(Bild: Dieter Stork)
Der Korg Prophecy trägt seinen Namen zu Recht, denn er stand am Anfang einer Reihe von VA-Klangerzeugern, die den Sound der Popmusik verändern sollten. Jetzt gilt er zunehmend als Synth-Geheimtipp.
In den 90er-Jahren, als der Korg Prophecy herauskam, gierte der Großteil der Elektronikszene eher nach einer TB-303 oder einem analogen Klassiker als nach einem futuristischen virtuell-analogen Digital-Synth mit einem neuartigen Konzept und einem Hang zu unkonventionellen Sounds; daher blieb dem Prophecy der große kommerzielle Erfolg verwehrt.
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Trotzdem haben sich viele bekannte Musiker, die speziellere Sounds wollten, mit dem monofonen Boliden, der 1995 herauskam, angefreundet und ihn in ihren Produktionen oder auf der Bühne eingesetzt. Dazu gehören neben Joe Zawinul, der ihn auch live zu Solo-Exkursionen verwendete, u. a. Apollo 440, Autechre, The Orb, Jan Hammer, George Michael (Older-Album), Meat Beat Manifesto, Mirwais (Madonna-Produzent), Front Line Assembly, Depeche Mode, Orbital, The Prodigy, Radiohead, Luke Vibert, 808 State, Rick Wakeman, Yes und die Pet Shop Boys. Beliebt ist der Prophecy auch in den osteuropäischen Ländern, und speziell auf dem Balkan schätzt man ihn wegen seiner expressiven Sounds und der Möglichkeit, exotische Skalen laden zu können. Wer den Prophecy mal in modernen Produktionen hören will, sollte Nathan Fakes hochgelobtes Album Providence von 2017 checken, bei dem der Synth excessiv gefeatured wird.
Control-Freak
Wenn man den silbernen Boliden zum ersten Mal sieht, fallen einem zwei Dinge auf. Erstens sieht die Spielhilfenabteilung ziemlich eigenartig aus. Hier findet man nämlich nicht nur Pitch- und Modulationsrad, sondern darüber hinaus auch einen Ribbon-Controller, dessen Empfindlichkeit sich mit einem Poti auf der Rückseite anpassen lässt. Er befindet sich aber nicht auf dem Panel, sondern ist Teil eines querliegenden Zylinders, der wie ein Pitch-Rad vor und zurückbewegt werden kann und mit einer Feder mittig zurückgeholt wird. Das »Dual-Action-Ribbon-Wheel« ist zudem druckempfindlich (Schalter), sodass man allein mit diesem innovativen Controller schon drei Parameter steuern kann. Dass an unserem Testgerät heftigst kontrolliert und performt wurde, zeigt schon die farbliche Abnutzung des silbernen Finishes vom Plastikgehäuse. Schade, dass man das interessante Spielhilfenkonzept bei Korg nicht weiter verfolgt hat.
Eintauchen
Als Zweites fallen dem Korg-Connaisseur die 40 runden, hintergrundbeleuchteten Funktions-Knöpfe auf, die man aus dem Korg M1 kennt. Sie werden zur Eindämmung der Parameterflut ebenso dringend benötigt wie die damals neuartigen fünf Soft-Potis, die dem Display zugeordnet sind. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die kryptischen Abkürzungen der Parameter. Das dreioktavige Keyboard lässt sich gut spielen und ist Aftertouch-fähig.
(Kate?) Moss
Irgendwie hat es auch was mit Models bzw. Modeling zu tun, was da im Herzen des Prophecy passiert. Die von Korg entwickelte MOSS-Synthese (Multi-Oscillator-Synthesis-System) arbeitet sowohl mit Nachbildungen analoger Wellenformen (Standard Oscillator) als auch mit Physical Modeling. Außerdem stehen weitere DSP-basierte Oszillator- Modelle wie Kammfilter-Synthese, eine FM-artige Phasen-Modulation sowie ein Modulations-Oszillator, der neben Sync-Sounds auch Ring- und Cross-Modulation erzeugt, zur Verfügung. Zwei Oszillatoren inklusive Suboszillator und Noise-Generator bilden die Basis für den Prophecy-Sound. Sie können wahlweise mit einem der obengenannten Oszillator-Modelle bestückt werden, wobei auch Kombinationen möglich sind, was das Ganze besonders interessant macht. Beim rechenintensiven Physical Modeling (hier stehen die drei Modelle Brass, Reed und Pluck bzw. Saiteninstrument bereit) muss man allerdings auf den zweiten Oszillator verzichten.
Als weitere Klangbausteine kommen außerdem zwei Multimode-Filter, vier Hüllkurven (mit Presets für typische Envelope-Formen) und vier synchronisierbare LFOs zum Einsatz; Letztere bieten bis zu 18 (!) Wellenformen und sind bis zu 60 Hz schnell.
Abgerundet wird das Ganze durch eine Effekt-Abteilung mit Reverb, Delay, Chorus, Flanger, Distortion und EQ. Ein Arpeggiator mit wählbarem Gate-Parameter ist auch an Bord.
Killer Driller
Der Prophecy ist ein außergewöhnlich flexibler Klangerzeuger und gehört zu den wildesten frühen Digital-Synths; vor allem Freunde experimenteller Klänge kommen hier auf ihre Kosten. Da wird geraspelt, geröchelt, gemorpht und digital-bissig zugeschnappt, dass es eine Freude ist. Je nach Soundeinstellung kann der Prophecy in dichteren Arrangements vor allem mit echt-analogen Klangerzeugern aber auch mal etwas untergehen. Mit der Phasenmodulation lassen sich FM-artige Sounds erstellen, die Standard-Oszillatoren liefern Emulationen analoger Synths, die allerdings nie wirklich warm klingen.
Vorsicht ist bei den Kammfilter-basierten Sounds geboten. Der Comb-Oszillator arbeitet mit Weißem Rauschen, das durch einen Feedback-Loop (mit Hochpassfilter und Delay) geschickt wird und sich abhängig von den Feedback-Einstellungen zu einem tonalen Signal hochschaukelt. Die Kammfiltersynthese des Prophecy kann sich zum kostenintensiven Boxenzerstörer entwickeln, vor allem, wenn man beim Sound-Tauchen mit extremen Feedbacks experimentiert.
Wirklich edel klingt der Prophecy nicht, auch die 90er-Jahre-typische, mittelprächtige Effektsektion reißt hier nichts raus. Aber gerade das Raue, Ungeschliffene macht den lebendigen Reiz des Prophecy aus. Wer aber erwartet, mit dem Prophecy naturgetreue, expressiv spielbare Bläser-Sounds (wie in Yamahas VL-Serie) generieren zu können, wird enttäuscht; die Klänge können ihre synthetisch digitale Herkunft nicht verhehlen, haben aber einen ganz eigenen Charme.
Ohne Moss nix loss
Die MOSS-Engine wurde (leicht erweitert) noch in anderen, deutlich teureren polyfonen Korg-Synth-Schlachtschiffen implementiert. Damit ausgestattet wurde z. B. der Z1, der 1998 für ca. 4.500 Mark auf den Markt kam. Er ist zwölfstimmig und konnte mit einem 900 Mark teuren optionalen Voice-Bord auf 18 Stimmen erweitert werden. Klanglich wirkt der Z1 allerdings etwas zahmer als der Prophecy. Die späteren Triton- und Karma-Workstations können mit dem optionalen EXB MOSS-Board nachgerüstet werden.
Der Korg Prophecy wurde uns freundlicherweise von Joker Nies (www.klangbureau.de) zur Verfügung gestellt.
Wir haben Keyboards-Autor und Circuit-Bending-Guru Joker Nies ein paar Fragen zum Prophecy gestellt.
Wie kam es zum Erstkontakt mit dem Korg Prophecy?
Entdeckt habe ich ihn in der Fachpresse (Test in KEYBOARDS 11/1995) und war direkt von den Features angetan. Ich hab ihn dann gleich angetestet und auch sofort gekauft, obwohl er mit einem Neupreis von knapp 2.600 Mark nicht gerade günstig war.
Was schätzt du am Prophecy?
Neben der damals neuen und trendigen Physical– und den fünf verschiedenen Syntheseformen ist es das Gesamtkonzept, das damals innovativ und wegweisend war. Mit übersichtlichem Display, reichlich Bedienelementen und einer umfassenden, wenn auch nicht perfekten Modulationsmatrix (einige Parameter lassen sich nur CC 1 zuweisen) sind schnell und effektiv Sounds erstellt — hat man sich erst mal durch den 180-seitigen Parameter-Guide gearbeitet.
Welchen Mehrwert bietet er im Vergleich zu aktuellen Software-Synths?
Die MOSS-Synthese hat schon einen sehr eigenen Klangcharakter, den man mit keinem anderen Instrument so erreichen kann. Wenn auch die Physical-Modeling-Algorithmen von Blech- und Holzbläsern mit den Flute- und String-Modellen klanglich nicht mithalten können, sind gerade diese bei Keyboardern aus dem Balkan sehr beliebt, da sie sich sehr expressiv spielen lassen. Aber auch Experimentelles mit eigenständigem Charakter lässt sich dank vier LFOs, vier Hüllkurven, Effekten und einer komplex verschaltbaren Filter-Architektur durch die umfänglichen Kontrollmöglichkeiten gestalten.
Worauf muss ich beim Gebrauchtkauf achten?
Kommen die Instrumente in ein gewisses Alter, ist an verschiedenen Stellen mit Kontaktschwierigkeiten zu rechnen. Insbesondere manche der beleuchteten Taster verlangen da nach kräftigem Druck, was wiederum dazu führen kann, dass die roten Tasterkappen, die als Quartett angeordnet sind, abbrechen. Diese Tasterkappen, die z. B. auch im Korg M1 verbaut sind, sind heute äußerst schwer und nur zu horrenden Preisen zu beschaffen, während die Taster selbst (6 x 6 x 9,5 mm PCB Momentary taktile Tact Push Button Switch 4-Pin DIP) für wenige Cent zu haben sind.
Ebenfalls sehr zu empfehlen: Firmware Version 2.0, die sich auch einfach nachrüsten lässt. Dazu müssen allerdings zwei EPROMs getauscht werden, die glücklicherweise von freundlichen Synth-Enthusiasten (aleksander2990) auf eBay angeboten werden. Hat man das Gerät einmal geöffnet, sollte auch direkt die Speichersicherungsbatterie (CR 2032) getauscht werden.
Ein kleines Wort der Warnung: Wer sich daran macht, einen Prophecy zu restaurieren, sollte solide Kenntnisse im Löten besitzen und die unzähligen Schrauben, die zu lösen sind, geordnet aufbewahren, damit hinterher auch alles wieder richtig sitzt.