Taylor Swifts Erfolgsalben Folklore und Evermore überraschten 2020 die Musikwelt mit einer gelungenen Hinwendung zu gefühlvollem Chamber-Pop. Jon Low, bisher vor allem als Indie-Producer bekannt geworden, saß an den Reglern seines Low Pond Studios und berichtet über den interessanten Spagat zwischen musikalischer Intimität und großem Popkino.
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Ich glaube, einer der Hauptaspekte meiner Arbeit – das gilt insbesondere für diese beiden Alben – liegt darin, dass der Mixprozess schon ein wesentlicher Teil der Produktion ist. Ich versuche, die Songs in jeder Phase ihrer Entstehung so perfekt wie möglich klingen zu lassen. Das ist nicht immer ganz einfach, denn oftmals ist noch gar nicht klar, wohin es mit einem Song gehen soll. Sämtliche Bestandteile können sich verändern, alles befindet sich im Fluss – und sollte dennoch zu jeder Zeit möglichst perfekt und damit inspirierend klingen.«
Unser Gesprächspartner ist Jonathan Low. Bei den angesprochenen Alben handelt es sich um Taylor Swifts epochale Werke Folklore und Evermore, beide 2020 veröffentlicht und über alle Maßen erfolgreich – sowohl hinsichtlich internationaler Kritiken als auch der Chart-Positionen; beide erreichten in den USA und in England Nummer Eins. Dabei ist zu bedenken, dass die Alben während der Pandemie veröffentlicht wurden. Die Produktionsarbeiten mussten somit im Lockdown-Modus erfolgen, Promo-Touren waren unmöglich.
From Coast to Coast via Smartphone
Haupt-Produzent und Co-Writer der Alben war Aaron Dessner von The National. Unser Gesprächspartner Jon trat als Engineer, Mixer und generelle Rechte Hand im Long Pond Studio in Erscheinung. Jon und Aaron arbeiteten den größten Teil des Jahres 2020 an beiden Alben in der ländlichen Idylle abseits von New York, während sich Taylor Swift meist in Los Angeles aufhielt.
»Das Ganze fühlte sich anfänglich total unwirklich an«, erinnert sich Jon. »Es gab ja noch kein wirklich eingespieltes Team. Dennoch passierten die Dinge in einem atemberaubenden Tempo: Aaron erstellte instrumentale Songskizzen, und Taylor schrieb darüber Texte und Melodien, die sie uns als iPhone-Voice-Memos schickte. Während unserer Lockdown-Abende im Familienkreis klingelte also regelmäßig das Telefon, und Aaron sagte: »Hört euch das mal an.« Mit weiteren Voice-Memos erhielten wir die wunderschönen Songs, die Taylor, nicht selten in nur wenigen Stunden, über Aarons Skizzen schrieb. Das Arbeitstempo war unglaublich hoch, und wir hatten das Gefühl, die Songs würden sich fast von selbst entwickeln.
Taylors Voice-Memos landeten direkt in Pro Tools. Die extreme Kompression und die Mittenbetonung verliehen ihnen einen ganz besonderen Charakter, der sich mit einer guten Aufnahmekette so gar nicht herstellen ließe. Zudem hatten die Aufnahmen natürlich zahlreiche Nebengeräusche und Übersprechungen. Die Voice-Memos selbst sind nicht auf den Alben gelandet, haben aber ganz entscheidend den musikalischen Charakter und die klangliche Richtung der finalen Songs geprägt.«
Jon Low – analoger Background
Bevor wir uns dem eigentlichen Thema dieses Artikels widmen, drehen wir die Uhr ein wenig zurück und werfen einen Blick auf das Long Pond Studio, den Ort an dem Folklore und Evermore entstanden sind. Dabei lernen wir eine der Personen kennen, die an deren Entstehung maßgeblich beteiligt war: Jon Low.
»Ursprünglich bin ich aus Philadelphia«, berichtet der Engineer und Mixer. »In meiner Jugend spielte ich Klavier, Altsaxofon und Gitarre. Mein Vater ist Elektroingenieur und Musikliebhaber. So lernte ich eine Menge über elektronische Schaltungen und die Reparatur verschiedenster Geräte. Bald baute ich Gitarrenpedale und Amps und nahm mit einem Minidisc-Recorder und ein paar Binaural-Mikros die örtlichen Schülerbands auf. Schließlich belegte ich einen Music-Industry-Kursus an der Drexel University und verbrachte unendlich viel Zeit in deren Aufnahmestudios.
Währenddessen lernte ich Brian McTear kennen. Er ist Produzent und Betreiber der Miner Street Studios, die zwischen 2009 und 2014 meine zweite Heimat wurden. Von ihm lernte ich wirklich eine Menge. Er brachte mir den gesamten Entstehungsprozess eines Albums nahe und weckte meine Leidenschaft, auf unkonventionelle Weise Klänge zu erzeugen. Das Studio besitzt eine Ampex MM1200 2-Zoll 16-Spur-Maschine und ein wunderschönes MCI 400-Pult, welches für mich bald das Maß aller Dinge hinsichtlich des Routings und der Signalwege wurde. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich noch die traditionelle Analogwelt kennengelernt habe, denn in einem Rechner herrscht ein bisschen das »Wild-West-Prinzip«: Es gibt keine Regeln, wie du von A nach B kommst. Diese Freiheit ist toll, kann aber auch sehr hinderlich sein.
Aaron traf ich zum ersten Mal, als er in der Miner Street Aufnahmen für das dritte Album Tramp (2012) der Singer/Songwriterin Sharon van Etten machte. Die beiden nahmen dort Drums auf. Ich mixte schließlich einen Teil der Songs. Danach fand ich mich immer öfter in Aarons Garage-Studio in Brooklyn ein, und eine zunehmend engere Zusammenarbeit entstand. Schließlich zog ich von Philadelphia hoch ins Hudson Valley, um Aaron beim Aufbau des Long Pond Studios zu helfen. Die erste Aufnahme, die dort im Frühjahr 2016 entstand, war das Album Sleep Well Beast von The National.«
Im Long Pond Studio hat sich, abgesehen von einem neu installierten Pult, seit 2016 nicht sehr viel verändert. »Der Regieraum ist wirklich groß, und die Konsole befindet sich in dessen Mitte«, erzählt Jon. »2019 installierte ich dort ein WSW/Siemens-Pult von 1965 – ein riesiges Teil mit 24 Mic/Line-Eingängen und 24 zusätzlichen Line-Ins. Wir nutzen es wie ein Sidecar – die meisten Mikrofonsignale laufen auf ihrem Weg in Pro Tools durch das Pult. Gelegentlich verwenden wir auch unsere Outboard Neve 1064-Mic-Pres. Für die Summierung eines Mixes nutze ich üblicherweise auch das Pult.
Wir hören im Long Pond über ein Paar ATC SCM45-Monitore ab. Sie liefern in diesem riesigen Raum einen wirklich sauberen Klang. Die Decke ist sehr hoch, und die Monitore befinden sich knapp 8 Meter vor der Rückwand. Sie verhält sich recht diffus, und die Seitenwände sind mit Absorbern versehen – so ist der Raum sehr reflexionsarm. Wir haben uns eine ganze Reihe verschiedener Abhörsituationen geschaffen: In meinem Home-Studio arbeite ich mit einem Paar ATC SCM20 und meiner Marantz Hi-Fi-Anlage aus den 1970ern. Aaron kontrolliert den Sound gerne im Auto. Wenn ihm Fehler auffallen, setze ich mich dazu und versuche herauszufinden, was ihn stört.«
Die überwiegende Zeit arbeitete Jon zusammen mit Aaron im Long Pond Studio. Darüber hinaus fand er jedoch auch im vergangenen Jahr mehrfach Gelegenheit für weitere Projekte, darunter The War On Drugs, Waxahatchee und Nap Eyes. Zu Beginn der Lockdowns im Frühjahr 2020 hatte Jon »eine ganze Reihe Mixes in der Pipeline«. An der Westküste musste Taylor währenddessen ihre Lover-Fest-Tour absagen. Um die freie Zeit zu nutzen, richtete sie zusammen mit der Engineerin Laura Sisk ein provisorisches Bedroom-Studio mit dem Namen Kitty Committee in ihrer Wohnung in L.A. ein. Danach begann sie, mit ihrem Produzenten und Co-Songwriter Jack Antonoff, neue Songs zu schreiben.
Ende April holte Taylor schließlich Aaron mit ins Boot. Seine zusammen mit Jon im Long Pond aufgenommenen Electro-Folk-Instrumentals führten dank ihrer impressionistischen Atmosphäre das Projekt in eine ganz neue, entschieden weniger poppige Richtung.
»Aarons instrumentale Skizzen entstanden auf unterschiedliche Weise und waren nicht immer gleich weit ausgearbeitet«, erklärt Jon. »Meist nahm sich Aaron zahlreiche Instrumente und Synths, verschwand im Studio und konstruierte einen Track. Sobald er das Gefühl hatte, etwas Brauchbares sei entstanden, hörte ich mir den Track an, und wir arbeiteten gemeinsam daran weiter. Ich würde diese Skizzen nicht als Demos bezeichnen – sie waren eher schon instrumentale Tracks. Sie sollten Taylor so viel Emotion und Inspiration wie möglich liefern und damit eine Grundlage bilden, auf der sie optimal weiterarbeiten konnte – Melodien erzeugen neue Melodien.«
Musikalische Skizzen
Wie schon eingangs erwähnt, reagierte Taylor sehr schnell auf die erhaltenen Song-Skizzen. Ihre Voice-Memos landeten wiederum umgehend in den entsprechenden Pro-Tools-Sessions. Zu dritt wurden die Songs nun weiterentwickelt. »Taylors Voice-Memos enthielten vielfach Vorschläge, wie etwa den Einbau einer Bridge, Kürzen eines Abschnitts, Ändern eines Akkords oder eines Teils des Arrangements. Aaron lieferte seinerseits ebensolche Vorschläge und erstellte daraus die Arrangements, nicht selten zusammen mit seinem Bruder Bryce.
»Diese Arbeiten verliefen wirklich sehr zügig. Die Interaktion zwischen Taylor und uns war hervorragend – auch über die Entfernung. Wenn wir neue Instrumente einspielten, orientierten wir uns meist an meinen Rough-Mixes aus der Frühphase des Projekts. Darüber hinaus bestimmten natürlich Taylors Texte und Vocals den Werdegang der Songs.«
Für die Skizzen spielte Aaron verschiedenste Gitarren, Keyboards und Synths ein, ebenso Percussion und programmierte Drums. Später ergänzte man akustische Instrumente, darunter Streicher, Drums, Posaune, Klarinette, Akkordeon, Spinett und einiges mehr. Aarons Bruder Bryce kümmerte sich meist um die Orchestrierungen. Die meisten dieser Overdubs wurden extern eingespielt. Jon erhielt sie in Form von Files, die er organisierte und so mixte, dass das daraus entstehende Material wiederum eine Inspiration für Taylors weitere Arbeit darstellte.
Aaron lieferte neun Skizzen und produzierte zehn der insgesamt 16 Songs des Albums. Einer davon wurde gemeinsam von Taylor selbst, ihrem Freund Joe Alwyn und Bon Ivers Justin Vernon geschrieben. Aaron co-produzierte darüber hinaus einen weiteren Song mit Jack Antonoff und Taylor, Letztere co-produzierten wiederum die restlichen fünf Songs. Interessanterweise wurde auch der legendäre Serban Ghenea – derzeit angesagtester Pop-Mixer weltweit – in das Album involviert. Interessant deshalb, weil Aaron die Songs zuvor bewusst vom Pop wegbewegt hatte. Letztlich mixte Ghenea sieben Songs, Jon die übrigen.
»Ich fand es toll, dass Serban mit im Boot war«, berichtet Jon. »Einfach, weil er Dinge macht, die ich gar nicht oder zumindest anders machen würde. Und es hat funktioniert. Die Art und Weise, wie die Vocals im Vordergrund stehen, die Durchsichtigkeit der Mixe – das ist wirklich bemerkenswert. Ein gutes Besispiel dazu ist Epiphany: Da gibt es herrlich viel Raum, und die Vocals erscheinen vollkommen mühelos in das Arrangement eingepasst. Es war wirklich interessant zu hören, was er aus den Songs gemacht hat. Neue Perspektiven bringen fast immer Vorteile.
Wir haben grundsätzlich versucht, den ursprünglichen Charakter der Skizzen zu bewahren. Das war nicht immer ganz einfach, denn in den groß angelegten Arrangements und den zahlreichen Layers ging die rohe Ursprünglichkeit schnell unter. Da ich zunächst allein gemixt hatte, hatte ich zudem ein gewisses »Over-Mixing« befürchtet. Vor allem Folklore verlor in seinen späteren Mix-Phasen möglicherweise tatsächlich ein wenig seiner emotionalen Kraft.
Mit jeder Mix-Version versuchten wir, das Vorhandene weiter zu verbessern. Nicht selten hieß das, einen oder gar mehrere Schritte zurück zu gehen – etwa eine Pianofigur aus einem früheren Mix wieder auszugraben oder von einem Punkt aus weiterzuarbeiten, an dem es noch keine Orchestrierungen gab. Cardigan ist so ein Fall: Trotz meiner diversen Versuche, den Mix zu optimieren, verwendeten wir schließlich eine sehr frühe Version. Wir hatten wiederholt Momente, in denen wir uns fragten, ob es wirklich gut oder laut genug klang. Aber letztlich hatten wir großes Vertrauen in die Songs und ihren Sound.«
Im Flow
Folklore wurde 2020 fertiggestellt und veröffentlicht. Normalerweise wären danach alle Beteiligten neuen Projekten nachgegangen. Da die Pandemiesituation jedoch viele Dinge unmöglich machte und sich Taylor und Aaron noch immer mitten im Flow der Produktion befanden, schrieben sie einfach weitere Songs – und Jon hielt die Stellung hinter dem Mischpult. Im September fanden sich schließlich alle Beteiligten im Long Pond Studio ein, um dort die Making-Of-Dokumentation Folklore: The Long Pond Sessions zu drehen.
Dank Taylors zeitweiliger Anwesenheit war es nun endlich möglich, zusammen im selben Raum zu arbeiten und Taylors Vocals direkt aufzunehmen. Danach erfolgten weitere Sessions bis kurz vor die Veröffentlichung von Evermore im Dezember. Abgesehen von Gold Rush produzierte oder co-produzierte Aaron das gesamte Album. Jon nahm die Mehrzahl der Vocals auf und mixte alle Titel. Die Lead-Single Willow erreichte in den USA Platz Eins, in England Platz Drei und Platz 46 in Deutschland.
»Bei den Vocal-Aufnahmen im Long Pond verwendete ich ein modernes Telefunken U47. Das ist unser Lieblingsmikro – es ist auch bei The National immer dabei. Es geht direkt in das Siemens-Pult und dann über einen Lisson Grove AR-1 Röhrenkompressor und Burl-Wandler in Pro Tools. Taylor arbeitete auch hier sehr schnell. Schon nach ein paar Takes klangen die Aufnahmen perfekt.«
Komplexe Arrangements
Noch deutlicher als bei Folklore verfolgte man nun den Chamber-Pop-Aspekt – einerseits, weil Antonoff hier nur einen Song beitrug, andererseits durch die entsprechenden Instrumentierungen, darunter Glockenspiel, Zimbeln, Flöte, Waldhorn, Celesta und Harmonium. Bevor wir uns den Mix von Willow genauer ansehen, erläutert Jon die besonderen Herausforderungen, die die Verwendung eines solch ungewöhnlichen Instrumentariums mit sich brachte: »Das entscheidende Element waren für mich immer Taylors Vocals. Als ich zum ersten Mal die vorgemixten Vocal-Files hörte, war ich schlicht überwältigt. Sie klangen ganz anders, als ich es von ihren Pop-Songs kannte – dort sitzt ihre Stimme ganz vorn im Klanggeschehen und explodiert förmlich. In diesen rohen Performances hörte ich dagegen so viel Intimität und Interaktion mit der Musik – ihre Phrasierung, ihre Intonation –, das alles ist sehr persönlich und gekonnt eingesetzt. Wir wollten diese Emotionalität unbedingt erhalten.
Und dann die Musik: Hörer von The National wissen sicher, dass die Arrangements von Aaron und Bryce sehr dicht sein können. Sie stehen auf üppige Orchestrierungen, reichlich Percussion, Synths und elektronische Sounds. Wie funktioniert das zusammen mit solch intimen Vocals? Ich versuchte also, so zu mixen, dass die Songs auf zweierlei Weise funktionieren: Ein Gelegenheitshörer wird vor allem von Taylors Stimme in ihren Bann gezogen – und ahnt, dass darüber hinaus noch viel mehr im Song versteckt ist. Lässt man sich dagegen bewusst in die Musik hineinfallen, eröffnet sich das gesamte Arrangement mit seiner ganzen Welt voller wunderschöner Details. Es galt also, die Balance zwischen den herrlich bodenständig klingenden Vocals und den vielen musikalischen Elementen des Arrangements zu finden. Eine besondere Herausforderung lag darin, dass sich wesentliche Elemente von Aarons komplexen Arrangements in den tiefen, warm klingenden Mitten abspielten. Aber auch die Vocals lagen zumeist im Mittenbereich. Außer ein paar Gitarren, Synth-Sounds und Dingen wie etwa Shaker, blieb für die Höhen nicht mehr allzu viel übrig. Unter diesen Voraussetzungen einen klaren und durchsichtigen Mix zu erstellen, war nicht immer ganz einfach.
Das Pro-Tools-Edit-Window von Willow
Der finale Mix war – besonders bei Evermore – wirklich sehr schnell erledigt. Etwa eine Woche vor dem Release-Termin hatte ich das Gefühl, die Songs würden jetzt rundum stimmen. Es war somit an der Zeit, etwas Endgültiges zu schaffen. Dazu mussten noch die Vocal-Lautstärken, die Gesamtlautstärke sowie der Vibe optimiert werden. Ab einem bestimmten Punkt kann man einem Mix nicht mehr viel hinzufügen: Wenn schon Pegeländerungen von nur 0,1dB hörbar werden, bist du sehr dicht dran.
Ich mixe gerne am Pult, mit etwas Outboard im Stereobus. Bei Folklore war das nicht möglich. Weil das Arbeitstempo so hoch war und externe Mixer eingeplant wurden, musste im Rechner gearbeitet werden. Für Evermore habe ich jedoch einige Mixe mit dem Pult erstellt. Davon ist allerdings nur Closure übriggeblieben. Ich habe im Siemens-Pult summiert und einen API 2500 sowie einen Thermionic Culture Phoenix verwendet. Dann ging es via Burl-Wandler zurück in Pro Tools. Auch wenn ich im Rechner mixe, verwende ich gelegentlich noch Hardware-Outboard – allerdings nur zwei Geräte: den Eventide H3000, denn der liefert ein paar Dinge, die ich bisher noch nicht bei Plug-ins gefunden habe, und außerdem den Culture Vulture, der eine wirklich breitbandige Klangformung erlaubt und tolle Zerr-Sounds ermöglicht.
Das Songwriting und die Produktion gingen vielfach Hand in Hand mit Engineering und Mix. Aufgrund der komplexen Arrangements wurden einige der Pro-Tools-Sessions sehr umfangreich, teilweise sogar etwas unübersichtlich. Bisweilen stapelten sich die Plug-ins regelrecht, und manche Sounds wechselten im Arrangement immer wieder ihre Rolle und Funktion. Deshalb ging es im finalen Mix vor allem darum, die Sessions aufzuräumen und umfangreiche Groups zu Stems einzudampfen.«
Die Pro-Tools-Mix-Session von Willow ist mit fast 100 Spuren zwar umfangreich, unaufgeräumt erscheint sie jedoch nicht. Ein kompliziertes Bus-System, wie bei aktuellen Projekten vielfach üblich, findet sich hier nicht. Die Session folgt der klassischen Anordnung und beinhaltet von oben nach unten Drums, Bass, Gitarren, Keyboards, Streicher, Bläser, Vocals, Aux-Effect-Spuren sowie die Master-Sektion. In vielen Instrumenten-Sektionen findet sich jeweils ganz unten eine Aux-Spur, entweder als Group-Track oder mit einem bestimmten Effekt versehen.
Ein paar Sektionen von Jons Mix-Session wollen wir uns näher anschauen: Ganz oben befinden sich sechs grün eingefärbte Drummachine-Spuren. Sie wurden mit einem Teenage Engineering OP-1 eingespielt. Der OP-1 wurde auf dem gesamten Album und insbesondere bei diesem Song reichlich verwendet. Darunter folgen fünf Live-Percussion-Spuren (blau), drei Bass-Spuren (pink) sowie ein Aux-Drums Programming-Track. Des Weiteren finden sich eine Rubber-Bridge-Guitar-Sektion mit entsprechender Aux-Spur, darüber hinaus OP-1 Synth-Spuren, Piano, die »Dream Machine« (Josh Kaufmanns Gitarre) sowie Spuren mit E-Bow, Yamaha-, Prophet X-, Moog- und Juno-Synths, schließlich noch Stems mit Streichern und Bläsern. Lassen wir Jon einige Punkte spezifizieren …
»Die meisten Drum-Tracks hat Aaron mit dem OP-1 eingespielt. Bryan Devendorf, Drummer von The National, programmierte zudem ein paar Beats mit einer Roland TR-8S. Ich habe diese Spuren dann durch einen Fender Rumble-Bass-Amp geschickt. Das klang wesentlich fülliger, etwa wie über das Room-Mic eines Akustik-Sets. Ein akustischer Shaker und der Backbeat vom OP-1 klingen am Anfang des Songs sehr verhalten und werden zum Ende hin lauter. Dadurch wird eine subtile Steigerung der Rhythmus-Sektion erzielt. Alle Drums und Bässe wurden gruppiert und via Hardware-Send durch den Culture Vulture geschickt. Dessen Sättigung erhöht Lautstärke und Präsenz der Beats.
Die Rubber-Bridge-Gitarren sind das wesentliche Element der Instrumente. Sie haben eine mit Gummi umwickelte Holz-Bridge und erinnern klanglich an eine Gitarre mit Nylon-Saiten – sehr perkussiv. Wir nahmen sie über ein Neumann U47 und eine DI-Box auf. Viele dieser DI-Spuren habe ich durch einen Transient Designer geschickt, um das Sustain abzusenken und den Klang knackiger zu gestalten. In der Session erkennt man einen Ordner mit insgesamt fünf Rubber-Bridge-Gitarren. Sie liefern diesen ungewöhnlich klingenden ›Wall of Sound‹.
Die Rubber-Bridge-Gitarren sind recht umfangreich bearbeitet: Ein FabFilter Pro-Q3 beschneidet die Mitten und den Bereich um 10 kHz. Das war notwendig, weil diese Gitarren ziemlich auffällige Höhen entwickeln können und zudem ein ausgeprägtes Low-End besitzen, welches Taylors Vocals in die Quere kam. Ein SoundToys Tremolator betont mit einem Viertelnoten-Vibrato leicht die Akzente im Spiel, und ein UAD Precision K-Stereo macht die Gitarren etwas breiter. Um sie ein wenig vom Beat wegzuziehen, liegt zudem ein Massey CT5 Kompressor mit Kickdrum-Sidechain darauf. Der iZotope Ozone Exciter gibt schließlich ein paar hohe Mitten und etwas ›Glitzer‹ in den Höhen hinzu. Der SoundToys EchoBoy ist so automatisiert, dass er nur in der Bridge hörbar ist – dort vergrößert er den Raum.
Nachdem wir die Rubber-Bridge-Gitarren in den Mix eingepasst hatten, mussten wir uns mit dem Song-Ende befassen. Im letzten Chorus senkt Taylor ihre Stimme um eine Oktave, und gleichzeitig nimmt die Musik an Intensität zu. Wir benötigten eine Menge Automation und Clip-Gain-Gebastel, um sicherzustellen, dass ihre Stimme ausreichend präsent bleibt. Zudem gibt es im Song einige Ambient-Pianos mit Gegenmelodien, die mit den Vocals und Gitarren in Einklang gebracht werden mussten – vor allem im letzten Teil des Songs.
Die meisten Vocal-Spuren besitzen identische Plug-ins und Einstellungen. Auf der Main-Leadvocal-Spur habe ich einen UAD Pultec EQP-1 platziert. Er beschneidet leicht die Tiefen um 30 Hz und betont die 8 kHz – das macht den Sound etwas luftiger und moderner. Danach folgt der Oeksound Soothe. Er räumt mit unangenehmen Resonanzen im oberen Mittenbereich auf. Ein UAD 1176AE und FabFilter Pro-Q3 liefern Beschneidungen bei 200 Hz, 1 kHz, 4 kHz und bei knapp 10 kHz. Mit dem Q3 senke ich gerne Frequenzen ab, Plug-ins mit eher analogem Charakter – etwa Pultec oder den Maag – verwende ich dagegen für Anhebungen. Schließlich nimmt der FabFilter Pro-DS ein paar Dezibel weg. Am Ende der Kette sitzt der FabFilter Saturn2 mit einer warm klingenden Tape-Einstellung.
Unterhalb der Vocals befinden sich deren drei Aux-Effect-Spuren: ›Long Delay‹ – ein Stereo-EchoBoy mit nachfolgendem Federhall-Altiverb – ist im Chorus zu hören. Bei ›Chamber‹ handelt es sich um eine UAD Capitol Chamber. Sie sorgt für eine schöne Dichte und Größe, ohne dabei zu lange auszuklingen. Die Plate-Spur liefert mit einer UAD EMT140 die zugehörige Hallfahne. Beide arbeiten zusammen: Chamber erzeugt den Raum und bestimmt die Position der Vocals im Mix während die Hallplatte für Tiefe sorgt.
Ganz am Ende der Session befindet sich schließlich der 2-Bus-Aux. Er entspricht dem, was ich am Mischpult machen würde. Plug-ins sind hier Massive Passive EQ, UAD API 2500 Kompressor und die UAD Ampex ATR 102. Abhängig vom Song wähle ich 15 ips oder 30 ips. Hier sind es 15 ips mit 1/2″ GP9. Das liefert eine leicht aggressive, aber angenehme Mittenbetonung, die GP9-Simulation besitzt zudem ein ordentliches Low-End. Weiter gibt es noch einen PSP Vintage Warmer, den Sonnox Oxford Inflator und einen FabFilter Pro-L2. Keines dieser Plug-ins macht etwas deutlich Hörbares – im Zusammenspiel liefern sie mir jedoch einen gewissen, ›analogen‹ Mix-Chain-Charakter.