Mit dem Prophet-5 und -10 erweist Sequential dem über 40 Jahre alten Prophet-5 die Ehre einer modernisierten Re-Issue. Ein Klassiker, der längst zu Liebhaberpreisen gehandelt wird, ist mit fünf oder zehn Stimmen sowie mit und nun auch ohne Klaviatur verfügbar. Da darf man gespannt sein …
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Der Prophet-5 von 1977 war der erste voll speicherbare polyfone Analogsynthesizer überhaupt. Dave Smith und John Bowen trafen mit diesem fünfstimmigen Instrument bei etlichen Musikern und Studios auf offene Ohren. Statt Materialschlachten wie etwa im Yamaha CS-80 zu zelebrieren wurde die analoge Schaltung digital von einem Zilog Z80 gesteuert. Dave Rossum steuerte über E-mu Systems und Solid State Microtechnology (SSM) die zugehörigen Synthesizer-Chips und die polyfone Klaviatur bei. Da der Prophet-5 auch noch überzeugend klang, konnte man ihn kurz darauf auf etlichen Produktionen hören und live bestaunen – von Genesis und Pink Floyd über Abba bis hin zu John Carpenter und Duran Duran.
Zwar gab es das Instrument ursprünglich auch in einer zehnstimmigen Variante, die es aufgrund thermischer Probleme jedoch nur auf sehr wenige Exemplare brachte. Dieser erste Prophet-10 ist nicht mit dem gleichnamigen doppelmanualigen und duotimbralen Modell von 1981 zu verwechseln. Die Revision 1 des Prophet-5 wurde kaum 200 Mal gefertigt und lief noch eher unzuverlässig. Revision 2 (> 1.000 Exemplare) war bereits deutlich verlässlicher. Die Revision 3 wurde grundsätzlich überarbeitet und ersetzte die SSM- durch Curtis-Chips. Sie ist mit mehr als 6.000 abgesetzten Einheiten bis zum Ende der Produktionszeit 1984 der Bestseller.
Was steckt drin?
In ihrer aktuellen Version setzen der Prophet-5 und sein zehnstimmiger Bruder Prophet-10 (nachfolgend Rev 4/Revision 4 genannt) auf eine nahezu identische Klangerzeugung, die jedoch mit SMD-Komponenten umgesetzt wurde. Während die beiden Keyboards in ihrer mächtigen Größe den Originalen gleichen, fallen die technisch identischen Modulversionen überraschend kompakt aus. Das Design ist funktional und mit Walnuss-Holzapplikationen durchaus ansprechend, bei guter und bühnentauglich robuster Verarbeitung und integriertem Netzteil. Sequential setzt auf ein pulverbeschichtetes Metallgehäuse mit Seitenteilen aus Holz.
Der rein analoge Signalweg bietet zwei VCOs, einen Mixer mit ergänzendem Rauschgenerator, vierpoligem Tiefpassfilter und einen VCA pro Stimme. Hinzu kommen zwei Hüllkurven, ein LFO, die Sektion für das Modulationsrad und der Polymod-Bereich.
Genauer aufgeschlüsselt bietet VCO A kombinierbar schaltbare Sägezahn und Rechteckwellen, Regler für die Stimmung, die Pulsbreite und einen Schalter, mit dem die Tonhöhe hart zum zweiten Oszillator synchronisiert wird. VCO B bietet einen zusätzlichen Regler für Feinverstimmungen, eine zuschaltbare Dreieckswelle, einen möglichen LFO-Betrieb sowie eine schaltbare Entkopplung der Tonhöhensteuerung von der Klaviatur. Der Mixer bietet Regler für beide VCOs und den Rauschgenerator.
Es folgt die Filtersektion mit Reglern für die Filterfrequenz, Resonanz und die Einflussnahme durch eine dedizierte ADSR-Hüllkurve. Das Filter (und die Kennlinie der Hüllkurve) lässt sich zwischen den Revisionen 1/2 und 3 umschalten, und hier lässt sich auch das Keytracking in zwei Stufen (half/full) aktivieren. Der abschließende VCA beschränkt sich auf eine weitere ADSR-Hüllkurve, ehe das Signal über einen Lautstärkeregler an den einzelnen Audio- und neuen Kopfhörerausgang gelangt. Die Stimmen lassen sich bei Bedarf unisono schalten und mit einem regelbaren, nunmehr polyfonen Glide-Effekt versehen.
Modulationen lassen sich stimmbezogen über den Bereich Poly-Mod ergänzen. Dabei lassen sich die Filterhüllkurve und VCO 2 mit individueller Intensität auf die einzelnen schaltbaren Ziele Tonhöhe VCO A und B und die Filterfrequenz anwenden. Die LFO-Sektion ist monofon und bietet drei schaltbare Wellenformen und einen Geschwindigkeitsregler. Typischerweise wird der LFO über das Modulationsrad hinzugeregelt, kann nun aber auch dauerhaft aktiv sein. In der letzten Sektion definiert man die Arbeitsweise des Modulationsrads: Dabei lässt sich neben dem LFO auch der Rauschgenerator als Quelle hinzumischen. Als Ziele sind die Tonhöhen der VCOs, deren Pulsbreiten und die Filterfrequenz per Schalter adressierbar. Zwei weitere Taster bieten das neue Routing der Anschlagsdynamik und des Channel-Aftertouch auf das Filter und/oder den VCA.
Schließlich gibt es einen Regler für die generelle Stimmung, einen Kammerton und eine Stimmautomatik. Presets ruft man über acht numerische sowie getrennte Bank-, Group- und Factory-Taster auf. Drückt man den Preset-Taster, gelten die Einstellungen der Regler auf dem Bedienfeld.
Auf der Rückseite gibt es die Audio- und Kopfhörerausgänge, ein MIDI-Trio, USB-MIDI sowie CV/Gate-Ein- und -Ausgänge für die Integration in ein Modularsystem. Hinzu kommen drei Pedaleingänge für die Steuerung der Lautstärke, der Filterfrequenz und der Release-Funktion. Der Release-/Hold-Schalter beeinflusst das Verhalten beider Hüllkurven. Gedrückt gelten die Werte der entsprechenden Regler. Ausgeschaltet hingegen klingt der Ton grundsätzlich schnell aus. In dieser Betriebsart nutzt man den Fußschalter, um die Release-Phase manuell abzurufen. Alternativ ist aber auch ein Betrieb als Sustain-Pedal möglich.
Praxis
Die Bedienelemente sind übersichtlich angeordnet und repräsentieren je einen Parameter, sodass man alle Prophet-Modelle intuitiv bedienen kann und die Klangformung Teil der Performance wird. Es gibt Synthesizer mit höherer Parametervielfalt, aber kaum einen polyfonen Synthesizer, der derart geradlinig zugänglich ist, auch wenn man in der nicht 19″-fähigen Pultversion mit engeren, aber dennoch komfortablen Reglerabständen lebt.
Wie der Prophet 6 und OB-6 kommt das Gerät ohne Klartextdisplay aus und beschränkt sich auf drei LED-Zeichen. Trotz inzwischen 200 Presets und 200 eigenen Speicherplätzen wurde wie beim Original auf eine Namensgebung verzichtet. Für Backups und Editierungen am Rechner kann man auf einen kostenpflichtigen, Plug-in-fähigen Editor von Sound Tower (www.soundtower.com) zurückgreifen.
Auf der Habenseite der Revision 4 stehen neben den erwähnten Neuerungen auch ein Akkordspeicher, mögliche alternative Notenskalen, eine wählbare Notenpriorität und der sogenannte Vintage-Regler bereit. Letzterer soll die Eigenheiten der jeweiligen Revisionen nachbilden und ist daher von 4 nach 1 skaliert – von stimmstabil bis wackelig. Entsprechend kann man durch dezente Schwankungen von Tonhöhe, Filter und weiteren Parametern auf Stimmbasis zu einem lebendigeren Klangbild gelangen, insbesondere bei Pads.
Schließlich kann man über die Unisono-Taste nicht mehr nur alle Stimmen für mächtige monofone Klänge übereinander lagern, sondern sogar die Anzahl der gestackten Stimmen und deren Verstimmung definieren. Seit Firmware 1.5.x lässt sich der Prophet-10 zudem fünfstimmig mit vier Oszillatoren polyfon nutzen – ein echtes Kaufargument. Allerdings kam bei mir die Frage auf, warum Sequential diese Version nicht bitimbral konzipiert und mit zwei Ausgängen bestückt hat – das besagte zweimanualige Modell von 1981 konnte genau das.
Klang
Die alten Prophets sind wenigstens 35 Jahre alt. Ihre Größe, das Gewicht und die Wärmeentwicklung deuten darauf hin, dass die Schaltung auf dem Papier ähnlich sein mag, in der Praxis aber dennoch Unterschiede existieren dürften. Im Rev 4 kommt im Signalweg eine nahezu gleiche Chipkonfiguration wie im Rev 3 zum Einsatz: VCOs vom Typ 3340 und der Filterchip 3320, beide von Curtis, die um das zweite Filter SSI2140 ergänzt werden, der ein Re-Design des SSM 2040 darstellt und von Dave Rossum umgesetzt wurde. Bei den VCAs kommen SSI-Chips zum Einsatz. Ein wesentlicher Unterschied: Die gesamte Modulationssektion wird digital berechnet und stammt nicht länger aus dedizierten Chips.
Im Allgemeinen ist das Klangrepertoire des Prophet-5/10 klassisch. Man trifft auf etliche, erstklassige Analogklänge: weiche Streicher und Pads, Bläser, Lead-, Melodie-, Sequenzer und markante Sync-Sounds, Reminiszenzen an die Hits der Achtziger, Hooks, aber auch Bässe, Orgeln, Flöten, E-Pianos, Akkordsounds und Riser. Das gelingt mit dem eigenen druckvollen und warmen Timbre des Prophet, das sich mit hochwertigen Effektprozessoren weiter aufwerten lässt.
Erst bei perkussiven und metallischen Sounds ist er weniger gut aufgestellt, liefert aber durchaus rauschbasierte Klangeffekte aller Art. Beide Filter bietet eine prägnante, gut eingebettete Resonanz bis hin zur Selbstoszillation. Gleichzeitig sind die Unterschiede so deutlich, dass die musikalisch stimmig gelöste Auswahl ein echter Zugewinn ist.
Die Revision 4 klingt fast immer gefällig. Extreme und experimentelle Klänge gelingen zwar, zählen aber nicht zu den Stärken dieses Instruments. So erzielt man über die spielerisch handhabbare Poly-Mod-Sektion eine (exponentielle) Frequenzmodulation, die den Klang anrauht, aber keine explizit metallischen, glockigen oder krachigen Klänge liefert. Auch die Filtermodulation über VCO2 sorgt resonanzabhängig für eine variable Dosis Schmutz. Bei komplexeren Modulationen muss der Prophet-5/10 passen. Insofern würde ich diesen Synthesizer vor allem als Performance-Gerät bezeichnen, das neben tollem Grundklang vor allem durch seinen direkten Zugriff auf die Klangerzeugung lebt. Dazu zählen inzwischen lobenswerterweise auch die Anschlagsdynamik und der Aftertouch.
Für einen Vergleich konnte ich die Revisionen 2 und 3 bemühen. Bei Ersterem war aufgrund der reinen SSM-Bestückung mit größeren Unterschieden zu rechnen, während der Rev 3 zumindest im Bereich der VCOs und Filter auf identische Curtis-Bauteile setzt. Weiter sollte berücksichtigt werden, dass es in den alten Geräten höhere Werte beim Übersprechen, ungewollte Verzerrungen und größere Bauteiltoleranzen gab, was sich laut Dave Smith schon bei den fünf Referenzgeräten in deutlichen Klangschwankungen äußerte. Die alten Modelle arbeiten mit simplem Tastatur-Scanning, das die Noten über den Z80 an die analogen Chips verteilte. Die CPU des Rev 4 übernimmt hingegen deutlich mehr Aufgaben – von der Übermittlung der erweiterten Noten- und Reglerinformationen über MIDI (Anschlagsdynamik, Aftertouch, CC/NRPN für alle Parameter) bis hin zur Berechnung sämtlicher Modulationen.
Insbesondere bei mehrstimmigen Klängen trifft der Rev 4 mit seinem ausgewogen, warmen, aber auch straffen Analogsound durchaus den begehrten »Ton« der Klassiker. Gleichzeitig zeigte er im Vergleich zum Rev 2 etwas braver im Höhenbereich, was man durch leichtes Aufdrehen der Filtermodulation in der Poly-Mod-Sektion etwas kompensieren kann. Dennoch klangen die beiden alten Geräte, aber insbesondere der Rev 2 für meine Ohren offener, perkussiver und bei Bedarf aggressiver – beginnend beim reinen Sägezahn über Sync-Sounds und Filter-Sweeps. Zap-Sounds und Bassdrums bei selbstoszillierendem Filter gelangen im Rev 2 spielerisch, aber auch im Rev 3 mit guten Ergebnissen und feinfühlig ausformbaren Regelbereichen, während die Revision 4 hier sowohl mit Biss, Bassgehalt und den Skalierungen der Regler zu kämpfen hatte. Klarer Punktgewinn für die Klassiker. Meine persönliche Schlussfolgerung: Analoge Hüllkurven sind offenbar doch nicht so leicht zu imitieren.
Auf der Hand lag auch der Vergleich zum aktuellen Prophet-6, dessen diskretes Tiefpassfilter sich am Rev 2 orientiert. Dieses Instrument setzt auf eine abweichende analoge Oszillatorsektion mit überblendbaren Wellenformen und Suboszillator. Dabei klingen die reinen VCOs nahezu identisch, während das »SSM-Filter« anders als im Rev 4 klingt. Zwar erinnert es mich eher an das Original, weist aber erkennbar weniger Bassanteile als im Rev 2 und 4 auf. Ergänzend bietet der Prophet-6 aber ein zusätzliches resonanzfähiges Hochpassfilter, bipolar regelbare Hüllkurven und einen vielfältigeren LFO. Dazu kommen ein analoger Distortion-Schaltkreis, zwei digitale Effektsektionen, ein Arpeggiator/Step-Sequencer sowie Stereoausgänge. Die Ausstattung darf man also als überlegen einstufen, den Klang jedoch als eigenständig. Bei polyfonen Klängen arbeitet sich die Revision 4 einen kleinen Vorteil heraus, während der Prophet-6 bei monofonen Linien aggressiver agieren könnte.
Fazit
36 Jahre nach Produktionsende der Revision 3 erblickt der Prophet-5 erneut das Licht der Welt und ist gleich in vier Varianten auferstanden. Die Revision 4 orientiert sich eng am Original, bietet aber auch behutsam implementierte, sinnvolle Erweiterungen im Bereich der Speicherbarkeit, der MIDI-Spezifikation sowie der Verfügbarkeit von Anschlagsdynamik und Aftertouch. Den unterschiedlichen Versionen des Originals wird man durch ein umschaltbares Filter mit angepassten Kennlinien der Modulatoren sowie einem Vintage-Regler gerecht. Und sogar die doppelte Polyfonie, die sich Dave Smith einst für den Prophet wünschte, konnte man temperaturstabil umsetzen – einschließlich fettem Voice-Stacking, für den sich der Prophet-10 empfiehlt. Auf der Bühne und im MIDI-Verbund dürften die neuen Geräte im Vorteil sein – insbesondere die kompakte Modulversion ist ein idealer Zweitsynthesizer.
Klanglich begeistert der neue Prophet mit erstklassigen analogen druckvollen und warmen, eher geradlinigen Sounds, die insbesondere im polyfonen Einsatz sofort an die Originale erinnern und sich sinnvoll von seinen Mitbewerbern von Moog, Arturia, Black Corporation und Novation, aber auch von den eigenen Sequential-Produkten abgrenzen. Im Vergleich zu den Originalen zeigt sich die Neuauflage praxisgerecht aufgebohrt. Die Umschaltbarkeit zwischen den Revisionen ist ergiebig, die Implementation von MIDI, Anschlagsdynamik und Aftertouch absolut zeitgemäß. Gleichwohl ist der Rev 4 kein Vintage-Original. Er erreicht dessen Essenz, klingt aber an entscheidenden Stellen nicht identisch, sondern etwas braver und weniger perkussiv.
Inwieweit diese Klangunterschiede eine Rolle spielen, sollte man im Hörtest selbst beurteilen. Prophet-5/10 wenden sich an Liebhaber analoger Synthesizer, weniger aber an Sammler. Es sind weder die modernsten noch funktional komplexesten, wohl aber herausragend intuitive Instrumente, die mit einem eigenständigen, klassischen Klang aufwarten und so vielen Musikern einen lang gehegten Traum erfüllen können – als wenig fehleranfälliges Neugerät und nach Bedarf mit höherer Polyfonie und im Desktopformat. Gratulation!
+++ umschaltbare Filter
++ stabilere Stimmung
++ zehnstimmige Version mit Poly-Unisono-Funktion
+ MIDI, Anschlagsdynamik, Aftertouch
– weniger aggressiv und perkussiv-zupackend als die Klassiker