Music Production: Mixpraxis mit Al Schmitt und Bob Dylan
von Paul Tingen, Artikel aus dem Archiv
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Als sich Ende letzten Jahres die Nachricht verbreitete, Bob Dylan wolle ein Album mit Frank-Sinatra-Covers veröffentlichen, kratzten sich nicht wenige ratlos am Hinterkopf. War Dylans nasales Nölen nicht immer die Antithese zu Sinatras geschmeidig-melodiösem Crooner-Style?
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Zudem hatten die Stimmbänder des Barden über die letzten Jahrzehnte hörbar gelitten, sodass oft kaum mehr als ein heiseres, tonloses Krächzen übrig blieb. Und auch wenn es ihm bei seinen eigenen Songs gelang, den Mangel an Wohlklang mit seiner einzigartigen Intensität und der ihm eigenen Phrasierungskunst aufzuwiegen, schien es kaum vorstellbar, dass er auf diese Weise zehn Klassikern des Great American Songbook gerecht werden würde, die zwischen 1920 und 1950 geschrieben und in den folgenden Jahrzehnten von Sinatra mustergültig interpretiert wurden. Manche Kritiker befürchteten eine Luftnummer, nannten die bloße Idee einen Irrsinn. Sollte Dylans lange Karriere auf so unrühmliche Weise ausklingen? Doch wie so oft strafte Dylan seine Kritiker Lügen. Mit der Veröffentlichung von Shadows In The Night im Februar 2015 verwandelten sich sämtliche Vorbehalte in pure Euphorie. Es mag daran liegen, dass Dylan sanfter singt als gewohnt und seine Stimme nicht überanstrengt, denn die Art und Weise, wie der mittlerweile 73-Jährige diese teils recht komplizierten Melodien meistert, versetzt selbst die härtesten Kritiker in Staunen. Dylans zerbrechliche, etwas zittrige Stimme und kleine Intonationsfehler auf einzelnen Wörtern verstärken nur die Eindringlichkeit und tief empfundene Menschlichkeit dieser Songs von Liebe, Verlust und Sehnsucht. Doch es ist nicht nur die Intensität von Dylans Gesang, die überrascht.
Eben – so hoch gelobt werden die minimalistischen, zartfühlenden Arrangements von Dylans Live-Band, die auf einigen Songs von sehr zurückhaltend agierenden Bläsern unterstützt wird. Auf großes Orchester oder eine Bigband, Schlüsselkomponenten des Sinatra-Sounds, hat Dylan ganz bewusst verzichtet. Nicht wenige Kritiker lobten auch den kongenialen, sehr atmosphärischen Sound von Shadows In The Night, dessen Wärme und Intimität die mitternächtliche Melancholie dieser Songs unterstreicht. Dylan selbst schrieb auf seiner Website: »So etwas wollte ich schon lange machen, doch ich hatte nie den Mut, die komplizierten Arrangements für eine dreißigköpfige Band auf eine fünfköpfige Band herunterzubrechen und zu raffinieren. Das war der Schlüssel zu all diesen Performances. Wir kannten diese Songs ganz genau. Alles wurde live aufgenommen. Vielleicht ein oder zwei Takes. Keine Overdubs. Keine Gesangskabinen. Keine Kopfhörer. Keine Einzelaufnahmen, und größtenteils gemischt, während wir aufnahmen. Ich finde nicht, dass wir Cover-Versionen aufgenommen haben. Diese Songs wurden oft genug gecovert, ja mit Interpretationen zugeschüttet. Ich und meine Band haben die Songs im Grunde ›ent-covert‹.
Wir haben sie freigelegt, aus ihrem Grab gehoben und wieder zutage gefördert.” Was Dylan also vorschwebte, war eine Neuinterpretation von Sinatra-Klassikern mit aufs Wesentliche destillierten Arrangements und seinem noch immer unnachahmlichen Gesangsstil, jedoch ohne moderne Studiotricks, sondern mit einem Recording-Konzept ganz im Stil der 40er und 50er. Und wenn man so aufnehmen möchte, warum nicht jemanden engagieren, der diese Zeiten miterlebt, ja sogar mit Sinatra gearbeitet hat? Mit diesem Anforderungsprofil landet man fast zwangsläufig bei einem der erfahrensten Toningenieure auf diesem Planteten, dem legendären Al Schmitt. Vermutlich gibt es weltweit niemanden, der mehr Zeit im Studio verbracht hat. Angefangen hat Schmitt bereits als kleiner Junge während des zweiten Weltkriegs, als er seinem Onkel Harry Smith in dessen Studio »Harry Smith Recording” in Manhattan assistierte. Der wissbegierige Junge von damals ist heute einer der begehrtesten Recording- und Mix-Engineers aller Zeiten mit unglaublichen 23 Grammy-Awards. Zu seinen Kunden gehörten Legenden wie Henry Mancini, Sam Cooke, Jefferson Airplane, Barbra Streisand, Steely Dan, George Benson, Toto, Miles Davis, Natalie Cole, Diana Ross, Elvis Costello, Luther Vandross, Neil Young, Brian Wilson, Paul McCartney und unzählige mehr.
Überraschenderweise hatte Schmitt bislang aber noch nie mit Bob Dylan gearbeitet, als dessen Manager Jeff Rosen sich bei ihm meldete. »Leider war ich schon ausgebucht für die Zeit, die sie eingeplant hatten”, erinnert sich Schmitt zu Hause in Los Angeles. “Ich war wirklich enttäuscht, weil Dylan auf meiner Liste von Künstlern steht, mit denen ich gerne einmal arbeiten wollte, aber nie die Chance hatte. Gleich am nächsten Tag kam jedoch ein Rückruf, dass sie ihren Zeitplan für mich verschieben würden, weil Bob unbedingt mit mir arbeiten wollte. Offenbar kannte er meine Arbeit, insbesondere auch das Duets-Album (1993), das ich mit Sinatra aufgenommen hatte, und er fand wohl, dass ich der Richtige wäre.” Nun, da der richtige Mann gefunden war, ging es darum, den richtigen Ort zu finden. “Sie hatten sich einige Studios angeschaut”, erklärt Schmitt, und im Captiol Studio B gefiel Jeff der Klang des Aufnahmeraums besonders gut.
Später sind wir alle dorthin, und Bob war vom Klang des Raums ebenfalls angetan. ›Wo wäre ein guter Platz zum Singen?‹, fragte er. Mein Assistent Chandler Harrod meinte: ›Na, genau da, wo du gerade stehst.‹ Was er dann auch getan hat, und es war klasse.« Abgesehen vom Raumklang hat Capitol Studio B auch symbolischen Charakter, weil Sinatra hier oft aufgenommen hat. Außerdem arbeitet Schmitt regelmäßig in diesem Studio. Die Stimmung sei extrem gut gewesen, erinnert sich der legendäre Toningenieur: »Für uns alle war es sehr bequem, wir hatten eine tolle Zeit.« Diese entspannte Atmosphäre, die dem Album anzuhören ist, war jedoch kein bloßer Zufall, sondern das Resultat der Aufnahmemethoden, die Dylan und Schmitt wählten. »Es war genau wie in den alten Zeiten«, schwärmt Schmitt. Konkret bedeutete dies ein extrem simples Setup. Mit nur sieben Mikrofonsignalen wurde die 56-kanalige Neve 8068-Konsole gefüttert. Dazu ein wenig Reverb auf E-Gitarre und Pedal Steel so – wie ein bisschen Kompression und Hall auf Dylans Stimme. Alles wurde simultan auf 24-Spur-Tape und der MasterBandmaschine aufgezeichnet.
Es gab keinerlei Schnitte, und bei drei Songs wurde der direkte Stereomittschnitt ohne erneutes Mischen als Master verwendet. Bei den übrigen sieben Songs verwendete Schmitt das 24-Spur-Band, um ein paar Pegelanpassungen zu machen, ohne aber weitere Effekte hinzuzufügen. Da mag man kaum von Mixing reden. Also alles ganz einfach? Mitnichten: Ein solcher Minimalismus erfordert ein Höchstmaß an Erfahrung. Al Schmitt weiht uns in die Geheimnisse seiner Aufnahmemethoden ein: »Wir hatten jeden Tag zwei dreistündige Aufnahmesessions, drei Wochen lang, fünf Tage die Woche. Zwischen den beiden Sessions waren wir essen. Dylan hatte diesen kleinen Music-Player, und vor jeder Session standen wir alle im Aufnahmeraum, um uns die alte Frank-Sinatra-Aufnahme des Songs anzuhören, den wir aufnehmen wollten. Nicht, um ihn genauso zu spielen, sondern um eine Vorstellung von der Interpretation zu entwickeln. Dann haben wir uns ein paar Stunden darüber unterhalten, wie wir den Song angehen sollten.« Der Bassist [Tony Garnier], der auch der Musical-Director ist, hatte Chord-Charts vorbereitet und jedem Musiker seinen Part dargelegt. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, dass jeder Musiker die richtigen Parts mit dem richtigen Ausdruck spielt. Außerdem war uns wichtig, dass alle sich wohlfühlen und einander gut hören können.
Am wichtigsten war natürlich Dylans Input, was ihm vorschwebte und wie die Jungs spielen sollten. Als Produzent hatte er volle Kontrolle über den Ablauf. Er bestimmte das Tempo, wie und was die Rhythmusgitarre spielt, was die Pedal Steel beisteuert usw. Gewöhnlich haben sie ein, zwei Takes eingespielt und kamen dann in die Regie, um es sich anzuhören. Die Musiker brachten dann beispielsweise Ideen ein, wie sie ihre Parts noch verbessern könnten, oder Dylan meinte, er könne den Song noch besser singen, außerdem haben wir die Mix-Balance besprochen. Dann gingen sie zurück in den Aufnahmeraum, um noch ein oder zwei Takes einzuspielen. Manchmal haben wir den allerersten Take genommen, sodass es nichts mehr nachzujustieren gab, aber meist hatten sie, nachdem sie es sich angehört hatten, ihre Ideen, und ich sagte ihnen, dass ich hier ein bisschen mehr Lautstärke bräuchte und dort ein bisschen weniger. Ich bat sie, das im Aufnahmeraum anzupassen. Wenn es ein Gitarrensolo gab, dann hat der Gitarrist einfach ein bisschen lauter gespielt. Ich wollte das nicht an den Fadern nachregeln, sondern es sollte ganz natürlich sein. Nur für den Vocal habe ich am Fader nachgeregelt, aber ansonsten haben sie, nachdem ich alles aufgebaut hatte, ihre Lautstärkebalance selbst eingestellt. Danach gab es für mich nur noch sehr wenig zu tun. Das war’s. Es gab kein Editing, keine Reparaturen, kein [digitales] Tuning.
Alles blieb einfach, wie es war.” Grundvoraussetzung für diese Reduktion aufs Wesentliche war natürlich, dass die Musiker sich an den richtigen Positionen befanden und die richtigen Mikrofone an den richtigen Stellen aufgebaut waren. Darum hatte sich Schmitt gleich bei der ersten Session gekümmert. Jedoch gab es einen weiteren Faktor, mit dem er im Vorfeld wohl nicht gerechnet hatte: »Jeff [Dylans Manager] sagte mir, dass Bob nicht überall Mikrofone sehen möchte«, erinnert sich Schmitt. »Also musste ich so wenige wie möglich verwenden und diese, so gut es ging, verbergen. Ich weiß nicht, warum er das so wollte. Vielleicht wollte er eine eher relaxte Wohnzimmeratmosphäre, ohne dass ihm und den Musikern ständig vor Augen gehalten wurde, dass aufgenommen wurde. Dylan war auch gegen all die anderen Sachen, die heute bei Aufnahmen üblich sind, wie Kopfhörer oder dass jeder Musiker seinen eigenen Mix einstellen kann usw. Also gab es keine Kopfhörer. Bei einem Song konnte Dylan die akustische Rhythmusgitarre nicht gut genug hören, da haben wir einfach den Gitarristen näher zu ihm gesetzt. Indem wir ganz einfach die Musiker um Dylan herum richtig positioniert haben, haben wir für eine akustische Balance im Raum gesorgt. Folgende Musiker sind auf Shadows In The Night zu hören: Tony Garnier (de facto Dylans Musical-Director) am Kontrabass, Donny Heron an der Pedal Steel Guitar, Charlie Sexton an der E-Gitarre, Stu Kimball an der Akustikgitarre und George Receli an Drums und Percussion.
Die Musiker bildeten vor Dylan einen Halbkreis, sodass er sie sehen konnte. »Das ganze Setup war sehr simpel. Seinerzeit habe ich es geliebt, meinem Onkel in New York zuzuschauen, wie er die Musiker umsetzte, um die richtige Balance im Raum zu erhalten, denn es gab keine Kopfhörer und Overdubs, und Mixing war nicht möglich. Gerade wegen der Bitte, die Mikrofone möglichst unsichtbar zu machen, musste ich mich auf meine vielen Jahre Aufnahmeerfahrung verlassen. Aber sobald ich alles aufgebaut hatte und sie das erste Playback hörten, war das erledigt. Bob hat es sofort geliebt. Als er seine Stimme hörte, meinte er, sie hätte seit 40 Jahren nicht mehr so gut geklungen. Er war völlig von den Socken von dem Gesangs-Sound, den wir hinbekommen hatten, total begeistert. Für Bobs Stimme habe ich das Neumann U47 der Capitol Studios verwendet. Es ist exakt dasselbe Mikrofon, mit dem Frank Sinatra, Dean Martin und Nat King Cole aufgenommen wurden.
Ein großartig klingendes Mikrofon. Da ich häufig im Capitol arbeite, komme ich glücklicherweise oft dazu, es einzusetzen, u. a. bei Paul McCartney, Diana Krall und anderen. Das Mikro war vielleicht 22 bis 25 cm von Bob entfernt und hatte einen Windschutz. Pops und S-Laute waren kein Problem. Für alle Mikros habe ich die Neve 1073-Preamps des alten Neve-Pults vom Capitol verwendet. Es hat einen unglaublichen Sound mit viel Punch und Wärme. Auf dem gesamten Album habe ich nur auf Bobs Stimme einen Kompressor verwendet, einen alten Mono-Fairchild [660]. Und nur ein kleines bisschen; mir ging es hauptsächlich um seinen Röhrenklang. Er hat dem Sound etwas Wärme gegeben. Außerdem habe ich am Pult ein wenig von der Live Chamber #4 des Capitol beigemischt. [Die Capitol Studios haben acht unterirdische Echo-Chambers, die von Les Paul designt wurden.
Jede klingt etwas anders; Live Chamber #4 ist berühmt als »Al’s Chamber«, da Schmitt sie auf zahllosen Aufnahmen für den Gesang verwendet hat; Anm. d. Übers.] Soweit es ging, habe ich versucht, Bändchenmikrofone zu verwenden. Für die Band habe ich von links nach rechts, aus Sicht der Regie und Bobs Perspektive, ein Audio-Technica AT4080, ein wirklich schön klingendes Bändchenmikrofon, an der Akustikgitarre, ca. 90 cm entfernt auf das Schallloch gerichtet. Am Kontrabass hatte ich ein Neumann M149, gut 1,2 m entfernt von Tony, ziemlich tief positioniert. Der Schlagzeuger hat meist Brushes auf einem Pad gespielt, gelegentlich auch mal Sticks; bei einem Song hatte er eine Kesselpauke. Ihn habe ich mit einem AKG C24-Stereomikrofon aufgenommen. Die Box der E-Gitarre habe ich ebenfalls mit einem AT4080 abgenommen. Ich habe sie hinter dem Gitarristen aufgestellt, damit das Mikrofon für Dylan nicht sichtbar war.
Daneben, rechts von Dylan, war die Pedal Steel mit einem weiteren AT4080 an der Box. Der Verstärker der Steel Guitar hatte einen eingebauten Hall, den ich aber als zu stark empfand. Also habe ich gleich zu Anfang Donny gebeten, den Hall abzuschalten, damit ich den Hall selber hinzufügen und kontrollieren kann. Sowohl auf der elektrischen Gitarre als auch auf der Pedal Steel habe ich etwas Bricasti M7-Reverb eingesetzt. Und das war auch schon alles an Effekten. Auch EQ habe ich keinen gebraucht. Beim Aufnehmen setze ich nur selten EQ ein. Solche Klanganpassungen versuche ich durch den Einsatz verschiedener Mikrofone hinzubekommen. Generell versuche ich auch beim Mischen, so wenig EQ und Kompression wie möglich einzusetzen.
Für ein paar Tage hatten wir Bläser mit dabei, für die D.J. Harper die Arrangements vorbereitete. [Es gibt zwei Posaunen und ein Waldhorn auf zwei Songs sowie zwei Trompeten plus Posaune auf einem weiteren]. Dylan und er hatten diese [Arrangements] bereits im Vorfeld besprochen, sodass es sehr wenig Änderungen gab. Wir haben die Bläser in einer Kabine seitlich des Hauptaufnahmeraums untergebracht und ließen die Glastür zwischen den beiden Räumen weit offen, sodass ihr Klang bis in den Hauptaufnahmeraum drang und Dylan sie hören konnte. Die Bläser wurden hauptsächlich vom Neumann M49-Raummikrofon aufgenommen, das ich in der Mitte der Band aufgestellt hatte, in der Nähe von Dylans Gesangsmikrofon. Das ist übrigens das M49, das Barbra Streisand verwendet, aber ich habe es auf Kugelcharakteristik eingestellt.
Es ist dieses Mikro, das dem Album einen so luftigen Klang verleiht. Zusätzlich hatte ich ein Royer R-122 an den Posaunen, ein Neumann U67 an den Trompeten und ein Neumann M149 am Waldhorn. Aber wie gesagt, der Klang der Bläser kommt größtenteils vom M49. Wenn die Posaune ein Solo spielt, klingt es wie ein Tommy-Dorsey-Solo!« Wie zuvor beschrieben, wurden alle Sessions auf einer 24-Spur-Bandmaschine aufgenommen, einer 2-Zoll Studer A827 mit 30 ips (76,2 cm/s) Bandgeschwindigkeit. Simultan wurde der Stereomix auf einer Ampex ATR Mastermaschine mit Halbzoll-Band, ebenfalls bei 30 ips mitgeschnitten. Es kam kein Dolby oder ein sonstiges Rauschunterdrückungs-System zum Einsatz. Zusätzlich wurde alles auf Pro Tools mit 192 kHz Abtastrate aufgezeichnet, aber lediglich als Backup, beteuert Schmitt. “Digital klingt ausgezeichnet mit 192 kHz, trotzdem hat Tape irgendwas. Es lässt alles ein bisschen angenehmer klingen. Das Problem ist, dass nicht jeder Tape verwenden kann. Heutzutage singt und spielt nicht jeder so gut wie die Jungs zu Zeiten von Sinatra, Nat Cole usw. Diese Sänger intonierten sauber und hatten eine gute Mikrofontechnik, und wenn mal etwas ein bisschen daneben war, war’s auch okay. Aber heute brauchen die Leute alles an Editing und Tuning, was mit Digitaltechnik machbar ist. Für Dylan und seine Band war das natürlich kein Thema.”
Mix, no Mix
Schmitt regte an, die Aufnahmen vom Multitrack-Band neu zu mischen, doch Dylan hatte einen anderen Plan … “Alles sollte klingen wie im Raum, als sie zusammen spielten”, erinnert sich der Engineer. “Den Gesang habe ich am Fader nachgeregelt und das Panning war ziemlich genau wie im Aufnahmeraum, außer dass ich die elektrische Gitarre auf die linke Seite gelegt habe, gegenüber der Pedal Steel. Den Bass habe ich nach Gefühl positioniert, d. h. nicht allzu laut. Am Ende der Session haben wir uns die Final Takes angehört, und das war’s auch schon. Dylan entschied, welcher Take von jedem Song ihm am besten gefiel, und das wurde sofort als Master gesichert. Als ich das Mixing ansprach, meinte Dylan: ›Nein, ich liebe, wie es klingt.‹
Den letzten Tag haben wir damit verbracht, auf den anderen Songs noch ein paar kleine Änderungen vorzunehmen, etwa ein paar Sachen ein bisschen anders auszubalancieren, seinen Vocal an ein, zwei Stellen ein bisschen lauter zu machen, also ganz einfache Dinge. In einigen Fällen gefiel Dylan der originale Rough-Mix besser als die leicht überarbeitete Version. Wir dachten, wir hätten den Mix verbessert, aber als wir ihn ihm vorspielten, sagte er: ›Lass noch mal das Original hören‹ − und das gefiel ihm besser. Dylan wollte nichts Ausgefallenes. Es sollte so natürlich wie möglich klingen. Er war total verliebt in die Rough-Mixes und wollte, dass ich mich ganz nah an ihnen orientiere. Wie ich schon sagte, es war ganz wie in den alten Zeiten! Damals konntest du nichts editieren oder reparieren, folglich musstest du den Take aufnehmen, wenn die Emotionen stimmten. Und du hast den Take genommen, der das beste Feel hatte. Deshalb klingen viele Aufnahmen von damals so viel emotionaler und berührender. Heute ist alles perfekt, und oft haben wir die Emotionen aus den Aufnahmen editiert.
« 23 Songs wurden in den dreiwöchigen Sessions aufgenommen, die selbst der so erfahrene Al Schmitt aufregend, ja magisch empfand. »Ganz zu Anfang war auch ich ein bisschen besorgt. Ich war mir nicht sicher, ob Dylan dazu in der Lage wäre, diese Art von Songs zu singen. Aber als ich ihn und seine Band zum ersten Mal über die Monitorboxen hörte, hatte ich sofort eine Gänsehaut. Ich erinnere mich noch, wie wir das erste Take aufgenommen haben. Ich war total von den Socken, wie gut es klang und wie emotional es war. Bob liebt diese Songs, und er hat sie mit ganzem Herzen gesungen. Wenn ein Ton mal ein bisschen danebenlag, war’s egal, denn er war mit seinem ganzen Wesen dabei und hat die Songs, nackt wie sie sind, vor uns ausgebreitet. Er wollte, dass auch die Leute genau das erleben, was wir aufgenommen haben, daher keine Studiotricks, keine Reparaturen, kein Nachstimmen, da wurde nichts hin und her geschoben. Aus dem gleichen Grund habe ich auch nichts hinzugefügt, bevor ich die Stereobänder zum Mastering schickte, das Greg Calbi bei Sterling Sound in New York übernommen hat. [In den Album-Credits ist Doug Sax als Mastering-Engineer aufgeführt, doch wie Dylans Manager bestätigte, handelt es sich dabei um ein Versehen]. Meines Wissens wurde beim Mastering nur sehr wenig gemacht. Bob liebte den Sound der Referenz-CD, die wir ihm gemacht haben, und er wollte, dass auch die fertige CD so klingt.
Er wollte weder, dass sie viel lauter gemacht wird, noch wollte er, dass der Klang mit dem EQ verändert wird. Viele Leute, die ich kenne, waren skeptisch, als sie hörten, dass Dylan ein Album mit Sinatra-Covers plant, und als sie mich, während ich an dem Projekt arbeitete, fragten, wie’s denn läuft, gab ich immer zur Antwort: ›Urteile nicht, bevor du’s gehört hast.‹ Nachdem wir fertig waren, hat mich Diana Krall angerufen, die das Material über Bobs Manager gehört hatte, und sagte, es hätte sie so tief berührt, dass sie gerade heulen musste. Dann hat Elvis Costello angerufen, dann T-Bone Burnett. Die Leute, die die Sachen gehört hatten, waren völlig aus dem Häuschen, und nach der Veröffentlichung riefen weitere Künstler und Leute, mit denen ich arbeite, an. Alle, die skeptisch gewesen waren, sagten: ›Al, du hattest ja sowas von Recht!‹ Vom ersten Playback an wusste ich, dass wir da etwas ganz Besonderes hatten.
Digital vs. Analog
Auch wenn es immer weniger werden, die Digital verteufeln und Analog-Recording für das Maß aller Dinge halten, hält sich eine gewisse Romantik um das goldene Zeitalter der Musikproduktion in den 1970ern. Anhänger dieser Ansicht sind nicht zuletzt Daft Punk mit ihrem aufwendig aufgenommenen Album Random Access Memories.
»Ich muss den Daft-Punk-Jungs zustimmen«, sagt Schmitt. »Die 60er und 70er waren unglaublich. Platten verkauften sich gut, und ich hatte drei Sessions am Tag. Ich habe von 9 bis 12 gearbeitet, von 2 bis 5 und dann noch mal von 8 bis 11. Jeder hatte zu tun; die Musiker hatten Arbeit, es war super. Was den Sound angeht, war, finde ich, die Ära von den 60ern bis in die frühen 80er am besten, als wir noch auf Analogband aufgenommen haben. Die frühen digitalen Sachen klangen einfach furchtbar. Aber seitdem ist die Digitaltechnik erwachsen geworden, finde ich 96 kHz akzeptabel, und 192 kHz ist super.
Ich mag sehr, wie digital heute klingt, und es wird immer besser. Außerdem bietet die Digitaltechnik natürlich Vorteile, wenn du mit Leuten arbeitest, die nicht so gut singen oder spielen können, wie es früher zu analogen Zeiten noch üblich war, denn dann brauchst du alles, was es an digitalen Reparaturwerkzeugen gibt. Trotzdem hat Digital noch immer Nachteile. Ich mag es beispielsweise überhaupt nicht, in-the-box zu arbeiten. Einmal habe ich ein Album im Rechner gemischt, und die Leute fanden, dass es klasse klang, aber ich arbeite viel lieber am Pult. Allerdings gibt es heute Leute, die einfach nicht mehr das Budget haben, um sich ein Projekt mit Mischpult zu leisten, und das führt dazu, dass die Klangqualität leidet. Natürlich sind da auch noch die verlustbehafteten Consumer-Formate, die mir nicht gefallen, und der Loudness War hat dazu geführt, dass man sich viele Aufnahmen gar nicht mehr anhören kann. Im Radio läuft die Musik über Sende-Limiter, und dazu kommt noch die Kompression, die beim Mischen und Mastern draufgepackt wurde; am Ende klingt es oft schrecklich und verzerrt. Außerdem werden heute manchmal so viele Höhen reingedreht, dass der Sound mir wie Rasierklingen in die Ohren schneidet. Ich verstehe das nicht. Ich gehöre einer Organisation an, die sich Turn Me Up! nennt. Und daran glauben wir: Da ist ein Lautstärkeregler, und wenn du lauter hören möchtest, dann dreh ihn einfach auf.«
Al Schmitt & Neil Young: Storytone
Noch ein weiteres prestigeträchtiges Projekt hat Al Schmitt vor Kurzem betreut: Storytone von Neil Young, veröffentlicht letzten November. Es besteht aus zehn Eigenkompositionen, von denen sieben mit Orchester und drei mit einer Bigband aufgenommen wurden. Der Deluxe-Version des Albums liegt eine weitere CD bei, auf der Young alle zehn Songs alleine performt. Schmitt erzählt: »In vielfacher Hinsicht verliefen die Aufnahmen ähnlich wie bei Bob Dylans Album, weil auch in diesem Fall alles live im selben Raum aufgenommen wurde, mit nur wenigen Takes pro Song. Es wurden keine Kopfhörer verwendet, das Mixing war minimal, und alles wurde live auf einer 24-Spur Bandmaschine und einer Mastermaschine aufgenommen; Pro Tools diente als Backup. Auch hier wurde in ein paar Fällen der Stereo-Rough-Mix genommen, der während der Aufnahme mitgeschnitten wurde. Ich habe alle Sessions aufgenommen, sowohl die Orchester- und Bigband-Sessions als auch die Solo-Songs, bei denen Neil nur Ukulele oder Piano spielt.
Wir hatten einen Tag mit der Bigband in den East West Studios und zwei Tage auf der Barbra Streisand Scoring Stage in den Sony Pictures Studios mit einem 65-köpfigen Orchester und einem 34-köpfigen Chor. Neil stand direkt neben dem Dirigenten und sang in dasselbe Neumann M49, das Barbra Streisand verwendet hat. Ich dachte mir, dass dieses Mikro mit seiner Stimme gut funktionieren sollte, und so war es auch. Ich habe eine Menge von meinem eigenen Equipment zu den Neil-Young-Sessions mitgebracht. Ich habe Preamps von Upstate Audio, Neve, Studer, Mastering Labs und anderen Firmen, einige Vintage- bzw. Röhrenkompressoren und -EQs sowie über 50 Mikrofone, u. a. einige [Neumann] M149, ein Dutzend Royer-Mikros und einige Audio-Technika-Mikrofone. Gerade habe ich das neue AT-5045 bekommen, das sich sehr gut als Overhead an den Drums macht. Für Neils Stimme habe ich meinen Neve 1081-Mikrofon-Preamp genommen; in diesem Fall habe ich aber keine Kompression verwendet.
Die Hauptmikrofone fürs Orchester waren drei [Neumann] M50 am Decca Tree; dazu kamen einige Einzelmikrofone. Der Chor wurde mit vier M149-Mikrofonen aufgenommen. Als Preamps habe ich entweder meine eigenen verwendet oder das dort installierte Neve 88R-Pult. Da alles live aufgenommen wurde, hatte ich wirklich alle Hände voll zu tun! Aber so habe ich es gelernt. Mixing hieß damals, nur die Fader hochzuziehen und ein paar kleine Anpassungen vorzunehmen, wofür nur sehr wenige Kompressoren oder EQs zur Verfügung standen. Und das war’s. So haben wir seinerzeit Platten aufgenommen, und es hat eine Menge Spaß gemacht!«
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