Knietief in den Siebzigern – Farfisa Syntorchestra
von Bernhard Lösener,
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(Bild: : Bernhard Lösener, Jörg Sunderkötter)
Einige legendäre Krautrock- und Synth-Alben würden ohne den Synthesizer von Farfisa mit dem euphemistischen Namen Syntorchestra vermutlich etwas anders klingen.
Wer jetzt denkt: »Auweia, da fehlt doch ein h«, liegt falsch, es heißt wirklich Syntorchestra, ohne h. Das mag möglicherweise auch an der italienischen Herkunft des Instruments liegen. Farfisa gehörte in den 70er-Jahren zu den etabliertesten Orgelherstellern, ihre Instrumente wurden u. a. von Pink Floyd eingesetzt. Immer mehr Kunden aber wünschten eine Erweiterung des Klangspektrums, und man entwickelte einen kompakten Synth, der gut auf der Orgel positioniert werden kann und wenig wiegt. Das Syntorchestra kam 1975 heraus, kostete 1.998 Mark und wurde bis 1978 gebaut. Das bühnenfreundliche Instrument kombiniert eine polyfone und eine monofone Klangerzeugung und ist mit einer Reihe von Presets ausgestattet.
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Bild: : Bernhard Lösener, Jörg Sunderkötter
Auf der Rückseite findet man Einzelausgänge für die Poly- und die Solo-Sektion,
einen Tune-Regler für die polyfone Klangerzeugung, einen Regler für die Oktavspreizung der Mono-Sektion und einen DIN-Buchsen-Anschluss für ein VolumePedal.
Bild: : Bernhard Lösener, Jörg Sunderkötter
Ein skurriles, 70er-Jahre-typisches Detail ist die Metallplatte mit der silbern gravierten Orchestergrafik, die den Anspruch des Instruments nachdrücklich unterstreicht.
Bild: : Bernhard Lösener, Jörg Sunderkötter
Die Presets und der Wha Wha-Effekt sind unter der Tastatur angeordnet.
Bild: : Bernhard Lösener, Jörg Sunderkötter
Das Bedienpanel des Syntorchestra
Berliner Schule und mehr
In den frühen 70ern hatte sich in der Mauerstadt die sogenannte Berliner Schule etabliert − eine Reihe von Acts produzierte meist lange, oft improvisierte elektronische Tracks, die in der Regel ohne Gesang auskamen und einen hypnotischen (bewusstseinserweiternden?) Charakter besaßen. Neben Tangerine Dream gehörten Klaus Schulze und Ash Ra Temple zu den bekanntesten Acts dieser Krautrock-Richtung.
Die beiden Letztgenannten setzten das Farfisa Syntorchestra auf wegweisenden Produktionen und auf der Bühne ein; Synth-Pionier Klaus Schulze verwendete es auf Moondawn (1976), einem seiner bekanntesten Longplayer, den er zusammen mit dem Percussionisten Harald Grosskopf einspielte. Ash Ra Temple aka Manuel Göttsching setzten das Syntorchestra ebenfalls ein; es ist u. a. auf dem Album New Age Of Earth zu hören, das 1976 veröffentlicht wurde. Ein weiterer bekannter Syntorchestra-User ist Vangelis, der den Synth u. a. auf seinem ersten (Heaven & Hell 1975) und zweiten Album (Albedo 0.39 1976) verwendete. Auch Produzent Emile Haynie, der u. a. mit Florence + The Machine, Kanye West und Lana Del Rey zusammenarbeitete, hat ein spielbereites Farfisa Syntorchestra in seinem Londoner Studio.
Klangerzeugung
Das Syntorchestra besitzt sowohl eine monofone als auch eine polyfone Klangerzeugung, was damals ungewöhnlich war; beide lassen sich parallel betreiben. Die mehrstimmige Abteilung ist vollpolyfon und basiert auf einer Frequenzteilerschaltung. Die monofone Sektion arbeitet mit einem VCO und einer einfachen AD-Hüllkurve. Ein LFO ermöglicht Vibrato und die Modulation der Filter-Eckfrequenz (»WahWah«).
Klopf auf Holz
Das Syntorchestra gibt es in zwei Darreichungsformen: einmal im wohnzimmertauglichen Holzfurnier-Design (unser Testgerät) und im Metallgehäuse; technisch sind beide Versionen identisch. Die Wippschalter für die Presets des Performance-orientierten Gerätes liegen zwecks optimaler Erreichbarkeit direkt unter der Tastatur. Rechts befinden sich neun Mono-Presets, links vier »Poli«-Sounds (jaja, die Italiener bevorzugten auch da individuelle Schreibweisen), die Sektionen lassen sich mit einem Cancel-Schalter muten. Das Design mit den an der Synth-Unterseite liegenden Schaltern ist typisch für viele Synths dieser Epoche, wie etwa den Moog Satellite und den Roland SH-2000.
Ungewöhnlich groß ausgefallen ist die »Temporary-Portamento«-Wippe mit Rückholfeder, mit der man solistische Exkursionen durch kurze Glide-Effekte würzen kann, wenn das dauerhafte Portamento nicht aktiviert ist. Das angenehm spielbare, dreioktavige Keyboard ragt etwas heraus, was (zusammen mit den Wippschaltern) den Transport zu einer heiklen Sache machen kann; hier ist ein Case mit maßgeschneiderter Schaumstoffeinlage Pflicht.
Auf dem »Ash Ra Temple«-Album New Age
of Earth kommen neben dem Farfisa Syntorchestra ein ARP Odyssey, ein EMS Synthi
A, eine Gibson SG und ein EKO ComputeRhythm zum Einsatz.
Synth-Wizard zeigt auf dem Innencover des
Albums Heaven & Hell, was er hat: neben
dem Farfisa Syntorchestra sind u. a. ein
Fender Rhodes, ein Korg Minikorg 700 und
ein ARP Odyssey zu sehen.
Soffiato
Auf dem Bedienpanel der linken Seite lassen sich die Presets in einem relativ engen Rahmen an eigene Vorstellungen anpassen. Poli- und Mono-Sektion besitzt jeweils einen Regler für die Lautstärke und die Brillanz (Filter-Cutoff). Ein Vibrato-Effekt mit schaltbarer Delay-Funktion lässt sich je – dem der beiden Klangerzeugungsblöcke zuweisen. Die Hüllkurve moduliert Amp und Filter und ist zwar nur zweistufig ausgelegt, aber sehr wirksam bei der Klanggestaltung: Während Decay noch konventionell benannt ist, heißt die AttackPhase hier zärtlich Soffiato (italienisch für »geblasen«, »ge pustet«). Mit einem weiteren Wippschalter lässt sich zwischen Release und Decay umschalten.
Neben dem Fader für die Geschwindigkeit des Portamen – to und einem Pitch-Regler gibt es noch einen Wahlschalter, mit dem man den Mono-Synth gegenüber der polyfonen Sektion um eine Terz, eine Quinte oder eine Sechste verstimmen kann − ein eher ungewöhnliches Feature.
Sound
Klanglich überrascht das Syntorchestra in mehrfacher Hinsicht: In der Monosektion gibt es ein paar sehr fette Sounds (Tuba und Trombone), die zwar mit ihren Preset-Namen wenig verbindet, aber dafür mit entsprechenden Filterhüllkurven-Einstellungen als kraftvoll drückende und lebendige Synthbässe agieren können. Auch die in den höheren Registern angesiedelten Preset-Klänge können bei entsprechenden Filter- und Effekt-Einstellungen charmant klingen. Eine Zuordnung der meist recht einfachen Sounds zu den Preset-Namen erfordert allerdings eine agile Vorstellungskraft (oder den Konsum 70s-typischer Drogen).
Die polyfone Abteilung bietet vier Presets; unter diesen ist der Piano-Sound überraschenderweise (aus der Perspektive der Mittsiebziger!) ziemlich gut gelungen und besser als bei den Multikeyboards der Konkurrenten dieser Epoche. Die anderen Poly-Presets (Trombone, Trumpet, Viola) klingen durchaus kraftvoll, aber auch etwas steif und lassen die verschwurbelte, epische Breite von Stringmachines von Solina oder Crumar vermissen. Hier kam dann meist der legendäre »Krautrock-Phaser« Schulte Compact Phasing A zum Einsatz, der von Klaus Schulze und vielen anderen Acts der Berliner Schule verwendet wurde.
Nachfolger
1979 brachte Farfisa einen Nachfolger, das Syntorchestra 4 heraus. Er bietet eine ähnliche klangliche Ausstattung (Polyund Mono-Sektion) und ein moderneres Design. Der Synth wurde allerdings kein großer Erfolg für Farfisa und ist sehr rar.
Das Farfisa Syntorchestra wurde uns freundlicherweise von Vanessa Ghost zur Verfügung gestellt
Ich besitze so ein Instrument und willes aber verkaufen. Das Farfis ist voll funktionsfähig und kann mit Transportkoffer übernommen werden.