So entstand Native Instruments’ NOIRE – Sound&Recording-Podcast
von Marc Bohn , Artikel aus dem Archiv
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Native Instruments NOIRE wurde in Zusammenarbeit mit Galaxy Instruments und dem Pianisten Nils Frahm entwickelt. Zu Gast aus dem Team von Galaxy Instruments war in unserem Podcast Sounddesigner, Produzent und Sound&Recording-Autor Stephan Lembke.
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Podcast: So entstehen sample-basierte Software-Instrumente:
Im Interview erzählt uns Stephan, wie das Software-Piano entstand, das auf dem originalen Konzertflügel von Nils Frahm basiert – einem CFX Grandpiano von Yamaha – der in einem Preissegment von etwa 146.000 Euro liegt.
Die Idee und das Konzept zu Native Instruments NOIRE
Stephan, wie kam es zu der Idee, genau diesen Flügel zu sampeln?
Wir haben bereits bei der Produktion von Una Corda mit Nils zusammengearbeitet. Damals hatten wir große Freude daran, den Sound so zu shapen, wie Nils sein Upright aufgenommen hat, und den Sound, den man auch in seiner Musik wiederfindet, so in die Software zu integrieren. Und so kam es, dass wir uns mit Nils danach auch nochmal getroffen und überlegt haben, was man noch so machen könnte. Irgendwann rief Nils an und sagte: „Ich habe mir einen neuen Flügel gekauft, den müsst ihr unbedingt hören, der ist der absolute Wahnsinn“. Und so kam es, dass wir mit einer kleinen Delegation von Native Instruments, die ja auch in Berlin sitzen, zu ihm rüber ins Studio gefahren sind, um uns dann vor Ort anzuhören, wie Nils auf seinem wunderschönen CFX gespielt. Wir waren alle hin und weg und wussten, das ist das Ding, das wollen wir machen!‘
Welche Eigenschaften muss denn ein Instrument mitbringen, dass ihr sagt ‚Ja, den sampeln wir‘?
Das sind oft Charakter-Sachen, die man vielleicht gar nicht so richtig erwartet. Klar, wenn man einen Steinway D Konzertflügel sampeln will, dann ist es schon so, dass der eine bestimmte Charaktereigenschaft hat. Aber auch die gleichen Modelle unterscheiden sich aufgrund der Handarbeit, alle haben einen gewissen Grundcharakter. Wenn es das gleiche Modell ist, wird’s trotzdem anders klingen. Und so guckt man, welche Qualitäten hat der Flügel, wie ausgewogen ist ein Flügel, wie ist die dynamische Entwicklung eines Tons. Also wir gehen da wahrhaftig recht technisch ran, wenn wir Probe spielen, da wir auch keine ausgebildeten Pianisten sind. Wir kommen mit ein paar Akkorden klar, aber da hört es dann auch irgendwann auf. Deswegen hören wir dann auch, was passiert denn hier mit dem einzelnen Ton, wenn man ihn von ganz leise bis hin zu ganz laut spielt. Und was passiert auch chromatisch, wenn ich die Töne durchgehe? Sind die ausgewogen, wie klingt der Bass, wie klingt der mittlere Bereich, wie klingt der Diskant? Das sind die Grundlegenden Eigenschaften.
Instrumente sprechen einen aber auch direkt an. Der Maverick-Flügel zum Beispiel, den wir für die Definitive-Piano-Collection von Native Instruments gesampelt haben, war eher ein Ausrutscher. Wir haben in einem Klavierhaus nach einem anderen Flügel geschaut und zufällig bei dem in die Tasten gehauen. Den hätten wir uns sonst nie ausgesucht. Plötzlich haben wir da gesagt: „Was ist das denn, was da rauskommt?“ Ein schön surrender Oberton und ein ganz spezieller Charakter. Das war das Ding, das war ein Charakter-Piano.
Welche Rolle spielte Nils Frahm bei dieser Produktion?
Nils war in erster Linie beratend tätig. Er hat uns das Studio und das Piano zur Verfügung gestellt, sowie sein gesamtes Team, inklusive seinem Klaviertechniker, sein Studio-Team, sein ganzes Equipment, und sein Know-how aus unzähligen Flügel- und Upright-Piano-Aufnahmen die er gemacht hat. Wir waren somit direkt an der Quelle und konnten gucken, wie hört Nils seinen Flügel, wie würde er ihn aufnehmen, was würde er empfehlen, wie findet man einen Weg, das so abzubilden, dass es in seinen Stil und in sein Klangkonzept passt.
Nils Frahm in Interview zu Native Instruments NOIRE
Ich stelle mir die Projektplanung von so einer Sampling-Session sehr umfangreich vor. Das ist doch bestimmt eine aufwendige Vorplanung, die man leisten muss. Wenigstens stand der Flügel schon mal da, dass ihr euch nicht um den Transport kümmern musstet. Aber wie sieht die Planung für eine solche Session aus? Welches Material, Mikrofone, Outboard wählt ihr?
In dieser speziellen Situation war das relativ komfortabel. Nils hat vor Ort im Saal 3 ein komplettes Studio mit Regie, das Instrument war da, das war soweit alles vorbereitet.
Bei uns fängt es üblicherweise so an, dass wir eine kurze Demoaufnahme machen, die bei uns tatsächlich in einem kleinen Sample-Instrument resultiert. Das nehmen wir dann mit in unser Studio, um es in gewohnter Abhörumgebung zu hören. Auf dieser Basis überlegen wir dann, welches Equipment wir womöglich brauchen. Und obwohl Nils da ein komplettes Studio hat, sind wir trotzdem mit einem Sprinter und einem Kombi hochgefahren, die beide vollgepackt mit Equipment für die Session waren, weil wir auch unser gewohntes Equipment dabeihatten, da es bei uns auch oft darum geht sehr Low-Noise zu arbeiten mit wenig Rauschen. Das bedeutet auch eine bestimmte Kombination aus Mikros und Preamps, die wir durch viel Ausprobieren so gefunden haben. Und da setzen wir einfach auf unser Zeug, da wir dort genau wissen, wie das funktioniert. Aber tatsächlich haben wir in diesem Fall alles mitgebracht, alles aufgenommen und haben es letztendlich dafür entscheiden, das Setup so zu benutzen, wie auch Nils seinen Flügel aufnimmt. Das sind zwei ganz alte Neumann M50 Röhrenmikrofone, die aus seinem Bestand waren. Das sind sündhaft teure Mikrofone, die man heute eigentlich so gut wie gar nicht mehr bekommen kann. Wir haben über sein Pult aufgenommen. Als weiteres Mikrofon haben wir lediglich ein – und auch das nutzt Nils für seine Aufnahmen – Coles Bändchenmikrofon über den Basssaiten als Stütze noch dazu gefahren. Das ist der Sound von Nils, und das ist auch der Sound von NOIRE.
Das Equipment und der Ablauf zu den Recordings von Native Instruments NOIRE
Du hast es eben schon erwähnt: Low-noise ist bei Mikrofonen eine wichtige Sache, aber welche Anforderungen habt ihr noch an Mikrofone und Outboard?
Genau, Low-noise ist ein Thema, aber Klang ist das Thema, was über allem steht! Erst dann kommt das Thema Noise. Wenn ich beispielsweise die DPA 4006er nehme, mit denen gerne Klavier und Flügelaufnahmen gemacht werden, dann klingen die wunderbar. Wenn ich dann aber eine Alternative habe, wie beispielsweise die Sennheiser MKH; Mikrofone mit sehr geringem Rauschen, dann ist es komfortabler diese zu benutzen, auch wenn der Klang etwas unterschiedlich ist. Aber es kommt auch drauf an, in welcher Situation man sich befindet, und den Klang auch bewerten kann. Es ist auch ganz oft so, dass wir die Coles-Mikrofone benutzen und wir dann denken: „Ja, das ist der Sound, der klingt richtig gut!“ Dann schalten wir um auf andere Mikrofone, die deutlich weniger rauschen. Das ist dann auch eine Gewissensfrage: geht man jetzt mit den rauschigeren Mikrofonen; da sprechen wir von einem Unterschied von ca. 6 dB mehr Rauschen oder weniger, das ist kein Beinbruch. Aber wir wissen, was in der Kette bei der Nachbearbeitung passiert, und dann spart man sich da deutlich Zeit und Nerven, indem man vorher schon etwas weniger Rauschendes verwendet.
Kannst du uns nochmal eine Übersicht geben über die verwendeten Mikrofone? Ein paar hast du ja schon angesprochen…
Bei NOIRE waren es, abgesehen von Nils Setup, Lewitt LCT 540, die rauschärmsten Mikrofonen die es überhaupt gab, bis Lewitt selbst noch rauschärmere Mikrofone rausgebracht hat. Solche Mikrofone eignen sich z.B. um Hammer-Noises aufzunehmen. Also das Geräusch, wenn die Taste runter gedrückt wird, ohne dass die Saite angeschlagen wird, und das Zurückfallen. Würde man so etwas mit einem Raummikrofon aufnehmen, dann könnte das auch ein Cent-Stück sein, das irgendwo auf ein Kissen fällt oder ähnliches. Da muss man also schon sehr nah ran und hochpegeln. Dafür sind die Lewitts interessant.
Andere waren Gefell M930 Nierenmikrofone. Die funktionieren ganz gut. Schöps MKII Kugeln waren da, Sennheiser MKH 8040 und 8020, das sind Kugel und Nierenmikrofone mit sehr geringem Rauschen. Es gab ein paar speziellere Mikrofone, z.B. das einzige französische Bändchenmikrofon, das je gebaut wurde, das Melodium, das uns der frühere Techniker von Nils empfohlen und auch mitgebracht hatte. Klang auch gut, aber wie gesagt, am Ende waren es die beiden Neumann M50 und das Coles am Bass, und das war es in erster Linie.
Allerdings gab es noch etwas Spezielleres: Wir hatte einen NS10 Lautsprecher mitgenommen, den man ja auch gern bei Schlagzeugaufnahmen verwendet, indem man ihn mit einem XLR-Stecker verkabelt, um ihn als Mikrofon zu verwenden. Den stellt man als Woofer vor die Kickdrum, und sobald dort Luft bewegt wird, bewegt sich auch der Lautsprecher. Dadurch bekommt man entsprechend einen sehr tiefen vollen Bass. Allerdings haben wir ihn am Flügel unter den Basssaiten positioniert. Dazu mussten wir etwas suchen. Das war schon sehr speziell. Wir haben gemerkt, dass er nicht dafür gemacht war, horizontal zu höngen. Typischerweise stehen die ja vertikal, wie ein Lautsprecher – oder Mikro – eben steht. In der Session haben wir dann drei NS10 Lautsprecher zerstört, weil die einfach nicht durchgehalten haben. Die Aufnahmen gingen drei Wochen und irgendwann haben die durchgehangen oder es gab einen anderen Grund, dass die nach einer Zeit ausgefallen sind.
Die Basis für diese Idee lag übrigens darin, dass Nils einen elektronischen Pickup unter den Saiten hat, dessen Signal er über die PA schickt und ein wenig verstärkt, allerdings so, dass man das erstmal gar nicht so bewusst hört. Auch uns hat er den Flügel so vorgestellt und wir dachten: „Was ist das eigentlich für ein übernatürliches Erlebnis?“ Und dann haben wir eben überlegt, wie man das auch dem Nutzer von NOIRE mitgeben kann und sind eben beim NS10 gelandet.
Ihr habt drei (?!) Wochen aufgenommen?
Genau, wir waren drei Wochen in Nils‘ Studio im Funkhaus, weil es dort wirklich um absolute Details ging. Und es war nicht die normale Sampling-Aufnahme, wo man das nur einmal aufnimmt. Ähnlich wie schon beim Una Corda damals, das wir dreimal aufgenommen haben. Einmal in der puren Version, wie es damals von David Klavins gebaut wurde, dann in einer Version mit einem Baumwollstreifen zwischen Hämmern und Saiten, damit man ein etwas stärkeres stoffiges Anschlagsgeräusch bekommt. Bei der dritten Variante gabs ein Filz zwischen Hämmern und Saite, was grundsätzlich den Ton, aber auch den Anschlag verändert. Allerdings hat das Una Corda weniger Dynamik und weniger Sustain als der CFX. Den haben wir in zwei Varianten aufgenommen: einmal die Version wie der Flügel als Konzertflügel bearbeitet wurde, und dann gab es einen Filzmoderator, der speziell von Nils´ Klavierbauer angefertigt wurde. So ein Moderator hat in einem Flügel eine spezielle Funktion. Serienmäßig wurde das nur mal von einem Hersteller angeboten, allerdings war die Nachfrage sehr gering. In einem Upright hat man das ja sehr häufig – das ist ein Filzstreifen, der vertikal zwischen Hämmer und Saiten kommt, um die Saiten und den Anschlag zu dämpfen. Beim Flügel muss das natürlich horizontal geschehen, und ist der Filz zu dünn, bzw. hat er nicht die nötige Steifigkeit, würde er wegfallen. Ist er zu hart, funktioniert das ganze nicht richtig. Deswegen hat sich der Klavierbauer etwas überlegt, sodass wir unseren „Wunschfilz“ nutzen konnten. Das war dann auch schon die erste Frage. Wir haben quasi einen Tag dafür verwendet, verschiedene Filze auszuprobieren. Es war also viel Ausprobieren und Sound-finden, bevor dann das eigentliche Sampeln begann. So kam der recht hohe Zeitaufwand zustande.
Es gibt also viele Entscheidungen, die man treffen muss: Mikrofonauswahl, -position, Filz … so viele einzelne Details und Variablen. Wo hört man denn da auf?
Tja, richtig … man kennt das ja: Man nimmt etwas auf, sei es Musik, Sprache Soundeffekt, und dann ist man eigentlich nie fertig. Außer man sagt: Ich mach das Ding nun und dann ist es fertig! Wenn man dafür eine Stunde, einen Tag oder eine Woche Zeit hat, dann muss irgendwann eine Entscheidung gefällt werden. Das ist nicht immer leicht, aber das muss irgendwann passieren. Erfahrung hilft da natürlich, aber trotzdem kommt es immer wieder vor, dass man sich für Variante A entscheidet, über Nacht ins Grübeln gerät, und am nächsten Tag doch nochmal Variante B ausprobiert, nur um am Ende doch zu Variante A zurückzukehren.
Bei NOIRE fing das sogar damit an, dass wir den Flügel wahrhaftig erstmal durch gen Raum geschoben haben. Dabei ist Saal 3 eigentlich sehr ausgewogen. Dafür hatten wir ihn an vier Positionen im Raum mit jeweils zwei Mikrofonen aufgenommen, dann schoben wir ihn wieder dorthin, wo wir ihn hatten, und haben auch dort nochmal ausprobiert, was passiert, wenn wir ihn etwas mehr nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten schieben, wenn wir ihn drehen. Da ist es natürlich gut, wenn man einen Zeitplan hat in dem steht wann man was bis wann erledigt haben möchte.
Unterm Strich probiert man auch das alles einen ganzen Tag oder bis man einfach nicht mehr kann. Danach würde sowieso nichts mehr passieren, was es besser macht. Am nächsten Tag hören wir dann noch einmal mit frischen Ohren, und meistens wird auch dann nochmal korrigiert und ausprobiert. Aber lange darf das dann nicht mehr dauern. Dann muss bald eine Entscheidung fallen.
Wie würdest du denn den Zeitaufwand der Planung, Ausprobieren und dem tatsächlichen Ausprobieren definieren?
Planung ist ein sehr großer Zeitaufwand, der sich über mehrere Monate erstrecken kann, weil das auch alles umfasst. Termine festlegen, Teamfinden, etc.
Ausprobieren ist eher ein kleinerer Zeitaufwand, im Verhältnis zur Planung und auch im Verhältnis zur Aufnahme. Bei drei Wochen Aufnehmen, probieren wir vielleicht vier Tage aus und dann geht’s los.
Ich schätze 50% gehen etwas für die Vorbereitung drauf, 10 – 15% auf das Ausprobieren und der Rest für die Aufnahme.
Kannst du den Aufnahmeprozess nochmal kurz dokumentieren? Ihr arbeitet gerne 24 Stunden am Tag und gebt euch dann die Klinke in die Hand?
Richtig, bei Flügelaufnahmen, wo wir auch selbst die „Pianisten“ sind, da ist es dann etwas einfacher, da wir den gleichen Arbeitsansatz haben, um das lieber gut und detailliert durchzukriegen, und das lieber in drei Wochen als in drei Monaten. Da geben wir uns wirklich die Klinke in die Hand, essen noch zusammen – für den einen ist es das Frühstück, für den anderen das Abendessen. Wir versuchen aber schon auch ein Wochenende zu haben, allerdings organisiert man das in sinnvollen Zusammenhängen. Würde man in einer Woche den halben Flügel aufnehmen, würde die andere Hälfte die Woche drauf auch wieder anders klingen.
Wenn man selbst nicht der Musiker ist, wie bei Thrill z.B., da hat man ein viel größeres Team und außerdem die Musiker. Dann arbeitet man sechs Stunden am Tag konzentriert und hat den Abend frei – das ist manchmal etwas verwirrend – da sitzen wir dann im Biergarten und denken ‚Hä? Jetzt haben wir ja frei. Was machen wir denn jetzt?‘ (lacht).
Ein Walkthrough durch Native Instruments NOIRE von Galaxy Instruments-Gründer Uli Baronowski
Ihr hattet dann wahrscheinlich auch Jetlag, oder?
Ja genau!
Uli hat die Nacht übernommen?
Uli übernimmt gerne die Nacht, da er auch eher der Nachmensch ist und lieber später aufsteht. Aber es gibt trotzdem auch immer etwas Abwechslung. Allein schon, weil jeder von uns auch Termine hat, die er wahrnehmen muss. Dann dreht sich das immer mal etwas.
Uli Baronowsky und du, ihr macht quasi Galaxy Instruments?
Richtig, Uli ist der Gründer und ich kam dann irgendwann später dazu. Für diese Aufnahmen war noch unser Mitarbeiter Achim Reinhard zusätzlich dabei, der auch viel Scripting macht und Problem-Solving, der hat auch teilweise Sachen gespielt. Einen Großteil haben wir zu zweit aufgenommen, der dritte saß dann vorm Rechner und hat zugehört und darauf geachtet, ob irgendwelche Brummgeräusche reinkommen, ein unerwartetes Rauschen oder irgendetwas anderes.
Nochmal zurück zur Aufnahme: Ihr nehmt in verschiedenen Velocitys auf. „Bestraft“ ihr dann einen, den ihr dort hinsetzt und der jeden einzelnen Ton in unterschiedlichen Velocitys spielt?
Das ist etwas unterschiedlich. Aber im Grundprinzip machen wird das schon so, dass wir Taste für Taste, leise bis laut spielen. Andere machen das anders, die spielen z.B. erst alle 88 Tasten leise, danach kommt der nächste Layer, also eher eine horizontale Denke. Aber „bestraft“ ist ein hartes Wort, ich würde „meditieren“ bevorzugen.
Aber nach vorherigen Sessions kam ich dazu und habe eine Maschine gebaut, die zumindest einen relativ großen Teil der Dynamik abdeckt, sodass wir nur noch die ganz lauten per Hand einspielen müssen. So können wir uns auch darauf konzentrieren, die Töne und eventuelle Fehler zu hören.
Das ist ein mechanisches Gerät, das über MIDI angesteuert wird?
Richtig. Es gibt etwas Ähnliches auch kommerziell für Drums. Große Firmen die E-Pianos bauen haben so etwas auch, meins ist allerdings etwas mobiler.
Gab es die Sorge, dass das Spielgefühl etwas verloren geht, weil die Taste von einer Maschine statt von einem Menschen angespielt wird?
Wir haben bei der Entwicklung dieser Maschine ziemlich viel ausprobiert, Probleme erkundet und die auch in den Griff bekommen. Sorgen haben wir da nicht.
Es gibt selbstspielende Systeme für Pianos – das Piano Disc – das kann man auch nachrüsten. Damit muss man nicht mehr selbst spielen können, das ist auch ein mechanisches System, ganz ähnlich wie unseres und da beschwert sich auch niemand.
Man muss aber auch dazu sagen, dass wir in NOIRE 22 Dynamikstufen anbieten, allerdings jede Taste mit bis zu 100 Dynamikstufen aufnehmen, die sich auch teils sehr ähneln. Das machen wir um einen super detaillierten Verlauf zu bekommen. Man editiert tatsächlich alle diese Töne. Wir nehmen die alle mit nach Hause in unser Studio, um dann dort die passenden auszuwählen.
Editing und Datenmengen
Ich kann mir vorstellen, wenn man drei Wochen aufnimmt, dass da riesige Datenmengen entstehen. Die verwaltet ihr das?
Da haben wir mit NOIRE und drei Wochen Aufnahmen auch echt den Vogel abgeschlossen – mit Una Corda waren wir elf oder zwölf Tag in Saal 3. Jetzt waren wir schon bei über einem Terabyte. Das hat man dann aufgeteilt auf eine Hauptplatte und zwei Sicherheitskopien, und tatsächlich ist eine Platte mit den Sicherheitskopien abgeraucht, als wir in unserem Studio ankamen. Dafür verwenden wir ganz normale 3,5 Zoll Platten – also keine SSDs – und Festplattendocks. Das hat den Vorteil, dass wir von verschiedenen Rechnern darauf zu greifen können und sie aber auch ganz einfach rausschmeißen, abziehen und wo anders anschließen können. Und Abends gibt’s dann wieder das Sicherheitsbackup.
Ist wahrscheinlich auch beim Editing ein Thema, dass man immer mit der richtigen Version arbeitet und man da weitermacht, wo man aufgehört hat?
Absolut. Würden da zwei Leute von zwei Rechnern aus dran arbeiten, und der eine fängt unten an und der andere oben, wäre das fatal. Die Dateien heißen jeweils gleich und man überschreibt am Ende des Tages die Dateien, da man denkt, es gibt ja jetzt was Neues und das alte ist alt, dann wäre das ärgerlich.
Gab es das schon?
Ja, auch das gab‘s schon. (lacht) Aber man wächst mit solchen Dingen und das ist schon lange, lange her. Man bekommt einen Workflow dafür, wer was wie macht und wer wofür verantwortlich ist. Aber klar, gerade der Synchronisationsprozess ist da immer ein Nervositätsmoment.
Datenvolumen an sich spielt ja heute nicht mehr eine so große Rolle. Aber achtet ihr trotzdem darauf, wenn ihr bedenkt, dass der User später das Instrument installieren muss, das Instrument muss spielbar sein – sprich Ladezeit spielt eine Rolle- und es muss alles „ruckelfrei“ laufen. Berücksichtigt ihr das schon bei der Aufnahme oder bei der Samplerate? Spielt das eine Rolle?
Man denkt bei der Aufnahme schon mal drüber nach und macht einen groben Überschlag, was dabei rumkommen könnte. Bei einem Klavier ist es relativ easy, z.B. bei Thrill, also mit Orchester, da muss man schon gucken, wieviel Session-Zeit man hat. Wieviel Datenmengen könnten das am Ende werden mit verschiedenen Mixen usw. Bei NOIRE ist es nicht so das Problem, da wir ohnehin bis zu 100 Dynamiksamples aufnehmen. Man könnte dann am Ende ohnehin nur ein Dynamiksample nutzen, jede zweite Taste frei lassen und die übrigen dort hinpitchen. Dann hätte man am Ende eine Version mit nur ein paar Hundert Megabyte, aber das wäre natürlich auch weit entfernt vom Original.
Wie erfolgt eigentlich die Auswahl eurer irre vielen Samples?
Das Ganze erfolgt nach dem Editing-Prozess, wo es ja noch darum geht, zu säubern, zu schneiden, was man alles als Material hat. Dann gucken wir erstmal für eine Taste, was da dynamisch passt, was man dann wieder übertragen kann auf andere Tasten, sobald es sich gut anfühlt. Auf diese Weise nähert man sich dem Ganzen an. Und am Ende ist es so, dass man vertikal für jede einzelne Taste guckt, wie da der dynamische Verlauf ist. Zum anderen schaut man dann aber auch horizontal. Wenn ich sehr leise spiele und von einer zur anderen Taste springe, sollte das natürlich keinen riesen Sprung machen. Dieses Raster geht man dann nochmal und nochmal und nochmal durch, und auch da gibt es dann irgendwann den Punkt, wo man es abschließen muss. Das ist dann der Punkt, an dem man nur noch etwas anders macht, von Durchgang zu Durchgang, aber nichts mehr besser wird. Man wird also immer kleine Unterscheide merken, das ist aber auch natürlich, da es ein natürliches, mechanisches Instrument ist und kein Synthesizer.
Und beim Editing geht wir wahrscheinlich so vor, dass ihr die einzelnen Töne erstmal rausschneidet und denoised?
Tatsächlich nicht. Es werden Mixe gemacht, es wurde auch zwischenzeitlich schon mal Musik aufgenommen, dass man etwas mit den Instrumenten spielt und man weiß, wie man den Klang einschätzen kann. Danach guckt man, welche Mixoptionen gibt es aus dem ganzen aufgebauten Mikrofondschungel, was macht da Sinn, und daraus ergibt sich dann nach vielem Vergleichen die Basis. Vergleicht man das dann von Ton zu Ton, kann es passieren, dass der ein oder andere Ton zu dumpf, zu bassig, zu nasal oder was auch immer klingt, das sind dann häufig Phasenprobleme. Das mag dann für Musik gut funktionieren aber für einzelne Töne nicht unbedingt. Die Abstrahlung von dem Flügel ist eben auch von Ton zu Ton sehr verschieden. Es ist jetzt aber nicht so, dass da groß mit Kompressoren, EQ, Halleffekten, Verzerrern oder was auch immer nachbearbeitet wird.
Wenn dieser Mix für jeden einzelnen Ton steht, dann nimmt man den finalen Stereomix, auf der im Instrument landen wird. Da ist dann das gesamte Material drin, das in der Session aufgenommen wurde, und muss freigeschnitten werden. Dann hat man pro Ton bis zu 100 Samples, die man aussucht wie eben beschrieben. Wenn man diese Samples gefunden hat, dann geht man in die Nachbearbeitung um eventuelle Nebengeräusche zu entfernen oder einen Fade zu korrigieren usw.
Wie die Samples in das Software-Instrument gelangen, wie die Particles Engine funktioniert und viele weitere Details erfährst du in unserem Podcast!
Historie: Erster Wavetable Software-Synthesizer – Steinberg NEON
Das aller erste sample-basierte VST Software Instrument war der polyfone Synthesizer NEON, der im Jahr 1999 zusammen mit Cubase VST 3.7 von Steinberg veröffentlicht wurde.