Aelita ist der Name eines russischen Stummfilms aus den 20er-Jahren sowie eines sowjetischen Kult-Synths, den viele Synth-Kenner nicht auf dem Schirm haben.
Alle, die ihn schon mal gespielt haben, bestätigen die Einschätzung, dass der Aelita der am fettesten klingende Sowjet-Synth ist. Dabei stand er in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich meist im Schatten des weit bekannteren Polivoks und war im Westen nur wenigen Kennern bekannt. Dazu gehören z. B. die Leute der US-Firma Syntaur, die schon in den 90er-Jahren ein Sampleset mit Sounds des Exoten im Angebot hatten. Der Stummfilm Aelita, der die Namensgebung des Synths inspirierte, stammt übrigens aus der frühen, künstlerisch sehr kreativen Phase der Sowjetunion, wurde 1924 uraufgeführt und gehört zur ersten Generation von Science-Fiction-Filmen. Die konstruktivistisch ausgestatteten Mars-Szenen beeinflussten spätere Filme wie Metropolis oder Liquid Sky. Aufführungen in Leningrad wurden live von Dimitri Shostakovich am Piano begleitet.
Anzeige
Der Aelita-Synth wird auch »Muron Aelita« genannt, da er in Muron, einer der ältesten russischen Städte gefertigt wurde. In Muron gibt es seit den 70er-Jahren eine Fabrik für Radios und elektronisches Equipment für die Sowjetarmee. Der Aelita-Synth gehörte ebenfalls zu den Produkten der Traditionsfirma und kam 1987 auf den Markt. Gebaut wurde er bis ca. 1989.
Auch der polyfone Analogsynthesizer Junost 21, der als Keytar designt wurde und dessen Namensgebung und Farbgestaltung ein wenig vom Roland Juno-106 beeinflusst sind, stammt aus der Fabrik in Muron.
Bild: Dieter Stork
Die Hüllkurven-Sektion des Aelita
Bild: Dieter Stork
Die Oszillatoren lassen sich in fünf Fußlagen betreiben.
Bild: Dieter Stork
Die Aelita-Rückseite
Im Design unterscheidet sich der Aelita-Synth, der ein mit Leder-Imitat überzogenes Aluminiumgehäuse besitzt, von anderen Synth-Boliden dieser Dekade durch sein eigenwilliges Bedienpanel, das man sogar einklappen kann. Dabei empfiehlt es sich angesichts des Alters des betagten Instrumentes, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Das eigenwillige Outfit könnte auch vom Kontrollpanel einer sowjetischen Sputnik-Bodenstation stammen, und die kyrillische Beschriftung sorgt im ersten Moment für unterhaltsame Quiz-Momente. In echt peinliche Situationen kann aber selbst ein Synth-Profi bei der Erstvorführung vor staunendem Publikum kommen, denn die Fader des 18 kg schweren Boliden arbeiten umgekehrt, d. h., in der unteren Stellung wird der Maximalwert ausgegeben und umgekehrt (»Hä, warum kommt da jetzt nichts …?«).
Die nicht anschlagsdynamische Tastatur gehört eindeutig der Wet-Noodle-Klasse an … die billig wirkenden und relativ schmalen Tasten fühlen sich schlabbrig an, und man erhofft beim Anspielen eine baldige MIDIfizierung – die sich im Übrigen relativ leicht realisieren lässt.
Bild: Dieter Stork
Die umgekehrte Reglerlogik des Synths ist gewöhnungsbedürftig.
Der Junost 21 ist ein analoger Synthesizer mit einer polyfonen
Frequenzteiler-Klangerzeugung. Er wurde ebenfalls in der Radio -
fabrik in Muron gebaut und kam 1986 heraus.
Die analoge Klangerzeugung ist monofon und verfügt über drei spannungsgesteuerte Oszillatoren, die die Wellenformen Rechteck, Pulse und Sägezahn liefern. Als Modulationsquellen kommen zwei Hüllkurven für VCA und Filtereckfrequenz sowie ein LFO (mit Rechteck, Sägezahn, Rampe und Triangel) zum Einsatz. Ring- und Pulsweitenmodulation ist auch an Bord. Wenn man erst die Hürde der kyrillischen Beschriftung genommen hat, ist alles ziemlich übersichtlich und bedienfreundlich angeordnet. Das 2-Pol-Filter kann bis zur Eigenschwingung gebracht werden und agiert als mächtiges Klangwerkzeug mit eigenem Charakter.
Ein spezielles Feature erwartet einen in der Tuning-Sektion, wo man die Oszillatoren im Unisono-Mode zu einer mächtigen Klangkeule bündeln kann. Dabei werden nicht nur die drei VCOs eingesetzt, sondern diese erklingen via Frequenzteilerschaltung auch in allen Oktaven. Alternativ steht der eindrucksvolle String-Mode zur Verfügung, in dem die Oszillatoren leicht dynamisch gegeneinander verstimmt werden. Aelitas zupackender und lebendiger Klang überzeugt sowohl im hohen als auch im tiefen Frequenzbereich auf der ganzen Linie. Er erinnert manchmal ein wenig an einen Octave Cat oder an einen ARP Odyssey, in deren Liga er definitiv spielt, setzt sich aber durch seine drei Oszillatoren auch von den genannten Synths ab. Die drei VCOs verfügen über einen organisch-kraftvollen Basis-Sound, der vom kräftig zupackenden Filter geformt wird, das gelegentlich auch schön dreckig klingen kann. Unisono- und String-Mode stecken auch mächtige Endgegner nieder und können äußerst aggressiv und breit klingen, obwohl der Synth nur mit einem Monoausgang ausgestattet ist. Die schnellen Hüllkurven begünstigen zudem perkussive Sounds.
Dass die Genossen in Muron einen äußerst klangstarken Synth gefertigt hatten, erkannte auch die – als Quelle für Vintage-Synth-Ersatzteile bekannte – nordamerikanische Firma Syntaur (www.syntaur.com), die u. a. Aelita-Soundsets für die Ensoniq-Sampler EPS und ASR-10 anbot. Der Keyboarder und Syntaur-Chef Sam Mims schätzte vor allem das wunderbare Aelita-Filter.
Der Aelita wurde uns freundlicherweise von Steve Baltes zur Verfügung gestellt.
Statement von Steve Baltes
Der Elektronik-Musiker Steve Baltes liebt Vintage-Synths und setzt sie (u. a. auch den Aelita) bei seiner 80er-Jahre-inspirierten Synthpop-Band Arctic Sunrise ein (www.facebook.com/wearearcticsunrise), deren drittes Album Across The Ice Ende 2019 erschienen ist.
»Ich habe schon länger eine Schwäche für russisches Musik-Equipment. Nach einigen schrägen Drum-Machine- und Effekt-Funden landete mit dem legendären Polivoks irgendwann ein Soviet-Synth-Klassiker im Studio, der schon einen sehr eigenständigen Sound hat.
Irgendwann stolperte ich dann auf einer Auktionsplattform über einen Aelita Synthesizer, der mich sofort durch seine wirklich abgefahrene Optik inklusive Klapp-Panel faszinierte. So wurde ich schwach und klanglich absolut nicht enttäuscht. Der Aelita lässt sich vom Sound kaum mit anderen Synthesizern vergleichen. Er hat zwar ein recht simples 3-Oszillatoren-Mono-Synth-Layout, jedoch ist die Umsetzung genauso schräg wie der Klang. Die Schalter vermitteln das Flair eines russischen Kraftwerks. Die Verarbeitung scheint sowjetischer Militär-Spezifikation zu entsprechen. So wiegt der Aelita auch ungefähr so viel wie ein Panzer. Hat man seine Kyrillisch-Kenntnisse einmal aufgefrischt, sich an die zum Teil umgekehrt regelnden Slider (oben 0, unten 10) gewöhnt und mit dem gruseligen 3,5-Oktaven-Keyboard abgefunden, wird man durch einen absolut eigenwilligen und zum Teil wirklich furchteinflößenden Sound belohnt. Besonderes Highlight ist die Unisono-Funktion, welche einen ›geheimen‹ vierten VCO zuschaltet und weitere Stimmen für ultra-brachiale Sounds (zu Lasten des Tonumfangs) hinzufügt. Technisch war mir diese Funktion nie ganz klar, aber klingen tut es fantastisch.
Der Aelita ist recht häufig und meist vergleichsweise günstig zu finden und somit ein echter Geheimtipp. Er lässt sich relativ einfach mit MIDI nachrüsten. Die angebotenen Kits bieten auch die Möglichkeit, den schönen charaktervollen 12-dB-Filter zu automatisieren. Für meine Synth-Pop-Band Arctic Sunrise ist der robuste Russe fester Bestandteil des Setups. Auf unserem zweiten Album gibt es den Song Tell The Truth, bei dem 98 % aller Synth-Sounds ausschließlich aus dem Aelita stammen und einen guten Eindruck zum Klangcharakter vermitteln.«