Kolumne von Peter Walsh

Jede Sekunde zählt

Anzeige

Peter Walsh

TikTok muss am 31. Januar aufgehört haben zu ticken – zumindest für ein paar Sekunden.

Anzeige

Das war der Tag, an dem der Social-Media-Riese mit schätzungsweise einer Milliarde oder mehr Nutzern (etwa 23 Millionen in Deutschland) es nicht schaffte, sich mit der weltgrößten Plattenfirma Universal Music Group (UMG) über Lizenzrechte zu einigen, was dazu führte, dass UMGs riesiger Katalog mit Millionen von Songs von der Plattform entfernt wurde. Videoclips, die UMG-Musik enthalten, wurden plötzlich »musiklos«, und es ist jetzt (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels) nicht mehr möglich oder legal, auf der Plattform Videos mit UMG-Inhalten zu erstellen.

Als ich an diesem Morgen die BBC-Nachrichten hörte, während ich an meinem Tee nippte, hörte es sich so an, als ob es zwischen diesen beiden sehr mächtigen und einflussreichen Unternehmen zu einem heftigen Streit gekommen wäre. Das muss für alle TikTok-Fans auf der ganzen Welt eine harte Nachricht gewesen sein, da sie nicht mehr kostenlos auf die großartige Musik ihrer Lieblingskünstler zugreifen konnten …

Künstler und Songschreiber auf der ganzen Welt müssen ebenfalls schockiert gewesen sein.

Ich frage mich, was Harry Styles und Ariana Grande dachten, als sie erfuhren, dass ihre gesamte Musik über Nacht von einer der beliebtesten Social-Media-Plattformen der Welt verschwunden war. Adele ist wohl – laut ihres Songs Easy on me – »in dieser Stille ertrunken«.

Was ist also passiert?

Wie wir inzwischen alle wissen, kassieren Plattenfirmen Tantiemen, wenn Songs aus ihrem Katalog irgendwo gespielt werden, auch auf Streaming- und Social-Media-Plattformen. Ein Teil dieser Einnahmen wird dann an den Künstler, die Songschreiber und Produzenten weitergegeben – mich eingeschlossen. Wie dieser Anteil genau berechnet wird, ist umstritten und hängt von den individuellen Vereinbarungen ab, die zwischen Künstlern und Plattenfirmen bei der Unterzeichnung ihrer Verträge getroffen werden.

Das Schöne an TikTok ist jedoch, dass diese Lieder meist als Hintergrundmusik für kurze Videos verwendet werden, die von Nutzern erstellt und auf die Website hochgeladen werden. Bei diesen Inhalten kann es sich um den Soundtrack zu einem Urlaubsvideo, einer Hochzeit oder sogar einem Yoga-Übungsclip handeln. Es könnte alles Mögliche sein, und das ist es auch meistens, weshalb ich kein großer TikToker bin.

TikTok ist jedoch unbestreitbar eine wichtige Werbeplattform für die Musikindustrie. Ein musikgetriebener viraler Clip auf TikTok kann einen Trend auslösen, einen Hit kreieren oder einen alten Klassiker wiederbeleben, wie zum Beispiel den Song Dreams von Fleetwood Mac, der ursprünglich 1977 veröffentlicht wurde.

Doch seit Jahren sind Musikunternehmen und Musikschaffende frustriert darüber, wie wenig oder gar nichts einige dieser Plattformen im Vergleich zur Nutzung ihrer Musik und den daraus resultierenden Werbeeinnahmen zahlen. Am 31. Januar hatten die Anwälte von Universal anscheinend genug. Also beschlossen sie, den Stecker zu ziehen. Damit verabschieden sie sich nicht nur von Weltstars wie Taylor Swift und Drake, sondern auch von den vielen neuen Künstlern, die die Plattform nutzen, um ein Publikum zu finden.

In einem offenen Brief an die Künstler- und Songwriter-Community, der am 30. Januar veröffentlicht wurde, behauptete UMG, ob zu Recht oder zu Unrecht, dass »… TikTok versucht, ein musikbasiertes Geschäft aufzubauen, ohne einen angemessenen Wert für die Musik zu zahlen«. TikTok reagierte darauf, ob zu Recht oder zu Unrecht, mit der folgenden Erklärung auf seiner Website: »Es ist traurig und enttäuschend, dass die Universal Music Group ihre eigene Gier über die Interessen ihrer Künstler und Songschreiber stellt«, und fügt hinzu, dass ihre Plattform als »kostenloses Werbe- und Entdeckungsinstrument für deren Talent« dient.

Dieses Hin und Her bringt niemanden weiter. Ich kann ehrlich gesagt beide Seiten des Arguments sehen. Es kommt darauf an, wie wir alle individuell davon profitieren, wenn unsere Musik verwendet wird. Die angemessene Entschädigung fällt manchmal zu unseren Gunsten aus, manchmal nicht. Als Produzent profitiere ich zum Beispiel nicht direkt von einem erhöhten Verkauf von Konzertkarten oder Merchandise-Artikeln, aber ich profitiere von zusätzlichen Streams, wenn ein Song, an dem ich mitgearbeitet habe, viral geht.

Etablierte Künstler, die nicht auf den Aspekt der »kostenlosen« Promotion angewiesen sind, fühlen sich verständlicherweise ausgenutzt. Aber es ist auch klar, dass diese Pattsituation zwischen einem großen Label und einer großen Social-Media-Plattform neuen Künstlern keinen Gefallen tut. Der Singer/Songwriter Cody Fry, der bei dem UMG-eigenen Label Decca unter Vertrag steht, schrieb in einem TikTok-Video, er fühle sich »… wie eine Person, die zwischen zwei

kollidierenden Planeten steht«. Am Vorabend dieser massiven Musiksperre fing einer seiner Songs, Things You Said, gerade an, mit über 700.00 Creations pro Tag auf TikTok viral zu gehen, und er war am Boden zerstört, als er erfuhr, dass UMG die Möglichkeit hatte, seinen Song von der Plattform zu entfernen.

Soziale Medien sind der effektivste Weg, wie ein Newcomer von einem globalen Publikum entdeckt werden kann. Es ist schon lange nicht mehr zeitgemäß, die Autobahn rauf und runter zu gurken, um vor einer Handvoll eingefleischter Fans in schäbigen Clubs aufzutreten! Wir müssen also die Plattformen der sozialen Medien nutzen, und sie müssen uns nutzen. Wir müssen uns austauschen, zum Wohle aller.

Aber es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. Obwohl UMG den größten Katalog besitzt, gehört ihnen nicht alles … noch nicht. Einige von euch werden erleichtert sein zu hören, dass TikTok nicht völlig verstummt ist. TikTok behauptet, günstige Verträge mit anderen Unternehmen in der ganzen Welt abgeschlossen zu haben, einschließlich Warner Music, einem der größten Konkurrenten von UMG. Worauf diese Vereinbarungen hinauslaufen, müssen wir, die Urheber, abwarten. Aber ich vermute, dass es immer noch nicht viel sein wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.