Beton, Blas und Vintage-Synths

Nicolas Godin über sein aktuelles Soloalbum Concrete & Glass

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Nicolas Godin kennt man als eine Hälfte des französischen Erfolgsduos Air. Mit seinem aktuellen Soloalbum knüpft der Electronica-Künstler musikalisch und klanglich an die frühen Air-Werke an. Klare Songstrukturen, eingängige Melodien und luftige Sounds verweisen auf Godins wichtigste Inspirationsquelle, die minimalistisch-futuristische Architektur eines Le Corbusier.

Musik und Architektur sind für Nicolas Godin Kunstformen mit zahlreichen Verwandtschaften. Nicht verwunderlich, denn Godin ist studierter Architekt. So prägen die klaren Linien und geometrischen Formen der Bauhaus-Architektur mit ihrer lichtdurchfluteten, aber kühlen Eleganz seit jeher auch Godins Sound-Ästhetik.

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Als der befreundete Künstler Xavier Veilhan Godin bittet, für ein Architektur-Event mehrere kurze Tracks mit Bezug zu Bauwerken der klassischen Moderne zu komponieren, sagt Godin gerne zu. Begeistert und motiviert vom Ergebnis, erwächst aus diesen Miniaturen alsbald das aktuelle Album Concrete & Glass. Mit klaren Strukturen, eingängigen Melodien und einer typisch seidigen Sound-Ästhetik knüpfen die zehn Songs direkt an Airs frühe Erfolge an. Auch dieses Mal hat sich Nicolas Godin nicht auf seine Vocoder-Stimme beschränkt, sondern eine illustre und sehr bunte Vokalistenrunde um sich versammelt. Dazu zählen wohlbekannte Namen wie Alexis Taylor von Hot Chip, aber auch weitgehend unbekannte Größen wie die Psychedelic-Soul-Chanteuse Kadhja Bonet oder die Moskauer Experimental-Pop-Visionärin Kate NV. Co-Produziert wurde das Album von Godins Partner-in-Crime, dem Pariser Musiker und Synth-Freak Pierre Rousseau. Wir trafen Nicolas Godin in Berlin.

Alle Air-Alben und deine Solowerke sind für eine sehr eigene Sound-Ästhetik bekannt. Wie findet man zu seinem »Signature-Sound«?

Als ich mit Musikproduktion begonnen habe, waren DX7 und Korg M1 die angesagten Synths. Dafür hatte ich jedoch kein Geld. Also habe ich die Kleinanzeigen, u. a. im Keyboards-Magazin, nach damals vergleichsweise billigen Analoginstrumenten durchforstet. Meine ersten Volltreffer waren ein Minimoog, ein Fender-Rhodes und ein Solina String-Ensemble. Die habe ich aufeinander losgelassen und wow: Der frühe Air-Sound war geboren! Es war also ursprünglich weniger Konzept als vielmehr Zufall im Spiel.

Auch dein aktuelles Studio ist mit altanalogen Schätzen vollgepackt. Was reizt dich heute an Minimoog, ARP 2600 und Co?

Auf jeden Fall der direkte Zugriff. Ein gut skaliertes Analog-Poti ist etwas anderes als ein Encoder oder gar eine Maus. Zudem sind das Instrumente mit einem ausgeprägten Eigenleben. Die klingen jeden Tag ein wenig anders – wie eben auch ein akustisches Instrument oder eine Stimme.

Was sind deine Lieblings-Synths?

Die Synthies in meinen Studio sind alle toll – jeder auf seine Weise. Ganz weit vorne sind Prophet-5, Jupiter-8 und mein Memorymoog. Der war lange Zeit in Reparatur. Als ich ihn endlich komplett restauriert zurückhatte, beschloss ich, einen Song ausschließlich mit dem Memorymoog zu machen. Daraus ist dann Cité Radieuse geworden. Der Sound des Memorymoog passte perfekt, und der Song hat kaum weitere Elemente benötigt.

Was denkst du über die zahlreichen Clones auf dem aktuellen Markt?

Ach – für mich ist das nichts. Ich liebe einfach das »echte«. Der Look, die Haptik – das gefällt mir. Ich glaube, ich mag grundsätzlich nichts, was Dinge imitiert.

Arbeitest du auch mit Software?

Auf jeden Fall! Ableton Live ist mein wesentliches Produktions-Tool. Ich verwende gerne dessen Software-Instrumente und Effekt-Plug-ins. Es ist ja nicht so, dass ich grundsätzlich nur Vintage-Equipment anfasse. Ich bin für Vieles und für Neues offen, gerade bei den Effekten nutze ich zahlreiche Plug-ins. Auch hier finde ich Sachen interessant, die nicht einfach nur Vintage-Hardware clonen, sondern neue Möglichkeiten bieten. Sound-Toys machen echt tolle Sachen. Den Crystallizer mag ich besonders.

Nutzt du auch Modulares bzw. ein Eurorack-System?

Ja, auch damit habe ich mich angefreundet. Um die analogen Synths klanglich zu ergänzen, nutze ich gerne Module mit digitaler Technik – und überhaupt Module, die über das Klangpotenzial der Vintage-Synths hinaus gehen. Ich habe einige digitale Oszillatoren, die komplexe Wellenformen generieren, etwa DPO und Telharmonic von Make Noise sowie Braids, Clouds und Elements von Mutable Instruments. Sie ergänzen sich klanglich sehr gut mit den klassischen Analog-Sounds. Innovative Ideen, wie etwa Make Noise’ Sequencer-Modul Rene, gefallen mir ebenfalls sehr. So etwas eignet sich bestens als Ideenlieferant.

Sind deine Vintage-Synths midifiziert?

Ja, die sind alle mit Kenton-Kits ausgestattet – sogar der CS-60.

Wie synchronisierst du deine Drummaschinen?

Oftmals nehme ich zunächst einfach frei laufende Drum-Patterns im gewünschten Tempo als Audioloops auf. Die Drummies sind dann also gar nicht gesynct. Mit diesen Audiofiles wird dann weitergearbeitet. Die Drum-Synthies (Vermona, Jomox) triggere ich entweder mit Ableton Live oder mit Sequencer-Modulen. Meine 808 ist zwar midifiziert, aber ich nutze gerne den internen Sequencer und synchronisiere ihn via DIN-Sync.

Zu Beginn deiner Karriere musstest du dich zwangsläufig auf wenige Tools beschränken. Heute steht dir ein unüberschaubares Angebot zur Verfügung. Welche Situation ist deiner Kreativität zuträglicher?

Die riesige Auswahl an spannendem Equipment macht es heute umso notwendiger, ein musikalisches Konzept zu entwickeln. Es braucht Ideen und Strukturen, um sich nicht in Beliebigkeit zu verlieren. Über diese Dinge waren wir uns von Beginn an im Klaren. Air-Songs haben seit jeher klare, einfache Songstrukturen, eingängige Hooks und einen durchsichtigen Sound. Zudem versuche ich, eine Produktion immer so zielstrebig wie möglich anzugehen – um mich nicht in allzu vielen Details zu verzetteln. Ich muss dazu ein gewisses Arbeitstempo beibehalten. Das klappt bisher immer recht gut, nur das Modularsystem steht mir da neuerdings etwas im Wege … (lacht)

Die Struktur in deiner Musik entleihst du der modernen Architektur?

Richtig, da bestehen eindeutig Parallelen. Auch dort findet man klare Linien und viel Reduktion. Die berühmten Bauhaus-Architekten waren Meister der Reduktion. Jedes Detail hat seine Funktion – es gibt dort nichts Überflüssiges. Ich versuche, meine Musik nach ebensolchen Kriterien zu gestalten.


Nicolas Godin

Der Keyboarder, Multiinstrumentalist und Sänger Nicolas Godin ist Begründer der französischen Band Air, die er zusammen mit seinem Jugendfreund und Musikerkollegen Jean-Benoit Dunckel betreibt. Dem mit Gold und Platin ausgezeichneten Air-Debüt Moon Safari von 1998 folgten bisher fünf weitere Studioalben sowie eine Filmmusik (The Virgin Suicides von Sofia Coppola). Godin studierte in Paris Architektur und bezieht Einflüsse der Moderne in Musik und Artwork ein. Sein erstes Soloalbum Contrepoint (2015) gilt jedoch als von J.S.Bach inspiriert. Das aktuelle Werk Concrete & Glass erschien am 24. Januar 2020 bei Because Music.

Mehr Infos unter nicolasgodin.com

 

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