Wer sagt, dass alles immer schlechter wird? Manchmal gibt es auch ein Happy End: Synthesizer-Pionier Dave Smith bekam die Namensrechte von Yamaha für seine Traditionsfirma zurück, und Dave Smith Instruments heißt jetzt wieder Sequential. Damit kommt eine echte Silicon-Valley-Erfolgsgeschichte, an der viele kluge Westküsten-Nerds beteiligt waren, zu einem versöhnlichen Abschluss.
Anzeige
Der in San Francisco geborene Dave Smith war schon als Schüler von Musik und Elektronik fasziniert. Er studierte in Berkeley Elektrotechnik und Computerwissenschaften und spielte Gitarre und Bass in diversen Bands aus dem Uni-Umfeld. Eines Tages, nachdem er seinen Abschluss gemacht und einen Job bei Lockheed angenommen hatte, erzählte ihm ein Freund von einem Synthesizer in einem Musikgeschäft, den er sich unbedingt mal angucken sollte. So kam es 1971 zum schicksalsträchtigen, magischen Erstkontakt von Dave Smith und einem Minimoog, der für seinen weiteren Lebensweg entscheidend war. Smith verliebte sich in das Instrument, nahm einen Kredit auf und kaufte den Synthesizer sowie eine Teac 3340-Bandmaschine.
Es ist ein Model, und es sieht gut aus
Bald wollte er sein Heimstudio mit einem Sequenzer erweitern, musste jedoch feststellen, dass nur der ziemlich teure Moog 960-Sequenzer (1.700 Dollar) verfügbar war (Oberheims DS2-Sequenzer kam erst kurze Zeit später heraus). Smith begeisterte sich immer mehr für elektronische Musikinstrumente und begann 1973, selbst einen Sequenzer zu entwickeln, wofür er sich Hilfe von Emu Systems holte, die nicht weit von seiner Wohnung im Silicon Valley angesiedelt waren. Sie stellten ihm ihren sehr stabilen (im Emu Modular verbauten) VCO 1201 als Timebase für den Sequencer zur Verfügung, und Model 600, das erste Sequential-Produkt der neugegründeten Firma Sequential Circuits war geboren.
Dabei handelte es sich um einen analogen Step-Sequenzer mit drei Reihen, der (dank des VCOs 1201) auch als Wellenform-Generator eingesetzt werden kann. Eine kleine Anzeige im Rolling Stone brachte vier verkaufte Exemplare (1.025 Dollar).
Sequential Circuits (er wählte bewusst einen nicht so Musik-affinen Namen, denn er plante anfangs, zukünftig auch Computerzubehör anzubieten) bestand nur aus Dave Smith und war in seiner Einzimmerwohnung im Valley beheimatet. Er fertigte die Geräte in seiner Freizeit in seiner provisorischen Werkstatt, die er im Badezimmer aufgebaut hatte.
Zweiraumwohnung
Nach einem Umzug in eine Zweizimmerwohnung (!) entstand 1976 Model 800, ein digitaler Sequenzer, der 16 in Echtzeit aktivierbare Patterns bietet, die jeweils 256 Noten fassen konnten, und anfänglich für 795 Dollar zu haben war.
Smith schaltete eine Anzeige im Keyboard-Magazin, woraufhin sich John Bowen meldete, der zu dieser Zeit Synth-Vorführungen für Moog machte und dafür einen kompakten Sequenzer brauchte. Er rief bei Sequential an und fragte, ob er die Fabrik besichtigen könnte. Es meldete sich ein Mädchen, die ihm mitteilte, dass die »Fabrik« eine Zweizimmerwohnung sei und Smith um 17 Uhr (er hatte zu dieser Zeit noch einen Day-Job bei Xerox) zu Hause sei. Bei dem Treffen verstanden sich beide gut, Bowen bekam den Sequenzer und versprach im Gegenzug, sein Produkt auf den Moog-Vorführungen unter der Hand zu promoten. Diese »Geheim-Promo« (u. a. auf der NAMM 1976, auf der er Leuten in der Moog-Booth verstohlen Sequential-Flyer in die Hand drückte) machte den Sequenzer im kleinen Kreis immer bekannter; der Model 800 wurde bis 1980 gebaut und u. a. von Synth-Wizards wie Larry Fast und Susanne Ciani verwendet. Produzent Michael Boddiker setzte das Gerät u. a. bei der Produktion von Cheap Tricks Erfolgsalbum Heaven Tonight von 1978 ein, wobei er es zur Variation von Sequenzen geschickt mit einem Roland Space Echo kombinierte.
Model 800 kam 1975 heraus und ist ein früher digitaler Sequenzer. Ca. 350 Stück wurden gefertigt. Er kostete 795,-$.
Der Programmer Model 700 ist mit zwei Envelope-Generatoren ausgestattet.
Ein weiteres Sequential-Produkt, der Programmer Model 700, entstand 1977 (der Firmensitz war inzwischen eine Industrie-Halle im Silicon Valley); auch hier hatte Dave Smith einen Riecher für Marktlücken, denn zu dieser Zeit gab es so gut wie keine Speichermöglichkeiten für gängige Synthesizer. Das Gerät kann u. a. Sounds vom Minimoog oder dem ARP Odyssey speichern. Der Programmer war aber auch eine wichtige Station auf dem Weg zum Prophet-5, denn Smith verbaute in der zweiten Version des Gerätes erstmals SSM-Chips von der kalifornischen Firma Solid State Music.
Prophetisch: Model 1000
Beim Nachdenken darüber, wie man die erste Version des Programmer mit SSM-Chips verbessern könnte, kam Dave Smith auf den Gedanken, einen polyfonen Synthesizer mit einem zentralen Mikroprozessor und SSM-Chips zu bauen. Er war aber skeptisch, da er glaubte, dass die etablierte Konkurrenz bei Moog und ARP ein solches Produkt schon längst in der Pipeline hatten. Synth-Spezialist John Bowen, der zwischenzeitlich bei Moog gekündigt hatte und zu Sequential gestoßen war, bestärkte Dave in seinem Vorhaben, und sie begannen mit der Entwicklung des Model 1000, der dann zum Prophet-5 wurde. Es ging zu dieser Zeit unglaublich hektisch zu bei Sequential, denn sie hatten bis zur NAMM im Januar 77, auf der das Instrument vorgestellt werden sollte, nur ca. sechs Monate Zeit, um einen Prototyp zu bauen, der auch attraktive Laute von sich gab.
Prophet-5
Dave Smith programmierte das Hirn des Synths, den Mikroprozessor Z80 (der 1976 von der Firma Zilog in San Jose herausgebracht wurde), im Alleingang. Scott Wedge und David Rossum von Emu halfen u. a. bei der Entwicklung der analogen, subtraktiven Klangerzeugung, die mit spannungesteuerten SSM-Chips realisiert wurde, und steuerten ihre patentierte, polyfone Z80-gesteuerte Tastatur (wofür Sequential jahrelang Lizenzen zahlte) bei. Auf John Bowens Anregung wurde die leistungsfähige (PolyMod-)Modulationsmatrix realisiert, mit der man auch FM-artige Sounds erstellen kann.
Am ersten Tag der NAMM 1977 erschien Dave Smith dann erst (nach ca. 36 Stunden ohne Schlaf) am Nachmittag am Sequential-Stand, wo die Konkurrenz schon neugierig auf den neuen Wunder-Synth wartete; die Erleichterung des Teams (bestehend aus Bowen und Buchhalterin Barb Fairhurst) war groß, als der Prototyp glücklich hochfuhr, und man begann hinter dem Vorhang, schnell noch ein paar Demo-Sounds zu erstellen. Dann erhob der Prophet seine Stimme und begeisterte die Musikwelt; die Erfolgsgeschichte des ersten programmierbaren, polyfonen Synthesizers − ein perfektes Instrument für eine neue Popmusik-Ära − begann. Im ersten MTV-Video überhaupt (Video Killed The Radio Star von den Buggles) spielt Geoff Downes neben anderen Synths auch einen Prophet-5.
Ursprünglich wurde der Prophet-5 im gleichen Gehäuse auch 10-stimmig als Prophet-10 angeboten. Allerdings mussten die wenigen ausgelieferten Geräte zum größten Teil bald wieder zurückgenommen werden, da das zusätzliche SSM-Chip-bestückte Voiceboard wegen der Hitzeentwicklung extreme Stabilitätsprobleme verursachte (und z.B. wie von Geisterhand anfing, selbständig zu spielen oder durch die Presets zu steppen). Erst die später im Jahr herausgekommene zehnstimmige, zweimanualige Version des Prophet-10 im großen Gehäuse, arbeitet zuverlässig, wurde aber kein großer Verkaufserfolg.
Bild: Dieter Stork
Der mit ca. 1.900 Dollar relativ preisgünstige Prophet-600 klingt nicht so warm und breit wie der Prophet-5, kann dafür aber mit Arpeggiator und Sequenzer punkten.
Revisionen
Jeder wollte auf einmal einen Prophet-5 haben, und Sequential hängte seine polyfonen Hauptkonkurrenten Polymoog (wg. Frequenzteilerschaltung klanglich unterlegen) und Yamaha CS-80 (sehr schwer, nur vier Speicherplätze) ab. Zur ersten Generation der Prophet-5-User gehörten u. a. Tony Banks (Genesis), Rick Wakeman (Yes), Jerry Harrison (Talking Heads), Peter Gabriel, Susanne Ciani, Larry Fast, Alan Howarth (der den Prophet-5 u. a. bei der Produktion der Filmmusik von Escape From New York zusammen mit John Carpenter einsetzte) − alles Leute, die sich den stolzen Preis von 3.995 Dollar leisten konnten (deren Kaufkraft heutigen 15.500 Dollar entspricht).
Zwischen 1978 und 1984 wurden drei Versionen des Prophet-5 gebaut. Der ersten, in Handarbeit gefertigten Version (182 wurden verkauft) folgte bald Revision 2 (Seriennummer 182 bis 1300) mit Walnuss-Gehäuse und verbesserter, sehr viel zuverlässiger Schaltungstechnik. Bei Version 3 ersetzte man die SSM-Chips (die oft fehlerhaft waren und u. a. Temperatur-Probleme hatten) durch die zuverlässigeren Chips von Curtis (CEM), was den Klang etwas veränderte. Viele Synth-Nerds schwören deshalb auf die SSM-bestückte Version des Prophet-5, die im Vergleich zum präziseren, cleaneren Sound der CEMChips etwas wärmer klingt.
40 Sounds lassen sich abspeichern, auch das war ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Viele der ausgelieferten Preset-Sounds wurden übrigens von Synth-Spezialist Alan Howarth in einer Nacht-und-Nebel-Aktion während einer Tour mit Joe Zawinul erstellt, dessen Prophet-5 alle Sounds verloren hatte. Als der Synth anschließend zur Überholung an Sequential geschickt wurde, war das Team davon begeistert, und man fragte, ob man sie nutzen könnte.
Pro-One-Power to the People
Der Erfolg des Prophet-5 ermöglichte der mittlerweile mehr als etablierten Firma eine deutliche Erweiterung der Produktpalette. 1980 kam der Prophet-10 heraus, der dank der CEM-Chips jetzt auch technisch realisiert werden konnte (s. u.). Man kann ihn als zehnstimmiges Instrument spielen, zwei fünfstimmige Sounds layern oder auf den beiden Tastaturen verteilen. Er ist außerdem mit einem Sequenzer ausgestattet, der 2.600 Noten verarbeiten kann und seine Daten auf einem obskuren Micro-Kassetten-Laufwerk ablegt. Das Gerät ist in jeder Hinsicht ein Monstrum; es wiegt an die 32 Kilo und kostete 8.790 Dollar. Von ihm wurden nur 600 Exemplare verkauft.
Jetzt wollte man bei Sequential auch im niedrigeren Preissegment punkten, und so wurde ab 1980 der monofone Analog-Synth Pro-One (hauptsächlich von Dave Smith und Steve Salani) entwickelt, der ein Jahr später für 660 Dollar auf den Markt kam. Seine Klangerzeugung arbeitet mit Curtis-Chips und entspricht einer Stimme des Prophet-5 Rev 3. Seine Modulationssektion ist aber noch flexibler und leistungsfähiger als die des großen Bruders, und er besitzt außerdem noch einen Arpeggiator und einen Step-Sequenzer. Dies und die Möglichkeit, ihn mit anderen Geräten wie z. B. Drumcomputern zu synchronisieren, machten ihn für die Synthpop-Szene dieser Zeit sehr attraktiv: Vince Clarke setzte ihn u. a. bei Yazoo gerne für Bass und Lead-Sounds ein. Der Pro-One wurde ein echter Hit und bescherte der Firma einen warmen Geldsegen.
MIDI & More
Wir haben Dave Smith, der immer gut darin war, Marktlücken zu erkennen und neuartige Geräte zu konzipieren, nicht nur legendäre Synths zu verdanken, er gehörte auch zu den MIDI-Geburtshelfern. Die Initiative, eine Herstellerübergreifende Schnittstelle für Synthesizer zu schaffen, ging 1981 von Roland-Gründer Ikutaro Kakehashi aus; er wandte sich neben Tom Oberheim auch an Dave Smith, der den Sequential-Ingenieur Chet Wood damit beauftragte, auf der Basis der Roland-eigenen DCB-Schnittstelle das MIDI-Protokoll zu entwickeln, und überzeugte die anderen amerikanischen Synth-Firmen von dem Projekt. Die MIDI-Spezifikationen wurden 1983 der Öffentlichkeit vorgestellt; im gleichen Jahr kam der Prophet-600, der erste Synthesizer, der eine MIDI-Schnittstelle besaß, auf den Markt. Dieser sechsstimmige Analog-Synth basierte ebenfalls auf Curtis-Chips, war mit Folienbedientasten ausgestattet und deutlich günstiger als der Prophet-5. Dafür kann er mit dem Vorgänger klanglich nicht mithalten, er wirkt deutlich cleaner und kühler.
Pro-FX
Weitere Sequential-Produkte dieser Ära waren neben dem Prophet T-8, einer Edelversion des Prophet-5, und dem Poly-Sequenzer (einer Stand-Alone-Version des Prophet-10- Sequenzers, die 1981 herauskam) das Pro FX-Rack, mit dem Sequential in Zeiten des Eurorack-Booms vermutlich Furore gemacht hätte. Dabei handelt es sich um ein ziemlich eigenwilliges, aber leistungsfähiges Effekt-Rack, das mit Sequential-eigenen Modulen bestückt werden kann. Der hohe Preis verhinderte aber eine größere Verbreitung des Systems. Auch vom Prophet Remote Interface Keyboard (die Abkürzung PRIK sorgte im Team für gute Laune) wurden nur 300 Exemplare gebaut, weil man damit lediglich den Prophet ansteuern konnte.