Wie lässt schon Rapper Q-Tip im Klassiker Galvanize von den Chemical Brothers verlauten? “My my finger is on the button!” Es scheint, als nimmt auch die Anzahl der Knöpfchen und Regler, die ein DJ heute betätigen muss, stetig zu, und viele Club-Gigs haben mit dem traditionellen Scheibenauflegen nicht mehr viel gemein. Durch die Digitalisierung der Musikmedien liegt es im wortwörtlich “auf der Hand”, immer weiter in den zeitlichen Aufbau, das Klangbild oder sogar in die Zusammensetzung einzelner Elemente einer vermeintlich fertigen Produktion einzugreifen − die Bereiche “Auflegen” und “Produzieren” nähern sich immer weiter an. Artikel aus der Sound&Recording Ausgabe 06/2013!
Deshalb möchten wir in diesem Special eine erste Übersicht zu dieser doch nahezu un- überschaubaren Produktschlacht verschaffen. Wir beleuchten spezifische DJ-Software und clubtaugliche Audiointerfaces sowie MIDI-Controller, die sich teilweise auch in der Studioumgebung einsetzen lassen oder umgekehrt eine Einbindung von Studio-Tools in Live-Situationen ermöglichen.
Timecode-Systeme/DVS
Gehen wir einleitend gleich in die Vollen und sehen uns die sogenannten TimecodeSysteme an, also Systeme, die eine DJ-Software mithilfe von Timecode-Medien steuern. Man spricht im Allgemeinen auch von “Digital Vinyl Systemen”, kurz “DVS”, wo – bei die ebenfalls beigelegten Timecode-CDs eine absolut gleichwertige Rolle spielen und konzeptionell keinen Unterschied machen. Den größten Vorteil eines DVS gegenüber der physikalischen und somit sehr schweren Plattenkiste ist nicht nur die Schonung der Wirbelsäule, sondern primär die authentische Haptik und die blitzschnelle Organisa – tion eines riesigen Musik-Repertoires. Das Importieren von Musikdateien in Formaten wie MP3, WAV oder AAC sowie Stichwortsuche und das Packen von virtuellen Plattenkisten mit einer bestimmten Track-Reihen – folge unterstützen alle hier vorgestellten Programme.
Da die Timecode-Medien ein analoges Signal ausgeben, muss selbstverständlich ein AD-Wandler zwischengeschaltet sein − eine Kiste, die das Steuersignal an die Software weiterleitet und die Musikdatei mit dem vorgegebenen Tempo und der übereinstimmenden Track-Position wieder ausgibt. Klar, dass der längere Signalweg auch Nachtteile mit sich bringt. Während Timecodes auf CD nicht ganz so heikel zu handhaben sind, ist gerade bei Vinyl auf eine gepflegte Oberfläche sowie intakte Nadeln und Systeme mit ausreichend hoher Ausgangsspannung zu achten. Daher belegen diese Elemente auch gleich die ersten drei Plätze auf der Liste des Verschleißmaterials. Zudem können schon ein kleiner Kabelbruch oder ein falsch gelöteter Stecker den flüssigen Clubbetrieb ausbremsen. Nichtsdestotrotz bleibt die Timecode-Steuerung aus Gewohnheitsgründen und/oder Stilbewusstsein immer noch das beliebteste Werkzeug von vielen DJs.
Schon seit 1998 existiert die neuseeländische Firma Serato, die sich vorerst auf die Entwicklung von Time-Stretching und Pitch-Shifting-Algorithmen konzentrierte. Sechs Jahre später brachte man “Scratch Live” auf den Markt − ein System, das bis heute in der ersten Liga mitspielt. Serato Scratch Live stellt eine perfekt abgestimmte und sehr übersichtliche Oberfläche dar. Es gibt zwar relativ wenige Routing-Möglichkeiten, aber somit ist kaum etwas falsch zu konfigurieren. Die Treiber zählen zu den stabilsten auf dem Markt überhaupt, und die Installation am Rechner ist schnellstens geschehen. Ein weiterer Pluspunkt: Software-Updates von Serato waren schon immer kostenlos!
Je nach angeschlossener Hardware stehen zwischen zwei und vier Decks sowie ein sechsfacher Sample-Player zur Verfügung. Bis heute ist standardgemäß keine Beat-Grid-Funktion in Serato Scratch Live integriert, was Mixing-Hilfen wie “Auto Sync” ebenfalls ausschließt. Besitzer von Ableton Live 8.2 (oder höher) haben aber die Möglichkeit, mithilfe der kostenlosen Software “The Bridge” diese Option nachzurüsten. So können Clips und Scenes temposynchron in ein DJ-Set eingefügt werden. Die Clips eines Ableton-Sets lassen sich direkt in Serato anzeigen und dort wie gewohnt starten und stoppen. Diese Erweiterung ermöglicht zudem, Ableton-Sets auf eines der Decks zu laden und per Timecodes in Echtzeit zu manipulieren.
“The Bridge” erleichtert zudem das Erstellen von Mixtapes. Mit einem der zertifizierten Mixer, wie etwa dem TTM 57-SL, lassen sich alle Bewegungen des Cross – faders sowie der Line-Fader und der Equalizer als Ableton-Live-Set speichern. Öffnet man diese *.als-Datei dann in Ableton, sind alle Aktionen in Form von Automationsdaten angezeigt, die sich nun nachträglich aufpolieren lassen! Während die Software weiterhin in Auckland programmiert wird, stammt die Hardware vom amerikanischen Edel-Fabrikanten “Rane”. Inzwischen ist man bei der vierten Version des SL-Interfaces angelangt. Wer den Verkabelungsprozess verkürzen möchte, kann auch einen der RaneMixer verwenden, die das Interface bereits fest integriert haben. Gerade im deutschsprachigen Raum muss man nicht mehr viel zu Native Instruments erklären. Der Berliner Soft- und Hardware-Gigant entwickelt neben zahlreichen Software-Instrumenten auch die DJ-Applikation namens Traktor Pro 2 bzw. Traktor Scratch Pro 2.
Nun können die unterschiedlichen Produktbezeichnungen etwas verwirren, dabei bezieht sich diese auf die Hardware im jeweiligen Paket. Bei Traktor Scratch Pro 2 sind ein Audiointerface und die Timecode Medien gleich mit inbegriffen. Traktor Scratch Duo 2, Traktor Duo 2 und Traktor LE 2 hingegen haben einen geringeren Funktionsumfang. Eine stark abgespeckte Version von Traktor liegt den NI-Interfaces bei, die Vollversion allerdings ist kostenpflichtig und nicht gerade billig. Dafür wird aber ein größerer Funktionsumfang geboten, der sich schon fast einer einfachen DAW annähert. Auch die grafische Oberfläche kann nach eigenen Wünschen angepasst, Mixer und Effektsektion einund ausgeblendet werden. Bis zu vier Decks lassen sich unabhängig betreiben, als herkömmliches Track-Deck, Sample-Deck, LiveInput und seit Neustem auch als sogenanntes Remix-Deck.
Die vier Bänke, je mit 16 Zellen, lassen sich mit One-Shot-Samples oder Loops füllen und auf Wunsch temposynchron und sogar quantisiert (!) mit dem gleichzeitig laufenden Track spielen. Besonders toll ist die Möglichkeit, nicht nur Samples oder vollständig vorbereitete “Remix Sets” aus dem Browser, sondern auch beliebige LoopBereiche in einem Track-Deck mithilfe von Drag&Drop in die Remix-Decks zu übertragen. Ein weiteres Highlight liegt mit einem der zugehörigen Audiointerfaces vor: Das Audio 10 bietet nicht nur fünf individuelle Ausgänge, sondern auch eine vollwertige MIDI-Schnittstelle. So ist es denkbar, etwa ein DJ-Set mit externen Klangerzeugern per Clock zu synchronisieren. Praktische StatusLEDs dienen dabei zur Signalkontrolle der Anschlüsse.
Auto Sync ist eines der wichtigsten Argumente. Manche DJs schalten diese Funktion aus Gründen wie Nostalgie oder Scham zwar absichtlich ab, für andere aber ist die automatische Temposynchronisierung der Decks ein Segen. Sofern das Beat-Grid richtig erkannt wird, sind absolut exakte Mixes möglich, ohne den Pitch-Regler am Platten- oder CD- Spieler auch nur einmal anzufassen.
Controller-Software
Dennoch sind Plattenspieler sowie auch CD- Player für den Digital-DJ keine Pflicht, denn jedes DVS lässt sich mit auch dem simpelsten MIDI-Controller, zumindest grundlegend, bedienen. So kann man auch Traktor mit der entsprechenden Hardware in ein System verwandeln, das ganz ohne Timecodes auskommt. Stattdessen teilen speziell optimierte Controller (s. u.) − etwa Jog Wheels, Touch-Strips oder Schieberegler − die gegenwärtig ausgeführten Bewegungen und Abspielgeschwindigkeiten der Software mit.
Serato unterscheidet der Übersichtlichkeit halber strikt zwischen DVS und Controller-Software und hat neben “Scratch Live” noch einen weiteren Kandidaten namens “Serato DJ”, früher schlicht “Itch”, entworfen. Das Layout ist zwar ähnlich, dennoch zielt “Serato DJ” zu hundert Prozent auf den Controller-Einsatz ab. Serato DJ kann sogar die Library von Scratch Live auf Wunsch inklusive aller Crates und Cues identisch importieren. Hier sind BeatGrids und “Auto Sync” sehr wohl am Start, was akkurates Beatmatching kinderleicht macht. Bis zu vier Decks, Kanalfader, Crossfader und Equalizer werden dann, wie auch in Traktor, direkt im Computer berechnet. Zudem verfügt die Software über zwei Effekteinheiten von iZotope. Die Steuerung lässt sich nur über MIDI-Hardware realisieren, und das Audiointerface kann frei gewählt werden.
Wie vorhin angesprochen, mischt auch Ableton fleißig in der DJ-Szene mit. Neben der klassischen “Arrangement View” bietet der Sequenzer Ableton Live die für den Clubbetrieb so essentielle “Session View”. Hier lassen sich Audio-Clips, auch komplette Songs, in Echtzeit zu Szenen zusammenfassen und durch die automatische Warp-Funktion temposynchron abfeuern. So ist dies der einzige Sequenzer, der häufig als DJ-Workstation “missbraucht” wird. Das liegt auch nahe, denn jeder der einzelnen Kanalzüge lässt sich per A/B-Routing dem integrierten Crossfader zuweisen. Nahezu jede Funktion kann man per MIDI-Mapping mit externen Controllern steuern − etwa Tempo-Tap, Nudging, Start-Marker und Effektparameter.
Da hier eine vollwertige DAW vorliegt, lässt sich auch das Einbinden von EchtzeitAufnahmen sowie eigener Phrasen aus Sampler oder Synthesizer sehr komfortabel umsetzen. Während das Programm selbst kinderleicht zu verstehen ist, erfordert die Organisation von längeren Musikdateien durch die passenden Start- und Warp- Marker schon etwas Vorbereitungszeit, und auch die Kontrolle per Timecode-Vinyl/CD ist selbstverständlich ausgeschlossen, sofern über “The Bridge” keine Verbindung zu Serato Scratch Live besteht.
Wohl einer der kompaktesten und zugleich cleversten Controller zum Abrufen von Cues und Loops nennt sich “Novation Dicer”. Dieser kommt in zweifacher, identischer Ausführung − beide Geräte werden mit einer Stereo-Miniklinke gekoppelt, sodass letztendlich alle Befehle über nur einen USB-Anschluss zum Computer laufen. Der Clou: Auf der Unterseite ist eine winzige Plastikscheibe angebracht, die exakt in die Aussparung am Plattenspieler passt, wo sich sonst der Puck-Adapter zum Abspielen von 7″-Vinyls befindet. Da die Adapter aber sowieso in fast jeder DJ-Booth fehlen, sind die Controller ein gern gesehener “Ersatz”.
Jeder Dicer gibt durch die mehrfarbige Hintergrundbeleuchtung Auskunft, in welchem der drei möglichen Modi er gegenwärtig arbeitet. So lassen sich Cue-Punkte, Auto-Loops und Loop-Rolls komfortabel verwalten. Zwar wurde Dicer primär auf Serato optimiert, ist jedoch auch zu Traktor und anderer Software kompatibel. Für ei – nen Preis von unter 100 Euro ist das ein top Teil, sofern nur zwei virtuelle Decks anzusteuern sind!
Mit dem Klassiker »Kontrol X1« von Native Instruments hat man für knapp 190 Euro zwei virtuelle Decks direkt “in der Hand”. Über acht Drehregler lassen sich Effektparameter in der Software gleichzeitig variieren, und über die beiden Push-ButtonRegler ist das Browsen und Laden von Tracks in beiden Decks sehr praktisch umgesetzt. Des Weiteren erlaubt X1 mit seinen hintergrundbeleuchteten Buttons Zugriff auf Hot-Cues, Loops und Effekte. X1 ist selbstverständlich auf Traktor optimiert, dennoch kann das Mapping frei konfiguriert werden − für Serato liegt sogar eine Overlay-Schablone bei.
All-In-One Controller
So gering die Auswahl bei professioneller DJ-Software auch sein mag, im Segment der Plug&Play-Controller schießt ein Gerät nach dem anderen aus dem Boden, und der Markt wird auch von Drittanbietern wie Vestax, Numark, Denon, Pioneer und Novation ordentlich gesättigt.
Transport- und Navigations-Controller sowie Mischpult sind gleich in einem Gehäuse verbaut und meist auch mit eingebautem Audiointerface versehen. Das Schöne gegenüber der Timecode-Steuerung ist der unkompliziertere Signalweg, denn der Austausch aller Datenströme findet meist über nur eine einzige USB-Verbindung statt. Anstöpseln und los geht’s!
Controller für Ableton Live. Während im Studio häufig noch die Maus das Eingabegerät erster Wahl darstellt, ist dies im Club ein absolutes No-Go. Um die geladenen Clips und Szenen zu starten, muss also unbedingt ein entsprechender Matrix-Controller her. Die Auswahl ist groß und reicht vom platzsparenden Novation Launchpad bis zum ausgefuchsten Push, den Ableton zeitgleich mit Live 9 vorstellte.
Native Instruments’ “S4” bietet zwei Jog-Wheels und erlaubt durch den 4-KanalMixer das Auflegen mit bis zu vier Decks gleichzeitig. Jeder Kanalzug ist mit Cue Buttons, LED-Pegelmetern, 3-Band-EQs und Filter ausgestattet. Beide Decks besitzen zwölf Buttons zur Steuerung von Transport, Cueund Trigger-Punkten. Zahlreiche Drehregler können u. a. zwei in Serie schaltbare Effektsektionen kontrollieren.
Rückseitig lassen sich wahlweise zwei analoge Quellen anschließen und zwischen Line und Phone umschalten. Auch auf ein MIDI-I/O und einen Footswitch wurde nicht verzichtet. Der Main-Output ist parallel in Form von Cinch- und symmetrischen Klinkenbuchsen vorhanden. Bei einem Verkaufspreis von knapp unter 800 Euro ist Traktor Pro 2 mit inbegriffen.
Was soll nun wieder sein? Die sogenannten Multiformat-Player haben ihre Wurzeln bei traditionellen CD-Playern, besitzen allerdings hinsichtlich des Mediums kaum noch Einschränkungen. Die meisten Player spielen heute nicht nur herkömmliche Audio-CDs, sondern auch MP3-, AAC-, Wav- und AIFFDateien ab, teilweise sogar direkt von USBStick oder SD-Karte. Der Vorteil ist nicht zuletzt eine höhere Systemstabilität.
Inzwischen ist es gut gelungen, die vielen Features und den einfachen Workflow von DJ-Software in diesen Standalone-Geräten abzubilden. Der Hersteller Pioneer nimmt in diesem Bereich schon fast eine Monopolstellung ein, denn neben den weltweit verbreiteten Mixern der hauseigenen DJM-Serie befinden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zwei Zuspieler mit dem Kürzel “CDJ” in nahezu jedem Club. Das aktuelle Modell “CDJ 2000 Nexus” stellt auf einem großzügigen, farbigen LC-Display sogar eine bewegte Wellenformanzeige dar. Hier findet auch die komplette Navigation innerhalb der Playlisten und virtuellen Plattenkisten statt − nicht per direkter Stichwortsuche, sondern mit Tag-List und Dreh-Encoder. Die kostenlose Software “Rekordbox” für Mac und PC hilft bei der Organisation und Vorbereitung eines DJ-Sets. Hier lassen sich Tempoinformationen, Cueund Loop-Punkte speichern.
Klar, Jog-Wheel und Pitch-Regler sind auch weiterhin vorhanden, sind die BPMWerte aber einmal analysiert, lässt sich von der zuschaltbaren “Sync”-Funktion Gebrauch machen. Für die Kommunikation zwischen mehreren Playern dient die Schnittstelle “Pro DJ Link”, welche mit herkömmlichen LAN-Kabeln arbeitet. Diese Technologie ermöglicht außerdem den Zugriff auf Musikdateien, die über nur ein USB-Medium ins System integriert sind. Nächster Evolutionsschritt ist dann der im letzten Jahr vorgestellte XDJ Aero − die erste All-in-One-Lösung, die dank Wireless-Technik per Smartphone gesteuert werden kann.
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