Der niederländische Tonmeister Leo der Klerk ist ein rastloser Tüftler: Mit seiner Firma Bloomline Acoustics hat er sich der Suche nach idealer Stereowiedergabe ohne Sweet-Spot und Kammfiltereffekte verschrieben, und sein OmniWave-System soll das nun ermöglichen. Auch sonst erweist er sich als »Audio-Getriebener«: Er verzichtet bei Orchester-Aufnahmen möglichst auf Stützmikrofone, um die Balance nicht zu verfälschen.
Leo de Klerk, 60, lebt im niederländischen Almere. Er absolvierte in Den Haag den Tonmeister-Studiengang. De Klerk nahm unter anderem für die Plattenfirmen Phillips, DGG und Decca mehrere hundert Schallplatten auf, darunter im Klassikbereich Gennadi Rozjdestvenski, Marietta Perkovac oder Malcolm Belson.
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1981 hast du dein Bloomline Studio aufgebaut. Welche Lautsprecher hast du seinerzeit verwendet?
Meine ersten Monitore waren Tannoy SRM15X Super Reds. Die haben einen deutlichen akustischen Fingerabdruck. Das empfand ich als störend, wenn ich Streicher oder ein Klavier abspielte. Elektrische Gitarren und Synthesizer klangen sehr gut − Instrumente, die einen nachträglichen »Resonanzboden« brauchen, um sich zu entfalten, aber nicht jene, die akustisch bereits »komplett« waren. Ich stieg auf kleine Speaker um − LS3/5A, die bei der BBC eingesetzt und etwa von Spendor gebaut wurden. Damit konnte ich zumindest ein Ensemble in nahezu natürlicher Perspektive wahrnehmen, wenn mit einem AB-, Blumlein- oder ORTF-Stereo-Setup aufgenommen wurde. Die meisten Musiker waren mit dem Ergebnis im Regieraum glücklich, im dimensionalen Rahmen der Lautsprecherboxen. Sie fragten oft nach Kopfhörern, um den Klang noch besser wahrnehmen zu können.
Mir wurde klar, dass der Sweet-Spot entscheidend ist, dazu kam das »verdeckende« Verhalten von Lautsprechern im Raum: Als Produzent klassischer Musik arbeitest du oft in suboptimalen Räumen, manchmal auch im Abstellraum einer Kirche! Du musst dich mit allem arrangieren. Dabei lernst du, dass die Power Response [bezeichnet die Summe der Energie, die der Lautsprecher in den Raum abstrahlt; Anm.d.Aut.] besonders wichtig ist − die Antwort über alle Richtungen, unabhängig davon, wie gut der Speaker onaxis funktioniert. Manches führt dazu, dass eine Raumantwort zu deinen Ohren zurückstrahlt, die den Klang verdeckt − aufgrund der Reflexionen in einem weniger optimalen Raum.
Was war bei dir die Initialzündung, mit dem Bau eigener Lautsprecher anzufangen?
Mit dem deutschen Komponisten und Maler Burkardt Söll habe ich Musik für Shakespeares Venus und Adonis aufgenommen: ein kleines Theaterstück, eine Oper für Sopran, Gitarre und einen Tänzer. Die restlichen Instrumente hatten wir als Zuspieler aufgenommen. Gegen Ende der Aufnahmen fiel ihm auf, dass das Musikbett aus den Lautsprechern und die LiveMusik separiert wirken würden. Der Zuspieler passt nicht in die Perspektive der Bühne. Es klingt, als hätte jemand das Radio angemacht. Damit hat er ein Problem angesprochen, das mich bereits in meiner Jugend beschäftigt hatte − eine »Klangbühne« herstellen zu wollen, bei der alle Quellen in einer Perspektive stehen. In dem Fall nicht nur als Aufnahme, sondern auch als Verstärkung im Raum. Er fragte mich: »Kannst du einen Lautsprecher bauen, den man nicht wahrnimmt?«
Wenn das so einfach wäre …
Es war nicht einfach, aber vom Konzept her schon. Der Vater eines Freundes hatte einen alten, ungewöhnlichen Lautsprecher zu Hause: ein braunes Bakelitgehäuse mit der Anmutung eines Radarschirms, auf der anderen Seite eine Kegelform.
Ein nach außen gewölbter Lautsprecher?
Ja! Ich habe das Ding inspiziert − ein invertierter, konvexer Konus. In meinem Studio habe ich Philips-Lautsprecher umgebaut, indem ich den Woofer mit dem Magneten nach außen montierte, darauf den Tweeter positioniert. Das legte ich auf den Boden und spielte Musik ab. Meine Kinder meinten, es klinge viel besser als die ursprünglichen Lautsprecher. (lacht)
Worin lag der Unterschied?
Ich versuche mal, dich das hören zu lassen − so würde ich gerichtet klingen [formt einen Trichter, das Ergebnis klingt nasal und scharf], und so ohne [normal]. Das klingt viel besser. Mir fiel auf, dass meine anderen Monitore Probleme mit Spatial Aliasing hatten − Kammfilter, die sich mit deiner Hörposition verändern. Sobald du dich bewegst, ändern sich zeitliche Reflexionen im Konus, der Kammfilter ändert sich in der Frequenz. Im Sweet-Spot wirkt das weniger störend. Auch aktuelle Monitore haben das Problem. Das tritt bei koaxialen Systemen verstärkt auf, wo der Tweeter konzentrisch im Woofer verbaut ist.
Die konzentrische Bauweise schien mir eine gute Idee, aber sie müsste umgekehrt stattfinden. Wir bauten für das Theater Lautsprecher in sechs Röhren mit einem konvexen Woofer auf, montierten darauf einen Tweeter. Sie standen auf dem Boden, der Treiber strahlte vertikal nach oben. Das Setup ging mit Burkardts Ensemble auf Tour. Einige Monate später bekam ich Anrufe aus Berlin, Mannheim und Zürich − Theater wollten die Lautsprecher bestellen. Ihnen gefiel der homogene Klang und die Integration in die Raumakustik. Ich meinte, ich sei leider kein Lautsprecherproduzent. (lacht)
Im Anschluss wollte Burkardt eine Rembrandt-Oper im niederländischen Leiden realisieren. Das Opernhaus ist mit einem kleinen Orchestergraben ausgestattet, eher ein Orchestergrab. Er schlug vor, ein aufgenommenes Orchester über die Lautsprecher wiederzugeben. Ich meinte, wir sollten das Orchester aufnehmen, aber zwei, drei Perkussionisten mit Pauken, Schlagzeug und so weiter in den Orchestergraben setzen. Dann hätten wir die tatsächliche Dynamik akustischer Instrumente. Die Oper wurde 2009 aufgeführt, zwischenzeitlich bekam ich die Lautsprechermaterialien netterweise von KEF aus England gesponsert. Die Lautsprecher waren Rundstrahler − bereits mit zwei Stück in Stereo entstand fantastische 360-Grad-Diffusfeld-Beschallung. Umgekehrt wird Direktschall − Stimmen, Punktschallquellen einer Aufnahme − verwaschen.
Wie hast du das Problem gelöst?
Ich stieß auf eine alte Regel aus den 1960ern: Wenn Lautsprecher zu gerichtet abstrahlen, sollte man die Aufstellung einwinkeln − zum Beispiel 30 Grad off-axis. Meine omnidirektionalen Lautsprecher müsste ich an den Seiten aufstellen und um 90 Grad drehen, damit sie aufeinander zu schallen. Dadurch entsteht Direktionalität in horizontaler Ebene, der Zuhörer hört den Unterschied des Klangs der Chassis-Vorder- und -rückseite. So klingen sie fast wie normale Lautsprecher, allerdings ist die Power Response deutlich verbessert.
Nun hatte ich ein fantastisches Klangbild für Punktschallquellen, aber mein Diffusfeld war zu einem Tunnel geschrumpft. Ich wollte beide Systeme kombinieren, auf vertikaler Ebene. Deshalb habe ich zwei Systeme übereinander positioniert: zwei OmniDrives eingewinkelt zur stabilen Abbildung des Direktschallfelds, darüber zwei für das Diffusfeld, die zum Beispiel von der Decke hängen. Das Resultat war eine vertikale Phantomschallquelle, die ihre Klangfarbe nicht ändert, wenn man sich im Raum bewegt! Vorder- und Hintergrund integrieren sich in der richtigen Perspektive. Ich konnte die Lautsprecher nicht mehr aus dem Klangbild »heraushören«. Ein 90-Grad-Winkel zweier kohärenter Rundstrahler führt automatisch dazu, dass die Originalschallquelle nicht mehr lokalisiert wird und eine stabile Phantomschallquelle entsteht. Kammfilter sind nicht mehr hörbar, Überhöhungen des Raums löschen sich gegenseitig aus. Mit zwei OmniWave-Arrays in Stereo wird es möglich, über 45 Grad neben dem Sweet-Spot zu sitzen, und immer noch ein glaubwürdiges Stereobild wahrzunehmen.
Das war eine Offenbarung, da es das Hören angenehmer macht, Hörermüdung vorbeugt und den Fokus auf die Bühne verstärkt.
Wie haben die Musiker das System empfunden?
Ich habe damals Bachs Matthäus-Passion produziert, mit Orchester, Chor und Solisten. Das System hatte ich im Regieraum aufgebaut, der übrigens die Künstlerkantine war. Alle Künstler, die ein- und ausgingen, konnten zuhören. Sie lagen auf dem Boden, saßen auf Stuhl, im 90-GradWinkel zum System. Interessanterweise verlangte keiner mehr nach Kopfhörern. Sie fingen an, über die Musik zu reden statt über den Sound. Das war, was ich wollte.
Das einzige Problem: Um die Lautsprecher anzubieten, müsste ich eine Lautsprecherfirma werden. (lacht) Das war eine Herausforderung. Wir konnten keinen Partner finden, der sich traute, das System zu vermarkten. 2007 fingen wir an, OmniWave an Ensembles und Verleiher zu verkaufen. 2009 haben wir in Amsterdam eine große Besetzung für Edgar Varèses Orchesterwerke bei 1.200 Zuschauern mit elf kleinen Speakern beschallt und in die Akustik der Amsterdamer Concertgebouw getaucht. Die Münchener Kammerspiele haben eigene Systeme, der Gasteig hat ebenfalls ein System gekauft, um zum Beispiel Solisten vor dem Orchester zu unterstützen. Denen fehlen die Erstreflexionen des Raums, dadurch fühlen sie sich »verloren« und klingen auch entsprechend.
So funktioniert OmniWave live: Du addierst eine »Wand« aus Erstreflexionen. Du kannst das System in jeder gewünschten Konfiguration aufbauen, von einem monophonen Center bis zu einem komplexen System, wie im Funkhaus Berlin beim Red Bull Music Festival: Dort kamen 102 OmniDrives mit elf Subwoofern zum Einsatz. Im niederländischen Parlament ist das System im großen Gerichtssaal und anderen Räumen installiert. Dort müssen die Leute viele Stunden am Tag reden, zuhören und konzentriert bleiben. Die Architektur sieht großartig aus, die Akustik ist allerdings schlecht. Wir haben das Problem mit OmniWaves an der Decke gelöst. Darauf bin ich stolz, weil es sich nicht nur für Musik eignet, sondern auch für Sprache und aktive Akustikgestaltung.