Doozzoo – Web Conferencing Tool für den Live-Musikunterricht
von Redaktion,
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Bequem von zu Hause aus oder ortsungebunden, flexibel, effizient, individuell angepasst – alles Merkmale (Attribute) einer modernen Dienstleistung, zu der auch der Musikunterricht gezählt werden kann. 2016 haben wir in KEYBOARDS drei Online-Unterrichtsmodelle der Anbieter Skoove, Flowkey und music2me vorgestellt, die auf Grundlage ihres eigenen Lernmaterials, ansprechender Visualisierung und mit Hilfe einer flexiblen Progression den Unterricht gestalten, sie bieten jedoch letztlich keine echte kommunikative Unterrichtssituation.
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Für manche reicht das aus, doozzoo hingegen rückt die Komponente Lehrer/Schüler verstärkt in den Fokus, so dass nun eine Lernsituation mit Feedback und echter Kommunikation entsteht, an der beide Parteien an verschiedenen Orten am Unterrichtsgeschehen teilnehmen. Die Corona-Situation hat die Dringlichkeit digitaler Unterrichts-Alternativen unter Beweis gestellt, sei es als Ergänzung oder als Ersatz des herkömmlichen Unterrichts.
Der Besondere ist, dass doozzoo weder Lehr/Lerninhalte liefert noch Lehrpersonal vorhält sondern letztlich die Rolle einer pädagogischen Online-Plattform übernimmt, die auf das Unterrichtsgeschehen zugeschnitten ist und Lehrende und Lernende, Lehrer und Schüler, Workshop-Leiter und Teilnehmer vernetzt. Somit übernimmt doozzoo die Rolle eines Web Conferencing Tools, das speziell auf den Live Unterricht zugeschnitten ist.
Ich hatte die Möglichkeit mit Thomas Gier zu sprechen, der einer der Initiatoren von Doozzoo ist. Als Kontrabassist und Lehrer fing er bereits 2014/15 an Online zu unterrichten (xmondo) und forschte fortan an den Problemen der eingeschränkten Synchronität, Verzögerung und Klangqualität. Zusammen mit Christoph Pelz 2017 gründete er doozzoo, 2021 wurde doozzoo Teil der C. Bechstein Digital Company und mit einem erweiterten Team von ca. zwölf Mitarbeitern weiterentwickelt.
Den Entwicklern um Thomas Gier geht es aber nicht ausschließlich um den technischen Aspekt der Signalübertragung des Web-Conferencing, sondern von vornherein standen auch die praktischen pädagogischen Optionen im Fokus – denn ein wichtiger Punkt des Workflows im Unterricht liegt in der Einbindung und Verwaltung digitaler Medien, sei es das Nutzen eines Metronoms, eines Audio- und Videoplayers oder das Anzeigen von Noten-PDF’s. Wohl jeder Lehrer hat von Schülern den Satz gehört: „Ich hab‘ die Datei nicht bekommen oder ich finde sie gerade nicht“. Für den Lehrer und Schüler ist ein gutes Ordnungssystem der Unterrichts-Materialien von Vorteil – diese administrativen Anforderungen werden durch die Medien-Bibliothek erleichtert, die vergleichbar mit Soundcloud oder Dropbox einen Zugriff der Schüler auf die eingelagerten Medien auch außerhalb der Unterrichts-Session ermöglicht. Der Clou dabei ist, dass der Lehrer jedes Medium individuell mit jedem einzelnen Schüler teilen kann (oder auch nicht), so dass jeder Schüler in seinem Ordner die frei gegebenen Dateien aufrufen und auch downloaden kann.
Folgende Big Points reklamiert doozzoo für sich:
Durch die „lokale Latenzkompensation“ können Lehrer und Schüler synchron zu Metronom und Playalongs spielen. So ist es auch möglich rhythmisch bezogenen Unterricht online durchzuführen. Die Klangqualität reicht bis zu bis 192 kb/s bi-direktional und kann ggf. reduziert werden, wenn die Online-Verbindung es nicht hergibt.
5 Apps für den Musikunterricht stellen hilfreiche Tools bereit: Metronom, Stimmgerät, virtuelles Keyboard, Rekorder für Audio und Video, Mixer (für Ein- und Ausgangssignale). Die Apps können vom Lehrer ferngesteuert werden (z.B. Start/Stop oder Tempoeinstellung).
Eine integrierte Medien-Bibliothek sorgt für den schnellen Zugriff auf Audio, Video und PDF-Dateien, die mit dem Schüler geteilt werden können. Je nach doozzoo-Version stehen zwischen 500 MB bis zu 20 GB zur Verfügung.
Weitere allgemeine Tools für Videokonferenzen wie z.B. der Einsatz mehrerer Webcams, Bildschirm teilen, etc. sind Teil des angebotenen „hochskalierten Videonetzwerks mit größtmöglicher Stabilität“.
Handling, Einstieg und Kosten
Doozzoo ist leicht zu bedienen und zu installieren. Es ist keine Programm-Installation notwendig, die Plattform läuft Browser basiert. Die besten Klang-Resultate liefert Chrome, mit Firefox und Safari funktioniert es auch, allerdings ist z.B. Firefox in der Klangqualität auf 64kBit/s beschränkt während Chrome 192 kBit/s überträgt. Doozzoo funktioniert auf den Plattformen Win 10, MacOS, Android und iOS. Dem Aspekt Daten-Sicherheit wird mit einer Ende zu Ende Verschlüsselung Genüge getan. Für Schüler fallen keine Nutzungskosten an, Vertragsnehmer sind die Lehrenden, die doozzoo in vier verschiedene Preisstaffeln nutzen können.
In der Free-Version ist doozzoo kostenlos nutzbar für 2 Schüler bzw. 2 Einzelunterrichte ohne Zeitbegrenzung. Die Medienbibliothek umfasst 500 MB, alle Apps sind nutzbar, ein Video kann aufgezeichnet werden (siehe dazu weiter unten). Bei Neuanmeldungen gibt es eine 30 Tage Schnupperfrist mit den Möglichkeiten der Pro Version.
Für 9,95€ (Go-Version) monatlich darf das Schülerkontigent auf 10 steigen und ein Gruppenunterricht mit 5 Schülern ist möglich, 5 GB an Medien können gespeichert und eingesetzt werden. Umgerechnet wird für jeden Schüler 1 EURO im Monat fällig, ein Betrag der sich beim Nutzen einer Jahresrate und nach Absetzen von der Steuer reduziert.
Mit 29,95 € (PRO Version) im Monat für 50 Schüler und Gruppenunterricht mit bis zu 20 Personen erhält man 10 GB Speicher für sein Unterrichtsmaterial sowie einen eigenen Workshopraum mit individuellem Raumnamen. Eine Unterrichtssession mit der Lehrerkamera kann aufgezeichnet werden und von den Schülern auch nach Unterricht genutzt werden.
Für Musikschulen und Musikhochschulen stehen individuelle Angebote mit unbegrenzter Schülerzahl, unbegrenzten Workshopräumen und einer zentralen Verwaltungsebene bereit. Hier gibt es auch spezielle Möglichkeiten für Aufnahme und Abschlussprüfungen der Musikhochschulen nach dem Motto: „Chancengleichheit ohne Reiseaufwand“ mit technischer Betreuung durch das doozzoo-Team.
Für Schüler ist doozzoo komplett kostenfrei. Schüler haben dabei auch die Möglichkeit alle Funktionen auch zum Üben daheim zu nutzen. Sie können nur selber keinen Session starten, sondern nur dem Unterricht eines Lehrers beitreten.
Für die Unterrichtssessions stellt doozzoo zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Standard Sessions sind nur für eingeladene, verbundene Schüler erreichbar und werden durch zufällig generierte Raumadressen zusätzlich abgesichert. Workshopräume hingegen sind wie bei herkömmlichen Webconferencing Anbietern über eine feste Adresse erreichbar und als eine Art öffentlicher Veranstaltungsraum gedacht, an dem auch nicht bei doozzoo registrierte Gäste teilnehmen können. Beide Raum-Varianten lassen sich vom Lehrer aus abschließen, so dass Teilnehmer nur über einen Warteraum eintreten können. Die Kündigungsfrist ist monatlich oder bei Jahresbeitrag zum Ablauf des Vertragsjahres.
Praxistest
Erster Eindruck: Doozzoo ist sehr gut durchdacht und übersichtlich strukturiert. In einer „Pre Session“ wird die Latenz des eigenen Systems überprüft und die Laufzeit-Unterschiede zwischen dem ankommenden Signal und des eigenen Mikrosignals gemessen und automatisch eingestellt – es ist auch möglich, den Latenzwert manuell zu ändern. Zudem ermöglicht doozzoo hier die Wahl zwischen zwei Modi. Der Kopfhörer Modus setzt die Verwendung von Kopfhörern voraus und ermöglicht einen freien Klang ohne störende Sprachverbesserungsfilter herkömmlicher Anbieter. Mit dem Lautsprechermodus ist das Betreiben von doozzoo ohne Kopfhörer möglich, wobei Echo Reduktionsfilfter zugeschaltet werden, die zu Lasten der Klangqualität gehen können. Zusätzlich kann ein Noise-Filter gegen Lüftergeräusche und eine Auto-Gain Steuerung zur automatischen Pegelanpassung zugeschaltet werden.
Auf der Eingangsseite wird auch die Verbindung von Lehrer und Schüler erstellt. Die Unterrichtsverbindung kommt zustande, indem der Lehrer einen Einladungslink verschickt und der Schüler sich mit diesem einloggt und sein Profil erstellt.
Ist das Programm gestartet, gewährleistet die blaue Menüleiste den Zugang zu allen Features. Die Icons bedeuten von links nach rechts: Session beenden, Chat öffnen, Medien-Bibliothek aufrufen, Apps anzeigen, Videokamera wechseln (falls verfügbar), Videokamera an/aus, Mikrofon an/aus, Spielrichtung (Lehrer-Schüler und umgekehrt), Session mitschneiden, Bildschirm teilen, Session Adresse kopieren (für Gäste). Durch das Teilen des Bildschirms ist es möglich den Schülern z.B. das Fenster des geöffneten Notensatzprogrammes Sibelius zu zeigen um dort Eintragungen bzw. Annotationen während des Unterrichts vorzunehmen.
Die Lehrer- und Schüler-Version unterscheiden sich, der Lehrer hat mehr Eingriffs- und Verwaltungsoptionen. Das beginnt beim Einladen und Einlassen in den Unterrichtsraum bis hin zum Freigeben der Materialien, individuell für jeden Schüler.
Die Apps als nützliche Helfer
Die Freigabe der Apps für Schüler ist abschaltbar, die Kontrolle bleibt erhalten – das ist vor allem im Gruppenunterricht sinnvoll. Das Metronom enthält neben der Tempo-Änderung (TAP) auch 9 verschiedene Taktarten und unterschiedliche Akzente der Zählzeiten (als Vorgabe).
Der AudioPlayer wartet mit sehr nützlichen Goodies auf wie Loop, Pitch und Tempo, Looper, Pitch-Shifter und Slow-Downer. Der Audioplayer öffnet sich, wenn in der Mediathek eine Musikdatei angeklickt wird. Im Mixer wird die Balance von Mikro, Metronom und virtuellem Keyboard vorgenommen. Das Keyboard kann per Maus oder direkt mit der Computer-Tastatur gespielt werden. Eine MIDI-Anbindung soll noch im April ermöglicht werden.
Der Recorder zeichnet wahlweise eine Audio-, Videokamera & Audio- oder Bildschirm inkl. Audio als Video Datei auf. Aus Datenschutzgründen kann nur die Lehrerseite aufgezeichnet werden. Die Audio-Dateien können geschnitten und so in der Länge angepasst werden. Die lokale Latenzkompensation verrichtet einen guten Dienst, es ist möglich zum Metronom und zur Audiodatei zu spielen und der Lehrer bekommt einen aussagekräftigen Eindruck der Darbietung des Schülers.
Neu ist die Möglichkeit eine angezeigte PDF mit Pointer, Stift oder Marker zu bearbeiten und z.B. den Mauszeiger als bunten Punkt zu verwandeln um eine bestimmte Positionen zu kennzeichnen, oder um Hinweise und Zeichen zu schreiben.
Zur Technik
Der Zeitversatz (Overall-Latenz) im Internet in der Verbindung zwischen den Rechnern von Lehrern und Schülern ist eine Herausforderung. Es gibt die reine Übertragungslatenz von Rechner über Router, Internet zur Gegenseite und zurück, sowie die Roundtrip Latenz, die es benötigt ein Audiosignal analog digital zu wandeln. Die Höhe der Roundtrip Zeit hängt dabei von der Qualität des Audiointerfaces ab. Doozzoo umgeht das Problem, indem die Verzögerung der beiden Signale gemessen und ausgeglichen wird. So hört der Schüler das Playback oder das Metronom mit Hilfe der Apps und spielt dazu – der Lehrer bekommt den synchronisierten Mix des Schüler-Mikros und des Playbacks zurück und kann so das Schüler-Timing beurteilen. Das gilt auch für die umgekehrte Richtung, wenn der Lehrer zu einer App/Metronom vorspielt – in doozzoo gibt es einen extra Button, um die Synchronisations-Richtung Lehrer-Schüler oder Schüler- Lehrer festzulegen. Im Verbund mit der guten Klangqualität sind m.E. die wesentlichen Anforderungen an den Unterricht erfüllt.
Ausblick
An dem Latenz-Phänomen wird weiter gearbeitet und Thomas Gier sprach von zwei viel versprechenden Echtzeit-Ansätzen. Ein weltweit gleichzeitig einstartbares Metronom existiert bereits als Prototyp und wird bereits von Betatestern verwendet. Dabei wird die absolute Internetzeit als Referenz genommen und der Offset-Wert der einzelnen Teilnehmer wird kompensiert. Das Ziel ist eine Echtzeitübertragung von Audio mit Videobild unter die magische Grenze von 20ms zu bringen um so das gemeinsame Musizieren zu ermöglichen. Ein anderer Ansatz liegt der Integration eines virtuellen 88-Tasten Keyboards in doozzoo, das per MIDI Signal angesteuert werden kann – damit können dann auch die gespielten Tasten visualisiert werden. Dieses Web MIDI Feature kann grundsätzlich im Chrome-Browser genutzt werden.
Fazit
Doozzoo stößt ein weiteres Online-Tor für den Unterricht auf, mit der lokalen Latenz-Kompensation wird das Verzögerungsproblem elegant umschifft. Die Qualität der Klangübertragung ist sehr gut, die Apps und die Conferencing Tools sind auf die Belange des Unterrichts abgestimmt und des gibt auch eine Free-Version für den Einstieg – alles in allem ein starkes Angebot. Tipp: Für Interessenten lohnt es sich auf jeden Fall das Einführungsvideo auf der doozzoo Homepage anzusehen (ca. 20 Minuten) und bei Fragen die sehr gut dokumentierte FAQ Hilfe zurate zu ziehen.