Interaktives Hörspiel »Cura« – Interview mit Tontechniker Björn Funk
von Nicolay Ketterer,
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Als »Herzensprojekt« hat Björn Funk mit einem Drehbuchautor und einem Produzenten an einem binauralen Hörspiel gearbeitet, bei dem der Hörer den Handlungsverlauf mitbestimmen kann. Dazu baute er eine eigene Tonkabine und engagierte 70 Sprecher. Über die Idee, ein interaktives Hörspiel mit 40 Stunden Material zu produzieren … 3.000 Drehbuchseiten und fünf Jahre später.
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Hörspiele werden in ihrer Nische etwa vom Rundfunk oder Verlagen produziert, mit Sprechern und Geräuschen, Regisseur und Autoren – nicht selten mit aufwendigen Budgets. Der Mediengestalter Björn Funk hatte 2015 die Idee zu einem interaktiven Hörspiel, beidem der Hörer entscheiden kann, wie es weiter geht. »Cura«,so der Name, hat Funk fünf Jahre lang als binaurale Low-Budget-Produktion mit professionellen Sprechern in den Hauptrollen realisiert.
Die Idee entstammte der »1000 Gefahren «-Reihe vom Ravensburger Verlag, als er abends seinem Sohn vorlas. »Dort muss sich der Leser zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden und auf der jeweiligen Seite weiterlesen. Das interaktive Prinzip kenne ich auch aus Computerspielen. «Im Hörspiel nutzt der Fahrradkurier Sergeij die erfolgreiche wie geheimnisvolle App »Cura« – Funk vergleicht das Format etwa mit »Pokemon Go «,wo Nutzer virtuelle Monster in ihrer Umgebung sammeln: »Die Spieler bekommen bei ›Cura‹ Aufträge im realen Leben. «Die Belohnungen entsprechen überraschenderweise genau Sergeijs Bedürfnissen, so Funk. Der Fahrradkurier steigt in der Hierarchie auf, bekommt Untergebene – und erhält Zugriff auf deren Smartphone, kann jederzeit deren Kamera und Mikrofon einschalten. Aus der Vernetzung entwickelt sich eine Dystopie, die zum Zusammenbruch der Gesellschaft führt. Der Hörer muss Entscheidungen treffen, wieder Protagonist handeln soll. Je nachdem geht die Erzählung weiter – oder der Fahrradkurier stirbt. Die Produktion richtet sich an junge Erwachsene. Ein Freund Funks, Sebastian Fischer, war vom Konzept so angetan, dass er die Produktion finanzierte. Funk gewann mit Konrad Bach einen professionellen Drehbuchautor für sein Projekt.
Funk selbst wohnt in Berlin. Der studierte Historik er arbeitete früher als Redenschreiber im Politikbetrieb, suchte eine Veränderung. »Ich war im Hobby-DJ im Bereich Trance und Hardtrance und interessierte mich für Musikproduktion.« Er absolvierte eine Umschulung zum Mediengestalter Bild und Ton. »Dadurch habe ich vier Berufe erlernt – Licht, Ton, Kamera und Schnitt. Ohne Spezialisierung war es schwierig, in der Branche Fuß zufassen – der Lebenslauf deutet nicht an, dass jemand mehr als die Grundlagen kann. «Erhofft, das interaktive Hörspiel auch als »Aushängeschild« zu nutzen. Zwischen durch hatte er andere Jobs, über die letzten zwei Jahre sei die Arbeit praktisch sein Hauptberuf gewesen.
Herausforderung Organisation
Ursprünglich entwickelte das Dreigestirn aus Funk, Drehbauchautor Bach und Produzent Sebastian Fischer die Idee mit möglichen Abzweigungen, Bach schrieb die Geschichte. »Am Ende existierten gut 100 Word-Dateien«, erinnert sich Funk. »Allein der Schritt, die logischen Anschlüsse zu überprüfen, dauerte eine Woche.
«Zur Organisation des Texts verwendete er Excel – die Inhalte musste er manuell kopieren, aufgrund der komplexen Drehbuch-Formatierung. »Das nahm rund 15 Monate in Anspruch. Dabei schätzte ich grob ein, wieviel Zeit die jeweiligen Texte im Hörspiel beanspruchen. «Das Projekt legte er in Steinberg Nuendo an. »Dort durften keine allzu großen Überlappungen entstehen, um die Sprecher nicht zu verwirren, wenn ein anderer Abschnitt in ihren Text rein läuft.«
Sein Nuendo-Projekt enthielt 40 Stunden Audiomaterial, mit allen Entscheidungsvarianten. »Eine Entscheidung verändert oft nur Nuancen. «Er identifizierte ähnliche Verläufe, um den Produktionsaufwand zu reduzieren. »Am Ende ließen sich über 3.000 Drehbuchseiten auf rund 350 Seiten eindampfen, die ich aufnehmen musste «, meint er schmunzelnd.
Eine eigene Tonkabine im Wohnzimmer für die Sprachaufnahmen konstruierte er aus doppeltverschal+ten Rigipswänden, dazwischen 10 Zentimeter Steinwolle zur Isolation. »Für die binaurale Bearbeitung sind recht trockene Aufnahmen sinnvoll, eine fertige Kabine kostet allerdings 9.000 Euro aufwärts.« Funk hatte ein Buch zum Thema Studioakustik gelesen, entschied sich für den Selbstbau.
»Um Sichtkontakt zu gewährleisten, baute ich ein Fenster mit Doppelverglasung ein, A-förmig zueinander versetzt, um da zwischen keine stehenden Wellen entstehen zulassen. Bei Glas und Rigips sind die Außen- und Innenwände in unterschiedlicher Stärke ausgeführt, um gleiche Resonanzfrequenzen zu vermeiden. «Um Erstreflexionen gut zu absorbieren, polsterte Funk die Kabine mit Basotect aus. »Dazu baute ich auf Kopfhöhe drei Absorber ein. Am Ende entstand eher das Problem, dass die Kabine trocken, aber recht dumpf klang, mit einer Überbetonung bei 200 Hertz. Um diese Raumprägung halbwegs in den Griff zu bekommen, habe ich auf den Aufnahmen das Zynaptiq Unfilter-Plug-in angewandt.«
Beim Sprechrollen-»Marathon« kamen insgesamt 70 Sprecher zum Einsatz. Für die Hauptrollen engagierte Björn Funk professionelle Sprecher – darunter der »Dogs of Berlin«-Schauspieler Eray von Eğilmez, der die Hauptfigur Sergej spricht. Mit Internet-Sternchen und Synchronsprecherin Lara Trautmann, die etwa im Spiel »Resident Evil 7« spricht, wollte Funk einen prominenten Namen an Bord haben. Für kleinere Rollen hat Funk Amateure über Twitter rekrutiert. Dazu kamen namhaftere Personen, die ihre »eigene Rolle« spielen sollten: »Ein Moderator des Radiosenders RBB1 sowie die Chefreporterin der Bild am Sonntag im Politikressort, Miriam Hollstein, die ich kannte. Da ich an mehreren Stellen eine Journalistin haben wollte, passte das gut.«
Nach Möglichkeit ließ Funk auch bei der Umsetzung Liebe zum Detail walten: Im Hintergrund einer Szene läuft etwa ein Interview mit dem amerikanischen Erfinder der App. Das ließ Funk ins Englische übersetzen und von einem amerikanischen Sprecher einsprechen. »Im Anschluss wurde der Text von einem Simultandolmetscher praktisch unter Echtzeitbedingungen rückübersetzt, um Authentizität zu vermitteln.«
Die Sprachaufnahmen dauerten rund ein Jahr. Er nutzte ein Aston Origin-Großmembran-Kondensatormikrofon über einen SPL Channel-One-Preamp, dazu sein RME Fireface-802-Interface. »Die Aufnahmen machte ich über das Taker-System von Nuendo, praktisch wie Synchronaufnahmen. Das basiert auf der Markerspur: Liegt ein Video an – in meinem Fall ein schwarzer ›Platzhalter‹ – lässt sich der zu sprechende Text einblenden. Wie in einem Synchronstudio läuft ein Countdown rückwärts, der zwei Balken laufen aufeinander zu. Treffen sie in der Mitte aufeinander, folgt der Sprecheinsatz. So lassen sich die Aufnahmen Stück für Stück durchgehen. Durch das Taker-System konnten die Sprecher ihren Vorredner hören und emotional passend ansetzen.«
Binaurale Mischung für Kopfhörer
Funk nutzte einen binauralen Ansatz, um den Hörer gefühlt in den Kopf des Protagonisten zu versetzten. Der Effekt funktioniert vor allem mit Ohrhörern. »Uns war klar, dass das interaktive Hörspiel als Apprealisiert werden muss. Dadurch lässt sich davon ausgehen, dass die meisten das per Kopfhörerhören.
«Zur Umsetzung nutzte er Ambisonics-Spuren in Nuendo. Das 3D Audio-Wiedergabeverfahren setzt normalerweise auf möglichst viele Lautsprecher im Raum, kann allerdings auch in Kopfhörern »virtuell« dekodiert werden. Die »herkömmliche« Erzähler-Stimme blieb von der 3D-Bearbeitung ausgenommen. »Sie liegt direkt in der Mitte. Hier findet beim Hörer die normale› Im-Kopf-Lokalisation‹ statt, wie generell bei nicht-binauralem Material über Kopfhörer. «Für das restliche Material – weitere Stimmen, Geräusche und Musik – erstellte er Ambisonics-Gruppenspuren, die er über das DearReality Dear-VR Pro-Plug-in im virtuellen Raumverteilte. Eigene Atmos – wie eine Restaurant-Szene – nahm er mit einem Sennheiser Ambeo-VR-Mikrofon mit vier Nierenkapseln für 360-Grad-Aufnahmen im Ambisonics-Format auf. »Ich besaß einen Zoom F8-Rekorder, mit dem ich bereits Set-Ton aufgenommen hatte, mit Ambisonics-Update. «Bei anderen Geräuschen – etwa für die Konzertszene – griff er auf die »Boomsound«-Geräusche-Library zurück.
Hört man über Stereo-Lautsprecher statt über Kopfhörer, ist eine leichte Schärfe im Höhenbereich wahrnehmbar – ein unangenehmer Nebeneffekt, so Funk. »Auch mute ich dem Hörer in manchen Szenen einiges zu – im Restaurant reden beispielsweise viele Stimmen übereinander. Über Lautsprecher werden die Szene nun übersichtlich, da Tiefenstaffelung außerhalb des Kopfhörers verloren geht.«
Liebhaber-Projekt als Chance?
Die investierten Kostenbetrugen über fünf Jahre zwischen 15.000 und 20.000 Euro – so gesehen Low-Budget in Reinform. »Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit«, betont Funk. Die App wurde im Auftrag programmiert, sie ist im Apple-App-Store für iOS sowie im Google-Play-Store für Android erhältlich. Teaser sind für Interessierte auf Funks Website hörbar.