*Oh my Dog! Über die letzten Jahrzehnte haben bereits zahlreiche Kurzweil-Instrumente ihren Weg unter meine Finger gefunden. Ich bin erklärter Fanboy ihrer Sound-Philosophie und ihres konsequenten, wenn dabei auch nicht immer komplett unsperrigen Designfollowsfunction-Konzepts – und Funktionen, denen das Design eilig hinterherhechten musste, gab es im V.A.S.T.-Universum eigentlich immer reichlich. Nun stehe ich also vor Kurzweils SP7 Grand, einem Stagepiano, das irgendwie versucht, den Eindruck einer kunterbunten Workstation zu erwecken, und bin einigermaßen verwirrt!
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Der erste Eindruck eines Instruments speist sich in den seltensten Fällen über das Spiel, sondern zunächst einmal über die optischen Reize und das Auge des Betrachters. Das Design eines Produkts sollte den Kunden ansprechen, und das in einer Sprache, die vom Gegenüber im Idealfall auch verstanden wird. Dabei wesentliche Aspekte sind neben einer unverkennbar individuellen Signatur, eine kohärente Struktur sowie der für die Kundenbindung essenzielle Wiedererkennungswert.
All dies scheint bei Kurzweils jüngstem Spross aber (vom Logo abgesehen) diesmal eine eher untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Nicht, dass ich das Abschneiden alter Zöpfe bei innovativen Weiterentwicklungen nicht durchaus begrüße, aber die Collage, die das Produktdesign-Team bei Kurzweil hier zusammengestellt hat, wirft bereits optisch Fragen auf, die ich mir bei einem Test eigentlich gar nicht stellen möchte (Hat hier das Who-is-who der weltweiten Workstation-, Stagepiano- und Controller-Elite in einem Berliner Darkroom eine ausschweifende und folgenschwere Nacht verbracht? Und warum war Nord nicht eingeladen?). Angefangen bei einer Interpretationsvariante eines sehr bekannten geschwungen konischen Reglers mit leuchtender LED-Basis (facepalm #1) über den Pitch-Bender im Vector-Controller-Look (facepalm #2) bis hin zur Hommage an eine Candy-Shop-affin erscheinende Button-Umsetzung mindestens einer ebenfalls etablierten Company (Aaah! I have to stop hitting myself in the face!), scheint hier der Versuch einer Melange á la Best-Of-Industry-Design (aus-)gelebt worden zu sein.
Bevor ich mich jetzt noch weiter über Oberflächlichkeiten auslasse: in medias res!
Die Basics
Premiere! Das SP7 Grand basiert gemeinsam mit dem technisch weitgehend identischen Schwestermodell SP7 (ohne Grand) auf Kurzweils neuer A.T.S.T.-Plattform (Authentic Timbre Synthesis Technology), die gestützt durch einen Custom-Prozessor für besonders hohe Audioqualität und nahtlose Velocity-Layer-Übergänge sorgen soll. Neben einer qualitativ hochwertigen Hammermechanik-Tastatur mit Triple-Sensor aus dem Hause Fatar (TP/110) wartet die Grand-Variante des SP7 noch mit einem sichtlich großzügigen 7″-Color-Touch-Display auf. Die integrierten 512 Multi-Presets organisieren sich in 13 Kategorien, wobei der bereits vom K2700 bekannte Konzertflügel-Sample eines (Steinway) D als Signature-Sound des Instruments innerhalb der 2 GB großen Sample-Library eine besondere Erwähnung verdient. Mit 256 Stimmen ist die Polyfonie des Piano-fokussierten Kurzweil-Sprösslings zudem mehr als praxisgerecht bemessen.
Ebenfalls üppig ist die Möglichkeit der Tastatur, bis zu 16 Zonen mit entsprechenden Setups zuweisen zu können, die je nach Key-Range selbstverständlich auch als überlappende Layer funktionieren.
Verarbeitung
Stahl und Aluminium dominieren die Gehäusekonstruktion des SP7 Grand und erwecken einen durchweg robusten und roadtauglichen Eindruck, der durch das stylisch eingelassene Industrial-Lochblechdesign der Seitenteile nochmals nachdrücklich unterstrichen wird. Die verbaute Fatar-Tastatur lässt sich nicht nur unverschämt gut spielen, sondern fasst sich auch als Konstruktionselement extrem gut und wertig an. Etwas weniger stabil erscheint dagegen der großzügig dimensionierte Encoder neben dem Display. Für einen zentral verbauten und in der Praxis vermutlich viel Verwendung findenden Drehregler hat dieser für meine Begriffe bedenklich viel Spiel. Es macht den Anschein, dass das Encoder-Poti lediglich auf der darunterliegenden Platine befestigt und nicht mit dem Chassis gekontert ist – eine konstruktive Unart, die es mittlerweile bis in die Oberklasse geschafft hat. Der Widerstand der Federung des Pitch-Benders setzt dem Ganzen aber noch eins drauf, insofern er – sagen wir es vorsichtig – so gerade eben noch vorhanden ist. Wer hier Pitch-Wheel-verwöhnt in gewohnter Weise beherzt zugreift, ist sozusagen in Null-Komma-Nichts am Anschlag. Ich habe nicht den Funken einer Ahnung, was man sich bei der Integration dieses Elements in ein ausgewiesenes Bühneninstrument gedacht hat.
Die farblich anpassbar beleuchteten Gummi-Buttons, die Potis der Effektsektion sowie Kippschalter und Anschluss-Buchsen (u. a. Neutrik) sind qualitativ hochwertig umgesetzt.
Extras
Das Designs des SP7 Grand setzt einige für ein Stagepiano interessante und praktische Features um. So finden sich an der Rückseite neben den üblichen Verdächtigen wie Main-Out, Headphones, MIDI-In/Out, Pedalanschlüssen (Volume, Sustain, SW2) noch ein gesonderter Monitor-Ausgang sowie zwei XLR/Klinke-Comboeingänge, die sich zusammen mit Preamp, Phantomspeisung, USB-Port und zuschaltbaren Vokaleffekten (Harmonizer/Autotune) zu einem vollwertigen Audio-Interface zur Integration von Mikrofonen oder weiteren Instrumenten aufschwingen. Ergänzt wird das Setup noch um einen SD-Kartenslot, dessen Bestimmung allerdings auf den Update-Prozess der Touchscreen-Firmware limitiert zu sein scheint. OS-Updates des Geräts sind aktuell im Übrigen exklusiv via Windows und einer entsprechenden App möglich – eine Möglichkeit via macOS wird nicht angeboten. In unmittelbarer Nähe des blau leuchtenden Einschaltknopfs (Warum? Weil er es kann!) wird der nicht verriegelnde Stecker des mitgelieferten 15-Volt-Netzteils eingestöpselt. Warum ein integriertes Netzteil samt Kaltgerätestecker bei einem Bühneninstrument in der Regel die bessere Wahl ist, darf mal wieder jeder durch Zu-Hause-Liegenlassen des entsprechenden Adapters oder Stolpern über das Kabel beim Gig selbst herausfinden.
Viele Wege führen nach ROM
Grundstein des Konzepts, welches rundherum aufgeht, sind die vielfältigen Bedienvarianten, die sich auf dem individuellen Weg zum Ziel wählen lassen. Auch wenn die umfängliche Bedienung des Instruments bereits zu etwa 80 % per Touch-Screen zu bewerkstelligen sein sollte, lassen sich zu Navigation, Auswahl und Parameter-Bearbeitung auch die vorgesehenen physischen Encoder, Step-Buttons oder der »Super«-Encoder nutzen. Letztlich kann hier jeder seinen individuellen oder von anderen Instrumenten her gewohnten Lieblingsweg beschreiten. Ich denke, dass sich dieses hoch variable Konzept in der Praxis bewähren wird – denn jeder Jeck ist ja bekanntlich anders.
Ebenfalls schön ist die Tatsache, dass sich nahezu alles, was bunt leuchtet, nicht nur in der Helligkeit, sondern über eine integrierte Farbzuweisung an die eigenen Vorlieben anpassen lässt. Dieses Feature ist zudem so niederschwellig und intuitiv per Farbkreis eingebettet, dass es eine wahre Freude ist, damit herumzuspielen. Insgesamt trifft dies im Übrigen auch die globale Bedienung des SP7 Grand zu. Die gewohnte Edit/Save-Routine wurde im Übrigen durch einen ebenso naheliegenden Dialog (Do you want to save changes?) abgelöst, zuzüglich der Option, eigene Presets in verschiedenen Gruppen zu organisieren.
Sound
Auch wenn sich die Soundbearbeitung des Multilayer-Sampleplayers im Falle des SP7 Grand auf EQ- und Effekt-Anpassung beschränkt, ist die Soundbasis des SP7 Grand von gewohnt ausgezeichneter Qualität und unverkennbarer Herkunft. Beim Premium-Pianosound »Concert Grand« fallen einem auf Anhieb die ungeloopten Samples mit ihrem natürlichen Ausklingverhalten positiv auf. Die erstklassigen Multisamples ermöglichen im Zusammenspiel mit der neuen Fatar-Hammermechanik-Klaviatur von pianissimo (!) bis fortissimo ein volldynamisches Flügelerlebnis. Einziger Wermutstropfen sind die vorhandenen (stufenlos zuschaltbaren), aber leider nicht in der gleichen Liga spielenden sympathetischen Resonanzen und Dämpfersounds. Hier darf gerne nachgebessert und die versprochene DSP-Leistung weiter ausgereizt werden. Man könnte natürlich argumentieren, dass es bei einem Stagepiano selbstverständlich nicht zum Pflichtprogramm gehören muss, die Obertöne von lautlos gedrückten Klaviertasten (Stichwort: abgehobene Dämpfer) mit einer virtuellen Basssaite zum Schwingen anzuregen, aber wenn man sich um eine möglichst natürliche Reproduktion bemüht, sollten solche von der Konkurrenz bereits vor Jahren implementierten Details in der Investitionsklasse jenseits von 2 K im Jahr 2023 nicht mehr fehlen.
Kurzweil-typisch bietet das SP7 Grand neben Piano- und E-Piano-Varianten darüber hinaus natürlich zahlreiche Brot-und-Butter-Klänge von begehrten Flächen und Streichern bis hin zu aus der PC-Schwesterserie bekannten perkussiven und synthetischen Klassikern. Aufgepeppt wird das Setup außerdem noch durch einen umfangreichen Arpeggiator mit Step-Sequenzer-Qualitäten.
Fazit
Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits steht man einem durchdachten Bedienkonzept samt erstklassigem Piano-Sample mit feinster dynamischer Abstimmung gegenüber, andererseits wurde hier aber leider auch die Chance verpasst, das Erbe der V.A.S.T.-Engine-Boliden in ein modernes und konsequent individuelles Design zu überführen. Meine Befindlichkeiten ändern aber nichts an der Tatsache, dass das SP7 Grand ein für seine Klasse wirklich ausgezeichnet ausgestattetes Stagepiano ist, das mit Sicherheit seine Fans finden wird.
Add-on: Ein aktuell noch in der Entwicklung befindlicher Macro-Synthesis-Editor soll zu einem späteren Zeitpunkt ergänzend nachgeliefert werden.