Röhre satt!

Klanghabitat Cassiopeia und Lyra – Saturation-Tools

Anzeige
(Bild: Nick Mavridis)

Klanghabitat ist ein auffälliger Name für ein Unternehmen in der Audio-Branche. Ein sicherer Lebensraum für Klänge sind die Produkte aber nur bedingt: Die beiden Geräte in diesem Test, die einkanalige und die Stereo-Variante, sind in der Lage, Sound jeglicher Art gehörig zu vermöbeln. Als Röhrensättigungsgeräte ist es ihr Daseinszweck, für »zu clean« befundene Signale mehr oder weniger kräftig mit Harmonischen anzureichern, aber sie können auch recht verhalten zu Werke gehen.

Aparte Namen fanden nicht nur bei der Firmengründung Verwendung: Die zwei Module nennen sich Cassiopeia, wie das Sternbild, die mythologische Figur und die Schildkröte Kassiopeia in Michael Endes »Momo«, sowie Lyra, ein antikes Saiteninstrument (das der Sage nach wiederum zunächst einen Schildkrötenpanzer als Resonanzkorpus besaß). Der Unterschied ist prinzipiell nur, dass Lyra einkanalig arbeitet und Cassiopeia für den Stereobetrieb ausgelegt ist. Klanghabitat haben übrigens auf der diesjährigen NAMM unter anderem eine 19″-Version von Cassiopeia als Prototypen gezeigt.

Anzeige

Gerätekonzepte und Ausführung.

Es gibt ein paar Dinge, die Plug-ins weniger gut gelingen als beispielsweise EQing. Dazu zählen nach meiner Erfahrung besonders Transienten bearbeitende Geräte und solche, bei denen es um die Anreicherung mit Obertönen geht, also Sättigung, Overdrive, Distortion. Nun gibt es nicht nur klangliche Gründe, die für die Nutzung von Hardware sprechen, aber diese Diskussionen hat wohl schon jeder ausführlich geführt. Klanghabitat bietet zwar auch eine virtuelle Version an, doch bei mir zum Test kamen zwei Series-500er-Module, die ich voller Entdeckungsfreude schnell in ein Housing eingesteckt und festgeschraubt hatte. Doch zunächst wollte ich die Platinen inspizieren, die frei einsehbar sind, da der Hersteller auf ein geschlossenes Gehäuse verzichtet hat. Spoiler: Neben unterschiedlichen Modulen sowie unter und über anderem Gerät mit eingebauten Netzteilen konnte ich keine Probleme durch Einstreuungen feststellen.

Doppelmodul Cassiopeia Platinen
Das Doppelmodul Cassiopeia ist als reiner Stereoprozessor ausgelegt. (Bild: Nick Mavridis)

Natürlich fällt zuerst ins Auge, dass auf jeder Platine eine Vakuumröhre verbaut ist. Die ECC 83 (12AX7) Doppeltriode von JJ ist nicht gesockelt. Das finde ich ein wenig schade, denn durch das Wechseln von Röhren lassen sich Geräte oft ohne viel Aufwand für die eigenen Wünsche optimieren – und zu gerne hätte ich mit anderen Glaskolben ein wenig herumexperimentiert, besonders, wo doch viele Röhren dieses Typs für relativ überschaubare Kosten verfügbar sind. Andererseits könnte man sich auch negative Auswirkungen einhandeln, besonders bei der Stereoversion Cassiopeia.

Bestückt sind die Platinen hauptsächlich mit SMD-Bauteilen, darunter einige Operationsverstärker. Eine Platine der Cassiopeia ist mit der der Lyra weitestgehend identisch, was natürlich sowohl nachvollziehbar als auch sinnvoll ist. Cassiopeia nutzt die Hauptplatine mit ihrem Parametersatz für die Platine des linken Stereokanals, der dann im fixen Slave-Betrieb per Flachbandkabelanschluss mitläuft. Einerseits ist das praktisch und übersichtlich im Betrieb und einfacher in Design und Herstellung als die Möglichkeit, zwei Lyra-Systeme zu einem Stereoverbund zu kombinieren. Andererseits ist dadurch die Flexibilität etwas eingeschränkt. Ich hätte mich etwa gefreut, beim Kauf eines prinzipiell zweikanaligen Systems statt eines Stereosignals auch zwei Monosignale in die Mangel nehmen zu können, etwa Vocals und Bass. Auch die Möglichkeit zur MS-Nutzung mit verschiedenen Einstellungen für Mitten- und Seitensignal bleibt außen vor.

Lyra besitz eine, Cassiopeia zwei dieser Doppeltrioden
Lyra besitz eine, Cassiopeia zwei dieser Doppeltrioden. Wer sie wechseln wollte, müsste zum Lötkolben greifen. (Bild: Nick Mavridis)

Um Obertonprodukte zu erhalten, wird das Signal in die Triode geführt, wo oberhalb des noch recht linearen Arbeitspunktes arbeitet. Wie »heiß« die Röhre gefahren wird, entscheidet auf der Frontplatte der Parameter »Saturation«. Klanghabitat arbeiten mit einem kleinen Trick: Ein Tilt-EQ verstärkt kurz vor der Vakuumröhre die Höhen und senkt die Tiefen ab, dahinter folgt ein EQ mit invertierten Settings. Es handelt sich also um eine Emphasis und De-Emphasis, bei der der Glaskolben bewusst mit einem höhenreichen Signal gefüttert wird. Nicht nur das komplette Eingangssignal wird durch die Sättigungsschaltung geführt und als »Wet« ausgegeben, es gibt auch einen »Dry«-Weg. Das Verhältnis der beiden kann eingestellt werden und nennt sich schlicht »Intensity«. Ebenfalls regelbar ist der gesamte Ausgangspegel, das korrespondierende Poti nennt sich konsequent »Output«. Und das waren auch schon die drei Regelmöglichkeiten – wenn man den kleinen Bypass-Knebelschalter einmal ignoriert.

Drei Regler versprechen eine einfache Bedienung.
Drei Regler versprechen eine einfache Bedienung. (Bild: Nick Mavridis)

Bei 100 % Saturation besitzt das Wet-Signal laut Datenblatt 26,3 % THD+N. Das heißt, dass der Anteil von Verzerrungsprodukten am Gesamtsignal (»Total Harmonic Distortion«) gemeinsam mit den Rauschanteilen (»Noise«, daher das »+N«), die man unweigerlich mitmessen muss, maximal bei etwa einem Viertel liegt. Wer jetzt glaubt, dass das »wenig« sei, irrt: Das bedeutet, dass das Signal schon reichlich Dresche bekommen hat, eine THD+N von beispielsweise 5 % wird schon als sehr ordentliche Verzerrung wahrgenommen.

Es ist eigentlich ein rotes Tuch für mich, wenn eine Röhre in einem Gerät so ganz bewusst in Szene gesetzt und darüber hinaus noch extra beleuchtet wird. Das brüllt: »Schau her! Röhre! Leuchtet! Warm!«, und wirkt auf mich immer etwas gewollt. Klanghabitat haben sich dafür entschieden, die Frontplatte im Wabendesign aufzubrechen, den Blick auf die Röhren freizugeben und diese per LED-Strip zu beleuchten. Mehr noch: Abhängig von der Saturation leuchtet die Lichtorgel mal mehr, mal weniger stark mit dem Signal in Orangerot, im Bypass ist das Licht grün. Grün! Das ist so dermaßen »off«, dass ich es eigentlich schon wieder ok finde. Warum? Nun, hier wird gar nicht erst so getan, als sei es eine glimmende Röhre, die aufgrund der ach so hohen Abwärme unbedingt ein Lüftungsgitter braucht, sondern ganz eindeutig und offenkundig gezeigt, dass man sich hier eine Spielerei erlaubt und dazu steht. Ich bin zwar kein Fan von dieser Art und auch kein Freund des »2003-Looks« der Frontplatte, aber es ist insgesamt schlüssig und wird verdienterweise seine Anhänger finden. Damit kann ich gut leben, und dass ich einen »Altes-Telefon«-Look dem klinischen »Nagelstudio«-Design vorziehe, ist ja schließlich mein Problem.

An der Material- und Herstellungsqualität gibt es für mich nichts herumzuköttern. Die Potis laufen sauber und ohne Spiel, die Kappen fühlen sich wertig an und sind griffig genug. Der Bypass-Schalter allerdings dürfte noch kleiner nicht sein. Und bei drei Reglern ist es zu verzeihen, dass die Beschriftung etwas klein und kontrastarm ist und man in dunklen Umgebungen von besagter Röhren-Diskobeleuchtung geblendet wird.

Im Rack und in Betrieb.

Die Installation gelang gut, wenngleich der Einbau gerade von Doppelmodulen in ein bereits bestücktes Series-500-Rack häufig etwas Zeit, Ruhe und Nerven verlangt. Die Arbeit mit den Geräten im Verlauf des Tests war ein Genuss, denn sofort war es absolut blind möglich, die gewünschten Settings einzudrehen. Ich kann verstehen, wenn man sich nicht um Funktionsweisen von Equipment kümmern, sondern einfach herumkurbeln will, bis es so klingt, wie man es gerne hätte. Dafür eignen sich die beiden Klanghabitat-Geräte sehr gut, und nicht etwa nur aufgrund der nicht unter Überbevölkerung leidenden Frontplatten: Bei Hineindrehen der Saturation oder auch des Wet-Signals steigt der Gesamtpegel nicht übermäßig. Das würde schnell zu Fehlbedienungen gerade bei Neulingen führen, weil man das Lautere oft einfach besser findet. Ein ganz klarer Pluspunkt ist tatsächlich, dass sich auch mit Bypass immer wieder eine objektive Vergleichbarkeit bietet, die verhindert, dass man über das Ziel hinausschießt und sich in Zerrorgien hineinbegibt, die die Signale in diesen Situationen eigentlich gar nicht vertragen.

Klanghabitat LEDs
Wenn es quietschgrün leuchtet, ist es eindeutig, dass Klanghabitat hier kein Röhrenglimmen faken wollen – das macht es für mich irgendwie wieder okay. (Bild: Nick Mavridis)

Während des Testbetriebs hatte ich die Möglichkeit, die beiden Geräte bei einer analogen Albummischung einzusetzen. Dabei habe ich verschiedene Signale entweder durch die Lyra oder die Cassiopeia geschickt, darunter Vocals, Gitarren, Overheads, Snare, Bassdrum, Bass-Amp und Bass-DI – und natürlich auch mal die komplette Summe. Auch einen Moog Sub37, ein Rhodes und einen alten Korg Electribe ER-1 habe ich auf die Geräte gepatcht. Bei sehr sanftem Einsatz bekamen alle Signale eine schöne Kontur. Gerade Einzelsignale wurden ohne Pegeländerung an ihrem Panoramaplatz klarer umrissen dargestellt.

Das gefiel mir besonders für E-, aber auch Akustikgitarren. Der E-Bass bekam bei etwas kräftigerer Saturation das, was nun leider etwas dümmlich, aber passend mit »Chest Hair« umschrieben wird. Etwas grantiger und aggressiver wurde das Signal, jedoch ohne dabei ins Schwimmen zu geraten. Spitzzahnige Synthie-Bässe à la Big Beat konnte ich auch mit dem manchmal etwas zu behäbigen Moog Sub37 generieren. War die Snare nicht crisp genug oder wäre sie ohne Bottom-Mikrofon aufgenommen worden, half leichtes, vorsichtiges Sättigen, ohne dass dabei die Erkennbarkeit von Ghost Notes oder die Struktur von Rolls gelitten hätten. Klasse!

Klanghabitat racked
Im Betrieb zeigten die beiden Röhrensättigungsmodule, dass sie auch richtig derbe zupacken können. (Bild: Nick Mavridis)

Cassiopeia machte sich auch auf der kompletten Summe gut, vor allem, weil weder im Bass noch in den Höhen übermäßig starke Änderungen zu verzeichnen waren oder das Signal degradiert wurde. Allerdings muss man hier sehr subtil zu Werke gehen und sich stets vor Augen halten, dass man sich an Verzerrungsprodukte ähnlich schnell gewöhnt wie an Rauminformationen. Glücklicherweise lassen sich auch sanfte Einstellungen mit den Potis gut einstellen, weil die Regelwege passend gewählt sind.

Gesangsstimmen sind für Lyra ein gefundenes Fressen. Ein bisschen stärkeres Profil, um die Vocals ohne Anhebung des Pegels oder der Präsenzen im Mix etwas weiter nach vorne zu bekommen, gelang genauso wie ein wenig »Kante« in eine mit Bändchenmikrofon aufgenommene Stimme zu bringen. Sehr beherztes Drehen am Saturation-Knob führte zu richtig stark verzerrten Vocals, die aber dennoch gut verständlich blieben. Eine Gegenprobe mit einem von mir gerne genutzten Gitarrenpedal führte zwar zu »reicheren«, aber auch matschigeren Ergebnissen.

Vornehmlich periodische, also tonale Signalanteile zeigen, dass Cassiopeia und Lyra gar nicht so sehr nach Gitarrenvorstufe klingen, wie man es aufgrund der Röhrenbestückung vielleicht glaubt. Nicht nur die leicht kratzigen Klangkomponenten erscheinen in der Sättigung, sondern auch solche, die eher von Endstufenröhren bekannt sind. Ungeradzahlige Harmonische (also geradzahlige Obertöne, weil 1. Oberton = 2. Harmonische!) spielen eine wichtige Rolle im Klang der beiden Effektgeräte, was zum durchaus edlen und »erwachsenen« Charakter beiträgt.

Lässt man die Klanghabitate richtig von der Leine und hat ein kräftiges Signal am Input, wird das Ergebnis deutlich krawalliger, wie ich am Beispiel der Vocals bereits verkündet habe. Ab einem gewissen Punkt ändert sich eine ganze Menge. Die generelle dynamische Offenheit verschwindet, das verzerrte Signal wird gedrückt, als würde ihm etwas entgegengestellt werden. Dass der Klang etwas abgeriegelt und »klebrig« wird, will ich eher auf die restliche Schaltung denn auf die Röhre schieben. Das ist jetzt nicht negativ, denn mit dem Intensitätsregler lässt sich die dann sehr kompakte Verzerrung dem Originalsignal beimischen – genial für Vocals oder, dann gerne etwas verhaltener, für Bassdrum- oder Front-of-Kit-Signale. Richtig Kirmes gibt es, wenn ganze Drumloops oder einzelne Percussion-Sounds mit weit aufgerissenen Reglern malträtiert werden.

Klanghabitat-Prozessoren
Von Sounddesign bis Mastering können die Klanghabitat-Prozessoren an vielen Stellen Bereicherung, Kreativitäts-Booster und wirksames Engineering-Tool sein. (Bild: Nick Mavridis)

Den Grundcharakter der beiden Geräte möchte ich so zusammenfassen: Sie sind keine rigorosen Dickmacher und Vermatscher, sondern bleiben auf lange Strecken transparent und erhalten die Signaldynamik. Kompression, Sag (kurzer Spannungseinbruch) und andere dynamische Artefakte finden im gemäßigten Sättigungsbetrieb nicht statt. Manchmal will man genau das, aber Cassiopeia und Lyra konzentrieren sich außerhalb von Extrem-Settings auf die harmonische Anreicherung des Signals. Auch eine Signalverrundung oder »-körnung« findet kaum statt, schließlich sind die Klanghabitat-Prozessoren nicht mit einer Vielzahl Röhren und Übertragern ausgestattet. Hier wird auch der Unterschied zu entsprechenden Geräten deutlich: Ich habe zwei Vari-Mu-Kompressoren (Amtec Model 099 und Electric & Company EC5B), deren Signalpfade sich auch ohne Dynamikänderung nutzen lassen. Hier passiert deutlich mehr.

Die Klanghabitat-Gerät färben sehr flott, etwas länger andauernder »Sparkle« und »Glanz« ist bei den beiden 500er-Kassetten aber nicht zu finden. Das ist auch kein Wunder, denn beispielsweise der EC5B besitzt sechs unterschiedliche Röhren sowie Eingangs-, Ausgangs- und Interstage-Übertrager. Jenes Gerät dickt das Signal deutlich stärker an, ist wärmer, runder, reicher und auch plastischer – aber eben alles andere als preislich auch nur in der Nähe der Klanghabitat-Module. Wer die Kosten nicht scheut, kann also mit einem teureren Röhrenkompressor hervorragende Sättigungsergebnisse erzielen und hat quasi als Dreingabe noch die Möglichkeit zur Kompression.

Fazit.

Ich muss gestehen: Mein erster Eindruck von den beiden Klanghabitat-Geräten war eher mediokrer Natur. Ich finde sie nun wirklich nicht sonderlich ansehnlich, persönlich hätte ich sie mir mit geschlossener, schwarzer Frontblende und kleinen Bakelitknöpfen gewünscht. Weil aber vor allem das klangliche Ergebnis zählt und auch die Bedienbarkeit eine wichtige Rolle spielt, muss ich sagen: Cassiopeia und Lyra sind absolut gelungene analoge Prozessoren. Sie nur als »Röhrensättigungsgeräte« zu bezeichnen, erweckt den Anschein, dass sie nur leichten Knack verleihen oder minimal andicken könnten, dabei decken sie ein riesiges Spektrum bis hin zu ausgewachsener, gepresster Distortion ab, bei der es richtig zur Sache geht. Nicht nur für das Mixing, sondern ganz explizit für das Sounddesign will ich die beiden Geräte daher empfehlen

Hersteller/Vertrieb: Klanghabitat (Direktvertrieb)

Internet: www.klanghabitat.com

UvP: Cassiopeia: 891,31 Euro / Lyra: 712,18 Euro

Unsere Meinung:

+++ enormes Spektrum von sehr verhaltener Veredlung bis zu brachialer Verzerrung
++ Klang bleibt lange transparent und griffig
++ einfache und logische Bedienung
+ Preis angemessen
– Cassiopeia: nur reiner Stereobetrieb

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.