Musik und Sounddesign zum Animationsfilm »Manou − flieg’ flink!«
von Frank Schreiber,
Anzeige
Animationsfilme haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Es kann jede Idee umgesetzt werden, die dem Regisseur in den Sinn kommt und beim realen Filmdreh einfach unbezahlbar oder schlicht unmöglich zu realisieren wäre. Von abgefahrenen Kamerafahrten, über schräge Fabelwesen bis hin zu fantastischen Welten ist hier einfach alles möglich. Doch die bunten und dynamischen Bilder brauchen auch ihre Entsprechung auf der Audioebene — und hier herrscht am Anfang der Filmproduktion naturgemäß erst mal sehr viel Stille, die gefüllt werden will. Ich durfte mich der Aufgabe unlängst sowohl als Komponist wie auch als Sounddesigner beim Animationsfilm »Manou − flieg’ flink!« annehmen, der seit 28.02. bundesweit in den Kinos läuft. Der Film wurde in feinstem Dolby Atmos gemischt, es gab Orchesteraufnahmen, eine durchgängige 5.1-Produktion, mit den Stimmen von Kate Winslet und Willem Dafoe sogar einen Hauch von Hollywood und vieles mehr, das die Arbeit an dem Projekt versüßt hat.
Anzeige
Bei einem Animationsfilm gleichzeitig für Filmmusik und Sounddesign verantwortlich zu sein, hat natürlich seinen ganz besonderen Reiz. Am Anfang der Filmproduktion sind nur die Bilder und höchstens noch aufgenommene Dialoge vorhanden, auf die die Lippen- und Mundbewegungen animiert werden. That’s it. Dadurch, dass es im Gegensatz zum Realfilm also keine aufgenommenen Töne vom Set gibt und deshalb alles, was man später hören möchte, in der Postproduktion nachträglich erstellt werden muss, ist es nötig, die Audioebene von Grund auf neu zu erstellen und aufzubauen.
Dieser Umstand ist für den Film aber auch eine große Chance, denn so ist es möglich, dem Film den passenden Sound quasi auf den Leib zu schneidern, indem man die Audioebene von Anfang an entsprechend gestaltet. Wenn dann noch beide Gewerke in einer Hand liegen, ist es möglich, schon während der Konzeptionsphase sowohl für Musik als auch Sounddesign ästhetische Überlegungen anzustellen, wie sich diese Departments im Zusammenspiel perfekt aufeinander abstimmen lassen. So ist es z. B. denkbar, einem Protagonisten nicht nur ein bestimmtes musikalisches Thema zuzuordnen, sondern ihm auch immer eine passende, emotional wirksame Atmosphäre im Sounddesign zu verpassen. Oder man kann schon früh überlegen, wo man in welchem Department Schwerpunkte setzen möchte, d. h., ob an bestimmten Szenen die Musik die Oberhand gewinnen darf oder wo man doch stärker auf Sounddesign setzt.
Auch ist es wichtig, gleich zu Beginn zu wissen, ob später irgendwo bestimmte Frequenzen gefeatured werden sollen, wenn ich etwa in einer Szene bei einem Department viel mit Bässen arbeiten möchte und diese dann im anderen Gewerk eben eher vermieden werden sollen, um sich nicht gegenseitig ins Gehege zu kommen. So kann dann also z. B. die Musik in höheren Registern stattfinden, wenn im Sounddesign ordentlich Tieffrequentes angesagt ist oder umgekehrt. So kann man die Audioebene des Films wunderbar und mit einer klaren Vision gestalten. Und nebenbei spart dieser Two-in-one-Umstand auch noch viel Zeit. Denn weil man Komponist und Sounddesigner in Personalunion ist, müssen sich diese beiden Gewerke logischerweise nicht mehr müßig über die Krücke der Kommunikation in ihrer Vorstellung annähern, wodurch die Wege verdammt kurz werden − es sei denn, man ist schizophren …
Manous Soundwelt
Als ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte, war schnell klar, dass es drei rivalisierende Gruppen gibt, die sich auch im Sound grundsätzlich unterscheiden müssen, nämlich Mauersegler, Möwen und Ratten. Hatte ich eigentlich erwähnt, dass die Protagonisten in »Manou − flieg’ flink!« ausschließlich Tiere sind? Diese leben zusammen auf einem Felsen vor der Küste Nizzas und könnten unterschiedlicher nicht sein: Die Möwen wohnen auf der Sonnenseite, haben tolle Nester, einen eher herrschaftlichen Anspruch und sind recht selbstverliebt, wohingegen die Mauersegler auf der Schattenseite leben, in kleinen Höhlen wohnen und nicht viel von den Möwen halten − was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht. Dann gibt es noch die Ratten, die beiden Gruppen das Leben schwer – machen, weil sie es ständig auf deren Eier abgesehen haben.
Wie erwähnt, war es mir von Anfang an wichtig, dass sich die verschiedenen Charaktereigenschaften dieser drei Gruppen auch im Sound niederschlagen − und zwar in der Musik und im Sounddesign. Deshalb haben die Möwen musikalisch ein eher majestätisches Thema, das hauptsächlich von strahlendem Blech repräsentiert wird und das Erhabene, Geordnete, in der Luft Segelnde, Rationale, leicht Konservative unterstützt. Im Sounddesign ist auf den Möwennistplätzen deshalb immer absolute, gediegene Wohlfühlatmosphäre angesagt. Méditerranée de Luxe, sozusagen: leichtes Grillenzirpen, leichter Wind, softes Grasrascheln, entfernte, ruhige Meeresbrandung, etc.
Die Mauersegler dagegen sind eher quirlig und flink, emotional, alternativ und flattern mit den Flügeln, anstatt majestätisch zu segeln. Musikalisch wird das mit einem Schwerpunkt auf Holzblasinstrumenten repräsentiert, starken rhythmisch-perkussiven Elementen, höherem Gesamttempo, Gitarren, und allem, was Dampf macht und etwas mehr ausfreakt. Im Sounddesign sollte die Mauerseglerwelt ebenfalls turbulenter und der Gegenentwurf zu den Möwen sein. So hört man an den Mauserseglernistplätzen die Brandung viel stärker, sie ist wilder, es ist windiger und insgesamt herrscht ein raueres Klima.
Die Ratten tauchen meist nachts auf und haben etwas Diebisches, das im Sound allerdings nicht zu erschreckend für Kinder sein sollte, weil sie schon allein durch ihre optische Erscheinung etwas gemeiner daherkommen. Also galt es hier beim kompletten Film, eine Gratwanderung zu meistern: gefährlich, aber nicht zu gefährlich, fies, aber nicht zu fies usw. Ich entscheid daher mich im Sounddesign wie auch in der Musik dafür, die Gefährlichkeit der Ratten immer wieder zu brechen, wo es sich anbot. Dadurch war es möglich, ebenfalls diejenigen Szenen im Film herauszustellen, in denen die Ratten z. B. nicht als die Allerhellsten auffallen oder andere Schwächen präsentieren. Ich wollte ihre verletzliche Seite betonen, was die Gefährlichkeit abschwächt. Als einzige Protagonisten sind sie nicht der menschlichen Sprache mächtig, und so sind im Sounddesign hauptsächlich zwei Gruppen von Kommunikationslauten der Ratten zu hören. Einerseits gibt es eher ein Knurren, das die Gefährlichkeit und Aggression unterstützt, und andererseits ein ungefährlich klingendes, neutraleres, hohes Fiepsen, womit sie standardmäßig kommunizieren bzw. das teilweise auch mitleiderregend daherkommt, wenn sie mal wieder eins übergebraten bekommen. Somit ließen sich die Ratten auf der Soundebene insgesamt entschärfen und gleichzeitig facettenreich und nicht einfach nur als wilde Tiere darzustellen. Musikalisch klingen die Ratten meist eher rau und kratzig. Das wurde u. a. oftmals durch Spielweisen der Streicher erreicht, die bei den Ratten »Cues sul ponticello«, also nahe dem Steg, spielen und zusätzlich häufig dabei tremolieren.
Zu diesen drei Hauptschauplätzen gesellt sich noch ein Nebenschauplatz mit einer überaus unterhaltsamen Figur namens Parzival oder auch Percy, einem schwäbisch-brasilianischen Perlhuhn, der auf einem wunderschönen, alten Friedhof wohnt und im Laufe des Films immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Dieser Friedhof sollte etwas Heimeliges, Ruhiges ausstrahlen, den perfekten Rückzugsort. Also sind hier Spatzen und liebliche Tauben zu hören, außerdem wurden viele weitere, friedliche Tierlaute eingestreut sowie hier und da die Glocke einer Friedhofkapelle (vor allem dann, wenn es im Dialog etwas unheilvoll wird) und vieles mehr, das im Gegensatz zu den drei anderen Hauptschauplätzen neutraleren Boden bereitet und ein Durchatmen im Film ermöglicht. Percy wird mit eher südamerikanischer, bzw. insgesamt rhythmischer Musik beschrieben, die seiner Rolle als Außenseiter, seinem Bewegungsdrang und seiner oftmals unfreiwilligen Komik gerecht wird.
(Bild: Frank Schreiber)
Audioproduktion
Bei der Musik von »Manou − flieg’ flink!« war es von vorherein klar, dass es hauptsächlich auf einen orchestralen Score hinauslaufen wird. Die dreitägige Orchesteraufnahme der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wurde vom Teldex Studio durchgeführt, Dirigent war Joris Bartsch Buhle, der es genau verstand, die Musik richtig zu interpretieren, und das Orchester perfekt im Griff hatte, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Besetzung war mit 14-12-10-8-6 bei den Streichern und mit dreifachem Holz der angestrebten Soundvorstellung angemessen. Allein die vierfach besetzten Hörner hätten zahlreicher ausfallen können, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Nach der Orchesteraufnahme war längst noch nicht Schluss. Jetzt ging es darum, weitere Instrumente aufzunehmen, die nicht durch das Orchester abgedeckt wurden, wie z. B. Gitarren, Percussion, Saxofon oder Vocals. So sang z. B. Cassandra Steen, die im Film die Mauerseglerdame »Kalifa« spricht, meinen Filmsong Fly With Me mit umwerfender, glockenklarer Stimme ein, und sicherlich auch hervorzuheben ist die besagtem Song vorausgehende Partyszene. Hier findet eine Jamsession einer kleinen Combo aus Mauerseglern in einem großen, metallenen Art-déco-Pavillon statt, bei der das Publikum, bestehend aus gefühlt hunderten Mauerseglern, spontan einsteigt und mit rhythmischem Schnabel- und Fußgeklapper auf Geländer und Balustrade eine riesige Percussion-Combo bildet. Für diese Szene wurde bei der Percussion-Aufnahme alles zum Instrument, was aus Metall und nicht bei 3 auf den Bäumen war. Der großartige Markus Paßlick hat hier wirklich alles gegeben und jeweils zig Spuren auf verschiedensten Materialien eingespielt, die natürlich vom Sound her zu den unterschiedlichen Materialien passen mussten, die im Bild zu sehen sind.
(Bild: Frank Schreiber)
Jede Aufnahme war immer mikrofoniert mit Direct (m), Overhead (s) und Room (s), um später in der Mischung auch eine authentische Tiefenstaffelung realisieren zu können. Als Ergebnis hatte mein LogicProject für diese Szene am Ende über 530 Spuren, und für die Filmmischung gingen dann über 90 vorgemischte Stems ans Studio. So konnte bei der Mischung dann noch alles Relevante angefasst werden, um einerseits die Surround- Situation im runden Pavillon sowie andererseits die unterschiedliche Raumhöhe in der Dolby-Atmos-Mischung bedienen zu können, ohne das Mischpult schon von vornherein komplett zu belegen.
Insgesamt war die Audioproduktion von »Manou − flieg’ flink!« sehr aufwendig. Sie wurde durchgängig in 5.1 und im Hinblick auf die spätere Dolby-Atmos-Mischung (die allerdings nur im englischsprachigen Original zu hören ist) angelegt. So stellte ich mir beim Sounddesign außer der ständigen Frage, was hinter uns passiert, auch immer wieder die Frage: »Was passiert über uns?«, um neben den Rear- auch die Deckenlautsprecher miteinbeziehen zu können. Und in einem Film, der hauptsächlich draußen spielt und dessen Protagonisten Vögel sind, passiert da einiges über uns!
Davon abgesehen ist der Film hinsichtlich seiner Bildsprache sehr detailreich, wovon sicherlich auch der Foley-Artist ein Lied zu singen wusste. Die visuelle Ebene des Films nimmt den Zuschauer mit in eine wunderschöne, atmosphärische, mediterrane Welt, und meiner Meinung nach sollte die Audioebene ebenso opulent ausfallen, um die Bilder angemessen hör- und fühlbar zu machen.
So habe ich neben den Atmos aus meinem Soundarchiv auch viele Aufnahmen verwendet, die ich extra an »Originalschauplätzen« des Films rund um Nizza aufgenommen hatte. Dadurch konnte ich das typische Lokalkolorit einfangen, das für die richtige, mediterrane Atmosphäre sorgt. Neben einer Menge französischer Wallas und Sounds auf Märkten, Cafés, öffentlichen Plätzen usw. wurde auch die reiche Natur mit z. B. ihren nächtlichen Froschkonzerten, den typischen kleinen, glucksenden Meeresbuchten sowie eine raue Menge an Mauerseglern und Möwen als Nullen und Einsen verewigt und fanden ihren Weg in den Film.
Abspann
Die Arbeit an »Manou − flieg’ flink!« − oder »Manou the swift«, wie der Film im englischen Original heißt − hat eine Menge Spaß gemacht, war aber auch alles andere als unaufwendig. Von der Materialschlacht einmal abgesehen, die es mit sich bringt, wenn man Musik und Sounddesign gleichermaßen macht, schätze ich, dass ich, Unterbrechungen ausgenommen, gut anderthalb Jahre an dem Projekt gearbeitet habe. Meiner Meinung nach hat sich der Aufwand aber definitiv gelohnt, denn die Möglichkeit, mit beiden Departments tief ins Detail abtauchen zu können, die Audioebene von Grund auf neu aufzubauen, zu gestalten, aus der Taufe zu heben und dann zu sehen, wie sich alles mit Leben füllt, wie Synergieeffekte entstehen, das ist immer wieder das Schönste an meinem Beruf. Und das geht mit Sicherheit bei einem Animationsfilm am besten. Hier ein Rennen in der Luft, quer durch Natur, Hafen und Canyons, dort mitten im Auge eines mächtigen Sturms auf hoher See − wie eingangs bereits erwähnt: Animationsfilme haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Es kann jede Idee umgesetzt werden …