du vielleicht auf vielen Aufnahmen bewunderst.
Und: Falls etwas nach ganz breitem Stereo-Effekt klingt, dann sind das häufig lediglich zwei oder mehr Mono-Takes einer Aufnahme, die gegensätzlich im Stereofeld verteilt wurden: einer links, einer rechts und vielleicht noch einer in die Mitte. Das ist eventuell gar keine »echte« Stereo-Aufnahme. Zwinge dich für diesen Trick, selbst Stereo-Signale aus Software-Synthesizern oder -Samplern auf Mono zu schalten und mit der einkanaligen Version weiterzumischen. Das mag sich zuerst etwas befremdlich anhören, aber so ein Umweg kann im Ergebnis tatsächlich zu einem schnellen und planbaren räumlichen Klangeindruck führen. »Viel hilft viel« funktioniert im Mix nicht!
Hall-Plug-Ins
Um eine räumliche Tiefe künstlich zu erzeugen, empfiehlt es sich, nicht nur einen einzelnen Hall-Effekt zu nutzen, sondern beispielsweise über Sends in deiner Audiosoftware die Signale mindestens zwischen einem kurzen und langen Hall-Effekt aufzuteilen. Gute Hall-Plug-ins gibt es von vielen verschiedenen Herstellern, vielleicht bringt deine Audiosoftware auch bereits ein paar gute Varianten mit? valhalladsp.com wäre ansonsten ein ganz heißer Tipp, falls du abseits von den bekannten Marktführern eine günstige Lösung suchst. Falls du mit echten Drumsounds arbeitest, spricht in so einem Mix auch nichts dagegen, die Overheads in echtem Stereo zu belassen und diese Tricks nur mit den restlichen Mikros zu probieren.
Plastik
Wie aber kommen wir nun von den Mono-Signalen zu breitem Stereo-Sound? Könnte man die Signale nicht einfach weiterhin in Mono aufnehmen und so ein geniales »Ich-Mach-Alles-Stereo«-Plug-in auf die Aufnahme draufbügeln, so ähnlich, wie es beinahe jeder Synthesizer-Flächensound mit seinen Unisono- und Chorus-Effekten macht? Wir könnten auch Flächensounds aus dem Synthesizer einfach durch das Doppeln der Spuren erzeugen, indem wir zwei Versionen aufnehmen und diese im Stereopanorama verteilen − zumindest, wenn es keine statischen Sounds sind, die beim Doppeln absolut identisch erklingen!
Bei einem guten Chorus-Effekt werden zeitverzögerte Signale dem Originalsignal so trickreich hinzugemischt, dass damit im Ergebnis ein ähnlicher Effekt simuliert wird wie mit unseren gedoppelten Audiospuren. Unser Ohr kann diese geplanten und wiederholten Modulationen häufig doch sehr genau von zufälligen Dopplungseffekten unterschieden! Auch auf die räumliche Wahrnehmung eines Sounds haben Chorus-Effekte durch ihre Zeitverzögerung einen großen Einfluss. Manchmal hilft es hier, den Effekt nicht in der kompletten Stereobreite zu verteilen, sondern den Effekt gezielt etwas einzuengen und dafür die Mix-Intensität zu erhöhen. Der eigentliche Chorus-Effekt wird dadurch nicht verändert, aber wir sorgen so dafür, dass der Charakter der Bearbeitung nicht so stark auffällt.
Und mit echten Räumen?
Bis hierhin haben wir unsere Mono-Sounds trickreich in ein Stereobild gepfuscht, aber wozu verkaufen die Hersteller von Mikrofonen denn nun die ganzen gematchten Stereo-Sets? Böse Zungen würden behaupten, dass solche Mikrofon-Sets für einige Musikgenres abgesehen von Drum-Overheads auch gar keinen Sinn haben. Aber durch unsere Experimente mit den Einzelsignalen haben wir gerade eine ganz andere Herangehensweise an unser Stereobild geübt, die wir nicht nur mit Plug-ins, sondern auch mit echten Mikros ausprobieren sollten!
Selbst wenn wir Signale normalerweise sehr direkt und ohne großen Raumanteil aufnehmen: Probiere einmal, ein Stereopärchen als Raum-Mikrofone einzusetzen. Du platzierst die Mikros dabei nicht direkt vor deinem Instrument, sondern dort im Raum, wo du einen brauchbaren Hall-Anteil abgreifen kannst. Zusammengemischt mit dem Direktsignal deiner Aufnahme ergibt das eventuell ein viel breiteres Klangbild als die üblichen Stereo-Aufbauten, und der Effekt lässt sich zudem auch noch gut dosieren! Ein lustiger Nebeneffekt dieser Technik ist es, dass du diesen Effekt nicht nur mit einer einzelnen Spur anwenden, sondern diese Raum-Information bei jedem Instrument aufnehmen und wie einen Effekt hinzumischen kannst.
Die Stereospuren dieses Raumsignals kannst du natürlich noch um einen künstlichen Hall-Effekt ergänzen, um einen ganz anderen Charakter zu erzielen.
Lass die Finger vom Bass!
Wo wir nun schon so im Mix herumpfuschen, sollten wir einen Tipp zumindest kennen und ihn − wenn überhaupt − ganz bewusst ignorieren. Bass und Bassdrum können durch Effekte mit Zeitverzögerungen einen schwammigen Attack bekommen, der sich negativ auf die präzise Wahrnehmung dieser Klänge in einem Mix auswirkt. Ein Chorus-Effekt oder auch die Erstreflexionen eines Raumes können aus einem durchsetzungsfähigen Bass-Sound schnell einen dumpfen Klangbrei machen. Ein Trick ist es daher, solche Effekttricks durch ein nachgeschaltetes Low-Cut-Filter zu begrenzen.
Soll ein E-Bass gezielt einen Chorus-Effekt bekommen, kannst du durch das Low-Cut-Filter erreichen, dass der Tiefbassbereich von solchen Effekten unbeeinflusst bleibt. Der Attack des Sounds steht dann weiterhin klar im Mix, und trotzdem hat der Sound den gewünschten Chorus-Charakter.
Fazit
Es gibt sicher noch viele weitere Stereotricks, und in den nächsten Folgen der Studiotipps werden wir diesbezüglich ein paar weitere Themen betrachten. Aber die obigen Ideen sind zumindest auch im Homestudio mit schmalem Budget und wenigen Mikrofonen sehr einfach umzusetzen. Ein Tipp obendrauf: Wenn dich mal jemand fragt, verrate niemandem, dass der Hall nicht echt ist … Ich wünsche viel Spaß beim Experimentieren!