Zwischen Mensch und Maschine

KI & Musik: Ein Blick auf die Rechtslage

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Was ist erlaubt beim Einsatz von KI in Musik? Kann eine KI-Komposition urheberrechtlich geschützt werden? Verletzt ein KI-Song »im Stile von Bob Dylan«, der an dessen Musik trainiert wurde, Urheberrechte? Wie verhält es sich bei »Deep Fake«-Stimm-Parodien bekannter Künstler? Wie sieht es in unterschiedlichen Ländern aus? Einblicke geben Gespräche mit den Anwälten Damien Riehl und Vera Zambrano. Die Gesetzgebung hinkt – wie so oft – der Technologie hinterher, dennoch existieren Leitlinien.

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Der amerikanische Rechtsanwalt Damien Riehl ließ 2019 für ein Projekt mit dem Programmierer Noah Rubin 471 Milliarden Melodien generieren. Beide gaben die Melodien zur Nutzung frei (siehe Sound & Recording, Ausgabe 1/2023). Theoretisch wurde damit jede mögliche Melodie komponiert, niemand könnte mehr ein Urheberrecht darauf anmelden – aber jeder dürfte die Melodien nutzen. Urheberrechtlich werden maschinengeschriebene Ergebnisse meist nicht anerkannt, Riehl wollte vor allem Probleme beim Urheberrecht aufzeigen.

»Die Ergebnisse lassen sich selten konkret trennen: Wieviel stammt vom Menschen, wie viel aus der Maschine?« Damien Riehl

»In den USA hat das Urheberrechtsamt festgelegt, dass ein von einer Maschine komponiertes Ergebnis nicht urheberrechtlich schützbar ist«, erklärt Riehl im Gespräch (deutsches Recht siehe unten). Der Autor Kris Kashtanova hatte sein Graphic Novel »Zarya of the Dawn« beim US-Urheberrechtsamt eingereicht und bekam das Urheberrecht eingetragen, erinnert sich Damien Riehl. »Der Autor erklärte später in den Medien, dass ihn die Eintragung überrasche, da er die KI-Software Midjourney zur Bildgenerierung verwendet hatte. Daraufhin zog das Urheberrechtsamt die Eintragung zurück. Sie meinten, sie hätten nicht gewusst, dass KI-Bildgenerierung zum Einsatz kam. Er könne nur seinen menschlichen Anteil am Buch – die Texte – urheberrechtlich schützen lassen. Das stellt eine recht gute Trennlinie dar – allerdings lassen sich die Ergebnisse selten so konkret trennen.«

Rechtsanwalt Damien Riehl
Rechtsanwalt Damien Riehl (Bild: 2011)

Riehl: KI-ergebnisse »reifen« erst durch Bearbeitung. »Verwende ich bei Musik beispielsweise einen Akkord- oder Melodiegenerator, übernehme Bausteine und verändere ein, zwei Noten – wie viel stammt dann aus Maschine, wie viel vom Menschen? Das Gleiche gilt bei Text. Ich wurde gebeten, einen Artikel über ChatGPT zu schreiben. Dazu sammelte ich vier Seiten Stichpunkte und gab sie in ein Large-Language-Modell (KI-basiertes Textgenerierungsmodell; Anm. d. Aut.) ein, mit der Maßgabe, einen zwanzigseitigen Text zu erstellen. Die nächsten drei Stunden verbrachte ich mit Editieren und Überarbeiten, um den Text in ›meine Stimme‹ zu verwandeln. Danach hatte ich einen guten Artikel. Ich begann mit meinen Ideen, das Modell steuerte seine Inhalte bei, am Ende standen meine Ideen zur Überarbeitung. Würde ich das beim Urheberrechtsamt einreichen – welcher Anteil wäre meine Arbeit, wie viel entstammt Maschine? Auf Musik angewendet: Wenn du ein paar Melodien und Akkorde herunterlädst und bis 3 Uhr morgens editierst: Woher will das Urheberrechtsamt wissen, worin der maschinelle und worin der menschliche Anteil besteht?

Das Problem existiert seit 100 Jahren mit menschlichen Autoren: Wenn wir zusammen einen Song schreiben, ist dem Urheberrechtsamt egal, ob du 10 Prozent beigesteuert hast und von mir 90 Prozent kommen. Wir sind gleichberechtigte Autoren. Das Urheberrechtsamt will nicht vor Gericht ausfechten, wer welchen Anteil geliefert hat – und zudem argumentieren müssen, ob deine 10 Prozent vielleicht den wichtigsten Anteil darstellen. Genauso verhält es sich, wenn Mensch und Maschine an einem Song ›jammen‹ – es ist unmöglich, zu definieren, wer welchen Anteil geliefert hat. Meiner Meinung nach führt das dazu, dass Leute, die mit Maschinen ›jammen‹, entweder gegenüber dem Urheberrechtsamt lügen und behaupten, das Ergebnis sei eine rein menschliche Schöpfung. Oder sie sind ehrlich – dann fällt das Copyright flach.

Fast alle Kunst wird vermutlich im Zusammenspiel mit Maschinen entstehen – lediglich komplett menschliche Anteile werden sich schützen lassen. Wenn meine maschinengenerierten Melodien urheberrechtlich schützbar wären, dann könnte theoretisch niemand mehr Musik machen! Das wäre ein absurdes Resultat.«

 

KI-Einsatz zum Stimmklonen? Dabei bekräftigt er, dass er die Aufnahme eines Songs weiterhin für schützenswert hält. Das führt zu einem anderen Punkt: Mit KI-Apps lassen sich beispielsweise Stimmfarben von Sängerinnen und Sängern klonen, indem Gesang, mit der eigenen Stimme eingesungen, anschließend adaptiert wird – praktisch als »Deep Fake«. Teils werden darunter instrumentale Backing Tracks der originalen Songs verwendet (siehe z. B. eine Red-Hot-Chili-Peppers-Persiflage: www.tiktok.com/@thereiruinedit/video/7279617108445760814). »Hier kommt zum einen das Öffentlichkeitsrecht zum Tragen, das in den USA gilt und meinem Verständnis nach in Europa noch schärfer ist: Indem du dich als mich ausgibst, ist das praktisch eine Markenverletzung. Du hast praktisch meine Identität gestohlen.« In dem Fall war es eine Parodie, die – bei klarer Intention als solche –erlaubt ist, so Riehl. »Das andere: die Verwendung der tatsächlichen Aufnahme der Gruppe, was eine klare Urheberrechts-Verletzung darstellt. Da existiert kein Graubereich.«

Wir gehen zu keinem Schachturnier, bei dem Roboter gegen Roboter antreten. Damien Riehl

KI-kompositionen im Stil anderer Künstler. Bereits beim »Stimmklonen« ist ein Trainieren durch vorhandenes Material nötig. Wie sieht es generell aus, wenn ein Song im Stile von jemand anders erstellt werden soll? »Nehmen wir an, ich trainiere eine KI an allem Material von Bob Dylan, um einen neuen Song in seinem Stil zu komponieren. Den gebe ich nicht als Dylans Schöpfung aus – es ist lediglich ein Song, der nach Dylan klingt, was ich nicht kundtue. Dann stehle ich keine Aufnahme, keine Identität – weil ich Dylan nicht mal erwähne –, sondern schreibe nur Musik in seinem Stil. Kann er mich wegen Urheberrechtsverletzung verklagen? Ich würde sagen, nein. Wenn du ohne KI einen Song in seinem Stil schreiben und veröffentlichen würdest, könnte er dich auch nicht verklagen. Ansonsten würde praktisch jeder Singer-/Songwriter seit den 1970ern verklagt! Reine Konzepte sind nicht schützbar, nur menschliche Ausdrücke. Der Stil Dylans ist kein urheberrechtlich schützbarer Aspekt.« Zumal Dylan dann vermutlich von Woody Guthrie verklagt worden wäre, stimmt Riehl zu. »Jeder bewegt sich im Stil seiner Vorgänger.«

Ist KI-software identifizierbar? Wäre der Software-Einsatz nachweisbar, aufgrund wiederkehrender Muster? Hätte das US-Urheberrechtsamt beispielsweise bei dem erwähnten Graphic Novel eine Chance gehabt, die Verwendung der KI-Software zu analysieren? »Ich habe mit Leuten gesprochen, die Software zum Aufspüren von ChatGPT-Einsätzen erstellt oder es zumindest versucht haben. Menschen verwenden Wörter recht wahllos, Large-Language-Modelle sagen hingegen das nächste statistisch wahrscheinliche Wort voraus. Wenn es statistisch wahrscheinlich ist, dann ist das Ergebnis sehr ›glatt‹. Ein grafischer Verlauf würde bei Menschen chaotisch und gezackt aussehen. Aufspür-Algorithmen prüfen, ob der Text glatt oder chaotisch ist. Menschen, die flach und banal schreiben, weil sie nicht sonderlich inspiriert sind, liefern allerdings auch recht glatte Texte. (lacht) Absolute Aussagen sind nicht möglich. Bei Melodien ist es noch komplizierter. Wie spürst du auf, dass eine Melodie von einer Maschine kreiert wurde? Es ist schwierig, passende Artefakte zu finden.«

Die Rechtsanwältin Vera Zambrano betreut Mandanten in Deutschland und USA, unter anderem im Musikrecht.
Die Rechtsanwältin Vera Zambrano betreut Mandanten in Deutschland und USA, unter anderem im Musikrecht.

Wie sieht der deutsche Rechtsrahmen aus? Nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz seien nur musikalische Werke schutzfähig, die individuelle geistige Schöpfungen sind, erklärt die Rechtsanwältin Vera Zambrano. »Es muss einen Schöpfer geben, und dies kann nur eine natürliche Person sein.« Das schließe rein durch Computer, Roboter oder erzeugte Inhalte aus, da der Technik ein eigener Geist fehle. Was bedeutet das für den generellen Einsatz der Technologie? »Es kommt darauf an, ob das Werk federführend von einem menschlichen Künstler stammt.« Das gelte grundsätzlich auch, »wenn sich ein Künstler bei der Komposition auch automatisierten Prozessen bedient – also etwa Computer-basierte Hintergründe, Sequenzen, Stimmen, musikalische Einwürfe jeglicher Art einfließen lässt, aber das geschaffene Werk aus dem geistigen Eigentum des Künstlers stammt, er die Teilbereiche entwirft und zusammensetzt, und das Werk ohne das menschliche Zutun nicht entstanden wäre. Ein Computer, der in bestimmten Musiksequenzen – ob Stimmen, Instrumente oder Songtexte – trainiert wird, ist damit von einer natürlichen Person ursprünglich beeinflusst worden und kann nur das wiedergeben, was zuvor eingespielt oder trainiert wird. Auch das sogenannte Mischen von Sequenzen innerhalb eines Musikstücks ist das Ergebnis einer kreativen Idee einer natürlichen Person und damit schutzwürdig.«

Red-Hot-Chili-Preppers-Parodie mit Stimmklon-Einsatz (Screenshot TikTok)

KI berücksichtigt keine Urheberrechte. Ein Problem hinsichtlich der Verletzung von Urheberrechten: »KI kann praktisch nur dadurch ›intelligent‹ werden, dass sie zuvor trainiert und mit Werken oder Inhalten gefüttert wurde. Typischerweise unterscheidet eine KI bei ihrem Lernprozess nicht, ob die Informationen urheberrechtlich geschützt sind. Ich sage gerne: ›Artificial Intelligence does not have the brain, it only has the memory‹. KI erfindet also nie vollständig Neues, sondern nutzt vielmehr das Wissen, das weltweit zur Verfügung steht, aus dem es reproduziert. Wenn KI dabei zusammenhängende, deutlich erkennbare Originalwerke wiederverwendet, ohne dass eine selbständige Abwandlung entsteht, kann KI-basierte Musik durchaus Urheberrechte verletzen.« Bediene sich KI-basierte Musik bekannter Sequenzen, die im Ergebnis aufgrund anderer Anordnung oder Verläufe nicht mehr erkennbar sind, »dann ist die Nutzung zumindest aus deutscher urheberrechtlicher Sicht unproblematisch.«

Derzeitiges Recht: jeder Fall ein Einzelfall. Pauschale Gewissheiten, wann ein Musikstück, das KI-basierte Komposition beinhaltet, urheberrechtlich geschützt werden kann, gebe es allerdings keine. »Rechtlich werden in Deutschland alle künftigen Fälle – wie bisher – als Einzelfälle zu betrachten sein. Als Faustformel gilt: Je mehr Bestandteile der Schöpfung einer natürlichen Person entstammen, desto eher ist das Stück auch in Deutschland vom Urheberrecht umfasst, und Verletzungen können vom Künstler geahndet werden.« Generell greifen die nationalen Urheberrechtsgesetze, jedoch existieren internationale Übereinkommen, um die gegenseitige Anerkennung des Urheberrechts zu gewährleisten; etwa das Welturheberrechtsabkommen von 1952, das als Grundlage für den internationalen Umgang mit dem Urheberrecht dient, so Vera Zambrano. Der zugehörigen diplomatischen Konferenz gehören 191 Länder an, darunter Deutschland und die USA.

Damien Riehl weist auf eine Uneinigkeit zwischen britischen und US-amerikanischem Urheberrechtsgesetzen hin: »In Großbritannien sind seit einigen Jahren maschinengenerierte Werke schützbar. Falls die Rechtsprechung in Einklang gebracht wird, müsste sich Großbritannien meiner Meinung nach an den USA orientieren, wenn es darum geht, dass Menschen in Zukunft Kunst machen können sollen, und maschinengenerierte Werke nicht schützbar sind.«

Personalisierte KI-Musik als Musikmodell? Wie könnte die musikalische Landschaft in Zukunft aussehen? Riehl: »Ein Freund arbeitet bei der Firma Boomy.com, die KI-generierte Musik anbietet. Er ist der Meinung, dass Songs in Zukunft individualisiert übertragen werden: KI wird wissen, ob dein Tag gut oder schlecht lief, und einen Song nur für dich und den Tag erzeugen. Es gäbe also jeden Tag Milliarden neue Songs. Vielleicht haben wir dann das Zeitalter verlassen, indem eine Aufnahme einen Wert hat.«

Manche Künstler sehen die Zukunft angesichts der Technologie eher dystopisch: Im April 2024 kritisierten über 200 prominente Musiker – darunter Stevie Wonder, Billie Eilish, R.E.M., Jon Bon Jovi oder Katy Perry – in einem öffentlichen Brief den Einsatz von KI in der Musikbranche als »existenzielle Bedrohung« bei falscher Verwendung. Sie forderten Musikdienste, Tech-Firmen und Entwickler auf, die KI-Nutzung zu beenden, da sie Rechte menschlicher Künstler verletze und entwerte. Der Brief kritisiert beispielsweise KI-Modelle, die an Werken geschult würden, um Künstler zu ersetzen, was Tantiementöpfe »erheblich verwässere«.

Ein Gedanke, der etwa dem von Riehl erwähnten personalisierten KI-Musikkonzept entgegensteht: Dabei entsteht ein auf Erwartungen zugeschnittenes Ergebnis – der Nutzer wird allerdings nicht überrascht. So, wie – spitzfindig formuliert – Selbstbefriedigung im Vergleich zu Sex keine vielfältige Dynamik entwickelt. Der musikalische Austausch mit anderen kann zu ungeahnten Ergebnissen führen, zu einem »Mehr als die Summe der Teile« – das, was Musik oft genug ausmacht.

Riehl stimmt zu. »Sting hat mal gesagt, die Essenz von Kreativität sei Überraschung. Er meinte: ›Wenn ich nicht innerhalb der ersten 30 Sekunden von einem Song überrascht werde, gehe ich zum nächsten. Ich will überrascht werden.‹ «

Riehl sieht die Zukunft weniger schwarz: »Roboter können Menschen im Schach seit Jahrzehnten schlagen. Aber wir gehen zu keinem Schachturnier, bei dem Roboter gegen Roboter antreten. Bei Konzerten ist das ähnlich: Ich sehe keine Roboter, die ein Stadion mit zehntausenden Leuten füllen. Die Leute gehen zu Taylor Swift, weil ein Mensch hinter allem steht.«

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