Studioreport Island – Aufnahmen unter Nordlichtern
von Dirk Schneider,
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(Bild: Jonatan Gretarsson)
Seinen Gästen macht Gudmundur Kristinn Jónsson erstmal einen doppelten Espresso auf seiner schönen italienischen Kaffeemaschine. »Das ist die einzige Maschine in meinem Studio, die nie kaputt geht«, sagt der 45-Jährige, den alle nur Kiddi nennen.
Der Mann mit der Glatze und dem roten Vollbart ist Betreiber des Hljodriti Studios in Hafnajfördur, einem kleinen Ort südlich von Reykjavik. Das Hljodriti, 1975 eröffnet, ist eine isländische Legende. »Damals war es das einzige Aufnahmestudio des Landes, man konnte sonst nur noch beim staatlichen Rundfunk professionelle Aufnahmen machen«, erzählt Kiddi. Darum prägte das Hljodriti auch den Sound der isländischen Popmusik der 70er- und 80er-Jahre: »Den speziellen Sound des einzigen Drumkits, das damals im Studio stand, kennt hier jedes Kind. Und es gab auch nicht viele Sessionmusiker, darum klangen alle Aufnahmen ähnlich.«
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Hljodriti – so exotisch der Name klingen mag (»d« wird übrigens wie das englische »th« ausgesprochen), er bedeutet nichts anderes als »sound recording«. Entworfen wurde das Studio vom amerikanischen Architekten und Akustiker John Storyk, der nur wenige Jahre vorher die New Yorker Electric Lady Studios für Jimi Hendrix designt hat. Die Räume sind bis heute weitgehend original erhalten, inklusive der zum Teil mit Lavagestein verzierten Wände. »Dahinter haben die Leute früher die Drogen versteckt. Razzien im Hljodriti waren nicht unüblich, aber die Polizei hat nie was gefunden«, weiß Kiddi. Die Qualität der Räume liegt aber natürlich nicht in den Drogenverstecken: Die Akustik des großen Aufnahmeraums ist fast schalltot, Kiddi liebt sie: »Hier muss man nichts abschirmen, man kann einfach drauflos spielen.«
Synthis und Vintage Gear. Kiddi ist selbst Musiker, er spielt Gitarre und geht mit dem isländischen Sänger Ásgeir auf Tour, am Synthesizer. Vintage-Synthesizer sind Kiddis Leidenschaft – und das sind die Maschinen, die bei ihm am häufigsten kaputt gehen. Nicht weiter schlimm: Der kleine Gebäudekomplex beherbergt neben zwei weiteren Studios und dem Büro des Labels Record Records auch die einzige Synthesizerwerkstatt des Landes. »Wenn mal ein Synthesizer kaputt ist, muss ich nur nach nebenan gehen. Eigentlich ist die Werkstatt mein Lieblingsraum.«
Kiddi sammelt nicht nur alte Synthesizer, die alle im Studio bereitstehen (wie viele es sind, weiß er selbst nicht) – auch ein paar Dutzend Gitarren lassen sich an den Wänden bestaunen – alle einsatzfähig. Seine Sammlung an Effektgeräten, Mikros und anderem kleineren Equipment ist beeindruckend, sie bewahrt er in Schubladen und Vitrinen in einem Nebenraum auf. »Ich kaufe nur Vintage Gear, und dafür gebe ich eine Menge Geld aus. Ich liebe das Zeug, und ich weiß, dass es nicht an Wert verliert, eher im Gegenteil.«
Studio Syrland
Island hat, gemessen an seinen gerade mal rund 360.000 Einwohnern, eine extrem große und lebendige Musikszene, die sich natürlich in der Hauptstadt Reykjavik konzentriert. Das war allerdings nicht immer so. Erst Björk und ihre Band Sugarcubes brachten Ende der 80er-Jahre Island auf die popmusikalische Weltkarte. Von ihrem Erfolg ermutigt fingen viele junge Menschen in Island an, Musik zu machen. Die Sugarcubes haben im Hljodriti aufgenommen, später im zweiten privaten Tonstudio auf der Insel, Studio Syrland. Studio Syrland ist inzwischen umgezogen und hat seine Räume heute in einem Industriegebiet am Rande Reykjaviks. Mit einer Fläche von 180 m2 und einer Raumhöhe von 7 Metern bietet es den größten Aufnahmeraum des Landes.
Die heutigen Eigentümer hatten es im Jahr 2007 übernommen, ein Jahr vor der weltweiten Finanzkrise, die Island besonders hart getroffen hat. »Es war nicht nur die Finanzkrise. Schon 2007 zeichnete sich ab, dass immer mehr Leute ihre Musik zu Hause aufnehmen würden. Wir mussten also kreativ werden«, erzählt Thórir Jóhannsson, der seine Anteile am Studio inzwischen an seinen Kompagnon verkauft hat. »Um mit dem Homerecording zu konkurrieren, haben wir zum einen auf absolutes Spitzen-Equipment gesetzt, zum anderen haben wir erkannt, dass zwar viele Leute das Equipment haben, um zu Hause aufzunehmen, aber gar nicht wissen, wie man das richtig macht. Wir haben hier also eine Schule für Audio Engineering eingerichtet. Wir bieten eine einjährige Ausbildung an und sind damit sehr erfolgreich. Die Studienplätze sind begehrt, und unsere Absolventinnen und Absolventen bekommen meist gute Jobs.« Der Studiengang ist vom isländischen Bildungsministerium anerkannt.
Aber schon von Anfang an hat Studio Syrland auf ein breites Angebot gesetzt, mit Dubbing und Postproduction für Filme. Zu den Kunden zählen heute große Player wie Sony und Disney, auch an »Frozen 2« hat Studio Syrland mitgearbeitet. Dazu kommen regelmäßige Aufnahmen mit dem isländischen Sinfonieorchester. Studio Syrland ist heute noch ein hoch kreativer Ort, von den wilden Anfängen hat es sich allerdings weit entfernt: »Syrland spielt auf ›syra‹ an, das isländische Wort für Säure – auf Englisch ›acid‹«, erzählt Thórir. »LSD dürfte hier in den 80er-Jahren bei der Arbeit durchaus eine Rolle gespielt haben.«
Masterkey
Eine jüngere isländische Studiogründung ist das Masterkey, ebenfalls in einem Vorort von Reykjavik, allerdings weit idyllischer. An einem Hang gelegen, bietet es eine fantastische Aussicht auf die Bucht von Reykjavik und die von verschneiten Bergen gesäumte Küstenlinie. Eröffnet wurde es erst Anfang 2018 vom Produzenten Mio Thórisson und seiner Frau Marketa Irglova, die für den Soundtrack des Films »Once« 2008 einen Oscar bekommen hat.
»Wir haben uns sofort in diesen Ort verliebt«, erzählt Mio, der in der Regie vor seinem Mischpult sitzt. »Wir haben drei Jahre nach einem geeigneten Ort für ein Studio gesucht, haben uns alles angeschaut, Industriegebiete, Wohnhäuser, Ferienhäuser. Hier wussten wir sofort, dass wir angekommen sind. Der Umbau hat zwei Jahre gedauert. Wir haben mit einem Akustiker aus den USA gearbeitet. Er hat ein paar seiner Ideen eingebracht. Aber die Regie hat er nach seinen Ideen eingerichtet, und das hat für mich nicht gepasst. Wir haben uns dann in der Mitte geeinigt.« Neben dem Mischpult steht ein Farbfoto. »Sehen Sie den Herrn auf diesem Foto? Das ist Rupert Neve. Er hat dieses Mischpult entworfen, es ist von 2016 und mein größter Stolz. Daran zu arbeiten ist die reinste Freude, und ich habe schon an vielen Pulten gearbeitet.« Was macht es so besonders? »Es hat absolut sanfte Tiefen, ist knackig in den Höhen, und es arbeitet völlig transparent und gibt dem Klang trotzdem Farbe. Ich weiß, das klingt wie ein Widerspruch, aber so erfahre ich das. Und es ist komplett analog, es hat nicht diesen ganzen digitalen Mist, der mir dauernd reinreden will, wie mein Sound zu sein hat.«
“WIR MUSSTEN KREATIV WERDEN, UM DAS STUDIO ZU RETTEN”
Auch das Studio sollte ein Ort mit möglichst großer Freiheit werden. In dem umgebauten Einfamilienhaus gibt es neben dem großen Aufnahmeraum mit Flügel und Harfe eine große gemütliche Wohnküche, ein Schlafzimmer, ein Schreibzimmer: »Unser Traum war immer ein Haus mit vielen Räumen, sodass man während der Aufnahmearbeit auch Ruhe findet und für sich sein kann. Worauf immer man Lust hat, sollte hier möglich sein.« Dazu gehören auch ausgedehnte Spaziergänge in der isländischen Natur: Das Meer ist nur einen Steinwurf entfernt, und hinter dem Haus schließt direkt ein Naturschutzgebiet an. Das Masterkey ist ein Ort zum Wohlfühlen, und man kann sich kaum etwas Inspirierenderes vorstellen als hier im späten Winter zu arbeiten, mit Blick auf einen Schneesturm, der über die Bucht von Reykjavik fegt. Oder in einer klaren Nacht die Nordlichter über dem Meer wabern zu sehen, während man am Konzertflügel sitzt.
Man stellt sich im Masterkey Studio eher Singer/Songwriter bei der Arbeit vor, vielleicht auch ein kleines Jazzensemble oder ein Kammerorchester. Owen Pallett, Ben Frost, Tina Dico oder Sam Amidon gehören zu den Leuten, mit denen Mio schon gearbeitet hat. Eine laute vierköpfige Rockband würde man hier erstmal nicht sehen. Aber das Studio hat seinen Namen nicht von ungefähr: »Diesen Sonntag um 18 Uhr kommt eine vierköpfige Rockband«, erzählt Mio nicht ohne Genugtuung. »Aber wir haben hier schon eher Singer/Songwriter. Und ich arbeite sehr gerne an Klassischer Musik. Eines der Alben, die ich gerade mische, ist Klassik. Ich arbeite auch gerade an einem Jazzalbum. Ich mache keinen Punkrock oder Metal, aber sonst habe ich eigentlich keine Beschränkungen.«
Sundlaugin
Ein anderes echtes Island-Erlebnis ist ein Besuch im Sundlaugin, zu Deutsch »Schwimmbad«. Das Studio, das ursprünglich Proberaum der Band Sigur Rós war, ist in einer ehemaligen Schwimmhalle aus den 1930er-Jahren untergebracht. Auch das Sundlaugin liegt in einem Vorort von Reykjavik, in Mosfellsbær. Hier, 17 Kilometer nördlich der Hauptstadt, kommt man mit Bergen, Lavafeldern und heißen Quellen dem Klischee des wilden verwunschenen Island sehr nahe. Das Studiogebäude ist von außen nur ein grauer Kasten, allerdings sehr schön am Ortsrand an einem kleinen Fluss gelegen. Das Innere ist geradezu perfekt: Zwei Stahltreppen führen herab in den mit Parkett und Teppichen ausgelegten Aufnahmeraum, in dem kaum noch etwas an ein Schwimmbecken erinnert. In der Mitte steht ein Konzertflügel, an den Seiten mehrere alte Orgeln – auch Studiobetreiber Kjartan Sveinsson ist passionierter Instrumentensammler. Die hohen Fenster an der Seite des Raumes lassen sich mit Vorhängen verdunkeln, dadurch lässt sich auch der Sound dämpfen. Dieser Raum hat den halligen Sound geprägt, für den Sigur Rós berühmt sind. Für das Studio wurde das aber zum Problem: »Früher war ich hier mit Streicheraufnahmen nie zufrieden «, erklärt Kjartan, »aber das haben wir sehr gut in den Griff bekommen.«
Über allem thront die gemütlich mit Sofa, Bücherregalen und alten Geräten eingerichtete Regie, die auch noch eine Terrasse zum kleinen Fluss hinaus bietet. Darunter befindet sich eine Gesangskabine, und Kjartans beeindruckende Instrumentensammlung: »Wir haben eine Menge gesammelt, Orgeln, Keyboards, Verstärker, Gitarren … Ich habe in den letzten 15 Jahren Tage, nein Wochen auf eBay verbracht, um an diese Sachen zu kommen. Natürlich habe ich das meiste nicht in Island gekauft, der Transport war noch mal eine Sache für sich. Wir verstehen das Studio als großen Spielplatz, man kann hier reinkommen und alles ausprobieren. Leider wird das im digitalen Zeitalter kaum noch genutzt, die Leute hängen lieber am Computer.« Am Sundlaugin ist nichts glatt, alles wirkt benutzt und hat Patina, doch genau darum fühlt man sich hier sofort wohl. Es ist ein Ort, an dem schon viel ungewöhnliche Musik entstanden ist, und ohne Zweifel noch entstehen wird.
Silo
Das extremste Island-Erlebnis findet aber wohl, wer sich im Studio Silo einbucht. Das jüngste Studio der Insel liegt in den Ostfjorden, über 600 Kilometer von Reykjavik entfernt, eine gute Tagesreise mit dem Auto. In dem 150-Einwohner-Dorf Stödvarfjördur wollte der Ire Vinny Wood mit seiner isländischen Frau Una Sigurdardóttir im Jahr 2014 ein Studio aufbauen. »Wir waren einfach völlig naiv«, erinnert sich Vinny. »Wir dachten, wir richten hier ein schönes kleines Studio ein, in ein paar Monaten Heimarbeit, mit ein bisschen altem Holz. Und dann wollten wir in Reykjavik leben und ab und zu hier rausfahren, um im Studio zu arbeiten.« Heimat des Studios sollte die ehemalige Fischfabrik des Ortes sein, in der Freunde gerade eine internationale Künstler-Residency gegründet hatten. Es gibt kein Restaurant in Stödvarfjördur, nicht einmal eine Kneipe, und der nächste Lebensmittelladen ist eine Autostunde entfernt. Dafür ist die Lage am einsamen Fjord einmalig, und mit einer Handvoll internationaler Künstler*innen hat man hier immer interessante Gesellschaft.
Allerdings kamen Vinny und Una Zweifel an ihrem Plan für das Studio. Vinny hat schon in Irland in verschiedenen Studios gearbeitet, von Beruf ist er aber Elektroniker. Er holte sich Rat beim amerikanischen Studiodesigner John H. Brandt. »Zum Glück kamen mir Zweifel, denn mein Entwurf war wirklich schrecklich. John schrieb mir: ›Das wird so nicht funktionieren, lasst das sein!‹ Da war mir klar, dass das nicht in einem Jahr zu schaffen war. Wir haben uns viele Fotos von Johns Studios angesehen und waren begeistert, wie detailreich John arbeitet. Er ist fantastisch und weiß wirklich, was er tut.« Nach fünf Jahren harter Arbeit, unterstützt von Freunden und Freiwilligen aus aller Welt – unter anderem einem jungen Zimmermann aus Deutschland – konnte das Studio im Juni 2019 eröffnen.
Silo ist nicht nur das einzige professionelle Studio im Osten Islands, sondern auch das einzige Studio des Landes, in dem komplett analoge Aufnahmen möglich sind. Das Mischpult und das meiste Equipment hat Vinny defekt gekauft und repariert, einige Geräte hat er sogar selbst gebaut. »Für manche Projekte sind reine Analogaufnahmen gar nicht die beste Lösung, insofern bin ich da kein Soundfetischist, und wir können hier auch digital aufnehmen. Aber mir gefällt die analoge Arbeit prinzipiell besser, man schaut nicht dauernd auf einen Bildschirm, sondern man muss sich ganz auf seine Ohren verlassen und wirklich zuhören.«
Vinny und Una wollen mit dem Studio irgendwann ihr Leben bestreiten. Dass das nicht einfach ist, wissen sie – einige Studios haben bereits geschlossen, und die lagen in Reykjavik und nicht am Ende der Welt.
Die Initiative »Record in Iceland« lässt Vinny und Una aber hoffen: Seit Kurzem hat das isländische Ministerium für Industrie und Innovation Gelder bewilligt, mit denen sich ausländische Musiker*innen 25% ihrer Kosten zurückerstatten lassen können, wenn sie Musik in Island aufnehmen: 80 Millionen Isländische Kronen beträgt das jährliche Budget – über eine halbe Million Euro. Das vierseitige Formular ist denkbar simpel gehalten; man muss sich nicht bewerben, sondern nur nachweisen, dass man das Geld für Musikaufnahmen ausgegeben hat. Vinny hat für das kommende Jahr schon Termine an Bands aus Irland und England vergeben, die ihre Aufnahmen unter anderem aus diesem Fonds finanzieren werden. »Ich schätze, dass 50% unserer Kunden aus dem Ausland kommen und ihren Anteil bei »Record in Iceland« beantragen werden.« Hintergrund der Initiative ist natürlich die Krise der Musikindustrie, die nicht nur Islands Studios, sondern auch die Musiker*innen des Landes getroffen hat: Viele Sessionmusiker*innen können dringend Aufträge gebrauchen.
»Bis jetzt ist Island für Musikproduktionen immer noch ein Geheimtipp«, erklärt Anna Rut Bjarnadóttir von »Record in Iceland«: »Die Qualität der Studios ist hoch, und die kurzen Wege innerhalb der Musikszene auf der Insel sind einmalig: Jeder kennt sich, und wenn Sie zum Beispiel eine fantastische Harfenistin brauchen, ist das nur eine Sache von einem Telefonanruf. Wir haben so viele großartige Künstler*innen, wir brauchen nur noch mehr Menschen, die das entdecken. « Allerdings geht es nicht nur um wirtschaftliche Aspekte, betont Bjarnadóttir: »Wir möchten damit auch auf künstlerischer Ebene Kollaborationen anstoßen. Hier können alle Seiten profitieren.«
Musik für Gespenster
Auch Kiddi vom Hljodriti erinnert sich an bessere Zeiten: »2007 oder 2008 war es noch so: Ich hatte eine Idee, habe eine kleine Kalkulation in Excel erstellt, für ein Kinderalbum oder ein Weihnachtsalbum, und das Label war dabei. Ich habe alles Mögliche produziert, und alle wurden gut bezahlt. Aber das machen die Labels heute nicht mehr.« Zum Glück ist die Miete für das Hljodriti nicht hoch. Wer keine knallharte Kalkulation verfolgt wie das Studio Syrland, betreibt ein Musikstudio in Island eher als Herzensprojekt. Für die kreative Arbeit ist das nicht das Schlechteste, meint auch Kiddi: »Das Hljodriti betreibe ich schon lange nicht mehr, um Auftragsarbeiten für Labels zu machen. Ich mache hier die Sachen, die mir persönlich etwas bedeuten, zum Beispiel die Arbeit mit dem Sänger Ásgeir oder mit meiner Reggae-Band Hjalmar. Wenn ich das nicht mache, ist das Studio vakant. Ich warte nicht darauf, dass mir jemand eine Mail schickt und das Studio anmieten will, aber wenn das passiert, freue ich mich.«
Ein bisschen verrückt muss man wohl auch sein, um auf diese Weise ein Studio zu betreiben, aber ohne Zweifel haben viele Isländer einen Hang zur Exzentrik. Auch Kiddi, der sich schon zig Mal bei der staatlichen Kulturförderung beworben hat, um Gelder für eine Tournee im Ausland zu bekommen. Es kamen nur Absagen. Irgendwann hatte er dann die Idee mit den Geistern: »Es gibt in Island viele Häuser, in denen es spukt. Ein ganz berühmtes steht in Reykjavik, das Höfdi, das Gästehaus der isländischen Regierung.« Internationale Berühmtheit erlangte das Haus durch das Gipfeltreffen von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow im Oktober 1986. »Ich hatte die Idee, Ásgeir Lieder für die Gespenster schreiben zu lassen und sie in den Häusern für sie aufzuführen.« Kiddi bekam den Zuschlag für die Kulturgelder, drei Lieder wurden geschrieben und live aufgeführt, das Ganze wurde gefilmt. »Leider sind die Gespenster nicht aufgetaucht, um sich zu bedanken.«
Dosenbier und Filterkaffee
Dass Menschen in Island an Elfen glauben, ist nichts Neues, aber dieser gestandene Mann, glaubt er wirklich an Gespenster? »Im Hljodriti lebt auch ein Geist, er heißt Njudni«, schaltet sich Kiddis Kollege Frithjon ein, der das Nachbarstudio betreibt. »Also, wenn man so nach 3 Uhr nachts alleine hier arbeitet, kann man schon mal spüren, wie er hinter einem steht, und es läuft einem kalt den Rücken herunter.« Auch Frithjon wirkt mit seinem stattlichen Vollbart und den vergnügten Augen nicht wie jemand, der an Gespenster glaubt – eher wie jemand, der einem Besucher vom Festland gerne mal eine Gruselgeschichte erzählt. Kiddi lacht: »Glaubst du wirklich, so machen wir Werbung für unsere Studios?« Frithjon grinst in seinen Bart und schüttelt den Kopf. Tatsächlich taucht der Geist auch in den Credits vieler Alben auf, die früher hier aufgenommen wurden, erzählt Kiddi: »Sie danken Njudni für die Inspiration.«
Wahrscheinlich ist auch der Geist eher aus dem Drogenrausch der 70er- und 80er-Jahre entstanden. Heute bekommt man in isländischen Studios vor allem Dosenbier und Filterkaffee angeboten, nichts Härteres. Höchstens noch Kiddis doppelten Espresso. Aus der schönen italienischen Kaffeemaschine, die nie kaputtgeht.