sE 2300: Großmembran-Kondensatormikrofon von sE Electronics im Test
von Dr. Andreas Hau,
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(Bild: Dr. Andreas Hau)
Ein universelles Großmembran-Kondensatormikrofon steht bei vielen Homestudio-Anwendern auf Platz 1 der Anschaffungsliste. Der chinesische Hersteller sE Electronics hätte da gleich mehrere Alternativen. Wir haben uns das sE 2300 näher angeschaut, das zu einem Straßenpreis unter 300 Euro umschaltbare Richtcharakteristiken bietet, bei erstklassigen technischen Werten.
sE Electronics gehört zu den Marken, die Anfang der 2000er die „chinesische Revolution“ im Recording-Markt auslösten, indem sie Kondensatormikrofone zu unfassbar günstigen Preisen anboten. Während sich viele dieser chinesischen Marken kaum weiterentwickelt haben, ist sE Electronics seit einigen Jahren dabei, die Modellpalette von Grund auf zu überarbeiten. Zudem hat die Zusammenarbeit mit Rupert Neve der Marke ein neues Standing verliehen.
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Trotzdem hat sE Electronics den preisbewussten Privatanwender nicht vergessen. Nachdem das Einstiegsmodell sE 2200 mit fester Nierencharakteristik durch verschiedene Inkarnationen ging und in Form des sE 2200a II zum Multipattern-Mikrofon mutierte, wurde ihm wenig später das sE 2200a IIC zur Seite gestellt – quasi als Fixnieren-Version der Multipattern-Version der ursprünglichen Fixniere. Klingt unnötig kompliziert. Darum heißt das Modell mit fester Nierencharakteristik jetzt einfach wieder sE 2200, während das Modell mit umschaltbaren Richtcharakteristiken nun die Modellbezeichnung sE 2300 trägt. Aber natürlich beschränken sich die Überarbeitungen nicht alleine auf die Modellnummern. Auch unter der Haube hat sich mächtig was getan.
Komplettpaket
Das sE 2300 wird im Pappkarton geliefert, der auch zur späteren Aufbewahrung dient; ein Transportkoffer ist nicht enthalten. Dafür aber nützliches Zubehör: Eine Spinnenhalterung sowie ein Popschirm, der an der Mikrofonhalterung befestigt wird. Das Mikrofon selbst wirkt sehr sauber verarbeitet. Wie die meisten neueren sE Mikros hat es ein satiniertes schwarzes Finish. Edel!
Die äußere Form entspricht dem Design des Bestsellers sE 2200: Der Body bildet mit dem Mikrofonkorb einen Zylinder mit einem Durchmesser von 51 mm und einer Länge von knapp 190 mm, an dessen unterm Ende sich ein Fortsatz für die Mirkofonhalterung befindet, in dem auch die XLR-Ausgangsbuchse integriert ist. Macht eine Gesamtlänge von 215 mm. Mit einem Gewicht von 611 g ist das Mikrofon recht schwer.
Die Vorderseite wird von einem rot hinterlegten sE-Logo markiert. Unter dem Kapselkopf befinden sich drei Schalter mit je drei Stellungen. Vorne befinden sich Pad (–10/0/–20 dB) und Low Cut (80 Hz/linear/160 Hz), auf der Rückseite ist der Pattern-Schalter (Kugel/Niere/Acht). Der Mikrofonkorb hat ein zweilagiges Drahtgeflecht und wirkt bis auf den oberen Ring akustisch recht offen, sodass die Kapsel ihr Potenzial ungehindert entfalten kann. Es handelt sich um eine 1-Zoll-Großmembran-Kondensatorkapsel klassischer Bauart. Beide Seiten der Doppelmembrankonstruktion sind akustisch und elektrisch aktiv, um umschaltbare Richtcharakteristiken realisieren zu können.
Auch schaltungstechnisch gibt sich das sE 2300 klassisch: Die Elektronik arbeitet ausgangsseitig mit einem Übertrager, der sich unter einer Abschirmhaube verbirgt. Der Rest der Schaltung ist nicht ganz so traditionell. Während frühe FET-Mikrofone mit nur einem Transistor auskamen, der quasi 1:1 die dermaleinst verwendete Triodenröhre ersetzte, arbeitet das SE 2300 – wie viele moderne Mikrofone – mit einer mehrstufigen, recht komplexen Schaltung. Die Platine ist in SMD-Technik gefertigt und beinhaltet eine Vielzahl von Bauteilen in Miniaturausführung. Der Grenzschalldruckpegel ist mit 126 dB SPL (ohne Pad) dennoch relativ niedrig – vermutlich wegen des Ausgangsübertragers, der bei höheren Pegeln in Sättigung gerät – was aber im Sinne eines Vintage-Klangdesigns erwünscht sein kann. Das Eigenrauschen hat sE im Vergleich zu traditionellen Designs deutlich verringern können. Der angegebene Wert von nur 9 dB-A ist für ein umschaltbares Großmembranmikrofon wirklich ausgezeichnet. Gegenüber älteren sE-Mikrofonen ist dies ein gehöriger Fortschritt. Gewachsen ist allerdings auch die Stromaufnahme. Mit 4,8 mA liegt das sE 2300 zwar noch im üblichen Rahmen; dennoch sollte man gerade bei Bus-gespeisten USB-2.0-Audiointerfaces überprüfen, ob die eingebaute Phantomspeisung genügend Strom liefern kann und andernfalls auf einen externen Mikrofonvorverstärker zurückgreifen.
In Nierenstellung zeigt das sE 2300 ein für viele Großmembran-Kondensatormikros typischen Verlauf: Bis 2 kHz ist der Frequenzgang recht ausgeglichen; bei 5 kHz folgt eine leichte Präsenzanhebung, darüber eine etwas kräftigere Höhenanhebung.
Die Low Cut Filter bei 80 bzw. 160 Hz wirken mit einer geringen Flankensteilheit von nur 6 dB/Oktave.
Kugel- und Achtercharakteristik zeigen gegenüber der Nierencharakteristik Unterschiede im On-Axis-Frequenzgang. Die Kugel hat eine Senke in den Hochmitten und eine kräftige Höhenanhebung von 6 dB. Die Acht betont dagegen die Präsenzen stärker und agiert in den Höhen zurückhaltend. Die stärkere Welligkeit im Achter-Frequenzgang ist dem Messverfahren geschuldet.
Praxis
Die guten technischen Daten sind nicht geflunkert; das sE 2300 arbeitet tatsächlich sehr rauscharm. Da könnte sich manches teurere Großmembranmikro eine Scheibe abschneiden! Das Klangbild wirkt auf mich deutlich erwachsener als bei älteren Inkarnationen dieses Einsteigermodells bzw. dessen Fixniere-Variante sE 2200a. Noch immer ist der Sound höhenreich, aber diese störende Schärfe, die viele chinesische Mikrofone plagt, ist verschwunden. Das liegt gewiss auch daran, dass die Elektronik verzerrungsärmer arbeitet. Der Klang ist insgesamt recht transparent, hat aber dennoch die Gutmütigkeit eines (guten) Großmembranmikrofons.
Was gegenüber der Eliteklasse noch fehlt, ist diese unaufdringliche Fülle und dieses voluptuöse je-ne-sais-quoi in den Mitten; der Ausgangsübertrager macht sich klanglich allenfalls subtil bemerkbar – umgekehrt verursacht er aber auch keine ungewünschten Artefakte. Mein Neumann U 87 Ai klingt im direkten Vergleich etwas satter, runder und „größer“. Es kostet aber auch ein Vielfaches. Gegenüber anderen preisgünstigen Großmembranmikrofonen macht das sE 2300 eine sehr gute Figur und hat keine offensichtlichen Schwächen. Sogar das schaltbare Low Cut Filter ist brauchbar – anders als bei vielen günstigen Kondensatormikrofonen verursacht es keine unangenehmen Verfärbungen. Mit diesem Mikro kann man ohne Frage hochwertige Aufnahmen machen.
Die zusätzlichen Richtcharakteristiken Kugel und Acht erweitern den Aktionsradius deutlich – sofern man denn den Mut hat sie tatsächlich einzusetzen. Viele Anwender bleiben stur bei der Nierencharakteristik, dabei lohnen sich Kugel und Acht nicht nur aufgrund des anderen Richtverhaltens, sondern auch als Klangalternative. Der On-Axis-Frequenzgang der Kugelcharakteristik ist deutlich höhenlastiger als der der Niere. Damit empfiehlt sie sich z. B. für Akustikgitarre – auch weil der Nahbesprechungseffekt wegfällt, der oft für Basswummern sorgt. Auch für Background Vocals sollte man die Kugelcharakteristik ausprobieren. Der räumlichere Klang und die Senke in den oberen Mitten lassen Chorstimmen automatisch etwas in den Hintergrund treten, sodass die Lead-Stimme sich weiterhin gut durchsetzt.
Die Achtercharakteristik ist in vielen Situationen nützlich, um Übersprechen zu minimieren, denn ihre Unterdrückung von Seitenschall ist weitaus stärker als etwa die Unterdrückung von rückwärtigem Schall in der Nierenstellung. Der On-Axis-Frequenzgang in Achterstellung zeigt eine etwas stärkere Präsenzbetonung und milde Höhen – ideal für einen Vintage-orientierten Sound. Oder um Stimmen mit scharfen S-Lauten in den Griff zu bekommen.
Der einzige echte Kritikpunkt ist für mich die elastische Halterung, deren Kunststoff-Konstruktion dem relativ hohen Gewicht des Mikrofons kaum angemessen scheint. Der Bereich des Stativgelenks wirkt etwas fragil und lässt das Mikro bei Erschütterungen nachschwingen wie der klassische 70er-Jahre-Wackeldackel. Okay, ich übertreibe ein wenig! Aber nach meinem Dafürhalten sollte das Stativgelenk samt Außenring aus Metall bestehen, um das Mikrofon sicher zu tragen.
Fazit
Das sE 2300 ist ein rundum gelungenes Mikrofon für Recording-Einsteiger und -Aufsteiger. Auf technischer Ebene kann es voll überzeugen; insbesondere die bemerkenswerte Rauscharmut. Der etwas niedrige Grenzschalldruckpegel stellt im Homestudio kein Problem dar, sollte man tatsächlich sehr laute Drums oder Bläser aufnehmen, lässt sich die Pegelfestigkeit über das schaltbare Pad heraufsetzen. Ein echtes Plus in dieser Preisklasse sind die schaltbaren Richtcharakteristiken – sofern man sie zu nutzen weiß.
Das sE 2300 klingt deutlich transparenter als ältere sE-Einsteigermodelle. Die komplett neu gestaltete Elektronik schöpft das gesamte Potenzial der Großmembrankapsel aus. Zwar ist das Klangbild immer noch sE-typisch höhenreich, aber es wirkt insgesamt besser ausbalanciert. Im Gegensatz zu älteren sE-Mikros (und vielen anderen Mikros aus Fernost) leidet das neue sE 2300 nicht unter überscharfen Präsenzen und zischeligen Höhen. Der Klang des sE 2300 wirkt natürlich und unverstellt. Ein notorischer Schmeichler ist es indes nicht: Der großmembrantypische Vergrößerungs- und Verschönerungseffekt ist nur in geringem Maße vorhanden. Tja, ich fürchte, man muss wirklich singen können und eine schöne Stimme haben, damit’s gut klingt. Vielleicht ein Ansporn!
Hersteller: sE Electronics
UvP/Straßenprereis: 299,– Euro/