Anfang dieses Jahres überraschte die Georg Neumann GmbH mit dem ersten Kopfhörer ihrer 90-jährigen Firmengeschichte. Dabei ist diese Entwicklung nur konsequent, schließlich hat der Berliner Mikrofonhersteller mit seinen Studiomonitoren längst auch das hintere Ende der Signalkette erobert. Mit dem NDH 20 folgte endlich der dazu passende Kopfhörer.
Inzwischen bin ich es gewohnt, dass Premium-Kopfhörer in übergroßen, durchgestylten Verpackungen geliefert werden; beim Neumann NDH 20 wundere ich mich dagegen, wie der Hörer überhaupt in diesen kompakten Karton hineinpasst. Des Rätsels Lösung: Die Ohrmuscheln sind drehbar, sodass der NDH 20 sich zum Transport flach macht. So bietet der Karton sogar noch Platz für ein aufklappbares Fach fürs Zubehör: Staubschutzbeutel, zwei austauschbare Kabel (gerade/gewunden) und die Gebrauchsanweisung.
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Silberling
Einen Neumann-Kopfhörer hätte ich mir schwarz vorgestellt oder anthrazit, wie die Monitorboxen, mit einem leuchtend roten Neumann-Emblem, wie auf den Mikrofonen der TLM-Serie. Der Hörer, den ich nun in Händen halte, sieht indes ganz anders aus … und doch 100 % Neumann-like. Es dominiert ein mattes Silber, ähnlich dem klassischen Neumann-Mikrofon-Finish; die Polster sind schwarz abgesetzt, während die Schallwandler als optische Auflockerung von einem orangen Gewebe verdeckt werden. Auch das passt zur Corporate Identity: Neumann nutzt seit geraumer Zeit auf der Website und in Dokumenten Orange als Kontrastfarbe. Am unteren Ende des Kopfbands ist beidseitig das bekannte Neumann-Logo eingraviert, ganz ohne farbliche Hervorhebung der Raute: souveränes Understatement. Vor allem aber beeindruckt der NDH 20 mit seiner hohen mechanischen Qualität. Während die meisten Kopfhörer, auch der preislichen Oberliga, inzwischen primär aus Kunststoffen gefertigt sind, besteht der Neumann-Kopfhörer größtenteils aus Metall. Die Ohrmuschelabdeckungen sind aus Aluminium gearbeitet, ebenso die Gelenke und Teile des Bügels. Für den korrekten Anpressdruck sorgt ein Kopfband aus Federstahl. Aufgrund seiner Metallkonstruktion kommt der NDH 20 auf immerhin 388 g; das Gewicht verteilt sich aber ohne Druckstellen und wirkt − jedenfalls auf mich − nicht störend oder ermüdend.
Die kreisrunden Muscheln sind ohrumschließend und bieten ausreichend Platz auch für große Lauscher. Die Polster bestehen aus Memory-Foam und haben einen hautschmeichelnden Velours-Überzug. Dreidimensional bewegliche Gelenke sorgen für optimalen Sitz und eine gleichmäßige Verteilung des Anpressdrucks. Obwohl Letzterer nur im mittleren Bereich liegt, ist die Schallisolation überraschend hoch. Der NDH 20 ist ein geschlossener Kopfhörer.
Wie eingangs erwähnt, liegen zwei Kabel bei, ein Spiralkabel und ein gerades Kabel von je 3 Metern Länge. Ein aufschraubbarer Adapter von 3,5-mm-Miniklinke auf 6,3-mmKlinke liegt bei. Die Zuführung ist einseitig über einen verriegelbaren 2,5-mm-Miniklinkenstecker. Anders als üblich befindet sich die zugehörige Buchse nicht an der linken Muschel, sondern an der rechten − das macht sonst fast nur Sennheiser. Tatsächlich gehört Neumann ja seit geraumer Zeit zur Sennheiser-Gruppe. Trotzdem ist der NDH 20 nicht einfach ein Sennheiser-Kopfhörer mit Neumann-Raute, auch wenn einige mechanische Komponenten von einem inzwischen eingestellten Sennheiser-Modell übernommen wurden. Die Kernkomponenten wie die 38-mm-Schallwandler sowie die Akustik der Ohrmuscheln wurden neu entwickelt, und auch die Klangabstimmung wurde von Neumann vorgenommen.
Die Schallwandler arbeiten nach dem dynamischen Prinzip, d. h. ähnlich wie kleine Lautsprecher. Dank Neodym-Magneten erreichen sie eine recht hohe Empfindlichkeit von 114 dB SPL re 1 Vrms. Mit 150 Ohm liegt ihre Impedanz in einem günstigen Bereich. Um es kurz zusammenzufassen: Mit einer besonders niedrigen Kopfhörerimpedanz (unter 50 Ohm) lässt sich selbst an »schlappen« Kopfhörerausgängen brachiale Lautstärke erreichen, während eine höhere Impedanz (250 bis 600 Ohm), wie sie einst für Studio-Kopfhörer üblich war, sich auf die Verzerrungsarmut günstig auswirkt, weil die Ausgangsstufe eine geringere Last antreiben muss. An vielen heutigen Geräten erreichen Kopfhörer mit etwas höherer Impedanz aber keine ausreichende Lautstärke. Insofern ist ein mittlerer Wert von 150 Ohm ein guter Kompromiss für praxisgerechte Lautstärke bei immer noch niedrigen Verzerrungen. Soweit zur Theorie. Spätestens jetzt wird es Zeit, den Kopfhörer aufzusetzen und über den Klang zu reden!
Praxis
Was sofort auffällt, ist die sorgsam austarierte Klangbalance mit einer außergewöhnlich guten Mittenauflösung. Geschlossene Kopfhörer leiden ja häufig unter einem unausgewogenen Klang mit quäkigen Mittenresonanzen. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren einiges getan, oft aber dergestalt, dass die Mitten breitbandig abgesenkt wurden. Der resultierende Badewannen-Frequenzgang sorgt zwar für schmerzfreien Sound, aber fürs Mischen eignet sich ein solcher Hörer eher nicht. Den Neumann-Ingenieuren ist es dagegen gelungen, das eigentliche Übel anzupacken: Die störenden Mittenresonanzen wurden weitestgehend beseitigt. Daher gehört der NDH 20 zu den wenigen geschlossenen Kopfhörern, die ich auch für Mixing empfehlen würde − eigentlich eine Domäne für offene Modelle (oder natürlich Lautsprecher).
Die gute Mittenauflösung hilft enorm, die Pegelverhältnisse richtig einzuschätzen. Während es bei vielen Kopfhörern schwerfällt, den Lead-Vocal ins richtige Verhältnis zum Arrangement zu setzen, lande ich mit dem NDH 20 ziemlich genau dort, wo ich auch mit Lautsprechern gelandet wäre. Wobei ich im Studio mit Neumann KH 310 A Lautsprechern arbeite, insofern belegt der Selbstversuch auch eine gewisse Kompatibilität zu den Monitorboxen desselben Herstellers. Die weitgehende klangliche Kongruenz verkürzt zudem die Einhörphase, sodass man relativ rasch und mühelos zwischen Lautsprechern und Kopfhörer wechseln kann. Wer mit Neumann-Studiomonitoren arbeitet, findet daher im NDH 20 endlich die passende Ergänzung. Denn obwohl alle Hersteller für ihre Abhörsysteme Linearität und Neutralität in Anspruch nehmen, bleibt ein erheblicher Interpretationsspielraum. Bei Kopfhörern umso mehr als bei Lautsprechern, da bis heute keine Möglichkeit existiert, die Linearität eines Kopfhörers nachvollziehbar zu messen. Die Interaktion mit dem menschlichen Gehör ist zu komplex. Letztlich bleibt man auf Hörvergleiche angewiesen, was wohl auch die klangliche Verwandtschaft zu den Neumann-Studiomonitoren erklärt: Der NDH 20 wurde in zahllosen Hör-Sessions von denselben Entwicklern und Testhörern mit den hauseigenen Monitorboxen verglichen. Herausgekommen ist ein Klangbild, das man durchaus als Neumann-typisch bezeichnen kann: klare, aber nicht überzeichnete Höhen, satte Mitten und ein wohlproportionierter Bass − ohne die häufig anzutreffende Überbetonung der Subfrequenzen.
Das zweite hervorstechende Merkmal des NDH 20 ist, wie bereits angesprochen, eine überraschend hohe Schallisolation. Überraschend deshalb, weil der Anpressdruck nicht sonderlich hoch ist. Die weichen Polster schließen sehr gut ab und verteilen den Druck gleichmäßig, sodass auch längere Hör-Sessions schmerzfrei bleiben − zumal der NDH 20 auch tonal nicht anstrengt. Die Kombination aus hohem Tragekomfort und sehr guter Schallisolation macht den NDH 20 zu einem angenehmen Kopfhörer für Musiker beim Einspielen von Instrumenten, aber auch für Tonmenschen in lauten Umgebungen, beispielsweise beim Optimieren der Mikrofonpositionierung im Aufnahmeraum oder in FoH-Anwendungen. Auch für mobiles Arbeiten ist der Neumann NDH 20 bestens geeignet, seien es Außenaufnahmen oder ungestörtes Musikmachen/Klangschrauben bzw. (Pre-) Mixing auf Reisen.
Der NDH 20 benötigt keinen besonders leistungsstarken Kopfhörerverstärker; er ist auch an meinem MacBook Pro mehr als ausreichend laut. Aufgefallen ist mir jedoch, dass er bezüglich Anschlussimpedanzen etwas wählerisch ist. An meinem Drawmer MC2.1 Monitor-Controller klang der NDH 20 etwas mittiger als sonst. Wie sich herausstellte, hat der Phones-Ausgang des Drawmer MX2.1 eine ungewöhnlich hohe Ausgangsimpedanz von 100 Ohm. Üblich sind Werte im einstelligen Bereich, teils sogar unter 1 Ohm. Höhere Werte findet man mitunter bei Studiogeräten: Manche Hersteller versehen nämlich den Kopfhörerausgang mit einem Widerstand zum Schutz gegen Kurzschlüsse bzw. um die maximale Lautstärke zu reduzieren. Kopfhörerausgänge an Mobilgeräten haben dagegen praktisch immer eine sehr niedrige Ausgangsimpedanz, denn mit niedrigen Betriebsspannungen kommt man sonst nicht auf angemessene Lautstärke. Auch alle Audio-Interfaces, die ich auftreiben konnte, u. a. das Universal Apollo Twin USB und das neue Apollo X sowie das MOTU 1248, hatten sehr niedrige Ausgangsimpedanzen und harmonierten gut mit dem NDH 20. Selbst an meinem kleinen Olympus-Aufnahmegerät klang der NDH 20 ausgezeichnet. Höhere Ausgangsimpedanzen wie beim Drawmer sind also eher die Ausnahme; trotzdem sollte man diesen Punkt im Auge behalten und ggf. einen anderen Ausgang verwenden.
(Bild: Dr. Andreas Hau)
Fazit
Dass die Firma Neumann nicht nur ausgezeichnete Mikrofone baut, sondern mit ihren Studiomonitoren auch das hintere Ende der Signalkette kompetent bedient, ist längst bekannt. Nun liefert der Berliner Hersteller endlich auch den passenden Kopfhörer. Was nicht heißt, dass man ihn nur in Betracht ziehen sollte, wenn man bereits Neumann-Lautsprecher besitzt; aber durch die weitgehende klangliche Kongruenz ergibt sich ein besonderer Vorteil: Es fällt besonders leicht, zwischen beiden Wiedergabesystemen zu wechseln.
Sehr gelungen ist die Klangdarstellung aber nicht nur, weil sie dem »Neumann-Sound« entspricht. Der NDH 20 gehört zu den ganz wenigen geschlossenen Kopfhörern mit einer sauberen, weitgehend linearen Mittenwiedergabe. Während viele andere Kopfhörer mit extremem Tiefbass und Hochglanz-Höhen eher auf Effekt und »Pseudo-Hi-Fi« aus sind, punktet der Neumann-Kopfhörer − klanglich wie optisch − mit einer souveränen Unaufgeregtheit. Der NDH 20 ist kein Detail-Monster; seine Stärken liegen nicht im Analytischen, sondern in einem harmonischen Gesamteindruck. Alle Frequenzbereiche stehen im richtigen Verhältnis zueinander, insofern weiß man stets, wo man anpacken muss, wenn’s noch nicht klingt, wie es soll. Auch die Pegelverhältnisse werden korrekt dargestellt. Somit gehört der NDH 20 zu den wenigen geschlossenen Kopfhörern, die man auch fürs Mixing empfehlen kann.
Hervorzuheben ist außerdem die hohe Schallisolation in beide Richtungen bei hohem Tragekomfort − eine seltene Kombination. Und auch die mechanische Konstruktion überzeugt: So viel (Leicht-)Metall findet man heutzutage nur noch selten an einem Kopfhörer, selbst im PremiumSegment. Da mutet der Preis von 499 Euro fast schon günstig an!
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sehr ausgewogener, Neumann-esker Klang
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ungewöhnlich hohe Mittenauflösung für einen geschlossenen Kopfhörer
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hohe Schallisolation bei gutem Tragekomfort
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auch für Mixing geeignet
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etwas wählerisch bzgl. der Anschlussimpedanz