Theremin-Spielerin, DJ und Produzentin Donna Maya hat für ein Elektro-Album Geräusche in verlassenen Gebäuden in Detroit aufgenommen und verfremdet. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Tontechnik-Werdegang samt zwei Jahren Arbeit im New Yorker »Unique Recordings«-Studio – und dem komplexen Unterfangen, das Theremin live einzusetzen.
Die in Berlin lebende Musikerin Donna Maya bezeichnet sich als »Sound Artist«: Donna Maya, bürgerlich Maya Consuelo Sternel, produziert seit vielen Jahren eigene Musik, die sie »Urban Electro« nennt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Theremin – jenes wohl erste elektronische Instrument, ersonnen in den 1920er-Jahren: Zwischen zwei Antennen baut sich ein elektrisches Feld auf, dazwischen steht der menschliche Körper als dritte Achse. Die Bewegungen mit beiden Händen verändern Tonhöhe und Timbre. Im Ergebnis entsteht ein »singender«, Synthesizer-artiger Ton, der frei modulierbar ist.
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2017 war sie in Detroit unterwegs – und war von der insolvent gegangenen Stadt mitsamt ihrem Verfall gleichermaßen beeindruckt und schockiert. Das inspirierte sie zu einer musikalischen Auseinandersetzung mit dem »Lebensraum« einer Stadt und ihrem Wandel. Sie nahm spontan Umweltgeräusche in Gebäuden auf, um sie zu verfremden und in ihr Album Lost Spaces -> Detroit einzuarbeiten. Ursprünglich begann sie als DJ im Hamburg der 1990er-Jahre, später wurde sie Tontechnikern und arbeitete in New York im »Unique Recordings«-Studio.
Sound & Recording: Lass uns mit deinen Musikproduktionen anfangen. Du hattest als DJ begonnen. Wie verlief der Übergang zur eigenen Elektro-Musik?
Donna Maya: Das lief parallel: Durch DJ’ing fing ich an, Geräte mit in den Club zu nehmen und beides zu kombinieren. Vorher hatte ich nebenbei in einer Band Schlagzeug und Synthesizer gespielt. Dann kamen die ersten bezahlbaren Drum-Computer und Sampler auf. Ich hatte das Glück, einen großen eigenen Proberaum zu haben. Dort fing ich an, Beats zu programmieren, die ich abends mit in den Club genommen habe, um auszuprobieren, wie es dort funktioniert und klingt. Das musste ich damals live abspielen und deshalb die ganzen Maschinen mitschleppen. Aber gerade am Anfang eines Abends, in den ersten zwei Stunden, war nicht viel los – da konnte ich rumspielen, über die fette Clubanlage.
Ziemlich bald wurde ich gefragt, ob ich nicht ein Album machen möchte. Das machte ich und merkte, mir liegt Arrangieren, Produzieren und die Arbeit mit der Technik. Das, was ich nicht wusste, wollte ich lernen – deshalb machte ich eine Ausbildung als Sound Engineer bei einer privaten Akademie. Danach wusste ich zwar, wie Studiotechnik theoretisch funktioniert, wollte allerdings für Praxiserfahrung in ein großes Studio. »Die größten Studios sind in New York«, dachte ich mir. Daraufhin besorgte ich mir halbwegs spontan ein Flugticket und flog dorthin!
(lacht)Ich holte mir eine Zeitung, in der alle Studios gelistet waren und wollte mich dort vorstellen, angefangen bei den größten. Das hat funktioniert – ich landete bei Unique Recordings am Times Square [legendäres Studio, das von 1978 bis 2004 existierte, und in dem u. a. Steve Winwood, Metallica, Aerosmith, Limp Bizkit, 2Pac, LL Cool J, Run-DMC, Naughty By Nature, TLC, Madonna, Jay-Z, Pink oder Alicia Keys aufnahmen; Anm.d.Aut.]und arbeitete dort zwei Jahre lang als Sound Engineer Assistant.
In Deutschland habe ich als DJ weitergemacht und Musik produziert. Ich wollte auch gerne in Studios arbeiten, allerdings war es schwierig, einen Job zu finden – die Musikszene ist hierzulande nicht so groß. In großen Studios mit vernünftigem Equipment wurde entweder keine elektronische Musik gemacht – das waren eher Rock-Studios – oder Werbung produziert.
Wie hast Du für deine eigenen Produktionen mit dem Theremin begonnen? Das ist schließlich nicht das »üblichste« Instrument …
(lacht) Mit dem Theremin habe ich rund 2015 angefangen. Vorher war ich schon mit elektronischer Musik aufgetreten – nicht als DJ, sondern als Live-Performance. Das DJ’ing mache ich seit einigen Jahren nicht mehr, sondern konzentriere mich auf meine Musikproduktionen und Konzerte. Auf der Bühne hatte ich zwar meine Keyboards und Controller dabei, hatte aber das Gefühl, letztendlich nur Knöpfchen zu drücken oder an Reglern zu drehen. Mir schien, eigentlich mache ich gar keine richtige Musik. Wenn ich nie ein Instrument gespielt hätte, wäre ich vielleicht völlig glücklich damit gewesen. Dadurch, dass ich Klavier, Synthesizer und Schlagzeug gespielt hatte, fehlte mir der direkte Zugriff, das Gefühl, in die Musik einzugreifen.
Viele Jahre zuvor hatte ich ein Bild eines Theremins gesehen – das hatte mich fasziniert. Das ist eigentlich das erste elektronische Musikinstrument, 1920 erfunden. Dahinter steckt eine revolutionäre Idee: Alle Tonstufen sind spielbar, ohne Beschränkungen durch Tasten oder Bünde. Dadurch steht nicht nur der Zwölfton-Raum zur Verfügung, sondern auch alles dazwischen. Das Instrument wird mit den Fingern in der Luft gespielt – dadurch hast du die elektronische Musik praktisch »in der Hand«. Das schien mir die Schnittstelle, nach der ich gesucht hatte, um live elektronische Musik zu spielen, ohne an Plastik-Controller gebunden zu sein.
Ich kaufte ein Theremin und schaute, was ich damit machen kann. Das wird oft für Effekt-Sounds eingesetzt, zum Beispiel »Huuuh«-Geisterklänge und einzelne Atmosphären. Mir ging es darum, wirklich darauf zu spielen. Ich hörte mir an, was die Theremin-Virtuosen machen und nahm Kontakt mit ihnen auf. Anschließend entwickelte ich einen eigenen Zugang, um das aus dem Instrument zu bekommen, was ich machen wollte, und habe es mehr in meine elektronische Musik integriert: Ich finde es spannend, zwar nicht atonale Musik zu machen, aber trotzdem einen größeren Tonraum zu nutzen als die zwölf Töne, mit denen wir normalerweise im westlichen Kulturkontext Musik machen.
Welche Virtuosen haben dich fasziniert?
Das sind zum einen Lydia Kavina, die Großnichte des Erfinders Leon Theremin, dazu die recht junge Thereministin Carolina Eyck, die auch sagenhaft ist, sowie Dorit Chrysler, ebenfalls eine sehr gute Thereministin. Die ersten beiden nutzen das Theremin überwiegend für klassische Konzerte – es wird oft als »Violinen-Ersatz« verwendet. Sie machen das großartig! Das ist allerdings nicht mein Ziel, auf die Art das Theremin zu spielen. Dorit Chrysler macht eher elektronische Indie-Pop-Musik.
Ich habe einen experimentelleren Ansatz, um dem Theremin noch eine andere Stimme zu geben. Mein Theremin hat mal einen sirenenartigen Ton, mal knistert und rauscht es – und es kann auch wie eine durchgedrehte, verzerrte Rockgitarre klingen. Die größte Thereministin aller Zeiten ist Clara Rockmore, die nicht mehr lebt – ihre Technik ist sagenhaft. Es gibt auch gute Thereministen, die tolle Musik machen, aber die bekanntesten sind tatsächlich Frauen! Der Erfinder war ein Mann, aber auch schon früher haben sich Frauen dafür begeistert. Es wird Frauen als Stereotyp eher zugeschrieben, weil es ein vermeintlich emotionales Moment bietet, etwas zu spielen. Das Faszinierende darin ist die Direktheit, im Grunde wie eine Stimme: Bin ich nervös und habe nicht die nötige Ruhe in mir, kommt kein Ton heraus – er kippt einfach weg. Das Instrument reagiert sensibel auf die Spieler.
Das Schwierigste war für mich zu lernen, ruhig zu bleiben: Ruhig zu stehen, auf der Stelle zu bleiben, um die Tonkontrolle zu bekommen. Ich bilde mit meinem Körper und den beiden Antennen des Instruments eine Art Dreieck: Zwischen der einen Antenne und der Schulter befindet sich die Fläche, in der meine siebeneinhalb Oktaven liegen. Spiele ich einen Ton und atme nur tief durch, ändert sich der Abstand und der Ton verschiebt sich nach oben, ohne dass ich mich bewegt habe! Der Raum spielt auch eine Rolle. Den Arm und die Hand ruhig zu halten – und damit den Ton ruhig zu halten – dazu selbst noch den eigenen Körper auf der Stelle zu lassen oder Bewegungen, auch beim Atmen, mit der Hand auszugleichen, ist eine echte Herausforderung.
Ich habe das Glück, ein absolutes Gehör zu haben, sodass ich Töne schnell finden und korrigieren kann, aber das ist am Anfang die schwierigste Übung. Das lässt sich alles üben – bei mir ist es umgekehrt: Ich möchte live nicht immer statisch stehenbleiben, sondern auch spielen können, wenn ich mich bewege.
Die Artikulation mit der anderen Hand ist ebenfalls schwierig zu lernen: Nicht nur den Ton zu finden, sondern ihm auch ein passendes Timbre, einen schönen Klang zu geben. Um ein Klavier als Beispiel zu verwenden: Jeder kann irgendwie Tasten runterdrücken und eine Melodie drauf spielen, aber das macht kein Klavierkonzert aus. Richtig Klavier zu spielen ist etwas anderes – das ist beim Theremin auch so, du musst die Artikulation erstmal finden. Jedes Instrument hat, wenn man es gut spielen möchte, eigene Herausforderungen. Auf das Theremin musst du dich einlassen, weil es eine sehr enge Beziehung zum Spielenden aufbaut, der Ton praktisch körperlich reagiert.
Was dein 2020er Album Lost Places -> Detroit angeht, bei dem das Theremin auch eine prägnante Rolle spielt: Kam die Idee erst in Detroit auf, oder stand das Konzept schon vorher, ein »dystopisches« Album zu machen, dass die Ruinenstimmung aufgreift?
Nein, im Vorfeld hatte ich kein Konzept. Ich ging nach Detroit, weil sich herausstellte, dass mein Mann und ich dort Verwandtschaft haben. Wir wurden zu einem Besuch eingeladen. Vor Ort lief ich durch die Stadt und war gleichermaßen fasziniert und erschüttert: Detroit war einst die reichste Stadt der USA, galt wirtschaftlich als Motor des Landes: Die Autoindustrie wurde dort groß, das Fließband wurde dort erfunden. Mit Motown und Detroit-Techno existiert eine große Musikgeschichte. Jetzt ist die Stadt komplett zerstört, eigentlich ist nichts mehr da: In der Mitte steht noch ein Stückchen Innenstadt mit den ältesten erhaltenen Hochhäusern der USA. Ansonsten bleibt eine große Prärielandschaft, in der kleine Häuser wie Inseln stehen, aber oft gänzlich verfallen und verbrannt – halb Ruinen, halb bewohnt. Riesige Fabriken, die seit Jahrzehnten leer stehen, verrotten vor sich hin. Es gibt keine Straße, deren Häuser noch intakt sind.
Das hat mich richtig mitgenommen zu sehen, mit welcher Härte das passiert – und dass in dem Umfeld noch Leute leben. Es handelt sich nicht nur um ein Viertel, sondern eine riesige Stadt so groß wie Berlin, die praktisch in Schutt und Asche liegt. Der Eindruck hat mich so bewegt, dass ich der Meinung war, etwas machen zu müssen: Ich begann, Klänge aufzunehmen. Dazu besuchte ich Orte, die Industrie- und Kulturgeschichte geschrieben haben – darunter die Ford-Fabrik, die »Michigan Central Station« oder das »Heidelberg Project« – eine Straße, in der versucht wird, das nachbarschaftliches Leben mit Kunst wieder besser zu gestalten. In das riesige alte »Michigan Theater«, ehemals ein prächtiges Theater, wurde brachial ein Parkdeck reingezimmert und nur das herausgehauen, was unmittelbar im Weg stand. Daneben hängen noch Marmorsäulen, Spiegel, der Vorhang und die Reste des Theaters.
Ich wollte die Atmosphären und Klänge der Orte aufnehmen, deren Umweltgeräusche. In den größtenteils verlassenen Gebäuden hatte ich das Gefühl, Geschichte zu hören, das zu hören, was dort passiert ist, wenn ich mich länger dort drinnen aufhielt. Die Sounds verwendete ich, um daraus Klangskulpturen und musikalische Geschichten zu kreieren, zu jedem der Orte, weil mich beschäftigte, wie es dazu kommen konnte.
Detroit ist auch ein gutes Beispiel für Kultur in der Krise; Gebäude haben nicht mehr ihre ursprüngliche Funktion, sie werden nicht abgerissen, sondern sind einfach noch da. Gleichzeitig liegt in der Kaputtheit der Stadt viel Potenzial, darüber nachzudenken, was man neu machen und wie man den Raum anders nutzen könnte. Es gibt auch Leute, die das probieren, was allerdings politisch zu unterbinden versucht wird: Die Stadt ging bankrott und wird praktisch von Rechtsanwälten regiert. Das trägt nicht dazu bei, Orte für etwas anderes zu nutzen als Kapital daraus zu schlagen. Das ist ein Anliegen meiner Platte und der Stücke: Die Frage aufzuwerfen, wie wir den städtischen Raum eigentlich nutzen. Was wollen wir bewahren, und zu welchen Opfern sind wir bereit, um Dinge aufzugeben?
Die Idee entstand 2017, das hat über die Pandemie natürlich einen aktuellen Bezug bekommen. Das ist das Thema des Albums geworden: Wie gehen wir mit Kultur in der Krise um, mit dem Verschwinden unserer städtischen Räume? Wie wertschätzen wir Kultur allgemein, sprich: Was ist uns Kultur wert? Die neun instrumentalen Stücke sind aus diesen Sounds entstanden, immer zu bestimmten Orten, die stellvertretend für die Krise stehen, die Geschichte erzählen und die Fragen dabei aufgreifen.