Am Rechner nachproduziert: Harry Styles – As It Was
von Henning Verlage,
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In dieser Workshop-Reihe zeigen wir, wie und mit welchen Tools sich aktuelle Charthits und zeitlose Klassiker zu Hause in der eigenen DAW (nach-)produzieren lassen, um daraus Techniken und Ideen für eigene Produktionen zu entwickeln. Dieses Mal haben wir uns die alle Streaming-Rekorde brechende Single As It Was von Harry Styles für euch angeschaut.
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De/constructed live
Die De/constructed-Folge zu diesem Artikel gibt es live am 13.12.2022 um 19:30 Uhr!
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Geschrieben und produziert wurde der Song von Harry Styles und seinem angestammten Team um den britischen Songwriter und Produzenten Kid Harpoon sowie den in Nashville und Los Angeles beheimateten Tyler Johnson. As It Was ist für mich ein Anwärter auf den Titel »Hit des Jahres«: Er vereint gekonnt große Pop-Melodien mit britischem Indie-Charme, klingt zugleich rough-rockig und doch schnörkellos, energisch nach vorne treibend wie melancholisch.
Die nostalgischen Synths, Keys und schwebenden Gitarren erinnern an 80er-Jahre-Wave und damit an die große Zeit von Synthpop-Bands wie Depeche Mode oder A-ha. Passend dazu wird ebenfalls auch der Überhit des Jahres 2019 Blinding Lights von The Weeknd Inspirationsquelle gewesen sein, wofür neben der generellen Stimmung und soundlichen Ausrichtung auch ein ähnlicher Drumbeat mit einem Tempo von 174 bpm spricht.
Drums & Bass
Harry Styles geht dennoch einen eigenen Weg, der organischer und Band-orientierter klingt. So sind die Drums zwar einerseits einem starren Drumcomputer-Pattern nachempfunden, das im Songverlauf wenig bis gar nicht variiert, gleichzeitig klingen sie aber rockig gespielt, was auf eine hybride Mischung aus Programming und Recording schließen lässt.
In unserem Fall verfahren wir ähnlich: Das zweitaktige Grundpattern ist mit nur wenigen Velocity-Abstufungen sehr geradlinig und geloopt programmiert, wodurch gerade die Hi-Hats und Ride-Becken gewollt künstlich wirken. Der Sound orientiert sich allerdings nur wenig an Vintage-Drumcomputern, sondern eher an gespielten Rockdrums. Für den Hybridcharakter besteht jedes Instrument aus einem Layer. So ist die Kick aus einer programmierten, einem charakteristisch eher »dirty« klingenden Sample und einer »realen« Kick zusammengesetzt. Die Snare besteht aus einem in Battery gelayerten Oberheim-DMX-Sample und einer klassischen Brass-Snare. Hi-Hats und Ride stammen wiederum aus den XLN-Audio Addictive Drums (»United Pop«), wobei das Ride noch mit weiteren Samples gedoppelt wird, die mit dem XLN-Audio »RC-20 Retro Color«-Multieffekt stark bearbeitet werden.
Die gesamte Drumssumme wird für einen dichteren Sound mit dem UAD Distressor parallel mit geringem Mischungsverhältnis komprimiert (ca. 25 %, bis ca. 9 dB Gain Reduction) und mit dem SIR Audio Tools Standard Clip leicht angezerrt (63 % Softclip Classic). Das große Finale des Songs wird durch ein freistehendes Drumfill eingeläutet. In diesem Moment übernehmen gefühlt die Rockdrums das Zepter. Dies wird auch durch einen weiteren Kompressor (UAD 1176LN) unterstützt, der genau an dieser Stelle per Automation parallel über einen Send angesteuert wird und die Drums nochmal hörbar verdichtet.
Instrumente
Bass
Im gesamten Song füllen nur diffuse Synthbässe mit langen Notenwerten auf den Grundtönen D, H, E und A das Lo End, in den Versen ist sogar nur wenig Bass zu hören. Wir nehmen hierfür den Arturia Mini V mit einem über die Filterhüllkurve langsam sweependen Sound, der in den Strophen entsprechend leiser geregelt ist. Im Chorus wird der Bass mit einer weiteren Instanz desselben Synths für mehr Fatness gedoppelt. Bewegung entsteht durch eine eher fühl- als hörbare 16tel-Sequenz sowie einen rhythmisch gespielten Akzent auf Basis einer Rechteckwelle aus dem Steinberg Retrologue.
Gitarren
Die Gitarren nehmen bei As It Was eine Sonderrolle ein, denn sie sind sowohl die harmonisch-musikalische wie auch die soundcharakterliche Basis der Produktion. Hier gibt es vier Funktionen: eine wavige Singlenote-Line, die den gesamten Song über zu hören ist und die die Rhythmusgitarre darstellt, zwei schwebende, verhallte Melodie-Gitarren in höheren Lagen sowie eine Mute-Gitarre, die teils das Hauptthema abdoppelt, teils ebenfalls eine rhythmische Rolle einnimmt.
Gerade der Sound der Wave-Gitarre ist sehr speziell. Grundlage bildet die Solemn Tones The Odin II, eine VST-DI-Gitarre, die zunächst durch das Native Instruments Guitar Rig 6 (»Will this ever end«) verstärkt wird und ihren wavigen Sound durch das Freeware Plug-in TAL-Chorus-LX erhält. Für den Sample-Charakter spielt sie eine Oktav höher und wird dann durch den Waves Soundshifter wieder um eine Oktav nach unten transponiert. Das hat einen gänzlich anderen Soundcharakter zur Folge, als gleich in der unteren Lage zu spielen. Der Waves S1-Imager verengt das Stereobild Richtung mono, und über einen Send wird zusätzlich das Soundtoys Little Alter Boy Plug-in als Octaver angesteuert. Für die übrigen Gitarren kommen die MusicLab-RealLPC- und die Electric-Mint-Gitarre von Native Instruments samt jeweils eigenen Guitar-Rig-Instanzen zum Einsatz.
01–03 Die Kick besteht aus einem Layer aus drei jeweils für sich genommen unterschiedlichen Charakter-Sounds.
01–03 Die Kick besteht aus einem Layer aus drei jeweils für sich genommen unterschiedlichen Charakter-Sounds.
01–03 Die Kick besteht aus einem Layer aus drei jeweils für sich genommen unterschiedlichen Charakter-Sounds.
04 Der RC-20 »Retro Color«-Effekt auf dem Ride-Becken sorgt für einen künstlichen, kaputten und noisigen Sound. Maßgeblich hierfür sind vor allem der Bitcrusher und die Noise-Einheit mit Follow-Funktion.
05 Basslieferant ist der Arturia Mini V Minimoog-Clone mit den abgewandelten Sounds »Bassouah« für Verse und Chorus sowie »Compressor« zusätzlich im Chorus.
06+07 Solemn Tones »The Odin II DI«-Gitarre ...
... und der Soundtoys Little Alter Boy als Octaver
08–10 Der modulierende Klangteppich wird mit den auf der Pad-Gruppe nacheinander geschalteten Plug-ins Flair ...
... und Freak von Native Instruments ...
... sowie Phase Mistress von Soundtoys kreiert.
11 Fundus für nostalgische und nicht alltägliche Sounds: »Analog Dreams«-Library für N.I. Kontakt
12 Analoger Bandmaschinensound mit dem Kramer Tape von Waves
13 Das Pattern in Steinberg Cubase Pro 12
Pads
Auch die Pads erzeugen eher Atmosphäre als konkrete Chords. Es handelt sich hierbei um ein Layer aus Arturia Farfisa Orgel (»Slo Mo Sad Scene«), Omnisphere (»Andromeda – Darkness Inside«) und Arturia CMI-V Fairlight (»Sararr«). Es werden die Grundharmonien gespielt, allerdings sorgen verschiedene Modulations-Effekte für einen sich ständig bewegenden diffusen Klangteppich. Valhalla Shimmer erzeugt per Send angesteuert eine weitere Dimension.
Leadsynths
Das einleitende Leadthema hat in seiner Einfachheit etwas kindliches, ist damit aber auch gleichzeitig das einprägsame Audiologo und Earcandy von As It Was. Der nostalgische Sound stammt aus der N.I. Kontakt-Library »Analog Dreams« (»Jupiter Spikes«, modifiziert) und wurde zusätzlich mit dem XLN-Audio RC-20 Retro Color auf »alt« getrimmt.
Für das große Finale sind Tubular Bells immer ein Garant. Zusammen mit einem oktavierten Klavier spielen sie eine absteigende Notenfolge in Vierteln und verleihen dem Song eine in diesem Fall nicht kitschige Größe.
Arrangement und Master
Das Arrangement basiert auf einem typischen 4-Chord-Schema mit der Folge Dmaj7, H-moll, E, A. Im Intro und im Schlussteil wird jedoch ein Kniff angewandt, um davon gefühlt kurz abzuweichen. Hier wird das Lead-Thema solo ohne Begleitung gespielt, und es entsteht der Eindruck, der kommende Part würde mit »H-Moll« beginnen. In Wirklichkeit wird nur der erste Chord »D« weggelassen, und der restliche Part besteht nur aus den übrigen drei Harmonien. Einfach, aber sehr wirkungsvoll.
Für den nostalgischen Sound können wir auf dem Masterbus nicht auf Tape verzichten, und so durchläuft die Summe das Waves Kramer Tape, gefolgt vom Brainworx V3 Mastering EQ, der eine leichte Stereoverbreiterung vornimmt (124 %) und einem UAD Pultec EQ mit ganz leichtem Boost bei 60 Hz und 16 kHz. Zum Abschluss liefert iZotope Ozone mit dem Vintage Limiter den letzten Baustein der »analogen« Kette.
Das Beispielpattern, die Stems und das MIDI-File sowie die originale Cubase-Session findet ihr im Beitrag zu diesem Artikel unter www.soundandrecording.de/deconstructed.
Harry Styles
Der 1994 geborene Sänger und Schauspieler Harry Styles begann seine Karriere 2010 in der britischen Ausgabe der Casting Show The X Factor, während er Teil der später international erfolgreichen Boygroup One Direction wurde. 2017 schaffte er obendrein den Durchbruch als Soloartist mit der Single Sign Of The Times und dem schlicht nach ihm benannten Albumdebüt Harry Styles. Es folgten weitere Hits wie Watermelon Sugar und Adore You aus seinem zweiten Album Fine Line. Dieses Jahr meldete sich Harry Styles fulminant mit der Streaming-Rekorde brechenden Single As It Was und dem Album Harry‘s House zurück, was ihm eine weitere internationale Nummer 1 bescherte.