Die Kolumne mit Peter Walsh

Auswandern, der Kreativität zuliebe

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Greg Haver (Bild: Christian Tjandrawinata)

Ein Drittel der Menschen, die in Auckland, Neuseeland leben, besitzen ein Boot. Ich glaube, dass dies der Grund sein könnte, warum Greg Haver, Produzent der Manic Street Preachers, vor fünf Jahren dort hingezogen ist. Es stellt sich jedoch die Frage: Warum ziehen so viele Leute aus der Recording-Branche von zu Hause weg ins Ausland? Klar, man muss dort hingehen, wo die Arbeit ist, aber das kann nicht der einzige Grund sein. Auf einer Arbeits-/Urlaubsreise nach Neuseeland, traf ich Greg vor Kurzem, der seinen jüngsten Erfolg feierte. Nein, nicht seine letzte Hit-Platte, wir gratulierten ihm zu seinem neuen »Status«. Greg ist jetzt offiziell ein Kiwi-Bürger! Er ist aber auch Drummer, Produzent und Engineer. Er ist der Mann hinter vier der erfolgreichsten Manic Street Preachers Alben und ist jetzt genau so ein Teil der Musikszene in Neuseeland wie in Großbritannien.

Was bringt einen erfolgreichen Produzenten dazu, sein Flightcase zu packen und 20.000 Kilometer zum anderen Ende der Welt zu reisen, um dort weiterzumachen, als hätte sich nichts verändert? Liegt es an der Musikszene, den Künstlern, den Musikern? Könnte es etwas Technisches sein, die Studios, die Ausrüstung? Oder ist es einfach der bessere Lebensstil, der einem geboten wird: Sonne und Segeln? Für Greg war es eine Kombination aus allem! Er erzählt mir, dass er auf der Suche nach »einer besseren Lebensqualität, und mehr Zeit draußen und zu Hause« war. Sich von den walisischen Bergen zu verabschieden, war schwieriger, als er sich vorgestellt hat, aber Greg nahm das neue Leben im Outdoor-Land an. Zum Glück bot die Musikszene in Auckland ein hervorragendes Netzwerk aus exzellenten Musikern und einem Weltklasse-Tonstudio, unterstützt von einer wie er sagt »agilen Musikindustrie«!

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Wenn er nicht gerade auf Vulkanen klettert oder durch einen einheimischen Busch wandert, findet man Greg in den Roundhead Studios, die er als zweites Zuhause bezeichnet. Das Roundhead gehört Neil Finn (Split Enz, Crowded House) und beherbergt zwei hochmoderne Studios. Studio A wurde um ein Prunkstück aus 1976 gebaut, einer Neve 8088, der „Brick Room“ um eine API 1608-Konsole. Wie jedes Top-Studio in einer pulsierenden Stadt ist das Roundhead ein wichtiger Treffpunkt für die Musikszene und Gastgeber der International APRA Song-Hub-Songwriting-Camps, die Greg organisiert. Er organisiert auch Seminare und Workshops der New Zealand Music Producer Series und ist dabei, vor Ort eine Music Producers Guild [ein Verband aus Produzenten und Engineers in UK; Anm. d. Übers.] aufzubauen. Der Fakt, dass Greg bereits einen Ruf als erfolgreicher Musiker und Produzent hatte, machte den Umzug trotz der Distanz einfacher. Durch seine Arbeit mit Künstlern wie The Manic Street Preachers, Corey Hart und Catatonia hat man seinen Namen auf dem Schirm. Er musste nur noch aussuchen, wohin es geht.

Kevin Killen (Bild: Jen Maler)

Aber so ist es nicht für jeden. Für den in Irland geborenen, achtfachen Grammy-Gewinner Kevin Killen war dies eine andere Geschichte. Ich traf Kevin zum ersten Mal im Jahr 1983 in den Windmill Lane Studios in Dublin, wo er als Assistent bei einer meiner Aufnahmen arbeitete. Es war klar, dass Kevin größere Ambitionen hatte, als nur mit mir zu arbeiten! Ich war nicht überrascht, als ich hörte, dass er ein paar Jahre später nach New York City gezogen ist. „Ich wollte wissen, ob ich das Know-how und meine Erfahrungen aus Dublin auf einem größeren Markt umsetzen kann“, erklärte Kevin. Zu diesem Zeitpunkt hatte er als Engineer bereits an U2s The Unforgettable Fire gearbeitet und mit Brian Eno und Daniel Laniois aufgenommen. Kevin fehlte allerdings eine größere Anzahl an Credits, da U2 zu dieser Zeit nicht so erfolgreich war, um Manager und Plattenfirmen zu beeindrucken. Auf der Suche nach Arbeit kehrte er zur Assistentenrolle zurück und sprang kurzfristig bei einer Session für einen krankgewordenen Asisstenten im Electric Ladyland ein. Er kannte die SSL-Konsole in- und auswendig, beeindruckte damit den Produzenten Ed Stasium (Ramones, Mick Jagger) und begann, sich selbst einen Namen zu machen. Schließlich half er auch bei einer Session mit Bob Clearmountain aus. Da war auch ein bisschen Glück im Spiel, aber du musst deine Sachen kennen, geduldig sein und das Beste aus jeder Gelegenheit machen, die sich ergibt. In unserer Branche bekommt man vielleicht nur diese eine Chance, und das könnte der entscheidende Moment für deine Karriere sein. Dafür musst du bereit sein.

Kevin war bereit und hat mit einigen der größten Namen im Business gearbeitet. Er war Engineer und Mixing-Engineer bei der Produktion von Peter Gabriels SO und hat eine beneidenswerte Liste an Künstlern wie Elvis Costello, Kate Bush und Suzanne Vega produziert. Kevin hat auch David Bowies letztes Album Blackstar gemischt. Folgenden Rat gibt er jungen Engineers, die sich in einer Stadt wie New York selbst einen Namen machen wollen: „Sei bereit, einen Schritt zurück zu machen, um voranzukommen. Sei aufgeschlossen und bereit, dich ins Zeug zu legen. Ach ja … und bring viel Geld mit!“

Wie und wo wir arbeiten, hängt von vielen Faktoren ab. Einige davon sind künstlerisch, andere persönlich. Lifestyle spielt dabei offensichtlich auch eine große Rolle, aber vielen geht es darum, wie sich aktuell das Musikgeschäft „anfühlt“.

Das ist bei meinem alten Freund und Kollegen Tim Palmer, der eine äußerst erfolgreiche Karriere in den USA mit Künstlern wie Ozzy Osbourne und Switchfoot genoss, zweifelsohne der Fall. Tim und ich begannen, in den Utopia Studios in London zu arbeiten, wo wir eine ähnliche Leidenschaft für das Aufnehmen von schrägen Indie- und Punk-Rock-Bands teilten. In den 80ern schaffte sich Tim eine solide Basis mit einer Vielzahl an Künstlern wie Texas, Tears For Fears und The Mission. Seine Produktion von David Bowies Tin Machine und Robert Plants Now and Zen verschaffte ihm breite internationale Aufmerksamtkeit, und das war nicht lange, bevor Pearl Jam 1991 vom ihm erfuhren und ihn ihr Debütalbum Ten mischen ließ. Das Album verkaufte sich 10 Millionen Mal und wurde 13 Mal mit Platin ausgezeichnet. Dieses Album hat Tims Leben verändert. Er hat die Gelegenheit genutzt, zog nach Los Angeles und hat sich seine eigene Mixing-Möglichkeit eingerichtet. Einer seiner ersten Eindrücke im Business dort war, dass die amerikanische Musik-Community und die A&Rs offener und freundlicher waren als in Großbritannien. „Die Produzenten und Künstler schienen sich hier viel besser mit ihren Plattenfirmen zu verstehen. Alle waren im selben Team“, sagt Tim.

Diese Art von Umfeld schafft eine gesellige entspannte Atmosphäre um das Musikmachen herum und reduziert deutlich den Druck, der viele Produktions-Szenarien begleitet. Musik in einem angenehmen Umfeld zu machen ist das, was wir uns alle wünschen. So kann die beste Musik entstehen, und alles andere ist egal. Ich und die meisten, die ich kenne, würden so lange herumziehen, bis sie einen entsprechend angenehmen Platz gefunden haben. „Ein neues Umfeld zu schaffen ist inspirierend“, sagt Tim, der jetzt in Austin, Texas lebt, wo er weiter großartige Musik produziert! (Hört euch Home von Blue October und das aktuelle Album Soul Eyes von Kandace Springs an!) Tim gibt der Branche, der er das verdankt, als Treuhänder der Recording Academy Texas auch etwas zurück. In seiner Freizeit setzt er sich für die Rechte von professionellen Musikern und eine bessere Bezahlung von Produzenten und Engineers ein. Er unterstützt auch leidenschaftlich Music Cares, ein gemeinnütziger Zweig der Academy, und spielt eine wichtige Rolle in der Organisation „Black Fret“, die Gelder und Stipendien beschafft, um neue Künstler und Musiker aus Austin, die Platten aufnehmen und live spielen, zu unterstützen.

Tim Palmer (Bild: Jamie Seyberth)

Meine eigenen Erfahrungen, im Ausland zu leben und zu arbeiten, sind nicht unähnlich, auch wenn ich letztendlich nach London zurückgekehrt bin, wo für mich alles begann. Nach dem großen Erfolg des Simple-Minds-Albums New Gold Dream im Jahr 1982 bekam ich Angebote aus aller Welt. Ein großartiger Ausgangspunkt, und ich habe ihn genutzt! In der folgenden Zeit habe ich überall gearbeitet – Australien, USA, Mexico, und eine Weile sogar auf den Bahamas. Letztendlich wurde es etwas ruhiger, und die Jobangebote brachten mich näher an mein Zuhause.

Ich arbeitete in Deutschland mit Alphaville aus Berlin, und ein paar Jahre später entschloss ich mich aus persönlichen Gründen, nach Düsseldorf zu ziehen. Irgendwie fühlte ich mich in Deutschland aber von der Plattenfirmen-Business-Welt abgetrennt; es fiel mir schwer, in einer Welt, die für mich eigentlich übermäßig kooperativ ist, zu kommunizieren. Obwohl ich bei vielen großartigen Platten mitgemacht und mit vielen sehr talentierten Künstlern und Musikern gearbeitet habe, lag meine Hauptarbeits- und Inspirationsquelle in UK, Spanien und Italien. Deutschland war für mich ein Knotenpunkt, etwas Dauerhaftes, um eine Basis zu haben. Ein Land, in dem der Lebensstandard hoch war und das nicht so weit weg von Großbritannien und den anderen Ländern liegt, in denen ich gefragt war. Von da an war eine gute WLAN-Verbindung alles, was ich brauchte, um mit meinen Kunden auf der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben und mit ihnen zu interagieren. Ich konnte einfach in ein Flugzeug springen, wenn ich für aufwendigere Sessions irgendwohin reisen musste. Schließlich wurde dieser Pendler-Lebensstil zu kompliziert und ich bin nach London zurückgekehrt, wo es jetzt viel einfacher ist zu arbeiten. Die meisten meiner Kunden sind hier.

Es ist zwar sicherlich nicht einfach, im Musikbusiness zu arbeiten, aber einer der großen Vorteile ist, dass man die Möglichkeit hat, von fast überall aus zu arbeiten. Jeder, der leidenschaftlich im Bereich Kunst arbeitet, wird sich auf die Chance freuen, an einem neuen Ort zu arbeiten. Neue Kulturen, neue Trends zu erleben und Teil einer neuen Musikszene zu sein, kann erfrischend und lohnenswert sein.

Manchmal ist es der Erfolg, der dich wie auf einer riesigen Welle zu einem neuen Leben in einem entfernten Land trägt. Aber letztlich geht es, wie in vielen anderen Jobs auch, darum, die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden – wir sollten einen Ort finden, an dem wir uns wohlfühlen und unsere Kreativität die Chance hat, sich frei zu entfalten. Im Moment würde ich Neuseeland vorziehen, wo es Sommer ist, die Sonne scheint und der Pohutukawa blüht … und Greg könnte mich sogar auf Spritztour mit seinem Boot mitnehmen.

www.peterwalshmusic.com

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Sehr ungewöhnlich, dass ein einzelner Mensch gleichzeitig in Produktion, Musik und Engineering tätig ist. Die Geschichte von der Auswanderung klingt auf jeden Fall spannend. Ich würde so etwas auch gerne mal machen, weiß aber nicht, ob ich nicht zu viel Angst hätte.

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