Ist die Recording-Welt eine Männerwelt? Wie sieht der Blick von aktiven Frauen aus der Szene auf diese Welt aus? Und was ist das Female Producer Collective?
Schließe einmal die Augen, und stelle dir folgende Situation im Studio vor: Eine Frau steht im Studio, das Mikro ist aufgebaut, die Leitung steht, der Kanal ist gecheckt, und alles ist bereit für die Vocals. Der Kopfhörer wird aufgesetzt, die Instrumentals werden abgespielt und der Sänger … »Moment, der Sänger?«, mögen vielleicht einige nun denken. »Ich denke, es geht hier um eine Frau …«
Anzeige
Klar, wir wissen, dass es immer Ausnahmen gibt und so auch in der Recording-Welt, aber seien wir ehrlich: Das Bild einer Frau, die am Pult steht, den EQ einstellt und den Mauszeiger über die DAW blitzen lässt (und ausnahmsweise nicht Sylvia Massy heißt), ist den allermeisten doch – sagen wir – recht ungewohnt. Das bestätigen auch offizielle Zahlen: Rund 97 % aller professionellen Produzenten sind männlich. Sind wir doch eine Community aus verkappten, sexistischen, stumpf denkenden Männern?
Den Einstig zumindest machen wir Männer den Frauen offensichtlich nicht leicht. Das bestätigen die wenigen Produzentinnen und auch die Zahlen, die belegen, dass ihr Anteil in den letzten Jahren keinen relevanten Zuwachs bekommen hat.
Das FPC, Female Producer Collective, wurde von der gemeinnützigen Firma GOFORMUSIC mit Lena Leick in der Projektleitung gegründet mit dem Ziel, Frauen in Sachen Tontechnik und Musikproduktion zu fördern, aber auch, um sie besser zu vernetzen. Wir sprachen mit Lena sowie Conny Zhu, einer Musikproduzentin und Künstlerin.
Wie kam es damals dazu, dass das FPC gegründet wurde?
Lena: Das haben mein Kollege Tim Schoon und ich zusammen gegründet. Tim ist Dozent an der Universität des Saarlandes, hauptberuflich ist er aber Produzent, und so kam es, dass er dort ein Musikproduktionsseminar gegeben hat. In diesem Fall waren tatsächlich sehr viele Frauen mit dabei, was er soweit erstmal gar nicht kannte. Ich selbst habe dann etwas später Zahlen gefunden, die besagen, dass nur etwa 3 % der professionellen Producer Frauen sind. Vor zweieinhalb Jahren haben wir dann gesagt, dass wir da etwas ändern wollen, und fingen an, etwas zu konzipieren. Im Juli 2021 hatten wir direkt eine Zusage für eine Förderzulage bekommen, und dann gings auch schon los mit der Planung. Im Januar 2022 begann dann der erste Kurs.
Wie kam es, dass in diesem Seminar verhältnismäßig viele Frauen waren?
Der Studiengang war eigentlich Musikmanagement, in dem Bereich sind generell die Geschlechter recht ausgeglichen. Wir haben durch den Kurs aber vor allem gesehen, dass das Interesse an Musikproduktion seitens der Frauen erstmal recht hoch ist; den Sprung in die Professionalität aber schaffen offenbar nur wenige. Irgendwo geht irgendwann irgendwas verloren, und Studien, die wir dann gesucht und studiert hatten, besagen, dass es natürlich nicht am fehlenden technischen Know-how oder dergleichen liegt, was ich schon zig mal gehört habe.
Was genau bietet das FPC?
Für etwa ein halbes Jahr durchlaufen unsere Teilnehmerinnen eine Workshopreihe von zehn verschiedenen Kursen, zusätzlich gibt es die Möglichkeit für Einzelcoaches, wenn man mal etwas vertiefen oder individuell an einem eigenen Track arbeiten möchte. Außerdem gibt es Angebote zum Thema Marketing und Artistbranding, und natürlich ist ein zentraler Punkt immer, dass sich die Teilnehmerinnen untereinander vernetzen.
Conny, du hattest vorher bei Hofa studiert und hast daher schon etwas Erfahrung in der Männer-Recording-Welt. Wie war das Studium dort für dich?
Conny: Da das Hofa-Studium ein Fernstudium ist, war das erstmal kein Problem. Aber ich war online in der Producer-Community recht aktiv. Da merkt man doch sehr schnell, dass es eine sehr männerlastige Welt ist. Als ich das erste Mal dort erzählt habe, dass ich nicht nur Künstlerin bin, sondern meine Songs auch selbst geschrieben, produziert, aufgenommen, gemischt und gemastert habe, da wurde dann sehr kritisch nachgefragt, ob ich das auch wirklich alles selbst gemacht habe. Ich glaube, viele haben nach ihren ersten Nachfragen schon selbst gemerkt, dass sie aus irgendeinem Grund einen inneren Bias haben, der sie bei dem Thema abhält, offen zu sein. Was aber wirklich nervt, ist die allgemeine Skepsis, dass die von mir produzierte Musik von mir alleine ohne weitere Hilfe entstanden ist, und die Skepsis genau dieser Leute habe ich gegenüber männlichen Produzenten nicht erlebt. Sobald denjenigen klar geworden ist, dass die Musik doch komplett von mir ist, folgt oft ungewollte Kritik, wozu es bei männlichen Produzenten gar nicht erst kommt, da der erste Schritt, nämlich die Skepsis, fehlt.
Es gibt vermutlich auch Männer, mit denen du in einem positiven Austausch bist. Was ist dann hier anders?
Wenn ich mit Männern über eine längere Zeit zusammenarbeite, dann setzt das viel Vertrauen voraus. Da ist es dann ausgeschlossen, dass meine Skills angezweifelt werden. Aber bei Leuten, die ich neu kennenlerne, da bin ich eher zurückhaltend, bis ich weiß, dass ich mit Leuten zusammenarbeite, die meine Arbeit und Expertise schätzen, anstatt mich auf meine oberflächlichen Eigenschaften zu reduzieren.
Ein Beispiel: Für eine Freundin, die eigentlich mit einem anderen Engineer fest zusammenarbeitet, hatte ich mal einen Mix gemacht, den sie dann weitergeleitet hat – mein erster Rough-Mix so zu sagen. Anstatt konstruktiver Kritik kam lediglich als Kommentar: »Ich mag deinen Hall nicht, und auf welcher Lautstärke mischt du überhaupt?« Das ist natürlich super unrelevant und macht keine Laune für eine Zusammenarbeit.
Du produzierst auch schon häufiger die Songs anderer Künstler …
Richtig, bisher gelegentlich, und das möchte ich aber auch gerne noch mehr machen in Zukunft – seit dem Collectiv weiß ich auch, dass das möglich ist. In dem Rahmen hatte ich meine ersten professionellen Sessions in Studios.
Ich kann mir vorstellen, dass sich bei dir auch Künstlerinnen oft wohler fühlen als bei deinen männlichen Kollegen, oder?
Richtig – von etwa zehn, die ich bisher produziert habe, waren nur zwei Männer dabei. Mir wurde schon seitens Künstlerinnen, die auch vorher schon mit männlichen Produzenten zusammengearbeitet hatten, bestätigt, wie wenig Vorurteile es in unserer Produktion gab und wie offen der ganze Umgang miteinander war. Es tut natürlich sehr gut, so etwas dann auch mal zu hören.
Was muss man tun, um beim FPC teilnehmen zu dürfen?
Lena: Letztes Jahr mussten die Teilnehmerinnen ein Motivationsschreiben verfassen, warum sie als Produzentin arbeiten wollen, und sie mussten einen selbstproduzierten Track einsenden. Von einer Juri aus Manager*innen und Produzent*innen wurden die zehn Teilnehmerinnen dann ausgewählt. Dieses Jahr wird zudem hinzukommen, dass die Bewerberinnen aus vorgegebenen Samples einen Beat bauen müssen. Außerdem gibt es dann noch ein Interview mit den potenziellen Teilnehmerinnen, auch damit wir unser Programm individuell anpassen können. Der nächste Kurs läuft von Januar bis Juli – da sollte man außerdem Zeit haben.
Was kostet die Teilnahme?
Gar nichts. Wir werden finanziert von der Initiative Musik, unserem Hauptförderer, da es uns wichtig ist, die finanziellen Hürden niedrig zu halten. Es gibt ja sowieso schon wenige Frauen in dem Business, und dann wollen wir alle fördern und nicht nur diejenigen, die sich das leisten können.