Dual-Dioden-Brücken-Kompressor 5254 von Rupert Neve Designs im Test
von Dr. Andreas Hau,
Anzeige
Charaktervolle Kompression gehört zu den Domänen, für die man immer noch analoge Hardware bevorzugt. Ein Klassiker ist der Neve 2254 Diodenbrücken-Kompressor der frühen 1970er, den zahlreiche Firmen nachbauen, da er im Original kaum mehr aufzutreiben ist. Nun gibt es einen Nachfolger vom Großmeister himself, den Rupert Neve Designs 5254 – mit zahlreichen Verbesserungen.
Ob der letztes Jahr im stolzen Alter von 94 Jahren verstorbene Rupert Neve sich noch im Detail um den 5254 gekümmert hat, ist nicht bekannt. Dennoch können wir sicher sein, dass es sich um ein Neve-Original handelt, denn der 5254 basiert auf dem ein kanaligen Modul 535 im API-Format, das ich in S&R 4.2018 testen durfte, und natürlich gibt es Parallelen zur Kompressor-Sektion des Shelford Channel (S&R 3.2017).
Anzeige
Überblick
Der 5254 kommt als 19-Zoll-Rackgerät mit einer Höheneinheit. Die Farbgebung der Frontplatte im klassischen Grau-Blau (»Royal Navy Blue«) der originalen Neve-Module von Anfang der 1970er weist ihn als vintage-orientiertes Gerät aus, im Gegensatz zu den Geräten der Portico-Serie mit hellgrauen Frontplatten. Vintage-orientiert heißt nicht Vintage-Kopie. Denn auch wenn alle Welt von Rupert Neves Frühwerk begeistert ist, wusste er – vermutlich genauer als jeder andere –, dass es etliche Punkte gab, die er dank neuerer Bauteile und gewachsener Erfahrung hätte verbessern können. Was er gegen Ende seines Lebens tatsächlich tat, als er sich mit der Shelford Series wieder seinen frühen Designs widmete. Der Name verweist übrigens auf den einstigen Neve-Firmensitz in Little Shelford.
Die Ein- und Ausgänge des 5254 sind klassisch trafosymmetriert. Die Übertrager sind auch im Bypass-Modus im Signalweg, sodass man deren subtile Klangfärbung auch ohne Kompression nutzen kann. Als Regelelement dient eine Diodenbrücke. Eine solche Anordnung aus vier Dioden kennt man als Gleichrichter in Netzteilen. Bekanntermaßen lassen Dioden den Strom nur in eine Richtung fließen, während sie in die Gegenrichtung sperren. In einem Diodenbrücken-Kompressor macht man sich ein weniger bekanntes elektrotechnisches Phänomen zunutze: Die Durchlässigkeit der Dioden lässt sich durch eine anliegende Spannung steuern – allerdings nur über einen schmalen Bereich. Daher muss das Eingangssignal vor der Diodenbrücke stark abgesenkt werden, beim 5254 um 35 dB. Dieser Pegelverlust muss anschließend wieder ausgeglichen werden; dazu kommt das Make-up Gain für die Gain Reduction. So können über 40 dB Aufholverstärkung erforderlich werden. Diodenbrücken-Kompressoren sind daher nicht so rauscharm wie die später aufkommenden VCA-Kompressoren, von denen sie rasch verdrängt wurden. Erst in jüngerer Zeit traten Diodenbrücken-Kompresoren wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, denn sie haben ein einzigartiges Klang- und Regelverhalten.
Die Parametrisierung des 5254 ist ähnlich wie bei einem VCA-Kompressor. Es gibt Threshold, Ratio und Make-up-Gain. Die Ratio ist in sechs Stufen wählbar von 1,5:1 bis 8:1. Attack und Release lassen sich jedoch nicht getrennt regeln, sondern gemeinsam über den Timing-Parameter, ebenfalls in sechs Stufen von Fast bis Slow; die letzte Stellung ist ein Auto-Setting, das die Regelzeiten anhand des Audiomaterials ermittelt. Über einen zusätzlichen Fast-Button lassen sich die Regelzeiten um 70 % reduzieren – wieder für Attack und Release gemeinsam. Zudem sind die Regelzeiten z. T. von der Ratio abhängig. Somit ergeben sich laut Manual die folgenden Wertebereiche:
Der 5254 kommt im klassischen
»Royal Navy Blue« der originalen
Neve-Module. Die Technik
im Innern hat der Altmeister
auf den neusten Stand gebracht.
Die symmetrischen Ein- und
Ausgänge sind mit XLRSteckverbindern
ausgestattet;
die Eingänge lassen sich
wahlweise auch mit Klinkensteckern
belegen. Der Sidechain
verfügt über einen
schaltbaren Insert.
Moderne Extras sind ein zuschaltbares, stufenlos regelbares Hochpassfilter (20 – 250 Hz) für den Sidechain und ein Blend-Regler für Parallelkompression. Im Sidechain gibt es pro Kanal einen schaltbaren Insert, um bei Bedarf z. B. einen EQ einschleifen zu können oder (über die Return-Buchse) die Kompression über ein externes Signal zu triggern. Die heimelig leuchtenden Zeigerinstrumente visualisieren wahlweise den Pegel oder die Gain Reduction. Zusätzlich warnt eine Peak-LED vor Übersteuerungen.
Beide Kanäle können vollständig getrennt für zwei Monosignale eingesetzt werden oder per Link-Button zu einer Stereoeinheit verschweißt werden. Die Stereoverkopplung ist etwas anders gelöst als üblich: Die Reglersätze beider Kanäle bleiben aktiv. Somit kann die Gain Reduction gemäß der jeweiligen Reglerstellungen von beiden Kanälen ausgelöst werden, wirkt aber auf beide Kanäle gleichermaßen.
Reingeschaut
Wie alle Geräte von Rupert Neve Designs ist der 5254 ausgezeichnet verarbeitet. Das robuste Stahlblechgehäuse hat eine massive, gut 5 mm dicke Alu-Frontplatte. Und auch im Inneren setzt sich der positive Eindruck fort. Die Platinen sind sauber bestückt, weitestgehend in SMD-Technik.
Die Ein- und Ausgänge sind über speziell angefertigte Übertrager symmetriert. Während die Eingangsübertrager vergleichsweise klein und mit einer Abschirmhaube versehen sind, haben die beiden ungeschirmten Ausgangsübertrager eine stattliche Größe und tragen einiges zum überraschend hohen Gewicht des Gerätes von über 4 kg bei. Das Schaltungsdesign trägt eindeutig die Handschrift von Rupert Neve. Wie bei fast allen seinen Kreationen seit den 1980ern kommt vor allem der Operationsverstärker NE5534 (single) bzw. NE5532 (dual) zum Einsatz. Mit speziellen Schaltungstricks hat der Altmeister ihn oft in eine Class-A-Betriebsart gezwungen. Daneben sind aber auch einige modernere Präzisions-Opamps von TI/Burr Brown verbaut. Mit der diskreten Schaltungstechnik der alten Neve-Module hat das natürlich nicht mehr viel zu tun. Aber genau das macht die Shelford-Series aus: Anders als die unzähligen Neve-Kopisten musste Rupert Neve seine alten Designs nicht Komponente für Komponente sklavisch nachbauen. Denn er kannte die klangliche Intention. Die Shelford-Serie folgt dieser Intention mit aktueller Technik und hebt sie auf ein neues technisches Niveau.
Die Ein- und Ausgangsübertrager sind Custom-Anfertigungen. Obwohl der Eingangsübertrager
viel kleiner ist, kann der 5254 ein- wie ausgangsseitig bis zu 26,7 dBu verarbeiten.
Die Platinen sind sehr
sauber in SMD-Technik
bestückt. Die Stromversorgung
erfolgt über ein
energieeffizientes
Schaltnetzteil.
Praxis
Der 5254 klingt wirklich ausgezeichnet. Er hat genau diese weiche Präsenz und sahnige »smoothness«, die einen Diodenbrücken-Kompressor auszeichnet. Gleichzeitig ist er ähnlich rauscharm wie ein guter VCA-Kompressor. Beeindruckend!
Der 5254 hat, wie ich finde, einen äußerst angenehmen, edlen Klangcharakter und ein sehr musikalisches Kompressionsverhalten. Das heißt nicht, dass er sich von selbst einstellt; man muss schon ein wenig mit den Parametern spielen, bis man das Regelverhalten an den Track angepasst hat. Als einen gewissen Nachteil erlebe ich dabei die gemeinsame Regelung von Attack und Release.
Diese schränkt die Verwendbarkeit für Schlagzeug und Percussion etwas ein. Explosiv knallende Drum-Räume sind nicht unbedingt die Stärke des 5254. Am besten eignet er sich für unauffälliges Verdichten von Instrumentengruppen wie Keyboards, Gitarren, Bläsern und Streichern. Oder auch als Summenkompressor. Das macht er selbst bei stärkerer Kompression sehr geschmeidig. Der 5254 sorgt für einen tollen Zusammenhalt – oft besser, in jedem Fall charaktervoller, als der dafür berühmte SSL Bus Compressor.
Der 5254 arbeitet übrigens im Feedback-Modus, d. h., das Steuersignal wird anhand des Kompressor-Outputs generiert. So kann er zwar schnelle Impulse nicht so gut abfangen wie ein Feedforward-Kompressor (wozu die allermeisten VCA-Designs gehören), dafür wirkt sein Regelverhalten souveräner. Er reagiert nicht »nervös« auf das Eingangssignal, sondern betrachtet das bereits komprimierte Ausgangssignal und regelt nach, wenn nötig.
Aber selbst ohne Kompression hat der 5254 bereits eine edle Klangsignatur, sodass es eigentlich ein Segen ist, dass es keinen Hard-Bypass gibt. Die Ein- und Ausgangsstufen samt Übertrager bleiben auch im Bypass im Signalweg. Diese Klangsignatur sollte man nicht mit hörbarer Verzerrung verwechseln.
Der 5254 hat einen erstaunlich hohen Headroom. Eingang und Ausgang können bis zu 26,7 dBu wegstecken – mehr als die meisten Audio-Interfaces verarbeiten können. In diesem Punkt unterscheidet sich der 5254 übrigens vom Mono-Modul 535, das – weil API-kompatibel – mit einer geringeren Betriebsspannung auskommen muss und daher nur 23,5 dBu verarbeiten kann. Ansonsten wäre ein Doppelpack 535 eine preisgünstige Alternative für alle, die bereits ein API-Rack besitzen.
Fazit
Der 5254 Diode Bridge Compressor zeigt noch einmal das ganze Können von Rupert Neve. Das Gerät verbindet die edle Klangfärbung und das geschmeidige Regelverhalten seines Klassikers 2254 mit zeitgemäßer technischer Performance. Der 5254 ist der wohl rauschärmste Diodenbrücken-Kompressor, den man derzeit kaufen kann. Und natürlich wurden die Regelzeiten an heutige musikalische Bedürfnisse angepasst. Auch gibt es moderne Zutaten wie einen Sidechain-Hochpass, der für bassbetonte Musik unverzichtbar ist, und einen Blend-Regler für Parallelkompression. Schade, dass Attack und Release nicht unabhängig voneinander regelbar sind; das hätte den 5254 noch flexibler gemacht. Der größte Wermutstropfen ist jedoch der stolze Preis von 3.848 Euro. Wer schön komprimieren will, muss leiden!
Unsere Meinung:
+++ einzigartiger Klang mit cremig-weicher Präsenz
+++ sehr rauscharm für einen Diodenbrücken-Kompressor
+++ hoher Headroom (max. 26,7 dBu)
++ saubere Verarbeitung
– Attack und Release nicht getrennt regelbar