Sicher, die letzte halbe Dekade waren gefühlt Analog-, wenn nicht Moog-Jahre. Just auf dieses Momentum hin getimt taucht die neue, kleine, aber erstaunlich gut personell durchstrukturierte Synthschmiede Ashun Sound Machines auf, mit zwei durchdachten Gerätevarianten eines Digitalsynth-Konzeptes mit erweiterter Wavetablesynthese – Wavemorphing – und hochwertig verarbeiteten Spiel- Anschluss- und Steuerelementen.
In der griechischen Mythologie ist die Hydra jenes zwölfköpfige Schlangenmonster, mit dem man sich lieber nicht anlegt, wachsen ihm doch für jeden abgeschlagenen Kopf glatt zwei neue, sicher noch hungrigere nach. Da das als Synthesizer reinkarnierte gute Stück in diesem Testbericht 10 kg wiegt und eine Ober- und Unterplatte aus Stahl sowie zwei Seitenplatten aus Aluminium besitzt, glaube ich sogar, dass auch Feuer ihr nicht so schnell etwas anhaben können wird. Angst braucht man bei der Erstellung seiner Patches dann aber doch nicht zu haben: Nach relativ kurzem Studium einiger quer gelesenen Teile des Manuals kann man schon grob mit der Klangsynthese loslegen, und was man noch nicht versteht, schaut man sich eben später an.
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Der angehende Hydrasynth-Fan wird sicher erstmal mit dem großen und haptisch einladenden Auswahlpoti durch die gebotenen Welten von Sounds jagen, ein bisschen an den zwei Filtersektionen mit Cutoff, Resonanz , Drive oder Envelope drehen und angesichts der komplexen Klang-Epen, die sich nun in Verbindung mit den Spielmöglichkeiten am Ribbon-Controller oder dem üppig ausgestattenden Arpegiator entfalten und ihn umweben und umgarnen, sich bald fragen, wieso nicht alle Synthesizer bei Erstbetrieb so eine Wirkung auf den davorsitzenden Menschen haben. »Meine Güte, klingt der gut!«, denkt wirklich jeder!
Harte Fakten & smoothe Potis! Der mit 49 anschlagsdynamischen Tasten ausgestattete Hydrasynth verfügt über acht unabhängig von der angeforderten DSP-Leistung ständig vollwertig parametrisierbare monotimbrale Stimmen, die von drei Oszillatoren, Noise- und Ring-Oszillator gespeist werden. »Vollwertig « bedeutet hier, dass diese achtfache Polyfonie nicht einbricht, nur weil der User z. B. über die DSP-Funktion »Wavestacking« ein mehrstimmig detunetes Unisono erzwingt. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, aber natürlich kann ein DSP so etwas eher realisieren als ein analog ausgeführtes Gerät. Das zeugt aber wiederum von verdammt eleganter Softwareprogrammierung.
Die Klanggrundlage für die Oszillatoren bilden 219 sogenannte Single-Cycle-Wellenformen, von denen bis zu acht im »Wavelist-Modus« in ein Wavetable »ladbar« sind, wo sie in beliebiger Reihenfolge durchfahren werden können, um auf diese Weise eine enorm große Anzahl von Wellenformvarianten herzustellen. Ich habe DWGS-ähnliche Wavetables entdeckt, die aber nicht exakt nach KORG klangen, dann alle möglichen analog wirkenden Wavetables, aber auch jede Menge von mir bisher Unerhörtes und wirklich sehr viel Interessantes vorgefunden. Eine Wellenform umständlich einzeichnen muss man mit dem Hydrasynth nicht, dennoch kommt man genauso zu Ergebnissen, die man eher von einem fetten Hybridsynth wie einem KORG DSS-1 (Sampler -> VCA -> 16 x VCF) erwarten würde. Logisch, der Hydrasynth hat nicht die analoge Wucht der durch die Wandlung entstandenen Fehler und Artefakte, solche Signaturen lassen sich aber Heutzutage im Kinderspiel mit Tools wie TAL-DAC von ihrer digitalen Perfektion »befreien«.
Die Oszilatoren 1 und 2 laufen wahlweise durch sogenannte »Mutanten«, im ASM-Technobabble entspricht das diversen Modulationsmöglichkeiten, die nicht in die Terminologie von »Filter« oder »LFO« passen. Pro Mutant wählt man dann jeweils einer der folgenden »Bearbeitungen« aus:
FM-Linear: erzeugt klassische FM-Sounds. Auswahl diverser FM-Sources, auch externer Inputs (Via MOD1 z. B. das analoge Signale verträgt),
Wavestack: erzeugt bis zu fünf Kopien des Sounds, die per DETUNE gegeneinander verstimmt werden können,
Hard Sync: klassische Hard Sync-Sounds, falls mal wieder ein EBM-Buddy auf eine schöne warme Tasse Motoröl vorbeikommt,
Pulse Width: Pulsbreitenmodulation des Inputs, PW – Squeeze: Pulsbreitenmodulation mit verrundeter und damit smootherer Charakteristik,
PW-ASM: Die ankommende Wellenform wird in acht Scheibchen zerlegt, welche eine individuelle (!) Pulsweitenmodulation pro Slice tragen dürfen. Aber ist das denn überhaupt legal? ;-),
Harmonic Sweep: Sweept die Harmonischen Anteile des Signals.
Die Mutanten können durch Kombinationen auch die Funktion zusätzlicher LFOs erfüllen.
Hinter den Mutanten kommt in der Signalkette natürlich der Mixer, der auch kein total einfaches Gemüt ist. Der Mixer-Button wechselt bei jedem Druck zur nächsten von drei Pages. In der ersten stellt man den Pegel von OSC 1, 2, 3 ein, in der nächsten das Panorama! Auf der letzten Page lässt sich ein Solo-Modus ein- oder ausschalten, um die OSCs während der Synthesebearbeitung auch mal schnell jeweils solo schalten zu können – eine wirklich praktische Sache!
Ach ja: Parallel auf der Höhe der Mutanten 2 & 4 ist im Signalweg vor dem Mixer auch die Sektion für Ring-Oszillator und Noise-Zufuhr. Achtung, es ist kein wortwörtlich als »Audio-In« bezeichneter Input für externe Signale vorhanden, das heißt aber nicht, dass externe Geräte nicht als Input fungieren können, es wird nur über den MOD1-Miniklinkenanschluss links oben auf der Synthesizer-Oberseite, wo sich auch SYNC usw. finden lassen, realisiert. Dort habe ich testweise den kleinen bekloppten Bastl Kastl angeschlossen und konnte sein wildes Spektrum bequem in die Synthese einmischen. Konkret macht man die Ring-Oszillation an sich aus und regelt den externen Krachmacher über den Ring-Oszillator-Pegel in den Signalweg. Hören tut man das externe Gerät selbstredend immer nur dann, sobald man eine Taste gedrückt hält, fertig!
Hinter den Mixern beginnt das Filterland. Zwei Filtersektionen, die parallel oder seriell geschaltet werden können, bieten hier diverse, sehr ordentlich klingende Filter, die auch bei starken Resonanzen nicht clippen. Die Auswahl der Filtergattungen folgt üblichen etablierten und berühmten Vorbildern; es ist alles dabei, was man so braucht zum Shapen und Modellieren eines Audiosignals. Die Filter tragen Bezeichnungen wie: »LP Ldr12 12dB Uncompensated Ladder filter«, »MS20 Low Pass filter with an MS-20 flair« oder »LP 3-Ler The Low Pass flavor of a boutique modular synth«.
Abgerundet wird die Syntheseabteilung durch eine mächtige Modulationsmatrix, fünf Mal DAHDSR-Envelopes. Im Prinzip handelt es sich um die berüchtigten ADSR-Envelopes mit zusätzlichem (D)elay zu Beginn und einem (H)OLD-Faktor direkt nach dem Attack. Gerade mit Delays vor einer Modulation kann man den Sounddesigner in mir sehr begeistern, das wird nämlich leider fast immer vergessen. Gerade bei LFOs ist ein simples zeitverzögerndes statisches Delay nämlich eine wirklich effektive Maßnahme, die unnötige Automationen an anderer Stelle erspart.
5 is a magic number, denn es gibt gleich fünf LFOs, das ist eine ganze Menge. Auch hier besitzt das LFO ein Delay, Fade-In, drei Trigger-Modi, Glättung (Verrundung), Startphase und einen One-Shot-Modus. Diese LFOs sind aus sehr gutem Hause, und BPMSync haben sie selbstredend auch. All jene, die jetzt noch wissen wollen, wie sie ihre gigantischen, begehbaren Modularrack-Türme in den Signalweg des Hydrasynths bekommen oder eine schlichte Sync-Verbindung etablieren wollen, sei erneut ein Blick auf den oberen linken Bereich empfohlen. Links gibt es die Inputs MOD1 und MOD2, rechts beginnt die Output-Sektion mit CV/Gate und den üblichen Halunken wie SYNC, PITCH, MOD1, MOD2 und CLOCK. Laut ASM werden alle gängigen CV/Gate-Standards unterstützt.
Über Anschlüsse für Sustain und Modulation für die Pedalfraktion müssen wir bei einem solchen Luxusgerät eigentlich nicht reden, sie sind selbstredend hinten neben den beiden Klinken-Outs, dem MIDI-Trio (In, Out, Thru) und dem USB(MIDI-In/Out)-Port zu finden.
Ein König unter den Arpeggiatoren!
Unfassbar kreativitätsfördernd ist die ebenfalls großzügig ausgestattete Arpeggiator-Sektion. Acht rastende Potischalter steuern von links oben nach rechts unten folgende Parameter, nichts fehlt: TEMPO, MODE, RATCHET, OCTAVE, CHANCE, DIVISION, GATE und SWING, darunter folgerichtig ON und LATCH. Mit Letzterem läuft das Arpeggio auch weiter, wenn ich meine Hände vom Keyboard entferne, um in der Filtersektion Modulationen anzurichten. TRIPLET, TAP TEMPO sind natürlich auch im Bunde.
Der Platz ginge uns hier aus, wenn ich alle Elemente auserklären würde, nur so viel muss gesagt werden: Mit diesem Arpeggiator kann man Ideen jammen und ungeheuer musikalische Varianten herstellen, beispielsweise Half-time-basierte, halb schnelle Varianten des Original-Arpeggios, die man dann durch ein Delay jagt und per Swing weiter formt.
Ebenfalls nicht unerwähnt soll die Pre und Post schaltbare Effekte-Division bleiben. Ein wirklich studiofähiger, dichter Hall ist an Bord, aber auch viel anderes Nützliches. Es geht klassisch zu, aber in einer guten Qualität, mit der man für die Bühne und live Patches durchaus in den Bereich von »Ausproduziert« bringen kann. Chorus, Flanger, Rotary, EQ, Compressor, Tremolo usw. sind hier zu nennen. Eine Spezialität verbirgt sich hinter dem Effekt »Analogue Feel«, einer Art Deterioration des Signals über das Stereofeld hinweg. Ein klassisches Analog-Artefakt, das, gering dosiert, durchaus die Komplexität eines Signals mit der Fehlerhaftigkeit typischer Analogschaltkreise vergrößern kann, was als Verdichtung wahrgenommen wird.
After Touch!
Der Hydrasynth wird sich ganz sicher in den kommenden Monaten und Jahren einerseits durch seine unbeschreibliches klangliche und bauspezifische Qualität, den endlosen Gestaltungsmöglichkeiten in Synthese und Sounddesign von völlig verschiedenen Klangwelten, gerade in Verbindung mit seinem fast nicht mehr nachvollziehbaren sehr günstigen Preis von unter 1.400 Euro für die Keyboard-Version und weniger als 900 Euro für die Desktop-Variante bei Produzenten elektronischer Szenen durchsetzen. Er befriedigt jede Zielgruppe, die einen modernen Sound sucht, und ist eben nicht die soundsovielte Neuauflage eines betagten Sythesizers mit der gut abgehangenen Ästhetik einer nostalgischen Zeit. Er füllt damit eine Lücke im Markt aus, die schon lange von Firmen wie Roland oder Yamaha hätte gefüllt werden können.
Nicht nur äußerlich wirkt alles am Hydrasynth extrem sauber sowie stabil und austariert angefertigt, sondern auch die Haptik ist für diese Preisklasse absolut nicht selbstverständlich. Die Potis und Controller-Rädchen sind oberer Standard und eine sinnliche Erfahrung. Die OLED-Bildschirmchen, auf denen die Wellenform in Echtzeit dargestellt wird, sind für mich persönlich nicht der letzte Schrei, aber durchaus ein akzeptierter Standard in der Synthwelt. Fantastisch fühlt sich das polyfone Aftertouch an, noch nie war es einfacher, einer Fläche »Nachdruck« per nacheilender Fingerauflage zu verleihen. Die halbgewichtete Tastatur wirkt sehr stabil und wertig und spielt sich bombe. An dieser Stelle würde ich den Hydrasynth zu diesem Zeitpunkt parallel als Masterkeyboard für all jene empfehlen wollen, die eine hervorragende Synthtastatur und nicht unbedingt das Pianofeeling von großen Masterkeyboards bevorzugen. Das Keyboard ist defintiv musikalischer und mit deutlich höherem Genuss spielbar als etwa 500 bis 700 Euro teure MIDI-Masterkeyboards diverser Hersteller, und diese verfügen ja dann auch nicht mal eben so über ein echtes Ribbon-Band in der Qualität eines Persephon. Zu einem Persephon wird nämlich der Hydrasynth, wenn man den Ribbon-Mode auf »Theremin« stellt, ansonsten eignet er sich für extrem organische Modulationen und Manipulationen von Parametern.
Hersteller: ASM
Preise
Keyboard: ca. 1.399,– Euro
Desktop: ca. 899,– Euro