So sehr es seine Fans auch erhofft haben: Das Telefon von Vangelis blieb stumm. Jeder Sci-Fi-Freak hätte wohl liebend gern wieder den griechischen Synth-Großmeister an den Tasten des Yamaha CS-80 gesehen, um „Blade Runner 2049“ zu vertonen, aber die Produzenten hatten sich anders entschieden.
Dabei gehört die Vertonung des ersten Blade-Runner-Films durch Vangelis zu den Sternstunden der Soundtrack-Geschichte. Nicht wenige behaupten, dass der Klassiker von 1982 erst durch den magischen, Synth-lastigen Vangelis-Soundtrack, der viele Musiker beeinflusst hat und u. a. von Massive Attack, Dillinja, Goldie und Boards Of Canada gesampelt wurde, seinen Glanz und seine Deepness bekam. Er passte jedenfalls perfekt zur futuristisch-melancholischen Atmosphäre des Films, der übrigens an den Kinokassen eine Enttäuschung war, da das Publikum damals eher eine familienfreundliche Star-Wars-Space-Oper schätzte als einen dystopischen Film Noir.
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Obwohl in Blade Runner 2049 wieder Harrison Ford zum Zuge kommt, wurde der Soundtrack des neuen Films nicht von Vangelis, sondern von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch geschaffen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Hans Zimmer hat einen tollen, großartig klingenden Soundtrack produziert, der dem aktuellen empfehlenswerten Film gut ansteht. Aber mit Blade Runner verbindet man natürlich auch die spezielle Handschrift von Vangelis, die dem Original die wehmütig-romantische, retrofuturistische Note gab. »Die Zukunft ist alt«, dieses Diktum von C.G. Jung war ein Leitmotiv von Philip K. Dick, von dem die literarische Blade-Runner-Vorlage »Träumen Androiden von elektrischen Schafen« stammt, und wurde 1982 auch von Regisseur Ridley Scott und Vangelis beherzigt.
Spontanes Komponieren
Vielleicht haben die Produzenten von »Blade Runner 2049« Vangelis nicht angerufen, weil sie seine risikoreiche, unkonventionelle und spontane Arbeitsweise fürchteten. Der Blade-Runner-Soundtrack wurde von ihm nämlich nicht nur im Alleingang, sondern auch in Echtzeit ohne Sequenzer und Timecode in seinem Nemo-Studio eingespielt. Ridley Scott schickte ihm das ungeschnittene Rohmaterial auf VHS-Tapes, und Vangelis improvisierte dazu und folgte seinen spontanen Eingebungen, ohne das Drehbuch zu lesen. Dabei waren der Yamaha CS-80 und die anderen Synths, die fast alle in der Tastaturversion vorhanden waren, im Keyboard-Burg-Style um ihn herum in Griffweite angeordnet, sodass er seine Ideen sofort umsetzen konnte.
Übrigens sind auch andere Aspekte des Kultfilms spontan entstanden; so improvisierte Rudger Hauer als sterbender Replikant den berühmten »Tears In The Rain«-Monolog in der finalen Kampfszene: »I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhäuser Gate. All those moments will be lost in time, like tears in rain.«
Bild: Dieter Stork
Bild: Matthias Fuchs, Jörg Sunderkötter
Der Galaktische Kampfstern: Yamaha CS-80
Wenn ein Synthesizer die Bezeichnung »Schlachtschiff« verdient hat, dann ist es der CS-80 von Yamaha, der in den meisten Szenen des Soundtracks zu hören ist. Mit fast 100 kg Lebendgewicht hat er schon den einen oder anderen Orthopäden-Porsche mit finanziert. Yamaha stellte den Analog-Boliden 1976 vor. Er kostete stolze 6.900,− Dollar und gehört zu den frühen polyfonen Seriensynths.
Das Instrument bietet achtfache Polyfonie, eine flexible zweifache Klangerzeugung, einen Ringmodulator, Aftertouch, einen Ribbon-Controller und − damals ein Novum − die Möglichkeit, immerhin vier eigene Sounds abzuspeichern. Der Yamaha CS-80 wartet mit zwei identischen, subtraktiven Klangerzeugungsblöcken auf, die jeweils achtstimmig polyfon sind und gelayert oder im Split-Modus gespielt werden können. Pro Stimme kommen zwei spannungsgesteuerte Oszillatoren zum Einsatz.
In der Filtersektion findet man sowohl ein Lowpass- als auch ein Hipass-Filter, die mit 12 dB Absenkung pro Oktave arbeiten und beide mit einem Resonanzparameter ausgestattet sind.
Bei der Entwicklung des CS-80 griff Yamaha z. T. auf die Technik des sagenumwobenen, 60.000,− Dollar teuren Analogmonsters GX-1 zurück. Bis 1979 wurden ca. 2.000 CS-80 gefertigt. Elektronisch orientierte Musiker waren begeistert von den Möglichkeiten des Synths, und er ist auf vielen Produktionen der 70er- und 80er-Jahre zu hören. Zu den prominentesten Usern gehört z. B. Stevie Wonder, dem besonders der Ribbon-Controller gefiel und der gleich vier CS-80 besaß.
Synth Galore
Neben dem CS-80 setzte Vangelis noch eine Reihe weiterer Synthesizer ein. So spielt z. B. der Stringsound des Roland Vocoder Plus VP-330 eine nicht unwichtige Rolle; er schafft mit seinen synthetischen Flächen eine atmosphärische Dichte und wurde auch manchmal zur Doppelung des CS-80 verwendet. Der VP-330 ist auch auf dem Vangelis-Album See You Later und dem »Chariots Of Fire«-Soundtrack zu hören.
Zu den Synthesizern, die ebenfalls bei der Blade-Runner-Vertonung zum Einsatz kamen, zählen auch der vierstimmige Roland Jupiter-4, der monofone Roland Promars, der Sequential Circuits Prophet-10 und der Yamaha GS-1, der mit FM-Synthese arbeitet. Hinzu gesellen sich der E-Mu Emulator-Sampler, zwei E-Pianos (Fender Rhodes und Yamaha CP-80) sowie der analoge Roland Drumcomputer CR-5000.
Weitere Instrumente und Effekte
Vangelis war auch ein Freund von »Naturinstrumenten« und wird von einigen Fans auch als Weltmusik-Pionier geschätzt. So hört man neben dem von Dick Morrissey gespielten Saxofon, das viel zur romantischen Film-Noir-Atmosphäre beiträgt, auch Gamelan-Instrumente, Gongs, Glockenspiel, Pauken und ein Röhrenglockenspiel (Tubular Bells). Als Effekte benutzte er vor allem das EMT 250 (das erste digitale Hallgerät überhaupt) und das Lexicon 224X, das bis zu 70 Sekunden lange Hall-Fahnen ermöglicht.
Bild: Matthias Fuchs, Jörg Sunderkötter
Bild: Dieter Stork
Blade Runner 2049
Bevor Zimmer beim Soundtrack zum aktuellen »Blade Runner 2049« zum Zuge kam, gab es noch einigen Hickhack um den Soundtrack; anfangs hatte man den isländischen Elektronikproduzenten Jóhann Jóhannson engagiert (der u. a. den Soundtrack zum Sci-Fi-Film Arrival lieferte), aber man entschied sich dann doch für Hans Zimmer, der den Soundtrack zusammen mit Benjamin Wallfisch komponierte und produzierte.
Zimmer verwendete übrigens auch den Yamaha CS-80, um dem Charakter des ersten Blade-Runner-Films zu entsprechen; außerdem setzte er auf seine Lieblings-Softwaresynths Zebra und Diva von U-HE; Letzterer hat zu Recht den Ruf, klanglich den Analogklassikern am nächsten zu kommen.
Hans Zimmer versuchte übrigens, Vangelis zur Mitarbeit zu bewegen (also klingelte das Telefon zumindest einmal bei ihm), aber dieser lehnte ab.