Regieraum mit Stil

Heimkino als Abhörraum für Dolby Atmos

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Heimkino(Bild: Sören Sievers)

Dolby Atmos ist in der Mixing-Welt in aller Munde. Es entwickelt sich langsam zu dem Zug, auf den jeder früher oder später aufspringen muss, um konkurrenzfähig zu bleiben und nicht unterzugehen. Dennoch ist das, was wir im Bereich der Musikproduktion erleben, nur einer von vielen Aspekten.

Wenn wir über Dolby Atmos sprechen, denken die meisten zuerst ganz automatisch an Musik – an immersiven Sound über Kopfhörer, an das kleine Dolby-Symbol in den Einstellungen des Smartphones. Dabei wird völlig vergessen, woher das 3D-Sound-Format ursprünglich kam: aus dem Kino. Im April 2012 stellte Dolby das Format vor, woraufhin es nach und nach in immer mehr Kinos nachgerüstet wurde. Inzwischen ist nicht mehr nur der große Kinokomplex damit ausgestattet, sondern zumindest auch der eine oder andere Saal des durchschnittlichen Kleinstadt-Kinos.

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Das Medium Film bietet den besten Nährboden für Dolby Atmos, schließlich können hier die bis zu 128 möglichen Klangobjekte ihren Nutzen ausspielen: kreisende Helikopter über den Köpfen der Zuschauer, gruselige Monstereffekte von der Etage über uns und selbstverständlich auch der gerne als Beispiel angebrachte Regen – auch wenn Letzterer, so ehrlich müssen wir sein, erst zu hören ist, wenn er auf dem Boden auftrifft.

Damit war klar, dass Dolby Atmos nach dem Kino auch in einen weiteren Bereich einziehen musste: dem Heimkino. Hier stoßen wir auf ein kleines Problem: den Begriff »Heimkino« definiert jeder für sich ein wenig anders. Leider wird er sehr inflationär gebraucht. Für den durchschnittlichen Anwender ist ein Heimkino bereits der TV im Wohnzimmer, der um ein kleines 5.1-System ergänzt wurde. Was für einen eingefleischten Heimkino-Fan noch als »unwürdig« abgestempelt wird, stellt dennoch die beeindruckende Mehrheit der Film- und Musik-Konsumenten dar. Ein Wohnzimmer hat eigentlich jeder, und ein paar kleine Kompaktlautsprecher nachzurüsten ist normalerweise kein allzu großes Problem. Anders sieht es aus, wenn plötzlich noch zwei, vier oder gar sechs zusätzliche Lautsprecher an der Decke installiert werden sollen. Hier gehen normalerweise sehr schnell die Alarmglocken an – nicht unbedingt beim Filmfan selbst, sondern vielmehr bei seinen Mitbewohnern.

Dieser Tatsache war sich auch Dolby bewusst, woraufhin das Unternehmen den möglicherweise großartigsten Schachzug der letzten Jahrzehnte ausführte: Sie machten es möglich, die Dolby-Atmos-Lizenz auf beinahe jedes denkbare Wiedergabegerät zu kleben:

  • Statt zusätzlicher Lautsprecher an der Decke kamen sogenannte »Atmos-Enabled-Lautsprecher« auf den Markt. Diese werden auf die Front- und Surround-Lautsprecher des bestehenden 5.1-Systems aufgesetzt und projizieren die Höheneffekte per Reflexion an der Zimmerdecke zum Sitzplatz.
  • Auch Dolby-Atmos-Soundbars tauchten ziemlich schnell auf dem Markt auf und warfen den Sound auf verschiedenste Weise in den Raum, in der Hoffnung, den Zuschauer zu treffen.
  • Schließlich hielt Dolby Atmos für Kopfhörer Einzug und damit endgültig die konsumentenfreundliche Lösung, die unzählige Kanäle mit nur zwei kleinen Schallwandlern simuliert – Psychoakustik sei Dank.

In Fachkreisen sind wir uns jedoch einig, dass diese Lösungen alle nur eine mehr oder weniger gute Krücke sind. Das eigentliche Potenzial von Dolby Atmos, Effekte gezielt aus bestimmten Richtungen auf den Hörer einprasseln zu lassen, wird damit nur bedingt bis gar nicht erreicht.

Infos zur Arbeit von Bert Kößler findet ihr unter Heimkino-Praxis.de!

Hier kommt das Heimkino ins Spiel, das in seiner eigentlichen Definition das Erlebnis aus dem großen Kinosaal in die eigenen vier Wände transportiert – nicht nur was Bild und Ton betrifft, sondern auch das Gefühl drumherum. Richtige Heimkinos sehen aus wie große Kinos in klein und vermitteln auch genau dieses beliebte Kino-Feeling. Ein Heimkino-Besitzer zappt nicht einfach nur die Streaming-Anbieter durch und verkümmert im Binge-Watching – nein, er zelebriert Filme und führt sie sich, seiner Familie und seinen Freunden vor wie im echten Kino.

Cinepool-Heimkino
Dieses ausgewachsene Heimkino wurde in einem ungenutzten Indoor-Pool errichtet. Bis zu elf Gäste (oder Kunden) finden hier Platz, um Dolby Atmos im 7.1.4-Setup zu genießen. (Bild: Bert Kößler · Heimkino Praxis)

Die technischen Unterschiede zum großen Kino sind dennoch vorhanden. Die 128 Sound-Objekte einer Dolby-Atmos-Tonspur verkümmern für den Heimbereich auf maximal 16 – mehr wäre wohl für die Heimelektronik (AV-Receiver bzw. -Vorstufen), die das Format seit 2014 unterstützt, nicht zu verarbeiten. Doch das ist unproblematisch, schließlich stellen wir uns im Heimkino in der Regel auch nur maximal ein 9.1.6-Setup hin. Nur sehr selten werden einzelne Kanäle von mehreren Lautsprechern wiedergegeben, wie im PA-Bereich üblich.

Was sind das für Leute, die sich sowas bauen?

Somit wird das Heimkino zur perfekten Abhör-Umgebung für immersive Tonformate, zu denen neben Dolby Atmos übrigens auch DTS:X und Auro-3D gehören – zwei Mitbewerber, die leider immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Der durchschnittliche Heimkino-Besitzer ist normalerweise ganz wild auf Tonspuren in einem dieser Formate. Das ist nicht weiter verwunderlich. Wer viele Lautsprecher hat, will sie ja auch hören. Wie bei jeder neuen Technologie dauerte es in den ersten Jahren sehr lange, bis sich ausreichend Software auf dem Markt einfand. So konnte man gute Dolby-Atmos-Tonspuren zunächst noch an einer Hand abzählen. Inzwischen ist die Lage besser, aber zumindest in der deutschen Synchronisation ist das Format längst noch nicht zum Standard geworden. Besser sieht es im Originalton aus.

Erfreulicherweise haben Dolbys Marketing-Maßnahmen und die daraus resultierende Verbreitung aber dazu geführt, dass Atmos-Tonspuren auch in Musikproduktionen Einzug hielten – nicht nur bei Konzertveröffentlichungen auf Blu-ray, sondern mittlerweile auch bei einzelnen Titeln oder ganzen Alben über Streaming-Dienste. Nun ist ein Großteil der Heimkino-Gemeinde auch begeistert von guter Musik – Heimkino und HiFi liegen sehr nah beieinander. Jedes gut gemachte Heimkino ist fast automatisch auch der perfekte Ort, um ganz klassisch Musik in Stereo zu genießen. Schon so mancher Besucher war begeistert von den vielen Lautsprechern, bis er beiläufig darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er bis gerade eben nur Stereo gehört hatte. Dennoch – ob Rock-Klassiker mit Remastering oder neue Produktionen – die zusätzliche Dynamik und die Surround-Effekte einer Dolby-Atmos-Mischung bescheren jedem Musikgenießer ein extrabreites Grinsen. Man nehme nur Kraftwerks 3D-Katalog oder das jüngste Album von Yello, Point, die sich beide schnell als Referenz in diesem Bereich etabliert haben.

Auch wenn Musik in Zukunft weiterhin vermehrt mittels Kopfhörer konsumiert werden wird und damit die psychoakustische Umsetzung von Dolby Atmos immer einen hohen Stellenwert genießen darf, so sind doch Heimkino-Systeme die nächsten in der Reihe, wo der Mix zeigen kann, was er wirklich hergibt. Egal ob dedizierter Kinoraum oder ambitioniertes Wohnzimmer (solange der 3D-Sound aus einzelnen Lautsprechern kommt) – aus Sicht des Heimkino-Besitzers bedeutet das vor allem eines: Wir brauchen mehr Material! Wenn neue Produktionen in Zukunft noch die gleiche Euphorie auslösen sollen, wie einst ein Pink-Floyd-Album, müssen sie heute in Dolby Atmos abgemischt werden. Musik im Mehrkanalton hat in den vergangenen Jahrzehnten immer nur eine Nebenrolle gespielt. In diesem Jahrzehnt muss das endlich zum Normalzustand werden.

Dachboden-Heimkino
In diesem Dachboden-Heimkino ist Dolby Atmos 7.1.4 möglich. Die auffälligen Holzpaneelen geben dem Raum sein besonderes Aussehen, sind aber bei Weitem nicht die einzige akustische Maßnahme. (Bild: Markus v. H.)

Das Heimkino als privates Vergnügen und berufliche Investition

Wer in dieser schönen neuen Welt des 3D-Klangs Fuß fassen will, benötigt zwingend einen geeigneten Ort, um die eigene Arbeit unter realen Bedingungen beurteilen und sie seinen Kunden vorstellen zu können. Das ist die perfekte Ausgangslage, um Vergnügen (wer geht nicht gerne ins Kino?) und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Zwar kann im Idealfall auch die Studio-Umgebung dafür herhalten, doch spätestens für die finale Beurteilung ist die Nachstellung der Situation des Endanwenders äußerst vorteilhaft. Auch der Kunde wird von der unkonventionellen Raumgestaltung mehr als beeindruckt sein.

Damit wird die private Nutzung zur Nebensache und der selbstständige Mixer bzw. das Studio als Unternehmen profitiert als solches vornehmlich von der Investition. Das kann im Umkehrschluss bedeuten, dass sich ein Heimkino je nach Raumlage und Nutzung unter Umständen zu 100% als Betriebsausgabe verbuchen lässt. Damit stellt sich unweigerlich die nächste Frage: Wie groß ist die Investition in einen solchen Raum?

Heimkino in einer ehemaligen Garage und Öltank-Raum
In einer ehemaligen Garage und Öltank-Raum ist dieses farblich herausragende Heimkino entstanden. Sehr unscheinbar bleibt der Durchgang zum dahinter gelegenen Technikraum. (Bild: Sören Sievers)

Zunächst besteht die Möglichkeit, ein Heimkino schlüsselfertig planen und bauen zu lassen. Eine Handvoll Anbieter auf dem deutschen Markt haben sich auf dieses Rundum-sorglos-Paket spezialisiert. Nach gründlicher Inspektion der Räumlichkeiten und Erfassung aller Kundenwünsche wird der Raum technisch, akustisch und optisch detailliert geplant und schließlich von routinierten Handwerkern in ca. zwei Wochen Arbeit umgesetzt. Die notwendige Technik bezieht der Kunde in der Regel vom selben Anbieter. Diese Dienstleistung schlägt mit mindestens 60.000 Euro zu Buche – ein etwas größeres Budget ist im Sinne der Qualität des Endergebnisses vorteilhaft. Wie so oft gibt es nach oben keine Grenzen.

Anders sieht es aus, wenn man das Heimkino als das betrachtet, was es eigentlich ist: ein Hobby. Die Mehrheit der Anwender plant und baut ihr Heimkino selbst. Nicht nur die deutlich geringeren Kosten sprechen dafür, sondern auch die Freude an der handwerklichen Arbeit und der Stolz auf das Geleistete, wenn am Ende staunenden Besuchern die Kinnlade runterklappt und sich eine halbe Stunde lang nicht mehr schließen will. Low-Budget-Projekte werden hier teilweise schon für 5.000 Euro realisiert – wirklich lohnend wird es aber erst ab ca. 10.000 Euro. Spätestens ab 20.000 Euro ist auch ein Beamer mit nativer 4K-Auflösung im Rahmen. Ab 30.000 Euro wird es richtig interessant; hier müssen insbesondere bei der Technik kaum noch Abstriche gemacht werden.

Heimkino im Wohnzimmer
Heimkino lässt sich gut mit dem klassischen Wohnzimmer verbinden, auch mit umfangreicheren Setups als dem hier gezeigten 5.1.2-System. (Bild: Jan Golumbeck)
Akustische Maßnahmen an Wänden und Decke
Akustische Maßnahmen an Wänden und Decke tragen zu einer modernen Raumgestaltung bei. Die Grundstimmung des Raums lässt sich alleine über die Beleuchtung komplett verändern. (Bild: Jan Golumbeck)

Letztendlich unterscheidet sich ein Heimkino-Projekt also gar nicht so sehr vom Bau eines Tonstudios bzw. Abhörraums mit Arbeitsplatz für das Mixing. Beides lässt sich professionell planen und bauen und in Eigenleistung oder durch Dienstleister umsetzen. Insbesondere die Mehrfachnutzung des Raums kann hierbei interessant werden. Während viele Anwender ein Heimkino im Keller mit ihrem Hobbyraum kombinieren und dort auch noch den Billard-Tisch, Sportgeräte oder den Heimarbeitsplatz unterbringen, ist das auch problemlos mit einem Studio und Mischpult möglich.

Massive akustische Maßnahmenunscheinbar unter einer praktischen Ablage hinter dem Sofa
Massive akustische Maßnahmen wie Bassfallen lassen sich vollkommen unscheinbar unter einer praktischen Ablage hinter dem Sofa verstecken. (Bild: Jan Golumbeck)

Wichtiger als die Kosten für das Heimkino ist aber, wie man das verfügbare Budget einsetzt. Gerade Einsteiger machen häufig den Fehler, alles auf die Karte »Technik« zu setzen, dabei aber den Raum und eine bestmögliche Umsetzung zu vergessen. Deshalb empfehle ich, nur etwa 60 % des maximalen Budgets für Technik auszugeben. Weitere 25 % wandern in den Raum und dabei insbesondere in die akustische Optimierung. Die letzten 10–15 % sollten in eine professionelle Planung bzw. projektbegleitende Beratung wandern, um sicherzustellen, dass am Ende auch wirklich das perfekte Heimkino-Erlebnis entsteht.

Gerade wer voller Tatendrang glaubt, einfach loslegen zu können, fällt garantiert auf die Nase. Es gibt zu viele Details zu beachten, die am Ende den alles entscheidenden Unterschied ausmachen können. Wer die ausgiebige Planung vernachlässigt und so das Potenzial seines Raums verschenkt, wird später die berüchtigten Opportunitätskosten tragen müssen. Das fängt bei der optimalen Aufstellung der elf oder mehr Lautsprecher an, zieht sich über das weite Feld der Raumakustik und endet noch lange nicht bei der Projektion. Besonderes Augenmerk muss zudem auf das passende Basskonzept gelegt werden, da die berüchtigten Raumeigenmoden im Heimkino mit Sicherheit zuschlagen werden. Mit einem einzelnen Subwoofer ist es hier meist nicht getan. In ambitionierten Heimkinos werden Single Bass Arrays bestehend aus mindestens vier Subwoofern in der Front verbaut. Der Königsweg sind Double Bass Arrays, bei denen das Ganze noch auf die Rückwand kopiert wird und so mittels aktiver Auslöschung ein kompromisslos knackiger Bass für alle Sitzplätze möglich wird. Das ist nicht immer ganz einfach mit den sonstigen Gegebenheiten des Raums zu vereinbaren.

Fazit

Was ursprünglich nur als Hobby für ein paar wenige Verrückte galt, wird immer mehr zur Normalität – vielleicht nicht in seiner extremsten Ausprägung, so aber doch zumindest im Wohnzimmer des modernen Medien-Konsumenten. Einmal mehr muss sich jeder im Bereich der Audioproduktion die Frage stellen, ob es Zeit ist, jetzt auf den Zug aufzuspringen. Dolby Atmos ist weiter auf dem Vormarsch, und nichts deutet darauf hin, dass es sich hierbei nur um eine vorübergehende Mode handelt, wie es etwa beim 3D-Bild der Fall war.

Um die perfekte Ausgangssituation für die Musikproduktion zu schaffen, darf neben der effizienten Arbeit in einer Studioumgebung auch die Endkontrolle sowie die Präsentation der Arbeit für den Kunden nicht zu kurz kommen. Wendet man alle Grundprinzipien des Heimkinobaus auf einen freien Raum im Studio oder den Keller des Heimarbeitsplatzes an, entsteht genau diese ideale Umgebung – mit einem nicht zu unterschätzenden privaten Spaßfaktor als Bonus.

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