Im Kölner Raum

Der Raum als Partner – die Grandbrothers produzieren für Dolby Atmos

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Lukas Vogel und Erol Sarp
Das Ambient-Elektro-Duo Grandbrothers: Lukas Vogel (links) und Erol Sarp (Bild: Dan Medhurst)

Elektro trifft Akustik: Das Instrumental-Duo Grandbrothers nutzt einen Flügel für Klangexperimente – neben dem herkömmlichen Spiel stammen auch alle weiteren Sounds dem Flügel, teilweise verfremdet und gesampelt. Das neueste Album Late Reflections entstand größtenteils im Kölner Dom, samt der Impulsantworten für einen Dolby-Atmos-Mix. Ein Gespräch mit Kai Blankenberg in der Düsseldorfer Skyline Tonfabrik, wo der Mix entstand, sowie mit den beiden Musikern Erol Sarp und Lukas Vogel.

Bei einem Konzert der Grandbrothers ist ein Flügel präpariert, mit Stangen, an denen sogenannte Hubmagnete befestigt sind. Sie schlagen als elektromagnetische Hämmerchen gegen Saiten und Korpus. Der Musiker Lukas Vogel steuert die Technik per MIDI im Sequenzer an und verfremdet die Klänge – während der Pianist Erol Sarp »regulär« am Flügel spielt. Das Duo gründete sich 2012 in Düsseldorf. In den letzten Jahren haben sie Alben veröffentlicht mit instrumentalem, tanzbarem Ambient-Elektro und waren auf Europa-Tourneen. Alle Klänge entstammen ursprünglich dem Flügel, auch Bass- und Snare-Drums. Kürzlich hat die Band mit Late Reflections ein Album veröffentlicht, das im Kölner Dom aufgenommen wurde. Um die Dom-Ästhetik auch räumlich im Mix einzusetzen, entstand zusätzlich ein Atmos-Mix.

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Vom Gig zum Dom-Recording mit 13-Sekunden-Hall.

Das Duo wurde eingeladen, 2022 im Kölner Dom im Rahmen einer Jubiläumsreihe ein Konzert zu spielen, erinnert sich Lukas Vogel. Sie kamen auf die Idee, eigenes Material für die Gelegenheit zu schreiben. »Unsere schnelleren, tanzbareren Stücke sind nicht unbedingt für einen 13-sekündigen Hall geeignet. Es würde sich auch anbieten, den Hall und die Akustik auszureizen«, so Vogel. »Wir waren zu einer Begehung dort, haben einen Flügel reingestellt, um den Klang im Dom zu hören. Vom Eindruck waren wir geflasht und haben testweise eine Impulsantwort aufgenommen. Damit konnten wir im Studio experimentieren.«

Weitere Stücke entstanden, die Idee des Albums nahm Form an. »Im Zuge des Konzerts konnten wir fünf Nächte am Stück rein. Das hatte der Dom bisher noch nicht gemacht. Tagsüber ist immer Betrieb als Sehenswürdigkeit.« Zwischen 20 Uhr bis 6, 7 Uhr morgens hatten sie den Dom für sich, erzählt er. »Das war völlig abgefahren und hat die Stimmung des Albums stark beeinflusst.«

Grandbrothers-Setup im Kölner Dom
Grandbrothers-Setup im Kölner Dom (Bild: Dominik Grötz)
Kai Blankenberg
Kai Blankenberg (Bild: Skyline Tonfabrik)

Wie ein »3D-Panorama-Regler«.

Kai Blankenberg von der Skyline Tonfabrik in Düsseldorf hat die Atmos-Variante des Albums gemischt. Für Pro Tools dient ihm dazu die sogenannte »Dolby Atmos Audio Bridge«, ein Dolby-Renderer, mit dem sich Lautstärke und Panorama der Ausgangskanäle verteilen lassen. Es sei wie ein »3D-Panorama-Regler«, meint er. »Dazu existieren Objekte: Die ersten zehn Outputs sind statisch angelegt – in einer 7.1.2-Konfiguration.« Die letzte Ziffer ».2« steht für zwei obere Boxen. »Alles, was ich an Spuren auf 1 und 2 lege, ist vorne immer da. Die anderen Kanäle enthalten Objekte, die ich herumfahren kann.« Er nutzt eine 7.1.4-Konfiguration im Studio, mit vier Boxen an der Decke – je zwei vorne und hinten. »Das ist das übliche, was Dolby empfiehlt, was sich gut anbietet, um den Mix zu machen.« Warum im Atmos-Bett nur zehn Kanäle mit zwei frontalen Boxen oben vorhanden sind, vermag er nicht zu sagen. »Das ›Bett‹ kann man oben nicht zwischen vorne und hinten trennen, aber die 118 Audio-Objekte lassen sich beliebig im Raum verteilen.«

Blankenberg beim Mix über den Dolby-Renderer
Blankenberg beim Mix über den Dolby-Renderer (Bild: Thomas Krüsselmann)

Zwei Mixing-Ansätze: »3D-Kunstwerk« oder Erweiterung der Band.

Wie geht er eine Atmos-Mischung gedanklich an? »Für mich gibt es zwei Ansätze: natur-identisch, zum Beispiel bei AnnenMayKantereit«, erinnert er sich an ein vorangegangenes Projekt. »Dort war klar, dass keine Gitarre eine verrückte Position einnimmt – wir wollten die Räumlichkeit um die Band erweitern, ohne dass die Protagonisten um den Hörer ›wandern‹. Bei elektronischer Musik kannst du dich lösen, ein Element ›rumschlackern‹ lassen. Die Bässe bleiben eher vorne, aber vieles kann ›wandern‹ und ›wabern‹, weil der Hörer keinen realistisch ›Schaffenden‹ vor sich sieht, wenn er die Augen schließt. Bei beiden Ansätzen muss der Inhalt immer Vorrang haben.«

Die Grandbrothers seien zwischen beiden Ansätzen angesiedelt. »Bei ihrer Musik funktioniert es sehr gut, weil das Konzept ›hybrid‹ ist: Durch den Raum und das Klavier ist die Musik ›natur-identisch‹. Andere Sounds«, er spricht Elektro-Percussion-Snaps und Effektklänge an, »eignen sich auch für wildere Fahrten.« Pianist Erol Sarp sagt dazu: »Im Raum war es inspirierend, eine Fläche oder einen Arpeggiator um sich herum wandern zu lassen. Das hat die Musik für uns lebendiger gemacht. Wir haben mit Kai festgestellt: Generell schafft man sich mehr Platz, statt alles ins Stereobild ›reinzupressen‹. Das Ergebnis bekommt mehr Luftigkeit, erdrückt einen nicht von vorne – sondern ist auch von den Seiten greifbar. Dabei ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo man aufhören sollte: Man könnte das gesamte Album die ganze Zeit um einen herumschwirren lassen, das ist nicht Sinn der Sache. Die Musik soll noch funktionieren, die Effekte nicht ablenken.«

Reamping von Einzelsignalen und Impulsantworten – statt Live-Session.

»Ursprünglich hatten wir die Idee, im Dom wie bei einer Session zusammen zu spielen«, meint Lukas Vogel. »Im Vorfeld half uns der Produzent Paul Corley aus L.A., der auch die Stereoversion der Platte gemischt hat, sowie der Engineer Francesco Donadello aus Berlin, der viel Erfahrung mit großen Räumen hat.« Die beiden rieten von einer reinen Live-Session ab, es bestünden zu wenige Eingriffsmöglichkeiten zur Sound-Gestaltung. Dazu kam der Zeitfaktor: »Ein ganzes Album in fünf Nächten einzuspielen, alle Elemente dort aufzunehmen, wäre völlig irre. Damit würden wir uns keinen Gefallen tun. Wir entschieden uns, das Material im Studio fertigzuschreiben, aufzunehmen und zu produzieren – und anschließend im Dom zu schauen, wie viel wir aufnehmen können – ohne den Druck, alles schaffen zu müssen. Klavierspiel und produzierte Sounds nahmen wir separat auf: Die konnten wir in den Dom geben und über Lautsprecher wieder aufnehmen, als Re-amping – das kannten wir vorher nicht; Francesco Donadelli legte uns das nahe und half vor Ort.

Im Endeffekt haben wir viel geschafft – fast 95 Prozent der Klavierspuren stammen aus dem Dom. Dazu konnten wir viele Stems re-ampen, dadurch waren im Mix viele Klangfarben verfügbar.« In einer Nacht haben sie zudem die »flüchtige« Impulsantwort des ersten Tests durch aufwendige neue Impulsantworten ersetzt.

Neumann U87
Eines der Mikrofone – hier ein Neumann U87 – für das Erstellen der Impulsantworten (Bild: Dominik Grötz)

Impulsantwort-Erstellung über Frequenz-Sweeps in Altiverb.

Die Impulsantworten entstanden über den internen Prozess des Ausdioease-Faltungshall-Plug-ins Altiverb. Dabei wird die Empfindlichkeit der Lautsprecher mitberücksichtigt, erklärt Vogel. »Wir mussten 30 Sekunden lange Frequenz-Sweeps über den gesamten Frequenzbereich durchlaufen lassen, um den langen Hall einzufangen. Zu Beginn hatten wir befürchtet, dass uns die Umgebungsgeräusche einen Strich durch die Rechnung machen. Durch die langen Sweeps werden die Frequenzbereiche allerdings detaillierter abgedeckt – dadurch können Störgeräusche leichter herausgemittelt werden.« Vogel editierte die Impulsantworten später. »Francesco erzählte, dass bei Störgeräuschen einzelne Frequenzen einen zu langen Decay haben, den man herausfiltern müsste. Danach habe ich Ausschau gehalten, aber nicht wirklich etwas gefunden.« Für die Wiedergabe der Frequenz-Sweeps kamen große Adam-Lautsprecher zum Einsatz, »um viel Energie in den Dom zu bekommen. Wir wollten Stereo-Impulsantworten, mit der Quelle an zwei Orten. Dazu verwendeten wir vier Stereo-Mikrofonpaare in verschiedenen Distanzen – darunter ein Royer SF24-Stereomikrofon, Neumann- Kugelmodelle, dazu Austrian Audio-Kugeln und ganz oben Neumann U87, ebenfalls als Kugel. Als Preamps diente ein Antilope-Orion-Interface.«

Bei Impulsantworten gehe es laut Donadelli darum, verschiedene Klangfarben durch unterschiedliche Mikrofone zu haben, so Lukas Vogel. »Wir hatten auch ein Atmos-Array aus zwölf Schoeps MK4-Mikrofonen mit der passenden Anordnung, was wir aber nicht als solches gebraucht haben. Es diente zu ›Studienzwecken‹, wenn man den Raum realistisch abbilden möchte.« Im Mix kam ohnehin nur eine Altiverb-Stereo-Version zum Einsatz.

Bearbeitung der Stems vorab, um im Renderer nur die Verteilung vorzunehmen.

Die Grandbrothers schickten rund 20 Spuren zum Mix. Einzelne hat er aufgeteilt, um stellenweise Effekte besser zuweisen zu können. Er zeigt eine Snare, deren einzelne Schläge er für einen Hall aus einem komplexen Beat ausgeschnitten hat. »Da musst du auch Bock drauf haben, das ist Fummelarbeit! Vielleicht kommt das daher: Wenn dein Hauptjob Mastering ist, wo du nichts bastelst, freust du dich darüber, an Stellen eingreifen zu können, wo du eine Idee hast. Hätte ich 20 Jahre lang editiert, würde ich das vielleicht anders sehen.« Die Bassdrum geht nach unten oktaviert in den LFE-Kanal. Hi-Hats hat er nach oben gelegt, in Altiverb unterstützt er den Höheneindruck aus dem Dom.

»Gegenchecken und Verifizieren bei Atmos

… ist noch ein aufwendiger Akt, über die kleinen Apple AirPods oder den AirPods-Max-Kopfhörer – verglichen mit gewohnten Abhören beim Stereo-Mastering. Wenn du über den Kopfhörer mischst, wird das Ergebnis manchmal etwas ›groß‹: Über die Boxen klingt es schnell recht hallig. Die Stimmlautstärke und die Größe von Effekten musst du verifizieren.« Ein Mini-Kabel als Adapter für den AirPods-Max-Kopfhörer kostete 30 Euro, und es wirkt nicht wirklich solide – das ärgert ihn noch, weil es nicht gerade den professionellen Grundgedanken unterstützt, wie er sagt. Aber der Kopfhörer hilft: »Für mich ist das ein kleinster gemeinsamer Nenner zum Abhören. Viele Nutzer haben den Kopfhörer. Schicke ich den Künstlern ein mp4, und sie hören über ein iPhone und den Kopfhörer – dann hören sie genau das Signal, wie ich es für mich gegencheckt habe.« Ein Unterschied von der Dolby-Atmos-Kopfhörer-Abhöre zu dem Signal übers iPhone: »Durch den Renderer hört man das binauralisierte Signal von Dolby Atmos. Um Apple Spatial zu checken, muss ich den Atmos-Mix rendern und in mp4 exportieren, um ihn dann übers iPhone und Airpods zu hören. Früher waren die Unterschiede größer, sie nähern sich aber so langsam an. Über Logic lässt sich das Apple-Spatial-Signal auch direkt vorhören.«

Apple AirPods Max
Gegencheck-Kundenreferenz: Über die Apple AirPods Max kann Blankenberg das Signal verifizieren, dass der Kunde hört. (Bild: Nicolay Ketterer)

Atmos und die Musikschaffenden.

Inwieweit werden Atmos-Mixe nachgefragt? Es sei kein Selbstläufer, meint Kai Blankenberg. »Die Musikschaffenden frage ich, ob sie daran interessiert sind – wenn sie Lust darauf haben, können wir das machen. Als Band besteht erstmal kein riesiger finanzieller Benefit – es ist nicht so, dass das Geld automatisch zurückkommt. Die Leute hören das auf Apple Music, wenn sie den Song gut finden – unabhängig vom Format. Wenn du dich selbst darüber freust, deine Musik in dem Format zu hören und zu präsentieren, klar, dann würde ich es an deiner Stelle machen! Der Mix ist ein finanzieller Mehraufwand, und über eine Apple Playlist bekommst du vielleicht ein paar mehr Plays. Das ist auch Wahrnehmungssache: Wenn sich jemand damit positionieren kann, kommt zumindest von der Wertschätzung etwas zurück.« Darum sollte es eigentlich gehen, meint er. »Man fängt ja nicht mit Musik an, um Geld zu verdienen – sondern weil man sich damit auseinandersetzen will. Musikmachen ist keine Banklehre.«

Er erinnert sich an eine EP mit binauralen Immersive-Remixen, die ein Künstler für Spotify bei ihm machen ließ. Das Stereoalbum blieb die Hauptaussage. »Das bot ihm den Vorteil, vier der zehn Songs zu nehmen, die sich für den binauralen Mix eigneten, was auch günstiger ist. Über eine Immersive-Parallelproduktion kann er hörbar und Promo-mäßig punkten. Das fand ich eine konsequente und smarte Entscheidung. Es muss nur bei Spotify klar kommuniziert werden, dass es binauralisierte Mischngen sind, die sich nur für Kopfhörer eignen.«

Bei den Grandbrothers lief die Finanzierung laut laut Lukas Vogel teils durch eine Musikförderung, das Atmos-Projekt wurde über Apple Music gefördert. Das Grandbrothers-Album ist in Stereo auf Vinyl und CD sowie als Download erhältlich. Im Streaming ist zudem die Apple-Spatial-/Atmos-Version verfügbar.

>> www.grandbrothers.de

>> www.skyline-tonfabrik.de

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